TE OGH 1990/9/11 4Ob94/90

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Veröffentlicht am 11.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. pharm. Margarete S***, Apothekerin, St. Jakob im Rosental Nr.228, vertreten durch DDr. Walter Barfuss und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Milan H***, praktischer Arzt, St. Jakob im Rosental Nr.125, vertreten durch Dr. Miran Zwitter, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 220.000) infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 9.April 1990, GZ 4 R 34/90-10, womit der Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 1.Februar 1990, GZ 21 Cg 3/90-3, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig, die beklagte Partei die Kosten des Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin betreibt eine öffentliche Apotheke in St.Jakob im Rosental. Der Beklagte ist in diesem Ort praktischer Arzt; er hat keine Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke. Am 20.7.1989 suchte der deutsche Staatsbürger Peter W*** die Ordination des Beklagten auf und erklärte, daß er die von ihm eingenommenen Medikamente "Tenormin" und "Urosin" zu Hause vergessen habe. Der Beklagte folgte ihm je eine Packung "Tenormin 100" und "Urosin 300" aus, nachdem er auf den Schachteln die Einnahmedosis vermerkt hatte. Weiters verabreichte der Beklagte diesem Patienten, dessen Zeckenimpfschutz bereits unzureichend war, eine FSME-Impfung und folgte ihm eine für die spätere Ergänzung des Impfschutzes erforderliche weitere Ampulle des Serums aus.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches beantragt die Klägerin, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, Arzneimittel, insbesondere Arzneispezialitäten, an Dritte, insbesondere an Patienten, zu dispensieren und/oder abzugeben, sofern nicht eine dies gestattende gesetzliche Ausnahmeregelung, insbesondere ein Erste-Hilfe-Fall im Sinne des § 30 ÄrzteG vorliegt. Der Beklagte habe, obwohl er keine Bewilligung zur Haltung einer Hausapotheke habe, Arzneimittel an Patienten abgegeben, ohne daß eine im ÄrzteG enthaltene Ausnahme vorgelegen wäre; damit habe er bewußt gegen den sogenannten "Apothekenvorbehalt" und damit auch gegen § 1 UWG verstoßen. Durch das wettbewerbswidrige Verhalten des Beklagten habe die Klägerin bereits Umsätze und Gewinne eingebüßt.

Der Beklagte sprach sich gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung aus. Auch Ärzte, die keine Bewilligung zur Haltung einer Hausapotheke hätten, seien gemäß § 30 Abs 1 ÄrzteG verpflichtet, die nach Art ihrer Praxis und nach den örtlichen Verhältnissen für die erste Hilfeleistung in dringenden Fällen notwendigen Arzneimittel vorrätig zu halten; sie seien nach Maßgabe dieser Verpflichtung auch berechtigt, Heilmittel zu dispensieren. Die Klägerin habe nicht dargetan, daß der von ihr behauptete Verstoß kein Fall im Sinne des § 30 ÄrzteG gewesen sei. Peter W*** habe dem Beklagten seinen augenblicklichen Zustand und seine Situation (Hypertonie und Hyperurikämie) jedenfalls so geschildert, daß ein Erste-Hilfe-Fall anzunehmen gewesen sei. Selbst wenn aber ein solcher Ausnahmetatbestand nicht vorgelegen sein sollte, hätte der Beklagte nicht gegen § 1 UWG verstoßen, weil er die Medikamente nicht in der Absicht abgegeben habe, gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Da die Klägerin nur einen einzigen Verstoß behauptet habe, sei auch nicht davon auszugehen, daß der Beklagte dauernd oder planmäßig gegen den Apothekenvorbehalt verstoßen habe.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es sei zwar bescheinigt, daß der Beklagte Medikamente an einen Patienten abgegeben habe, wobei zumindet die Abgabe des FSME-Serums an Peter W*** nicht im Rahmen einer Erste-Hilfe-Leistung erfolgt sei. Da die Klägerin aber nicht behauptet habe, daß sie durch das Verhalten des Beklagten einen unwiederbringlichen Schaden erlitten habe, seien die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht gegeben.

