TE OGH 1990/9/4 15Os82/90

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Veröffentlicht am 04.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.September 1990 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Mende als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann B*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 1.August 1989, GZ 9 U 817/88-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ 9 U 817/88 des Bezirksgerichtes Donaustadt hat das genannte Gericht durch die mit Beschluß vom 1.August 1989, ON 18, angeordnete Verlängerung der Probezeit, die dem Beschuldigten Johann B*** mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17.Juni 1987, GZ 5 c E Vr 4666/87-6, bestimmt worden war, das Gesetz in § 1 Abs. 1 (iVm § 108 Abs. 2) StGB verletzt. Diese Anordnung wird aus dem bezeichneten Beschluß ausgeschaltet.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Die im Spruch relevierte Probezeit betrifft die dem Beschuldigten gewährte bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe (§ 43 Abs. 1 StGB), zu der er wegen des Vergehens nach § 108 Abs. 1 StGB (aF) verurteilt worden war; Gegenstand der mit der abgeurteilten Täuschung bezweckten Schädigung war das Recht des Staates gewesen, nur solche Kraftfahrzeuge zum öffentlichen Straßenverkehr zuzulassen, die alle gesetzlichen Voraussetzungen dazu erfüllen.

Zur Zeit der Verlängerung jener Probezeit (§ 53 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO) indessen war ein derartiges Tatverhalten nicht mehr strafbedroht, weil seit dem Inkrafttreten des StrÄG 1987 mit dem 1.März 1988 nach § 108 Abs. 2 StGB (nF) Hoheitsrechte nicht mehr zu den durch die seinerzeit angewendete Strafbestimmung geschützten Rechten zählen. Demzufolge hat das Bezirksgericht Donaustadt durch diese Verlängerung gegen § 1 Abs. 1 StGB verstoßen, wonach eine Strafe nur wegen einer Tat verhängt werden darf, die nicht bloß zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war, sondern auch im Zeitpunkt der betreffenden Entscheidung (noch) unter eine (ausdrückliche) gesetzliche Strafdrohung fällt.

Denn die Wendung "eine Strafe darf nur (darf nicht) verhängt werden" in § 1 (Abs. 1 gleichwie Abs. 2) StGB umschreibt lege non distinguente den gesamten Vorgang, mit dem eben jene gesetzliche Strafdrohung, deren Bestand darnach vorauszusetzen ist und die auch die allgemeinen Bestimmungen des geltenden Sanktionensystems mitumfaßt, durch richterliche Entscheidung auf den konkreten Fall zur Anwendung gebracht wird.

Demgemäß erstreckt sich der Begriff "Verhängung einer Strafe" iS § 1 Abs. 1 StGB, und zwar unabhängig davon, ob er durch ein einziges Erkenntnis realisiert wird oder durch mehrere gesonderte Entscheidungen, auf sämtliche Phasen der damit erfaßten Gesetzesanwendung: zunächst auf die Feststellung des Bestandes eines Strafanspruchs (durch den Schuldspruch), sodann auf dessen Determinierung (durch die Straffestsetzung der Art und der Höhe nach) sowie schließlich durch die Festlegung der Modalitäten seiner Effektuierung (durch die Entscheidung darüber, ob und allenfalls in welchem Umfang sowie unter welchen Prämissen die festgesetzte Strafe zu vollstrecken ist); wird über diese mehreren Aspekte der Strafverhängung zu verschiedener Zeit entschieden, dann muß demzufolge jene Tat, um deren Ahndung es geht, zur Zeit jeder den Täter beschwerenden derartigen Entscheidung unter eine gesetzliche Strafdrohung fallen, wenn dabei den in § 1 StGB verankerten Intentionen des Legalitätsprinzips entsprochen werden soll, nach denen ausschließlich ein solcherart pönalisiertes Tatverhalten zur Verhängung einer Strafe Anlaß geben darf.

