TE OGH 1990/9/12 1Ob550/90

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Veröffentlicht am 12.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** S*** W*** V***, Wien 1, Ringturm, vertreten

durch Dr. Peter Fiegl, Dr. Franz Riel, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wider die beklagten Parteien 1. Maria G***, Haushalt, Gillaus 4, 2. Manfred G***, Landmaschinenmechaniker, ebendort,

3. mj. Matthias G***, geboren am 14. Dezember 1979, Schüler, vertreten durch seinen Vater und gesetzlichen Vertreter Manfred G***, ebendort, alle vertreten durch Dr. Ferdinand Weber, Dr. Hannes Hirtzberger, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wegen 810.600 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. Dezember 1989, GZ 17 R 191/89-25, womit infolge Berufungen der klagenden, der erst- und zweitbeklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Krems/Donau vom 11. Mai 1989, GZ 3 Cg 76/88-17, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den erst- und zweitbeklagten Parteien die mit 19.999,89 S (darin 3.333,33 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10. März 1987 ereignete sich in Gillaus bei Krems/Donau in der den Ehegatten E*** gehörenden und bei der klagenden Partei feuerversicherten Scheune ein Brand, der einen Schaden von 810.600 S verursachte.

Der am 14. Dezember 1979 geborene Drittbeklagte lebt im Haushalt seiner Eltern, der Erst- und des Zweitbeklagten. Der Zweitbeklagte betreibt im Haus Gillaus 4 eine Landmaschinenmechanikerwerkstätte. Im Erdgeschoß des Hauses gleich links vom Hauseingang ist das Büro; die Tür zum Büro kann man nicht versperren; jedes Familienmitglied kann jederzeit ins Büro hinein. In diesem Büro befinden sich neben einem Schreibtisch eine größere Anzahl von Regalen. Der Zweitbeklagte bewahrte im obersten Fach eines derartigen Regals Feuerzeuge auf, die er als Werbegeschenke verwendete. Der Drittbeklagte weiß das und der Zweitbeklagte weiß, daß sein Sohn hievon Kenntnis hat. Der Zweitbeklagte erklärte seinem Sohn einmal, daß sich in einem Gasfeuerzeug Gas befindet. Der Drittbeklagte sah auch einmal, wie der Zweitbeklagte ein Gasfeuerzeug anzündete. Das Ablagebrett, auf dem sich die Schachtel mit den Feuerzeugen befindet, ist 161 cm über dem Fußboden und kann vom Drittbeklagten nur erreicht werden, wenn er einen im Büroraum befindlichen Sessel zu diesem Regal stellt. Vom Hauseingang gelangt man über eine Stiege in den 1.Stock, in dem sich die Wohnküche und die Wohnräume der Beklagten befinden.

Die Beaufsichtigung des Drittbeklagten obliegt in erster Linie der Erstbeklagten. Wenn sie keine Zeit hat, teilt sie dies ihrer Schwiegermutter mit, die weiß, daß sie dann auf den Drittbeklagten und dessen jüngeren Bruder aufpassen soll. Der Drittbeklagte hält sich im Wohnzimmer auf, wenn er seine Schulaufgaben macht. Es ist für ihn grundsätzlich jederzeit möglich, vom Wohnzimmer durch die Küche und über die Stiege ins unversperrte Büro des Zweitbeklagten zu gehen. Der Drittbeklagte geht manchmal ins Büro, um sich dort Zeichenblätter zu holen. Davon weiß auch der Zweitbeklagte, der seinem Sohn nie untersagt hat, ins Büro zu gehen, sondern lediglich, beim Computer herumzudrücken. Die Großmutter des Drittbeklagten sagte diesem einmal, er dürfe keine Zünder und kein Feuerzeug in die Hand nehmen.

