TE OGH 1990/7/11 3Ob579/90

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Veröffentlicht am 11.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes Günther S***, geboren am 17. Oktober 1973, Maurerlehrling, Ehgutnerstraße 1, 4563 Micheldorf, hier vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems als Sachwalter, infolge Revisionsrekurses des Vaters Kurt S***, Einsteller, Kampesberg 3, 4656 Kirchham, vertreten durch Dr. Gerhard Götschhofer, Rechtsanwalt in Vorchdorf, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Steyr als Rekursgericht vom 7. Mai 1990, GZ 1 R 78/90-54, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kirchdorf an der Krems vom 26. März 1990, GZ P 87/81-51, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Vater hatte für seinen am 17. Oktober 1973 geborenen damals noch schulpflichtigen Sohn Günther der in dem von der Mutter geführten Haushalt betreut wird, seit dem 1. April 1988 im Monat S 1.500,- Unterhalt zu leisten.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters vom 5. Dezember 1989, diese Unterhaltsverpflichtung wegen Anrechnung der vom Sohn nun erworbenen Lehrlingsentschädigung aufzuheben, nur teilweise statt und setzte den vom Vater zu leistenden Monatsbetrag an Unterhalt ab dem 5. Dezember 1989 auf S 1.000,- herab. Es stellte fest, daß der Vater als Vorarbeiter einschließlich der durchschnittlichen Überstundenentlohnung und der Anteile an den jährlichen Sonderzahlungen von Juli 1989 bis Jänner 1990 netto S 20.250,- im Monat verdient und noch für seine in Karenzurlaub befindliche Ehegattin Manuela S***, seinen 1975 geborenen Sohn Jörg S***

(monatlich S 1.500,-), seinen 1982 geborenen Sohn Robert K***

(monatlich S 1.700,-), seinen 1987 geborenen Sohn Florian S*** und seinen 1989 geborenen Sohn Sebastian S*** zu sorgen hat. Der seit Sommer 1989 im ersten Lehrjahr als Maurerlehrling tätige älteste Sohn Günther bezieht an Lehrlingsentschädigung netto etwa S 4.600,-. Er mußte Werkzeug um S 346,- und mehrere Arbeitsanzüge zu je S 320,- anschaffen und wird an Berufsschulkosten einschließlich der Internatsunterbringung und der Lernbehelfe im Jahr S 6.000,- zu tragen haben.

Die Mutter führt mit ihrer Familie den Haushalt, in dem der Lehrling betreut wird, und verdient als Raumpflegerin bei 20 Wochenstunden rund S 5.000,- im Monat.

Das Erstgericht meinte, es bedürfe zu dem eigenen Einkommen des noch nicht selbsterhaltungsfähigen Lehrlings der Fortzahlung des Unterhaltsbeitrages von S 1.000,- monatlich durch den Vater, der dazu auch in der Lage sei, weil er ohne Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung für das älteste Kind rund S 3.200,- Unterhalt leisten müßte.

Das Rekursgericht bestätigte mit dem Ausspruch, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Rekursgericht errechnete die durchschnittlichen Nettobezüge des Sohnes an Lehrlingsentschädigung mit rund S 4.800,- zuzüglich des Anteils am Weihnachtsgeld von S 3.482,96, meinte aber, daß die im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit entstehenden Aufwendungen abzuziehen seien und das Eigeneinkommen des Lehrlings daher mit nur rund S 4.800,-

anzunehmen sei. Die Lehrlingsentschädigung sei nur so weit eigenes Einkommen des Sohnes, als nicht Berufsausbildungskosten abzudecken seien. Selbsterhaltungsfähigkeit liege nicht vor, es bedürfe eines doch deutlich über S 5.000,- liegenden Betrages, um alle Bedürfnisse des Lehrlings abdecken zu können und ihm auch einen Teil der Lehrlingsentschädigung zur freien Verfügung zu belassen. Der Vater könne bei seinem Nettoeinkommen von etwa S 20.000,- und seiner Sorgepflicht für Ehegattin und fünf Kinder den Monatsbetrag von S 1.000,- aufbringen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, weil die nach Art XLI Z 9 WGN zu berücksichtigende Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz zur Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung in den letzten drei Jahren nicht einheitlich war und auch noch keine gesicherte veröffentlichte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes besteht. Die Entscheidung über die Unterhaltsbemessung hängt daher von der Lösung einer Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG idF nach Art II Z 1 WGN ab. Da Entscheidungsgegenstand ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch ist, gilt der Rechtsmittelausschluß nach § 14 Abs 2 Z 1 AußStrG idF WGN (S 50.000,- nicht übersteigender Entscheidungsgegenstand) nicht (§ 14 Abs 3).

