TE OGH 1990/7/11 2Ob54/90

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Veröffentlicht am 11.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Wolfgang G***, praktischer Arzt, Hubertusweg 1, 2203 Großebersdorf, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei N*** G***, Dr. Karl

Renner-Promenade 14-16, 3100 St. Pölten, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 26.März 1990, GZ 14 R 23/90-17, womit aus Anlaß der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27.Oktober 1989, GZ 2 Cg 64/89-11, das Ersturteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind gleich weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Kläger ist praktischer Arzt in Großebersdorf. Er schloß mit der beklagten Partei am 1.1.1975 einen Einzelvertrag über seine Tätigkeit als "Auchzahnarzt", beschränkt auf konservierend-chirurgische Zahnbehandlung und am 10.12.1975 einen Einzelvertrag über seine Tätigkeit als praktischer Arzt ab. Soweit der Kläger an seinen Patienten Behandlungen auf dem (nicht vom "Kassenvertrag" erfaßten) Gebiet der Kieferorthopädie (Prothetik, Zahnregulierung usw) durchführte, ließ er sich diese vom Patienten unmittelbar honorieren. Mit der von ihm darüber ausgestellten Rechnung konnte dieser - wie bei jedem anderen "Nicht-Vertragsarzt" - bei der beklagten Partei um einen entsprechenden Kostenzuschuß ansuchen. Die übrigen Behandlungskosten als "Auchzahnarzt" rechnete er unmittelbar mit der beklagten Partei ab. Mit Schreiben vom 26.8.1985 kündigte die beklagte Partei dem Kläger den Vertrag als "Auchzahnarzt" zum 30.9.1985 auf. Die Landesschiedskommission hob mit Bescheid vom 19.2.1986 diese Kündigung auf, die Bundesschiedskommission änderte diesen Bescheid jedoch mit Bescheid vom 8.2.1988 dahin ab, daß der Antrag des Klägers, die Kündigung für unwirksam zu erklären, abgewiesen wurde. Der Verfassungsgerichtshof erkannte einer vom Kläger gegen den Bescheid der Bundesschiedskommission erhobenen Beschwerde aufschiebene Wirkung zu, wies die Beschwerde aber mit Erkenntnis vom 1.12.1988 ab. Die beklagte Partei richtete an verschiedene Versicherungsnehmer, deren Angehörige Patienten des Klägers waren, am 19.9.1988 Schreiben folgenden Inhaltes:

"Wir bedauern außerordentlich, zur vorgelegten Honorarnote für die kieferorthopädische Behandlung bei Herrn Dr. G*** noch immer keine endgültige Entscheidung bekanntgeben zu können. Zur Zeit läuft ein Verfahren, in dem geklärt werden soll, wieweit Herr Dr. G*** berechtigt ist, die in Rechnung gestellten Leistungen zu erbringen. Dieses ist noch nicht abgeschlossen. Wir sind daher derzeit außerstande, einen eventuellen Kostenersatz zu gewähren und ersuchen um Ihr Verständnis. Nach Abschluß des Verfahrens werden wir Sie sofort verständigen."

Der Kläger begehrt den Widerruf und die Unterlassung solcher Äußerungen nach § 1330 ABGB als kreditschädigend. Er führt aus, daß durch die Schreiben seine Befähigung als praktischer Arzt zur Erbringung der zahnärztlichen Leistungen überhaupt in Frage gestellt werde. Da die hier zu beurteilenden Behandlungen im sogenannten "kassenfreien Raum" durchgeführt worden seien, hätten sie auch nichts mit der Aufkündigung seines "Auchzahnarzt-Vertrages" zu tun. Die beklagte Partei habe daher durch die Vermengung beider Sachverhalte schuldhaft unrichtige Tatsachenbehauptungen aufgestellt, die durch die Patienten einem immer größer werdenden Personenkreis bekanntgemacht werden könnten.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, die Äußerung in den Briefen hätte sich nur auf das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen bezogen. Die beklagte Partei habe die Abgrenzung der erbrachten Leistungen zwischen kieferorthopädischer Behandlung einerseits und konservierend-chirurgischer Zahnbehandlung andererseits eingehend prüfen müssen, um die Frage des Kostenersatzes entscheiden zu können. Die vom Kläger aus den Schreiben abgeleitete Deutung sei nur auf ein Mißverständnis zurückzuführen. Im übrigen lasse der Kläger die zahnärztliche Behandlung von einer Dentistin in seiner Ordination erbringen. Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung der beklagten Partei das Ersturteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Es führte aus, nach der am 1.1.1990 in Kraft getretenen 48.Novelle zum ASVG sei gemäß § 344 Abs 1 zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stünden, eine paritätische Schiedskommission berufen. Diese sei auch für Schadenersatzstreitigkeiten zwischen den Vertragspartnern zuständig. Für die Entscheidung darüber, was mit einem Vertrag in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehe, werde in den Erläuternden Bemerkungen auf die zu § 8 Abs 1 und § 50 Abs 1 Z 1

