TE OGH 1990/8/7 14Os73/90

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Veröffentlicht am 07.08.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.August 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pilnacek als Schriftführer in der Strafsache gegen Bernhard J*** wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20.April 1990, GZ 10 Vr 669/90-10, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 10.Juni 1969 geborene Fleischhauergehilfe Bernhard J*** des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 20.Jänner 1990 in Weiz vorsätzlich an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht, indem er es unterließ, einen im Bereich seiner Schlafstelle von ihm fahrlässig verursachten Brand, der sich zur Zeit der Entdeckung durch ihn auf eine Fläche von ca. 50 x 50 cm beschränkte, selbst zu löschen oder die Feuerwehr zu verständigen, wodurch das Feuer auf die gesamte von ihm bewohnte Unterkunft übergriff und ein Schaden von ca. 350.000 S (hievon mehr als 305.000 S zum Nachteil des Gebäudeeigentümers Johann L***) herbeigeführt wurde.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen kam der Angeklagte Bernhard J*** nach einer in der Stadt Weiz unternommenen Zechtour gegen 3 Uhr früh des 20.Jänner 1990 in stark alkoholisiertem Zustand - die etwa neun Stunden später durchgeführte Blutabnahme ergab für diesen Zeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von 0,7 %o - in das ihm im Haus seines Dienstgebers Johann L*** zur Verfügung stehende Zimmer. Nachdem er sich ausgezogen hatte, begab er sich zu Bett, wo er "mit halb aufgerichtetem Oberkörper liegend" noch eine Zigarette rauchte, die er (als Linkshänder) zwischen dem Zeige- und Mittelfinger der linken Hand hielt. Während des Rauchens schlief der Angeklagte ein; er erlitt zunächst durch die abbrennende Zigarette Brandblasen an den Innenseiten der zuvor bezeichneten Finger. Der Zigarettenrest fiel sodann zu Boden, wo die dort liegende Hose des Angeklagten zu brennen begann. Als die Flammen auf das Bett übergriffen, erlitt der Angeklagte am linken Oberschenkel Verbrennungen und wurde dadurch wach. Ohne irgendwelche Maßnahmen zur Löschung oder zumindest Eindämmung des Feuers zu ergreifen, verließ er nur notdürftig bekleidet "fluchtartig" den Raum, lief ins Badezimmer, zog dort eine seinem Arbeitskollegen gehörige Hose und ein Paar braune Schnürschuhe an und lief in Richtung Stadtmitte Weiz, ohne die im Haus befindlichen Personen vom Brand in Kenntnis zu setzen oder für die Herbeiholung der Feuerwehr Sorge zu tragen. Der Angeklagte irrte etwa eine Stunde lang im Stadtgebiet von Weiz umher und schloß sich schließlich in einer öffentlichen Toiletteanlage beim Postamt Weiz ein, wo er wieder einschlief. Diese Feststellungen stützte das Schöffengericht auf das "durch die übrigen Beweisergebnisse untermauerte" Geständnis des Angeklagten und hielt deshalb "Ausführungen zur Beweiswürdigung für entbehrlich". Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung brachte es zum Ausdruck, daß der Angeklagte, der auf Grund der von ihm geschaffenen Gefahrenlage verpflichtet gewesen wäre, ensprechende Maßnahmen zur Löschung des Feuers selbst oder durch Dritte (Feuerwehr) zu ergreifen, durch diese Unterlassung "zumindest bedingt vorsätzlich den Eintritt einer Feuersbrunst in Kauf genommen hat" (S 98-100). Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Gründe der Z 4, 5, 5 a und Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Berechtigt ist die Beschwerde bereits, soweit sie

Begründungs- und Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite mit dem Argument ins Treffen führt, das Erstgericht habe sich mit der individuellen Handlungsfähigkeit des Angeklagten bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem er durch das Brandgeschehen aus dem Schlaf erwachte, in keiner Weise auseinandergesetzt und demzufolge unerörtert gelassen, ob sich der Angeklagte zum hier aktuellen Zeitpunkt mit den Möglichkeiten einer Erfolgsabwendung überhaupt emotional auseinandergesetzt und die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Erfolges bejaht habe.

