TE OGH 1990/7/12 7Ob593/90

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Veröffentlicht am 12.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anita W***, Hausfrau, Villach, Othmar-Crusiz-Straße 28, vertreten durch Dr. Hans Gradischnig, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei Dr. Bernd M***, praktischer Arzt, Villach, St. Martiner-Straße 23, vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag, Dr. Wilhelm Dieter Eckhart und Dr. Gerhard Gratzer, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 314.500,-- s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert S 364.500,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 19.März 1990, GZ 3 R 5/90-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 11.September 1989, GZ 26 Cg 109/89-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.602,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.267,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Klägerin wurde mit ihrer Einwilligung vom Beklagten am 9.6.1988 gegen Pollinosis Volon A 40 injiziert. Die Klägerin behauptet, den Beklagten vor der Behandlung ausdrücklich gefragt zu haben, ob Nebenwirkungen mit der Verabreichung der Spritzampulle zu befürchten seien. Der Beklagte habe diese Frage verneint. Tatsächlich könne das Medikament jedoch eine Verschiebung der Regelblutung zur Folge haben. Bei ihr seien die Regelblutungen immer genau alle 32 Tage eingetreten. Sie habe den Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann darauf eingestellt und mit ihm nur an jenen Tagen geschlechtlich verkehrt, an denen eine Befruchtung auszuschließen gewesen sei. Bei den Geburten ihrer beiden Kinder habe es sich um gewollte und geplante Geburten gehandelt. Der Beginn ihrer letzten Regelblutung sei am 26.5.1988 gewesen. Der erste Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann nach dieser Regelblutung habe am 22.6.1988 stattgefunden und infolge der durch die Verabreichung der Spritzampulle bedingten Verschiebung der Regelblutung zu einer ungewollten Schwangerschaft geführt.

Die Klägerin begehrt die Kosten für die Errichtung eines weiteren Kinderzimmers von S 300.000, die Kosten für einen Stubenwagen, einen Kinderwagen, für Babywäsche und Bettzeug von S 10.000, den Ersatz eines Verdienstentganges von S 4.500, zusammen S 314.500 s.A., sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für ihren künftigen Verdienstentgang.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Nach der Auffassung der Vorinstanzen müsse der Arzt den Patienten nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen. Insbesondere bestehe eine Aufklärungspflicht dann nicht, wenn die Folgen, wie im vorliegenden Fall, mit dem Gesundheitszustand des Patienten in keinem unmittelbaren Zusammenhang stünden. Daß die Klägerin den Beklagten darauf hingewiesen habe, sie richte ihren Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann nach der Knaus-Ogino-Methode aus und wünsche kein weiteres Kind mehr, sei nicht behauptet worden. Mangels einer solchen Information des Beklagten habe für diesen auch keine Verpflichtung bestanden, auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, daß das Medikament zu einer Ovulationszyklusverschiebung führen könne. Schon mangels eines rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten sei daher das Klagebegehren abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die grundsätzliche Pflicht des Arztes zur Aufklärung des Patienten als Voraussetzung rechtfertigender Einwilligung ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt (Koziol,