ASGG oder zu § 55 Abs 1 JN, in denen ähnliche Formulierungen enthalten seien, ergangene Literatur und Judikatur verwiesen. Eine Arbeitsrechtssache im Sinne des § 50 Abs 1 Z 1 ASGG liege aber auch dann vor, wenn bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unerlaubte Handlungen betreffen, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stünden. Hiebei müsse es sich um unerlaubte Handlungen oder unerlaubte Unterlassungen des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers oder eines Dritten handeln, die einer von ihnen zu vertreten habe. Der Rechtsstreit müsse aber jedenfalls zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geführt werden. Zwischen der unerlaubten Handlung und dem Arbeitsverhältnis müsse ein, wenn auch entfernter, sachlicher Zusammenhang bestehen. Ob dieser Zusammenhang unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich sei, sei belanglos. Der Zusammenhang sei gegeben, wenn ohne das Arbeitsverhältnis keine Gelegenheit oder kein Anlaß zur Begehung der unerlaubten Handlung bestanden hätte. Die unerlaubte Handlung könne auch erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begangen worden sein, sofern der vorerwähnte Zusammenhang bestehe. Sie könne sowohl gegen ein strafrechtliches als auch gegen ein zivilrechtliches Verbot (etwa § 1330 ABGB) verstoßen. Wende man diese Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall an, so zeige sich, daß zwischen der zu unterlassenden (zu widerrufenden) Äußerung und dem "Auchzahnarzt-Vertrag" zumindest ein mittelbarer tatsächlicher Zusammenhang bestehe. Denn gerade die einem durchschnittlichen Patienten nicht ohne weiteres erkennbare, gezielt oder fahrlässig vorgenommene Vermengung von Tatsachen über ein Verfahren über den Kassenvertrag und die Vergütung von bezahltem Honorar für zahnärztliche Leistungen im "kassenfreien Raum" solle ja als Verstoß gegen § 1330 ABGB geprüft werden. Daß die Äußerung beim durchschnittlichen Mitteilungsempfänger (Patient) als Überprüfung der Befähigung des Klägers zur Tätigkeit als praktischer Arzt und nicht als Überprüfung seines Kassenvertrages aufgefaßt werde, ändere daran nichts. Für die Mitteilung hätte nämlich im konkreten Fall ohne Streit über einen solchen Kassenvertrag kein Anlaß bestanden. Der Rechtsweg sei daher seit 1.1.1990 nicht mehr zulässig, was von Amts wegen wahrzunehmen gewesen sei.

Der Kläger bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs.

Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Gemäß § 344 Abs 1 ASVG idF der 48.Novelle ist zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Die Erläuternden Bemerkungen verweisen zur Frage der Zuständigkeit dieser Kommission darauf, daß § 50 Abs 1 Z 1 ASGG für die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte Ähnliches vorsieht (1098 BlgNr 17. GP 17). Nicht richtig sind die Ausführungen des Berufungsgerichtes, die Erläuternden Bemerkungen würden auf die zu § 8 Abs 1 und § 50 Abs 1 Z 1 ASGG oder zu § 55 Abs 1 JN ergangene Literatur und Judikatur verweisen. Hier handelt es sich nicht um die Erläuternden Bemerkungen, sondern um eine von Souhrada in Soziale Sicherheit 1990, 20 vertretene, vom Berufungsgericht aber nicht vollständig zitierte Ansicht, denn dieser Autor führt aus, die Veröffentlichungen zu den angeführten Paragraphen des ASGG und der JN könnten für die Entscheidung darüber, was mit einem Vertrag in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehe, Anhaltspunkte enthalten.

