TE OGH 1990/8/7 15Os62/90

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Veröffentlicht am 07.08.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.August 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Mende als Schriftführer in der Strafsache gegen Erwin S*** wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen sowie die Berufung des Sachwalters gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 26.März 1990, GZ 11 b Vr 448/89-38a, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger, des Sachwalters des Betroffenen, Diplomsozialarbeiter G***, und des Verteidigers Dr. Kolm, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen Erwin S*** wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen, nämlich in der Anordnung der Anstaltsunterbringung des Genannten gemäß § 21 Abs. 1 StGB wegen der Urteilstaten I. und II. unberührt bleibt, im Ausspruch, daß er auch aus Anlaß der Begehung der unter III. und IV. bezeichneten Taten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unterzubringen sei, aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft, Erwin S*** auch deshalb in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB unterzubringen, weil er unter dem Einfluß eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhenden Zustandes am 26. Mai 1989 in Tribuswinkel eine fremde Sache, nämlich die Terrassentür des Einfamilienhauses des Johann T***, durch Einschlagen mehrerer Scheiben beschädigte und fremde bewegliche Sachen, nämlich 10 Flaschen Bier im Wert von etwa 60 S, dem Johann T*** mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegnahm, wird abgewiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen verworfen.

Den Berufungen des Betroffenen und seines Sachwalters wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem bekämpften Urteil wurde die Unterbringung des Erwin S*** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB angeordnet, weil er unter dem Einfluß eines seine die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden auf einer geistig-seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhenden Zustandes am 26.Mai 1989 in Tribuswinkel

I. den Gedarmeriebeamten Revierinspektor Leo W*** mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod (§ 106 Abs. 1 Z 1 StGB) an einer Amtshandlung, nämlich an einer Sachverhaltserhebung und seiner Eskortierung zum Gendarmerieposten Pfaffstätten, zu hindern versuchte, indem er ihn mit einem Sesselbein auf den Kopf schlug und äußerte: "Bevor ich das Haus verlasse, bringe ich euch um", wobei er (überdies) ein Küchenmesser in der (zweiten) Hand hielt und es gegen ihn richtete;

II. durch die unter I. angeführte Tat den Gendarmeriebeamten Revierinspektor Leo W*** während der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzte, indem er ihm eine Gehirnerschütterung sowie Rißquetschwunden an der Stirne links zufügte;

III. eine fremde Sache, nämlich die Terrassentür des Einfamilienhauses des Johann T***, durch Einschlagen mehrerer Scheiben beschädigte und IV. fremde bewegliche Sachen, nämlich 10 Flaschen Bier im Wert von ca. 60 S, dem Johann T*** mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Das Schöffengericht bezeichnete den Bestimmungen der §§ 430 Abs. 2, 260 Abs. 1 Z 2 StPO zuwider nicht die durch diese Taten verwirklichten strafbaren Handlungen (vgl. EvBl. 1989/178 = JBl. 1990, 261); diese prozessuale Nichtigkeit (§ 281 Abs. 1 Z 3 StPO) blieb jedoch ungerügt. Aus dem vom Erstgericht verwendeten Gesetzeswortlaut und der insoweit bestehenden Übereinstimmung des Urteilsspruches mit dem - den Vorschriften der §§ 429 Abs. 1 und 207 Abs. 2 Z 3 StPO Rechnung tragenden - Spruch des Unterbringungsantrages der Staatsanwaltschaft (ON 28) läßt sich allerdings mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß das Schöffengericht in rechtlicher Hinsicht annahm, die Taten wären einem Zurechnungsfähigen als das Verbrechen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1, höherer Strafsatz, StGB (Urteilstat I.) sowie als die Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB (II.), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (III.) und des Diebstahls nach § 127 StGB (IV.) vorzuwerfen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen dieses Urteil vom Betroffenen erhobenen, auf § 281 Abs. 1 Z 5, 9 lit. a und b sowie 10 StPO - der Sache aber auch auf Z 11 dieser Gesetzesstelle - gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt teilweise Berechtigung zu.