Die klagende Partei bezahlte den Brandschaden auf Grund des Versicherungsvertrages und begehrt als Legalzessionar gemäß § 67 VersVG den Ersatz von den Beklagten infolge der unsachgemäßen Verwendung eines Gasfeuerzeuges durch den Drittbeklagten, der in der Scheune nach einer Katze gesucht habe; dadurch sei es zum Brand gekommen. Die Haftung der Erst- und des Zweitbeklagten werde wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht in Anspruch genommen. Das dem Zweitbeklagten gehörende Gasfeuerzeug sei von diesem nicht ordnungsgemäß verwahrt worden. Bei Minderjährigen sei damit zu rechenn, daß sie Zündhölzer und Feuerzeuge, die nicht außer ihrer Reichweite aufbewahrt würden, an sich nehmen und verwenden. Die Aufbewahrung des Gasfeuerzeuges in einer Schachtel im Büro des Zweitbeklagten sei unzureichend. Die Erstbeklagte hätte dafür Sorge tragen müssen, daß das Feuerzeug ordnungsgemäß verwahrt werde. Die Erst- und der Zweitbeklagte bestritten, daß der Drittbeklagte den Brand verursacht habe sowie eine Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegenüber der Erst- und dem Zweitbeklagten statt und wies es in Ansehung des Drittbeklagten ab. Seinen wesentlichen Feststellungen zufolge seien am 10.März 1987 die Erst- und der Zweitbeklagte um 13.45 Uhr von Gillaus weggefahren. Die Mutter des Zweitbeklagten habe sich in dieser Zeit mit dem jüngeren Bruder des Drittbeklagten beschäftigt und nicht genauer beobachtet, wohin der Drittbeklagte gegangen sei. Dieser sei in das benachbarte Anwesen der Ehegatten E*** gegangen und habe im Hof begonnen, Schneebälle zu werfen. Er hätte sich davor oft im Hof zum Spielen, Milchholen und Radfahren aufgehalten. Das Ehepaar E*** habe den Drittbeklagten auf ihrem Anwesen gesehen. Die Ehegattin habe einige Worte mit ihm gewechselt und sich vom Drittbeklagten begleiten lassen. Als sie im Bereich der Scheune Holz geholt habe, habe sie ihn nicht weiter beobachtet, weil sie gewohnt gewesen sei, daß er sich öfter auf dem Hof aufhalte. Der Drittbeklagte habe sich mindestens 5 bis 10 Minuten auf dem Hof aufgehalten, sei dann in die Scheune gegangen, habe auf dem Stroh eine Katze verfolgt und ein aus dem Büro seines Vaters mitgenommenes Feuerzeug entzündet, um im dunklen Bereich der Scheune etwas zu leuchten. Dabei sei das Stroh in Brand geraten.

Rechtlich vertrat das Erstgericht im wesentlichen die Auffassung, daß gerade im ländlichen Bereich bezüglich der Verwahrung von Feuerzeugen durch Erziehungsberechtigte ein strenger Maßstab angelegt werden müsse, dies umsomehr, wenn sich im Haushalt ein Kind befinde, das auch gelegentlich in einem landwirtschaftlichen Anwesen zu spielen pflege. Ein bloßes Verbot reiche bei einem siebenjährigen Kind nicht hin. Die Haftung der Erst- und des Zweitbeklagten sei daher zu bejahen; dies führe aber zur Ablehnung der nur subsidiären Haftung des Drittbeklagten. Über Berufung der klagenden Partei sowie der Erst- und des Zweitbeklagten änderte das Berufungsgericht die Entscheidung dahingehend ab, daß es das Klagebegehren in Ansehung der Erst- und des Zweitbeklagten abwies, weil es eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch sie verneinte, den Drittbeklagten wegen seiner Haftung nach § 1310 letzter Satz ABGB zur Zahlung von 160.420 S sA verhielt und in Ansehung seiner Person das Mehrbegehren von 650.180 S sA abwies. Es billigte die erstgerichtlichen Feststellungen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Abweisung des Klagebegehrens in Ansehung der Erst- und des Zweitbeklagten gerichtete Revision der klagenden Partei ist nicht gerechtfertigt.