Zur Strafverhängung iS § 1 Abs. 1 StGB gehören aber nach dem soeben Gesagten auch alle den Täter beschwerenden richterlichen Beschlüsse im Zusammenhang mit einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung (§§ 43, 43 a, 46 StGB), sohin nicht nur deren Widerruf, sondern auch eine Verlängerung der Probezeit, die Erteilung neuer Weisungen und die nachträgliche Bestellung eines Bewährungshelfers (§§ 53, 55 StGB); bedeuten doch derartige Maßnahmen, die entweder sofort zur (bis dahin nicht angeordneten) Vollstreckung der Strafe führen oder doch jedenfalls potentiell die Zulässigkeit einer künftigen dahingehenden Entscheidung (in zeitlicher und/oder sachlicher Hinsicht) erweitern, allesamt eine verstärkte Effektuierung des auf dem abgeurteilten Tatverhalten beruhenden Strafanspruchs.

Solche Anordnungen dürfen mithin ebenfalls nur dann getroffen werden, wenn die verfahrensgegenständliche Tat zur Zeit der betreffenden Entscheidung nach wie vor unter eine gesetzliche Strafdrohung fällt; die Intentionen des Legalitätsprinzips sind in Fällen dieser Art nicht minder aktuell als etwa bei einem nachträglichen Strafausspruch gemäß § 15 Abs. 1 JGG (vgl JBl 1989, 123) oder - ganz unabhängig von der Wirksamkeit dementsprechender prozessualer Übergangsbestimmungen (hier: Art XX Abs. 1 StrÄG 1987) - bei der Strafneubemessung nach der Aufhebung eines Strafausspruchs, der sich auch auf einen (aufrecht gebliebenen) Schuldspruch nach einer mittlerweile ersatzlos aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen Strafbestimmung erstreckt hatte (vgl EvBl 1979/210, ÖJZ-LSK 1979/166 ua).

Der mit der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes vertretenen Rechtsansicht, daß die im vorliegenden Fall vom Bezirksgericht Donaustadt angeordnete Verlängerung der Probezeit mit § 1 Abs. 1 StGB nicht im Einklang stehe, ist demnach aus den dargelegten Erwägungen beizupflichten.

Dabei geht es freilich, wie zur Klarstellung vermerkt sei, entgegen der Beschwerdeauffassung nicht etwa um die bloße Vollziehung einer wegen des Vergehens nach § 108 Abs. 1 StGB schon vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung "verhängten" Sanktion in dem Sinn, daß infolge der derogatorischen Kraft eines im Stufenbau der Rechtsordnung höherrangigen und späteren Gesetzes, nämlich des StrÄG 1987, gegenüber dem rechtskräftigen Strafurteil als einem auf niedrigerer Stufe stehenden und früheren "individuellen Vollziehungs- und Vollstreckungsakt" die Effektuierung der damit festgesetzten Strafe (als Vollziehung einer auf dem früheren - jetzt nicht mehr geltenden - Gesetz beruhenden) richterlichen Entscheidung unter allen Umständen unzulässig geworden wäre. Damit ist vielmehr nur gesagt, daß vor dem Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 StGB nF eine zu vollstreckende Strafe wie dargelegt noch gar nicht "verhängt" worden war und nachher die "Verhängung" einer derartigen Strafe (durch einen Widerruf der bedingten Strafnachsicht) - sowie demgemäß auch eine (die Zulässigkeit eines Widerrufs potentiell erweiternde) Verlängerung der Probezeit - nach § 1 Abs. 1 StGB nicht mehr in Betracht kam.

Dementsprechend ist im gegebenen Fall auch die von der Generalprokuratur angeschnittene weitere Frage unaktuell, ob dem Gesetzgeber allenfalls eine ungewollte Gesetzeslücke unterlief, indem er keine dem Art XX Abs. 2 StrÄG 1987 konforme Übergangsbestimmung dahin erließ, daß - ebenso wie vorbeugende Maßnahmen nach § 23 StGB, deren Voraussetzungen nach neuem Recht nicht mehr vorlägen - auch zu vollstreckende Strafen wegen des in Rede stehenden Vergehens, dessen Tatbestand nach neuem Recht nicht mehr erfüllt worden wäre, ab dem 1.März 1988 nicht mehr (weiter) zu vollziehen seien.

In Stattgebung der im Ergebnis berechtigten Wahrungsbeschwerde war daher die erörterte Gesetzesverletzung wie im Tenor festzustellen und nach § 292 letzter Satz StPO zu beheben.

Anmerkung

E21840

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0150OS00082.9.0904.000

Dokumentnummer

JJT_19900904_OGH0002_0150OS00082_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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