Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Trabauer (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gabriele B***, 1100 Wien, Laaer Bergstraße 34/3/1, vertreten durch Dr.Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Erich Proksch und Dr.Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.Juli 1989, GZ 34 Rs 56/89-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.August 1988, GZ 19 Cgs 1650/87-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 8.5.1987 wies die beklagte Partei den Antrag der am 6.9.1962 geborenen Klägerin vom 13.3.1987 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab. Die dagegen rechtzeitig erhobene, erkennbar auf die abgewiesene Leistung gerichtete Klage stützte sich nach Ergänzung darauf, daß die Klägerin wegen instabilen Diabetes mellitus, insbesondere wegen hypoglykämischer Anfälle ihren Beruf (als Sachbearbeiterin bei der beklagten Partei) nicht mehr ausüben, aber auch keiner anderen geregelten Berufstätigkeit mehr nachgehen könne.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin vom 1.5.1988 an eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und wies das auf Gewährung dieser Leistung auch für die Zeit vom 1.4.1987 bis 30.4.1988 gerichtete Mehrbegehren ab. Nach seinen wesentlichen Feststellungen leidet die Klägerin neben einer leichten Hypertonie (seit 1984) an einem insulinpflichtigen, sehr schwer einzustellenden Diabetes mellitus, der noch keine diabetischen Folgekrankheiten hervorgerufen hat. Sie kann seit der Antragstellung leichte Arbeiten, vorwiegend im Sitzen, an nicht exponierten Stellen und ohne Zeitdruck leisten, benötigt aber seit April 1988 zu den üblichen Essenspausen kurz vor dem Essen und zweibis viermal zwischen den Mahlzeiten zur Zuckerkontrolle und allfälligen Insulininjektion Arbeitspausen bis zu zehn Minuten. Die Klägerin war bei der beklagten Partei als Sachbearbeiterin tätig. Die dabei zu verrichtenden Tätigkeiten waren bis April 1988 ihrer Arbeitsfähigkeit angemessen, seien es aber - wie alle anderen Angestelltentätigkeiten - nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes seither nicht mehr, weil die Klägerin wegen der zusätzlichen Pausen zur Zuckerkontrolle und zu Insulininjektionen vom Wohlwollen des Dienstgebers abhängig und daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei.
Die Abweisung des Mehrbegehrens blieb unbekämpft.
Das Berufungsgericht gab der gegen den stattgebenden Teil gerichteten Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil durch gänzliche Klageabweisung ab. Bei den vom Erstgericht für notwendig erachteten Arbeitsunterbrechungen bis zu zehn Minuten handle es sich um Maximalwerte, die nur dann erforderlich sein würden, wenn die Blutzuckermeßergebnisse die Notwendigkeit einer Insulininjektion anzeigten. Es würden auch nicht täglich vier Blutzuckerkontrollen zwischen den Mahlzeiten erforderlich sein. Daher werde die Klägerin die gesetzlich vorgesehenen Arbeitspausen zu den Blutzuckerkontrollen und den allenfalls notwendigen Insulininjektionen nicht wesentlich überschreiten müssen. Solche Überschreitungen würden aber, weil sie zu keiner nennenswerten Beeinträchtigung des Arbeitsablaufes führten, von Dienstgebern üblicherweise akzeptiert, weshalb die Klägerin auf kein besonderes Entgegenkommen des jeweiligen Dienstgebers angewiesen sei und daher weiterhin einer Angestelltentätigkeit nachgehen könne. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern oder allenfalls die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit).
Die rechtliche Beurteilung des vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgericht dahin, daß die Klägerin auch vom 1.5.1988 an mangels Berufsunfähigkeit keinen Anspruch auf die begehrte Leistung habe (§ 271 Abs 1 ASVG), ist richtig. Der hier zu beurteilende Fall ist dem vom erkennenden Senat zu SSV-NF 2/145 entschiedenen sehr ähnlich. Damals war die Berufsunfähigkeit einer kaufmännischen Angestellten zu beurteilen, die an einer insulinpflichtigen labilen Zuckerkrankheit mit Neigung zu Hypoglykämie und Hypertonie litt, deshalb nur mehr leichte Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck leisten konnte und während der Arbeitszeit zum Einnehmen zweier kleiner Mahlzeiten außerhalb der gesetzlichen Mittagspause und zu mehrmaligen Messungen des Blutzuckers zusätzlicher kurzer Arbeitspausen bedurfte. Der erkennende Senat teilte damals die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die Einnahme dieser kleinen Zwischenmahlzeiten, die gerade bei nicht mit Kundenverkehr verbundenen Bürotätigkeit ganz allgemein geduldet würden, ebenso wie die nur wenige Minuten beanspruchenden Blutzuckermessungen, die ohne Störung des Dienstbetriebes in Sanitärräumen durchgeführt werden können, kein (besonders) Entgegekommen des Dienstgebers erfordern würden.
Diese Rechtsansicht wurde in den noch nicht veröffentlichten Entscheidungen 23.1.1990, 10 Ob S 442/89, 6.2.1990, 10 Ob S 447/89 (fünf tägliche Insulinspritzen und in der Regel fünf, an schlechten Tagen bis zu zehn Blutzuckermessungen) und 13.3.1990, 10 Ob S 24/90, bestätigt.
Die Revision bietet keinen Anlaß, von dieser wiederholt geäußerten
Rechtsansicht abzugehen.
Daher war der Revision nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E22048European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00351.89.0918.000Dokumentnummer
JJT_19900918_OGH0002_010OBS00351_8900000_000