Der Revisionsrekurs ist aber sachlich nicht berechtigt. Der erkennende Senat vertritt die Ansicht, daß die Lehrlingsentschädigung in voller Höhe ein Eigeneinkommen des Kindes darstellt, soweit sie nicht als Ausgleich für einen berufsbedingten Mehraufwand für Berufsausübung oder Berufsausbildung benötigt wird, und daß sie daher bei der Beurteilung, inwieweit sich der Anspruch des Kindes auf Unterhalt wegen der eigenen Einkünfte mindert (§ 140 Abs 3 ABGB) voll und nicht etwa nur mit einem Bruchteil zu berücksichtigen ist. Auch ein Abzug aus "pädagogischen oder sozialpolitischen" Gründen (vgl Knoll in ÖA 1988, 35) ist abzulehnen. Der bei Antritt der Lehre entstehende Mehrbedarf kann im Einzelfall bedeutsam sein, doch liegen über die ohnedies berücksichtigten Berufskosten hinaus keine Anhaltspunkte für eine typische bedeutsame Bedarfserhöhung vor.

Das österreichische Unterhaltsrecht geht davon aus, daß im Regelfall beide Elternteile gleichermaßen zu dem auch durch ihre Lebensverhältnisse bestimmten bedarfsdeckenden Unterhalt beizutragen haben. Der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag (§ 140 Abs 1 und Abs 2 ABGB). Eine gänzliche Enthebung von der Pflicht des anderen Elternteils zur Leistung von Geldunterhalt kommt erst in Betracht, wenn das Kind unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist, also auch außerhalb des Haushalts des ihn betreuenden Elternteiles zur eigenen angemessenen Deckung des Lebensbedarfes in der Lage wäre. Reichen die eigenen Einkünfte dazu nicht aus, kommt nur eine Minderung der Unterhaltsverpflichtung in Betracht, die aber nicht einseitig dem zur Leistung von Unterhalt in Geld verpflichteten Elternteil zugute kommen darf. Verdient das Kind bloß so viel, daß es nur bei weiterer Betreuung durch die Mutter den übrigen Lebensbedarf gerade decken kann, so kommt es nicht zur vollen Befreiung des Vaters, der selbst auch weiter den Beitrag zu leisten hat, der zusätzlich neben dem nach Abzug des berufsbedingten Mehraufwandes verbleibenden Nettoeinkommen an Lehrlingsentschädigung erforderlich ist, um die Lebensbedürfnisse den Verhältnissen der Eltern gemäß (§ 140 Abs 1 ABGB) abzudecken, also etwa auch die anteiligen Kosten des Wohnens.

Es läßt sich nicht allgemein sagen, welches eigene Einkommen dazu ausreicht. Der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage nach iSd § 293 Abs 1 lit a/bb und lit b ASVG (bis 30. Juni 1990 S 5.434,- und ab 1. Juli 1990 S 5.574,- je 14mal im Jahr, also monatlich durchschnittlich S 6.340,-/S 6.503,-) kann nur bei einfachsten Lebensverhältnissen eine Richtschnur bilden (so schon 3 Ob 547/90).

In dem nun zu beurteilenden Fall bezieht der im 17. Lebensjahr stehende Lehrling im ersten Lehrjahr, das er am 18. Juli 1989 (nicht am 7. 9. 1989) antrat, ein aus 5 2/5 Monaten seit Beginn des Lehrverhältnisses errechnetes eigenes Einkommen von rund S 5.100,-

(Nettobezug S 27.544,73 : 5,4), wovon die mit der Berufsausbildung verbundenen Kosten abzuziehen sind, so daß eigene Einkünfte des Lehrlings nur mit rund S 4.600,- vorliegen. Die Familienbeihilfe ist nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§ 12 a FamLAG) nicht als Einkommen des Kindes anzusehen. Der Ansicht des Vaters, mit dem Beitrag zur Berufsschule von jährlich S 6.000,- seien alle Lebensbedürfnisse in der Zeit des Berufsschulbesuches abgedeckt, ist entgegenzuhalten, daß der Anteil an den Fixkosten der sonstigen Wohnung fortläuft und die Schulkosten einen zusätzlichen berufsbedingten Aufwand darstellen. Es käme daher höchstens zum Abzug der Haushaltsersparnis während der tatsächlichen Internatsunterbringung, so daß durch das Erfordernis der Anschaffung von Arbeitskleidung und der Vergütung des berufsschulbedingten Mehraufwandes noch eine Belastung des eigenen Einkommens mit solchen zu berücksichtigenden Kosten der Berufsausübung und Berufsausbildung eintritt. Es liegt aber schon der Nettobezug an Lehrlingsentschädigung deutlich unter den Richtsatzbeträgen, daß es gerechtfertigt ist, bei den derzeitigen Lebensverhältnissen nur eine Minderung des Unterhaltsanspruches auf den von den Vorinstanzen mit S 1.000,- festgesetzten Betrag vorzunehmen.

Die Belastung des Vaters mit den zahlreichen weiteren Sorgepflichten ändert daran nichts. Rund 5 % seines Einkommens für seinen ältesten Sohn aufzubringen, ist ihm noch zumutbar.

Anmerkung

E21144

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00579.9.0711.000

Dokumentnummer

JJT_19900711_OGH0002_0030OB00579_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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