Das Rekursgericht erließ die einstweilige Verfügung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei. Gemäß § 59 Abs 1 AMG dürften Arzneimittel im Kleinverkauf nur in öffentlichen Apotheken abgegeben werden. Die Verabreichung von Arzneimitteln im Zuge einer Behandlung durch einen praktischen Arzt sei zwar keine Abgabe im Sinne dieser Bestimmung, wohl aber die Übergabe von Arzneimitteln zur späteren Anwendung; das sei hier bei der Abgabe der beiden Tablettenpackungen und einer Ampulle Impfserum der Fall gewesen. Daß ein Erste-Hilfe-Fall im Sinne des § 30 Abs 1 ÄrzteG vorliege, hätte der Beklagte bescheinigen müssen. Das sei ihm aber nicht gelungen: Peter W*** sei vom Beklagten nicht wegen einer plötzlichen Erkrankung behandelt worden; er habe vielmehr die ihm offenbar von einem anderen Arzt verordneten Medikamente zu Hause vergessen gehabt. Unter diesen Umständen sei aber die Abgabe von Arzneimitteln durch einen praktischen Arzt durch § 30 Abs 1 ÄrzteG nicht gedeckt gewesen. Der Beklagte habe damit auch gegen § 59 AMG verstoßen. Diese Vorschrift diene der Erhaltung der Lebensfähigkeit öffentlicher Apotheken; sie habe (auch) wettbewerbsregelnden Charakter. Da sich die Streitteile bei der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln um den gleichen Abnehmerkreis bemühten, lägen die objektiven Merkmale eines Wettbewerbsverhältnisses vor; die Wettbewerbsabsicht des Beklagten sei, da eine Handlung wettbewerbsrechtlichen Charakters vorliege, zu vermuten, so daß der Beklagte auch gegen § 1 UWG verstoßen habe. Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr sei schon bei einzigem Gesetzesverstoß gegeben. Daß die Klägerin selbst dem Beklagten im Jahr 1987 Impfstoff für Zeckenschutzimpfungen verkauft habe, bedeute noch keine Zustimmung zu der nunmehr beanstandeten gesetzwidrigen Abgabe dieses Serums. Gegen diesen Beschluß richtet sich der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Beklagten mit dem Antrag, den Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Klägerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Gemäß § 59 Abs 1 AMG dürfen Arzneimittel im Kleinverkauf - von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen - nur in Apotheken abgegeben werden. § 30 Abs 1 ÄrzteG enthält darüber hinaus eine Bestimmung über die "Vorrathaltung von Arzneimitteln", wonach auch Ärzte, die nicht die Bewilligung zur Haltung einer Hausapotheke besitzen, verpflichtet sind, die nach der Art ihrer Praxis und nach den örtlichen Verhältnissen für die erste Hilfeleistung in dringenden Fällen notwendigen Arzneimittel vorrätig zu halten. Aus dieser Verpflichtung wird das Recht des Arztes abgeleitet, Heilmittel nach Maßgabe dieser Bestimmung zu "dispensieren" (VwGH 13.11.1979, 1557/78, teilweise abgedruckt in ZfVB 1980, 4/1091), also zu diesem Zweck zuzubereiten und abzugeben (siehe Duden, Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke 214, Stichwort "Dispensation"; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache II 544, Stichwort: "Dispens" ÄDispensierungÜ). Eine Definition des Begriffes "Erste-Hilfeleistung in dringenden Fällen" ist im ÄrzteG nicht enthalten; dem Gesetz ist jedoch zu entnehmen, daß die besonderen Umstände des Einzelfalles nach der Art der ärztlichen Praxis und nach den örtlichen Verhältnissen berücksichtigt werden müssen und insbesondere ein dringender Fall der Abgabe eines Arzneimittels an einen Patienten immer nur dann vorliegen kann, wenn die Beschaffung des Arzneimittels aus einer öffentlichen Apotheke nicht mehr rechtzeitig möglich ist (vgl ZfVB 1980, 4/1091). Im vorliegenden Fall hat der Beklagte lediglich behauptet, daß ihm Peter W*** seinen augenblicklichen Zustand und seine Situation "jedenfalls so geschildert habe, daß er auf Grund der behaupteten Hypertonie und Hyperurikämie davon habe ausgehen müssen, daß ein Fall im Sinne des § 30 ÄrzteG vorliege": In welchem besonderen, eine erste Hilfeleistung erforderlich machenden Zustand dieser Patient jedoch gewesen ist, wurde nicht dargetan. Mit den von ihm behaupteten Krankheiten allein (Bluthochdruck und erhöhte Harnsäurekonzentration im Blut) könnte ein "dringender Fall" im Sinne des § 30 ÄrzteG jedenfalls nicht bewiesen (bescheinigt) werden, weil es sich dabei um chronische Krankheitszustände handelt, die zwar einer regelmäßigen Behandlung bedürfen, aber nicht schlechthin als dringend einzustufen sind. Die von diesem Patienten benötigten Arzneimittel hätten daher durchaus auch in einer öffentlichen Apotheke beschafft werden können. Dabei ist das Rekursgericht zutreffend davon ausgegangen, daß der Beklagte das Vorliegen der von ihm behaupteten Ausnahme vom sogenannten Apothekenvorbehalt zu beweisen (bescheinigen) gehabt hätte (SZ 15/221; vgl ÖBl 1979, 139 und ÖBl 1978, 48); der Auffassung des Revisionsrekurses, daß dem Beklagten diese Bescheinigung gelungen sei, kann aber aus den angeführten Erwägungen nicht beigepflichtet werden. Auf die Abgabe einer Ampulle eines Impfserums treffen die Behauptungen des Beklagten von vorneherein nicht zu; es ist aber auch nicht ersichtlich, inwiefern die vom Beklagten vertretene weite Auslegung des § 30 Abs 1 ÄrzteG zu einer anderen Interpretation der dort normierten Voraussetzung eines "dringenden Falles" führen könnte. Gewiß darf bei der Beurteilung einer "ersten Hilfeleistung in dringenden Fällen" nicht engherzig vorgegangen werden, muß doch auch der Arzt in solchen Fällen eine schnelle Entscheidung über seine Befugnisse treffen; die Möglichkeit, ein notwendiges Medikament rechtzeitig in einer öffentlichen Apotheke zu beschaffen, schließt aber dessen Abgabe an den Patienten durch den praktischen Arzt im Rahmen seiner Ordination in jedem Fall aus. Daß das hier nicht möglich gewesen wäre, ist aber nicht einmal behauptet worden. Im Verfahren erster Instanz hat der Beklagte nicht vorgetragen, daß und aus welchen Gründen die Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Apothekenvorbehalt durch die Klägerin rechtsmißbräuchlich sei; auf diese unzulässige Neuerung muß daher, auch wenn sie das Rekursgericht inhaltlich behandelt hat, nicht näher eingegangen werden.

