Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13.September 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Löschenberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herbert R*** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufungen des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 23.März 1990, GZ 24 Vr 3127/89-11, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Dr. Schauberger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 11.Jänner 1960 geborene Herbert R*** schuldig erkannt, am 24.November 1989 in Innsbruck (außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB) Gabriele T*** mit Gewalt, nämlich durch Versetzen von Schlägen, zur Duldung des Beischlafes genötigt und hiedurch das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB begangen zu haben.
Den Urteilsfeststellungen zufolge nahm der Angeklagte am 24. November 1989 um etwa 1.00 Uhr nachts die Geheimprostituierte Gabriele T***, welche auf der Südbahnstraße in Innsbruck auf Kundschaft wartete, in seinem Personenkraftwagen in die Wiesengasse mit, nachdem sie sich auf ein Entgelt von 300 S für einen Geschlechtsverkehr im Fahrzeug geeinigt hatten. Es ist nicht auszuschließen, daß der Angeklagte den vereinbarten Preis tatsächlich bezahlte, bevor er mit der zunächst willigen T*** den Geschlechtsverkehr unter Verwendung eines Präservativs begann; ferner, daß T*** erst als sie merkte, daß der Angeklagte das Präservativ entfernt hatte, sich gegen den weiteren Beischlaf wehrte und den Angeklagten wegzustoßen trachtete. Spätestens ab diesem Zeitpunkt versetzte ihr der Angeklagte im Bewußtsein ihres (nunmehrigen) Widerstandes gegen den (weiteren) Geschlechtsverkehr Schläge ins Gesicht (die zumindest eine Quetschung im Bereich der Unterlippe zur Folge hatten) und erreichte dadurch, seinem Vorhaben gemäß, daß die Frau den Geschlechtsverkehr bis zum Erguß seines Samens in ihre Scheide duldete. Danach stieß er sie aus dem Auto, warf ihre Kleider hinterher und fuhr davon. Entweder durch dieses Hinausstoßen oder durch die vorangegangenen Schläge erlitt Gabriele T*** auch münzgroße Prellungen und Schwellungen im Bereich des Hinterkopfes. Ihre Verletzungen bewirkten eine Gesundheitsschädigung von etwa 10 Tagen.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5, 5 a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und den Privatbeteiligtenzuspruch.
Mit der Mängel- und Tatsachenrüge (Z 5 und 5 a) macht der Beschwerdeführer geltend, das Erstgericht habe ihm aktenwidrig unterstellt, vor der Polizei - im Gegensatz zur späteren Verantwortung (S 49, 50) - zugegeben zu haben, daß die Gegenwehr der Gabriele T*** und seine Schläge bereits vor Beendigung des Geschlechtsverkehrs eingesetzt und seine Tätlichkeiten dazu gedient hätten, die Prostituierte zur Fortsetzung des Geschlechtsverkehrs gegen ihren Willen zu veranlassen. Einen Teil seiner in dem betreffenden Polizeiprotokoll vom 29.November 1989 (S 21 ff) beurkundeten Angaben, und zwar den Satz: "zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber meinen Samenerguß und war die Sache somit erledigt" (S 22 Ende des 2. Absatzes) hat der Beschwerdeführer allerdings selbst - und nicht, wie er vermeint, das Erstgericht - aus dem Zusammenhang gerissen, um zu dem ihm genehmen Ergebnis zu gelangen. Bei Berücksichtigung des unmittelbar vorangehenden Satzes, nämlich "nachdem ich ihr diese Ohrfeige gegeben hatte, stellte die Frau ihre Gegenwehr ein", ergibt sich unmißverständlich, daß nach der Verantwortung des Angeklagten vor der Polizei der den Geschlechtsverkehr abschließende Samenerguß erst eintrat, als Gabriele T*** nach (und infolge) ihrer Mißhandlung durch den Angeklagten ihren Widerstand aufgegeben hatte. Nur mit dieser zeitlichen Reihenfolge ist auch seine weitere Verantwortung vor der Polizei (S 22 ganz unten, S 23 erster Absatz) vereinbar, wonach die Frau, als sie die Entfernung des Präservativs durch den Angeklagten bemerkte, den Geschlechtsverkehr nicht mehr vollziehen wollte, der Angeklagte dies aber nicht einsah, vielmehr für den bezahlten Preis den Geschlechtsverkehr auch durchführen wollte und mit Ohrfeigen zu erreichen trachtete, daß die Prostituierte ihre Gegenwehr einstelle. Insoweit ist dem Erstgericht daher weder die vom Beschwerdeführer - wenn auch als Unvollständigkeit der Urteilsbegründung - geltend gemachte Aktenwidrigkeit (Z 5), noch eine nach der Aktenlage in erheblichem Maße bedenkliche Schlußfolgerung tatsächlicher Natur (Z 5 a) unterlaufen. Daß der Angeklagte zum Zeitpunkt der Einvernahme vor der Polizei rechtsfreundlich nicht vertreten war, vermag gleichfalls keine erheblichen Bedenken gegen die entscheidungswesentlichen Konstatierungen zu erwecken, zumal er sich in der Hauptverhandlung darauf beschränkte, den Widerspruch seiner Verantwortung zu jener vor der Polizei mit dem Hinweis zu bagatellisieren, er könne sich bei der Polizei falsch ausgedrückt haben (S 50 Mitte). Der Einwand der Rechtsrüge (Z 10), nur