Haftpflichtrecht2 II 120; Aicher in Rummel2 Rz 17 zu § 16; SZ 59/18; SZ 55/114; 1 Ob 713/88 ua; vgl. auch Mertens in MünchKomm.2 § 823 Rz 421; Soergel-Zeuner11 § 823 Rz 200). Die Aufklärungspflicht gilt nicht nur bei operativen Eingriffen, sondern auch bei medikamentöser Heilbehandlung (RZ 1973/167). In der Praxis ist die Bestimmung des gebotenen Maßes der einwilligungsbezogenen Aufklärung ein Kernproblem der Arzthaftung. Auf der einen Seite muß das dem Patienten zustehende Recht der Selbstbestimmung ernst genommen und daher namentlich auch die Möglichkeit berücksichtigt werden, daß er nicht stets bereit zu sein braucht, eine aus ärztlicher Sicht angezeigte Behandlung mit ihren Folgen und Risken auf sich zu nehmen. Auf der anderen Seite muß die Situation aber auch für den Arzt überschaubar und die von ihm verlangte Aufklärung realistischerweise erbringbar bleiben. Insbesondere dürfen die Aufklärungsanforderungen nicht überspannt werden (Soergel-Zeuner aaO Rz 204; vgl. auch Steiner in JBl. 1982, 169). Wie weit die Aufklärungspflicht des Arztes reicht, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Da dem Kranken in aller Regel die Kenntnisse fehlen, um die Mitteilungen des Arztes richtig einzuschätzen, muß der Umfang der Aufklärung aufgrund gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung nach den Umständen des Einzelfalles unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes beurteilt werden. Im allgemeinen ist der Arzt nicht verpflichtet, den Kranken auf alle nur erdenklichen nachteiligen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung hinzuweisen, sofern mit solchen Folgen bei Würdigung des Anlaßfalles nach dem Stand der ärztlichen Erfahrung nicht gerechnet werden muß (SZ 55/114; JBl. 1982, 491; RZ 1973/167). Für den Grad der Aufklärung von Bedeutung ist insbesondere die Schwere der potentiellen Folgen der Behandlung bzw. der Nebenwirkungen. Auf objektiv unbedeutende Risken oder Nebenwirkungen ist nur dann hinzuweisen, wenn für den Arzt erkennbar ist, daß diese aus besonderen Gründen für den Patienten wichtig sind (vgl. Mertens aaO Rz 428). Daß es sich hier nicht um einen Fall der einwilligungsbezogenen Aufklärung handelt, weil die Klägerin gar nicht behauptet, daß sie im Falle der ihrer Meinung nach gebotenen Aufklärung die Einwilligung zur Behandlung nicht erteilt hätte, ist ohne Bedeutung. Auch bei der dem Arzt als vertragliche Nebenpflicht obliegenden Aufklärung des Patienten über die Nebenwirkungen einer medikamentösen Behandlung ist die Grenzziehung nach den dargelegten Grundsätzen vorzunehmen. So wurde eine Aufklärungspflicht in der Rechtsprechung in Deutschland, soweit ersichtlich, nur bei Medikamenten bejaht, die massiv in den menschlichen Organismus eingreifen oder eine echte Gesundheitsschädigung des Patienten zur Folge haben können (NJW 1982, 697; VersR 1970, 324). Im vorliegenden Fall erfolgte die Behandlung der Klägerin durch den Beklagten wegen einer Pollenallergie. Das vom Beklagten verabreichte Medikament kann nach den Behauptungen der Klägerin eine Verschiebung der Regelblutung zur Folge haben. Eine solche Nebenwirkung stellt bei objektiver Betrachtung nur eine unbedeutende Beeinträchtigung der Funktionen des menschlichen Organismus dar. Sie gewinnt Bedeutung erst bei gewollter Empfängnisverhütung nach der sogenannten Knaus-Ogino-Methode, der im allgemeinen nur begrenzte Zuverlässigkeit zukommt. Nach den oben dargelegten Grundsätzen brauchte der Beklagte daher die Klägerin über diese Nebenwirkung des Medikamentes nicht aufzuklären. Verlangte man von einem praktischen Arzt, daß er anläßlich der Behandlung einer Pollenallergie derartige Überlegungen in seine Aufklärung einbezieht, würde die Aufklärungspflicht überspannt. Daran änderte hier auch nichts der Umstand, wenn die Klägerin nach Nebenwirkungen gefragt hätte, weil der Beklagte diese Frage ohne nähere Konkretisierung und ohne nähere Informationen seitens der Klägerin nur auf nennenswerte ernsthafte Schäden für die Gesundheit beziehen mußte. Anders mag dies sein, wenn der Beklagte ausdrücklich auf die besondere Bedeutung des Zyklus für die Klägerin hingewiesen worden wäre oder wenn ihm diese aus besonderen Umständen hätte erkennbar sein müssen. Derartiges wurde aber nicht behauptet. Aus den obgenannten Grundsätzen der Grenzziehung der Aufklärungspflicht folgt aber auch, daß der Standpunkt der Revision abzulehnen ist, auf jede im Beipackzettel des Medikamentes genannte Nebenwirkung müsse ausdrücklich hingewiesen werden. Auch die Rechtsprechung in Deutschland zur Haftung des Arztes für die auf sein Verschulden zurückgehende ungewollte Schwangerschaft kann den Standpunkt der Klägerin nicht stützen. In den Fällen der Entscheidungen NJW 1985, 671 und NJW 1980, 1452, handelte es sich nicht um eine Schwangerschaft infolge Verletzung der Aufklärungspflicht, sondern infolge eines ärztlichen Kunstfehlers bei einem vertraglich bedungenen Schwangerschaftsabbruch und bei einer Sterilisation. Insoweit eine Belehrungspflicht über die Möglichkeit einer Schwangerschaft (trotz Sterilisation) angenommen wurde (vgl. NJW 1981, 630 und 2002), wurde diese aus dem Gegenstand des auf Sterilisation zum Zwecke der Verhinderung weiterer, der Familienplanung widersprechender Geburten gerichteten Vertrages abgeleitet.

Kann dem Beklagten aber schon nach dem Klagsvorbringen eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht nicht angelastet werden, fehlt es an der erforderlichen Rechtswidrigkeit, sodaß die Vorinstanzen das Klagebegehren zu Recht abgewiesen haben.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E21444

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00593.9.0712.000

Dokumentnummer

JJT_19900712_OGH0002_0070OB00593_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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