Wenn Unmündige jemanden beschädigen, der durch irgendein Verschulden hiezu selbst Veranlassung gegeben hat, so kann er keinen Ersatz ansprechen (§ 1308 ABGB). Außer diesem Falle gebührt ihm der Ersatz von denjenigen Personen, denen der Schade wegen Vernachlässigung der ihnen über solche Personen anvertrauten Obsorge beigemessen werden kann (§ 1309 ABGB). Eine Haftung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 1309 ABGB setzt voraus, daß der Beklagte die ihm gesetzlich obliegende Aufsichtspflicht schuldhaft vernachlässigte. Der Beschädigte hat die Vernachlässigung der Obsorge, der Aufsichtspflichtige seine Schuldlosigkeit zu beweisen (ZVR 1989/153; SZ 44/8; SZ 34/137 ua; Reischauer in Rummel, § 1309 ABGB Rz 9; Wolff in Klang2, VI 76 f; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 309). Das Maß der von den hier aufsichtspflichtigen Eltern zu leistenden Aufsichtspflicht bestimmt sich nach dem, was nach Alter, Entwicklung und Eigenart des Kindes und in Vorhersehbarkeit eines schädigenden Verhaltens von verständigen Eltern in Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Geschäfts- und Berufspflichten erwartet werden kann (ZVR 1989/153, ZVR 1984/324, ZVR 1983/206 ua). Maßgebend sind immer die besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles (2 Ob 133/89). Dabei darf die Aufsichtspflicht nicht überspannt werden (EFSlg 36.165). Höhere Anforderungen an die Aufsichtspflicht sind dann zu stellen, wenn nach den konkreten Verhältnissen, sei es nach den Eigenschaften des Aufsichtsbefohlenen, sei es nach der konkreten Gefahrenlage, mit der Möglichkeit eines schädigenden Verhaltens des Aufsichtsbefohlenen gerechnet werden muß (ZVR 1984/324; ZVR 1982/109; EvBl 1978/52). Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Rechtsfall an, dann hat die zweite Instanz zutreffend die Verletzung einer Aufsichtspflicht durch die Erstbeklagte und den Zweitbeklagten verneint. Die klagende Partei sieht das schuldhafte Verhalten der Erst- und des Zweitbeklagten nicht darin, daß sie ihren Sohn auch in größerer Entfernung vom Elternhaus spielen ließen und auch nicht in einer unterlassenen Warnung des Drittbeklagten vor dem Umgang mit den Feuerzeugen, insbesondere dem Entfachen von Feuer, sondern darin, daß die Gasfeuerzeuge im Büro des Zweitbeklagten nicht versperrt oder sonst für den Drittbeklagten unzugänglich verwahrt worden seien. Der Zweitbeklagte war zwar, wenn er davon Kenntnis hatte, daß sein zum Schadenseintritt knapp über sieben Jahre alter Sohn fallweise in sein Büro kam, um sich dort Zeichenpapier zu holen, auch obsorgepflichtig, doch stellt auch bei Annahme eines im ländlichen Bereich wegen der oftmaligen Lagerung von Heu, Stroh und anderen entzündbaren Stoffen gebotenen strengen Sorgfaltsmaßstabes die Art der Verwahrung der Gasfeuerzeuge (auf einem 1,61 m hohen Regal) noch kein schuldhaftes Verhalten dar, zumal nicht feststeht, daß der Drittbeklagte vorher auffälliges Interesse an den Feuerzeugen gezeigt, damit gespielt und Feuer entzündet hätte oder sonst irgendwie unfolgsam gewesen wäre, sodaß in der Person des Minderjährigen liegende Umstände, die eine versperrte Verwahrung der Gasfeuerzeuge erforderlich gemacht hätten, nicht vorliegen (EvBl 1978/52).

Demgemäß ist der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E21599

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00550.9.0912.000

Dokumentnummer

JJT_19900912_OGH0002_0010OB00550_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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