Soweit er (in den Punkten 4. a, b und e seiner Rechtsmittelschrift) teils unter dem Gesichtspunkt einer allfälligen Beurteilung der Taten nach § 287 StGB (Z 10), teils (Z 9 lit. a und b, inhaltlich jedoch Z 11) mit dem Ziel, den für eine Einweisung nach § 21 Abs. 1 StGB vorausgesetzten kausalen Zusammenhang der Taten mit einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf höhergradiger geistig-seelischer Abartigkeit beruhenden Zustand in Abrede zu stellen, Feststellungsmängel in Ansehung seines Alkoholisierungsgrades behauptet, argumentiert er mehrfach nicht aktengetreu: Einerseits geht er von einer (angeblich) urteilsmäßig festgestellten etwa zehnstündigen Dauer seines Konsums von zehn Flaschen Bier aus, wogegen nach den Urteilsfeststellungen (US 4) hiefür die Zeit von 3.30 Uhr bis 17.30 Uhr, mithin 14 Stunden, in Betracht kommt; andererseits beruft er sich auf einen aus der Aktenlage überhaupt nicht hervorgehenden, von ihm selbst im Verfahren erster Instanz gar nicht behaupteten Medikamentenkonsum. Den Verfahrensergebnissen hinwieder, insbesondere auch dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß der Betroffene erst unter dem Einfluß berauschender Mittel in den Zustand der Zurechnungsunfähigkeit gelangt wäre; er selbst betont außerdem mehrfach, das genossene Bier habe keine Wirkung auf ihn ausgeübt (S 287, 289).

Im übrigen kommt § 287 StGB nicht zur Anwendung, wenn der Täter schon vor Eintritt der Berauschung infolge einer Geisteskrankheit (oder Geistesschwäche) zurechnungsunfähig war; in einem solchen Fall konnte er sich nicht (erst) durch den Genuß berauschender Mittel in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzen (ÖJZ-LSK 1981/158); dies abgesehen davon, daß auch eine nach § 287 StGB zu beurteilende Tat Anlaßtat nach § 21 Abs. 1 StGB sein könnte (12 Os 50/78).

Ebensowenig steht nach der Aktenlage in Frage, daß der für die Tatbegehung wenigstens mitursächliche Zustand der Zurechnungsunfähigkeit auf geistiger oder seelischer Abartigkeit höheren Grades beruht, in der sie ihre Wurzel haben, durch die sie aber keineswegs allein bedingt sein muß. § 21 Abs. 1 StGB wäre sogar dann anwendbar, wenn - anders als im vorliegenden Fall - die Zurechnungsfähigkeit durch die psychische Abartigkeit noch nicht völlig ausgeschlossen, sondern nur vermindert und erst infolge Alkoholgenusses ausgeschaltet wurde (SSt. 49/52 = EvBl. 1979/88 = JBl. 1979, 272).

Aus all dem ergibt sich auch, daß - dem Vorbringen zu Punkt 4. c der Rechtsmittelschrift zuwider - der Einfluß der Schußverletzungen auf die Psyche des Betroffenen keiner Erörterung bedarf, selbst wenn ihm diese Verletzungen vor den Tathandlungen I. und II. zugefügt worden sein sollten; es genügt, daß der Eintritt seiner Zurechnungsunfähigkeit allein aufgrund dieser Verletzungen - ohne Mitursächlichkeit seiner Abartigkeit - jedenfalls nicht indiziert ist.

Mit der Behauptung (Punkt 4. d der Rechtsmittelschrift), der Schlag gegen den Gendarmeriebeamten W*** (I. und II.) sei "eine Abwehrreaktion und keine Angriffshandlung" gewesen, beruft sich der Beschwerdeführer der Sache nach auf Notwehr (§ 3 StGB), bei deren Vorliegen eine Einweisung wegen der betreffenden Anlaßtaten allerdings ausgeschlossen wäre, weil die Straflosigkeit des Täters nicht allein auf seine Zurechnungsunfähigkeit zur Tatzeit zurückzuführen wäre (Leukauf-Steininger, StGB2 RN 8 und 9 zu § 21). Er geht dabei - ebenso wie mit der weiteren Behauptung, der Gendarmeriebeamte sei nicht von ihm, sondern von einem anderen Gendarmen verletzt worden - nicht von den Urteilsfeststellungen aus, sondern von seiner eigenen, vom Erstgericht mit eingehender Begründung (US 7) als widerlegt bezeichneten Verantwortung, ohne sich mit den Urteilsgründen überhaupt zu befassen. Damit bringt er keine Rechts-, Mängel- oder Tatsachenrüge zur gesetzmäßigen Darstellung.

Gleiches gilt für die Bestreitung des ihm vom Erstgericht unterstellten Vorsatzes, den Gendarmeriebeamten W*** zu verletzen und durch Drohung mit dem Tod an einer Amtshandlung zu hindern (US 5 iVm Punkt I. des Urteilsspruches), aber auch für seine Behauptung, es habe ihm überhaupt an der räumlichen und zeitlichen Gelegenheit zu einer Drohhandlung gefehlt (Punkte 4. e und g der Rechtsmittelschrift).

Insoweit war der Nichtigkeitsbeschwerde daher ein Erfolg zu versagen.