Die zutreffende Auffassung des Rekursgerichtes, daß ein dem Beklagten subjektiv vorwerfbarer, in der Absicht, im Wettbewerb einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen, begangener Gesetzesverstoß auch einen Verstoß gegen § 1 UWG begründet (RdW 1988, 42; RdW 1989, 254 und 272; WBl 1989, 155; ÖBl 1989, 167), bekämpft der Rechtsmittelwerber nicht mehr; er führt lediglich aus, daß seine Auffassung über seine Befugnisse gemäß § 30 ÄrzteG durch das Gesetz so weit gedeckt gewesen sei, daß er sie mit gutem Grund habe vertreten können. Daß aber die Abgabe eines Medikamentes durch einen praktischen Arzt an einen Patienten im Rahmen seiner Ordination auch dann zulässig wäre, wenn die Beschaffung des Medikamentes in einer öffentlichen Apotheke - ohne Gefahr für den Patienten - möglich ist, kann dem Gesetz keinesfalls entnommen werden. Von einer mit gutem Grund vertretbaren Rechtsauffassung, die einen Verstoß gegen die guten Sitten ausschließen könnte (ÖBl 1976, 67; SZ 56/2; ÖBl 1987, 71), kann daher keine Rede sein.

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich in Ansehung des Klägers auf § 393 Abs 1 EO, in Ansehung des Beklagten auf §§ 78, 402 EO, § 40, 50, 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E21667

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0040OB00094.9.0911.000

Dokumentnummer

JJT_19900911_OGH0002_0040OB00094_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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