Bei Beurteilung der Frage, ob der vom Kläger bei Gericht anhängig gemachte Streit mit einem Einzelvertrag in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang steht, ist davon auszugehen, daß es sich bei den vom Kläger erbrachten Leistungen, für welche Versicherte bei der beklagten Partei Ersatz des Honorars forderten, um kieferorthopädische Behandlungen handelte. Über derartige Behandlungen bestand zwischen den Parteien niemals ein Vertrag, die Versicherten mußten diese Leistungen selbst bezahlen und hatten lediglich die Möglichkeit, von der beklagten Partei Ersatz im Sinne des § 131 ASVG zu fordern. Sie haben dies auch getan und von der beklagten Partei als Antwort Schreiben erhalten, die Anlaß für die Klage waren. Insoweit bestand keinerlei Zusammenhang mit einem Einzelvertrag. Wohl steht der Kläger zur beklagten Partei in einem Vertragsverhältnis über seine Tätigkeit als praktischer Arzt und früher bestand auch ein Vertrag über seine Tätigkeit als "Auchzahnarzt", der aber auf konservierend-chirurgische Zahnbehandlung beschränkt war. Dadurch wird aber der im § 344 ASVG geforderte Zusammenhang mit einem Einzelvertrag nicht hergestellt. Es mag sein, daß der zwischen den Parteien bestehende Streit über die Ausübung der konservierend-chirurgischen Zahnbehandlung durch den Kläger, der zur Auflösung des Vertrages über die Tätigkeit als "Auchzahnarzt" führte, Anlaß für die Schreiben der beklagten Partei vom 19.9.1988 waren, der im § 344 ASVG geforderte Zusammenhang mit einem Vertrag wird dadurch aber nicht hergestellt. Die Schreiben der beklagten Partei waren Antworten auf Anträge von Versicherten auf Erstattung von Kosten einer Krankenbehandlung, die der Kläger nicht im Rahmen eines Kassenvertrages durchgeführt hatte, auf einen Kassenvertrag wird in den Schreiben nicht Bezug genommen. Die Behauptung der beklagten Partei, die Schreiben hätten sich nur auf das Vertragsverhältnis bezogen, ist unverständlich, weil hinsichtlich der Leistungen, für welche die Versicherten Ersatz begehrten, zwischen den Parteien niemals ein Vertrag bestanden hatte. Entgegen der in der Rekursbeantwortung vertretenen Meinung reicht es für einen Zusammenhang im Sinne des § 344 ASVG auch nicht aus, wenn sich der Kläger nur auf Grund des seinerzeit bestehenden Vertrages über die Tätigkeit als "Auchzahnarzt" einen Patientenstock für Zahnbehandlungen schaffen konnte (die in der Rekursbeantwortung enthaltenen Ausführungen über die Berechtigung und Verpflichtung der beklagten Partei zur Überprüfung der vom Versicherten eingereichten Rechnungen haben für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges keinerlei Bedeutung).

Zu berücksichtigen ist auch, daß der Kläger zivilrechtliche Ansprüche geltend macht, über welche grundsätzlich die Gerichte zu entscheiden haben. Wenn der Gesetzgeber die Entscheidung über derartige Ansprüche ausnahmsweise einer Verwaltungsbehörde - bei der paritätischen Schiedskommission handelt es sich um eine solche (vgl. EB aaO 16; Souhrada aaO 19) - zuweist, geht es nicht an, den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde durch eine ausdehnende Auslegung zu erweitern.

Für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist der Rechtsweg daher zulässig, weshalb der Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E21128

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00054.9.0711.000

Dokumentnummer

JJT_19900711_OGH0002_0020OB00054_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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