Fälle, in denen bereits die Einleitung des Geschlechtsverkehrs durch Drohung oder Gewalt erzwungen werde, seien dem (neu gefaßten) Tatbestand der Vergewaltigung nach § 201 StGB zu unterstellen, geht am Wortlaut dieser Strafnorm vorbei. Darnach besteht das dem Opfer abgenötigte Verhalten in der Vornahme (= Handlung) oder Duldung (= Hinnehmen eines Handelns oder Geschehens) des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung. Aus dieser Formulierung kann sohin nicht abgeleitet werden, daß sich die durch Nötigung bewirkte Willensbeugung nur auf die Einleitung solcher sexueller Mißbräuche beziehen soll. Zweifellos ist der Schuldgehalt einer erst während des zunächst (gegen Entgelt) einvernehmlich begonnenen Geschlechtsverkehrs einsetzenden Gewalt, um den von Zustimmung in Gegenwehr gewandelten Willen des Partners zu beugen, im Verhältnis zu den typischen Fällen derartiger Straftaten vergleichsweise gering. Die Einschränkung der Anwendbarkeit des § 201 StGB nF allein auf die (vom Beschwerdeführer angesprochenen) Regelfälle einer Vergewaltigung eines von vornherein unwilligen Opfers widerspräche nicht nur dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesstelle, sondern auch dem vom Gesetzgeber ausdrücklich deklarierten Zweck, die sexuelle Selbstbestimmung des Menschen unter Gleichstellung von Opfern beiderlei Geschlechts vor gewaltsam-aggressiven Verhaltensweisen zu schützen (927 der Beilagen XVII.GP 2). Im Einzelfall wird die Strafbarkeitsgrenze aber in der gewissenhaften Feststellung der subjektiven Tatbestandserfordernisse zu finden sein. Erst ab der Phase, in welcher sich der Täter der Ernstlichkeit des dem Beischlaf nunmehr entgegengesetzten Widerstands zweifelsfrei bewußt wird und dennoch den (wenn auch spontanen) Entschluß faßt, diesen Widerstand mit den im § 201 StGB normierten Nötigungsmitteln zu überwinden, ist auch die innere Tatseite der Vergewaltigung verwirklicht. Auf Grund der wiedergegebenen, auf den eigenen Einlassungen des Angeklagten beruhenden Urteilskonstatierungen lagen bei Herbert R*** diese subjektiven Tatbestandsmerkmale zum Zeitpunkt der Gewaltanwendung aber vor.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Gericht verurteilte den Angeklagten nach § 201 Abs 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 9 (neun) Monaten und wertete seine einschlägige Vorstrafe als erschwerend und sein Wohlverhalten seit dieser letzten Verurteilung (28.Februar 1983) als mildernd.
Mit seiner Berufung gegen diesen Strafausspruch strebt der Angeklagte die Herabsetzung und bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe an.
Zur Beurteilung der Schuld (§ 32 StGB) berücksichtigte das Schöffengericht, daß das Abbrechen eines (mit Zustimmung der Frau begonnenen) Geschlechtsverkehrs ein höheres Maß an Überwindung verlange als der Verzicht von vornherein. Daneben sei aber auch die Gefährdung einer Prostituierten bei Vornahme eines ungeschützten Verkehrs zu beachten. Diesen durchaus lebensnahen Erwägungen des Gerichts zum erforderlichen Sanktionsausmaß schließt sich auch der Oberste Gerichtshof an, sodaß einer Strafherabsetzung nicht nähergetreten werden konnte.
Der Berufung ist wohl zuzugeben, daß Herbert R*** ausschließlich auf Grund seiner eigenen, als wahrheitsgemäß beurteilten Angaben vor der Polizei schuldig gesprochen wurde, zumal die Tatrichter an der Richtigkeit der Darstellung des Vorfalles durch die Zeugin T*** "gewisse Zweifel" hatten (S 65). Dieser wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung reicht aber nicht aus, § 43 a Abs 3 StGB anzuwenden, kommt doch bei dieser Straftat ebenso wie bei der einschlägigen Vortat der verwerfliche Charakterzug des Angeklagten zum Vorschein, seinen Geschlechtstrieb durch List und Tücke ohne selbst eine primitivste Rücksichtnahme auf die Frau auszuleben.
Der Berufung wegen Strafe war daher nicht Folge zu geben. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten auch gemäß § 369 StPO zur Zahlung eines Teilschmerzengeldes von 2.000 S an die Privatbeteiligte Gabriele T***.
Diesen Zuspruch bekämpft der Angeklagte unter Hinweis auf sein Anerkenntnis von nur 500 S mit dem Antrag, die Privatbeteiligte mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Entgegen diesen Einwänden konnte das Gericht aber auf Grund der von ihm nach Zuziehung eines medizinischen Sachverständigen getroffenen Feststellungen über die Art der Verletzungen und die Dauer der Gesundheitsschädigung von zehn Tagen beurteilen, daß das begehrte Schmerzengeld angemessen ist (§ 1325 ABGB). Mangels konkreter, gegen diese Beurteilung sprechender Berufungsbehauptungen vermag der Oberste Gerichtshof dem Erstgericht nicht entgegenzutreten.
Der Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis war daher ebenfalls der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
Anmerkung
E21796European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0120OS00074.9.0913.000Dokumentnummer
JJT_19900913_OGH0002_0120OS00074_9000000_000