Zutreffend ist hingegen die Rechtsrüge (Punkt 4. f der Rechtsmittelschrift), mit der geltend gemacht wird, daß die Urteilstaten III. und IV. als Anlaß für die Anwendung des § 21 Abs. 1 StGB nicht in Betracht kommen, weil die betreffenden Strafdrohungen (der §§ 125 und 127 StGB) ein Jahr nicht übersteigen. Dadurch, daß das Schöffengericht sein Einweisungserkenntnis auch auf diese Taten gründete, überschritt es - ungeachtet des Umstandes, daß dem Betroffenen überdies zu I. und II. Taten zur Last liegen, die jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind - seine Einweisungsbefugnis (§ 281 Abs. 1 Z 11 StPO). Der im Urteilsspruch erhobene Vorwurf kann nämlich von der daraus abgeleiteten Sanktion nicht getrennt werden; stützt sich diese aber auch auf Taten, welche die Einweisung nicht zu tragen vermögen, dann ist der Betroffene durch die darin gelegene Nichtigkeit beschwert, zumal nicht gesagt werden kann, daß diese zusätzlichen Tatvorwürfe ohne nachteilige Wirkung für den Betroffenen in den Urteilsspruch aufgenommen wurden (EvBl. 1989/185 mit ausdrücklicher Ablehnung der früheren gegenteiligen Entscheidung EvBl. 1980/203). In diesem Punkt war daher der Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen Folge zu geben und wie aus dem Urteilsspruch ersichtlich zu entscheiden.

In der Berufung bekämpft der Betroffene die Gefährlichkeitsprognose im wesentlichen mit der Argumentation, eine jederzeit mögliche "Parereeinweisung" (durch einen Amtsarzt) in ein psychiatrisches Krankenhaus könne denselben Effekt wie eine Anstaltsunterbringung bewirken.

Damit wird in Wahrheit aber die Gefährlichkeitsprognose gar nicht in Frage gestellt, sondern bloß behauptet, der gegebenen Gefährlichkeit des Betroffenen könne (auch) durch andere, nämlich sanitätspolizeiliche Maßnahmen begegnet werden.

Abgesehen davon, daß der psychiatrische Sachverständige die Gangbarkeit des Weges einer "Parereeinweisung" bei dem durch allmählichen Aufstau des Wahndruckes gekennzeichneten Zustandsbild des Beschwerdeführers in Frage stellte (S 362), bietet die Möglichkeit einer anderweitigen psychiatrischen Behandlung keinen Grund, von der nach dem Gesetz gebotenen Anstaltsunterbringung abzusehen (15 Os 26/90).

Soweit im Rahmen der Berufung des Betroffenen und sinngemäß in den mündlichen Ausführungen des Sachwalters im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung noch vorgebracht wird, es sei "nur wegen der Säumnis der Organe" zu den inkriminierten Taten gekommen, sei darauf verwiesen, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien nach dem Bericht der Bewährungshelferin vom 3.Jänner 1989 eine Stellungnahme des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien einholte und sodann einen psychiatrischen Sachverständigen zur Beurteilung des Zustandes des Beschwerdeführers bestellte, dessen Einladung zur Untersuchung der Beschwerdeführer ignorierte und damit selbst den Fortgang des Verfahrens bis zu den inkriminierten Taten verzögerte (S 45 bis 53 im Akt 18 g BE 861/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien). Das Gericht leitete damit die in einem rechtsstaatlichen, Freiheitsrechte eines Menschen berührenden Verfahren vor einer fundierten Entscheidung erforderlichen Sachverhaltserhebungsschritte ein. Abgesehen davon aber ändern die Vorgänge in dem zuletzt bezeichneten Verfahren nichts an der zutreffend erstellten Gefährlichkeitsprognose.

Auch der Berufung des Betroffenen war somit ein Erfolg zu versagen.

Die angemeldete, aber nicht ausgeführte Berufung des zur Erhebung des Rechtsmittels legitimierten Sachwalters (15 Os 16/90) ist meritorisch zu behandeln, weil nur ein (einziger) Sanktionenausspruch vorliegt (EvBl. 1978/32 = RZ 1977/141 ua). Sie bietet auch unter Beachtung der mündlichen Ausführungen des Sachwalters keine Handhabe für einen Erfolg. Denn das Schöffengericht konstatierte, gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen unmißverständlich, daß der nunmehr in erhöhtem Maß uneinsichtige und behandlungsunwillige Betroffene mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten läßt, daß er unter dem Einfluß seiner Abartigkeit eine gerichtlich strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen werde, insbesondere wenn er neuerlich seiner Wahnidee folgend "sein" Haus in Besitz zu nehmen versucht (US 9). Eine lückenlose medikamentöse Betreuung in Freiheit ist, wie sich gezeigt hat, de facto gegen den Willen des uneinsichtigen Betroffenen nicht effektuierbar.

Anmerkung

E21588

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0150OS00062.9.0807.000

Dokumentnummer

JJT_19900807_OGH0002_0150OS00062_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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