Bei der Tatbegehung durch Unterlassung in Form der sogenannten unechten Unterlassungsdelikte (§ 2 StGB) muß sich der Vorsatz des Täters auf das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Situation sowie auf die Möglichkeit einer eigenen erfolgsabwendenden Handlung beziehen und auch die eigene Garantenstellung umfassen (SSt. 54/21 = JBl. 1983, 494). Das gebotene Tun muß nicht bis ins einzelne konkret vorgestellt werden. Der Unterlassungstäter muß sich nur dessen bewußt sein, daß er erfolgsabwendend tätig werden könnte und muß sich entschließen, das zu unterlassen (Nowakowski im WK Rz 32, Leukauf-Steininger Komm.2 RN 10 je zu § 2).

Die Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Unterlassung muß auf denjenigen einzelnen bezogen werden, der als Unterlassungstäter im konkreten Fall in Betracht kommt; denn nur die Unterlassung einer Handlung, die gerade diesem möglich gewesen wäre, kann Unrechtsqualität haben. Die somit zum Tatbestand des Unterlassungsdeliktes gehörige individuelle Handlungsfähigkeit erfordert zunächst, daß der Unterlassende die tatbestandsmäßige Situation kennt. Darüber hinaus ist zu verlangen, daß die äußeren Voraussetzungen (räumliche Nähe, geeignete Hilfsmittel) für die Vornahme der Handlung gegeben sind und die erforderlichen eigenen Kräfte (physische Kräfte, technische Kenntnisse, intellektuelle Fähigkeiten) zur Verfügung stehen. Ferner muß der Unterlassungstäter sich die gebotene Handlung als mögliches Willensziel vorstellen oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wenigstens vorstellen können. In beiden Richtungen ist ein objektiver Maßstab anzulegen (Jescheck Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil4 S 557 ff). Demzufolge hätte das Erstgericht, das dem Angeklagten bei der Strafbemessung eine durch die Alkoholisierung "erheblich beeinträchtigte Entschlußfähigkeit zu vernünftigem und zielgerechtem Handeln" als Milderungsgrund zubilligte, jedenfalls mängelfrei begründete Feststellungen über seine Handlungsfähigkeit und über seine persönliche Einstellung zu dem Geschehensablauf treffen müssen. Dazu wäre das Schöffengericht umsomehr verpflichtet gewesen, als das im Urteil zur Stützung des Schuldspruchs herangezogene Geständnis des Angeklagten seiner Verantwortung gar nicht entnommen werden kann. Denn der Angeklagte hat zwar erklärt, sich schuldig zu fühlen, dabei aber stets zum Ausdruck gebracht, daß er durch das Feuer überrascht worden, geschockt gewesen, aufgesprungen und aus Angst, weil es als er aufwachte, schon ziemlich stark brannte, geflüchtet sei, wobei seine Alkoholisierung dazu beigetragen haben dürfte, daß er nicht richtig gehandelt habe (vgl. S 41, 43, 45, 75, 77 ff). Hinzu kommt, daß nach dem Gutachten des Brandsachverständigen Ing. G*** zum Zeitpunkt als der Angeklagte den Feuerausbruch registrierte, schon viel Rauch im Zimmer gewesen sein mußte und auch der psychiatrische Sachverständige Dr. Z*** zum Ergebnis gelangte (S 90 f), daß der Angeklagte, dessen Reaktionsvermögen durch die Alkoholeinwirkung erheblich beeinträchtigt gewesen sei, auf das Brandgeschehen offensichtlich mit Angst, Schrecken und Panik reagierend davongelaufen ist und sich versteckt hat.

Die dem angefochtenen Urteil im bezeichneten Belang anhaftenden Begründungs- und Feststellungsmängel lassen eine abschließende rechtliche Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten nicht zu. Da sohin eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich ist, war nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden braucht.

Es war daher spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E21582

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0140OS00073.9.0807.000

Dokumentnummer

JJT_19900807_OGH0002_0140OS00073_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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