TE OGH 1990/9/18 10ObS287/90

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Veröffentlicht am 18.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Trabauer (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erna E***, 4020 Linz, Honauerstraße 11, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***

(L*** L***), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 1990, GZ 13 Rs 45/90-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. Jänner 1990, GZ 12 Cgs 158/89-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 22.2.1989 lehnte die beklagte

P*** DER A*** den Antrag der Klägerin

vom 2.12.1988 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.1.1989 ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin hat innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag 71 Beitragsmonate nach dem ASVG erworben. Davon hat sie nur 4 Monate als Hilfsarbeiterin bei den AUSTRIA T*** eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt, nämlich im August 1976, im Oktober 1977, im Dezember 1977 und im September 1978. Weitere 67 Monate erwarb sie durch freiwillige Weiterversicherung. Seit 1978 war sie nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigt; sie arbeitete aushilfsweise im Brucknerhaus Linz und bei der Familienberatungsstelle des Magistrates der Stadt Linz, erhielt dort aber nur ein Honorar und war wegen des geringfügigen Verdienstes nicht versicherungspflichtig.

Die am 27.6.1932 geborene Klägerin ist nur mehr zur Durchführung einfacher, leichter, fallweiser mittelschwerer Arbeiten geeignet. Zu meiden sind Heben und Tragen von Lasten über 8 kg, häufiges Bücken bis zum Boden sowie Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und an offenen Maschinen. Weiters scheiden Arbeiten unter besonderem psychischen Druck aus wie Akkordarbeit, Nachtarbeit, Überstundenleistung, Schichtarbeit und Arbeiten, die mit intensivem Parteien- und Kundenverkehr verbunden sind. Die Klägerin ist trotz guter Intelligenz nicht umschulbar, wohl aber anlernbar und unterweisbar. Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die manuelle Geschicklichkeit kann sie nicht leisten. Unter Bedachtnahme auf das medizinische Leistungskalkül und den arbeitspsychologischen Befund ist die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu folgenden beruflichen Tätigkeiten einsetzbar: Tischabräumerin/Abserviererin in Gemeinschaftsküchen, Geschirrspülerin, innerbetriebliche Transportarbeiterin mittels Wagen oder ähnliche Tätigkeiten. In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 255 Abs.4 ASVG bei der Klägerin, weil im maßgebenden Zeitraum von 15 Kalenderjahren vor dem Stichtag die Zeiten der freiwilligen Weiterversicherung die Zeiten der Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG überwiegen. Die Zeiten der Weiterversicherung könnten bei der Prüfung der Frage, ob die Klägerin in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG im maßgebenden Zeitraum eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt habe, nur dann berücksichtigt werden, wenn die Klägerin durch ihre berufliche Tätigkeit ein Entgelt erzielt hätte. Dies treffe nicht zu, sodaß die Invalidität der Klägerin nach § 255 Abs.3 ASVG zu beurteilen sei. Im Hinblick auf die ihr noch zumutbaren Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liege eine solche Invalidität nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es schloß sich der herrschenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien als höchste Instanz in Sozialrechtsverfahren bis zum Inkrafttreten des ASGG an, wonach Beitragsmonate im Sinn des § 255 Abs.4 ASVG die in den §§ 225 und 226 ASVG angeführten Beitragszeiten seien, somit auch Zeiten der freiwilligen Weiterversicherung (§ 225 Abs.3 ASVG). Zeiten der freiwilligen Weiterversicherung seien daher bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, mit zu berücksichtigen. Auch der Gesetzeswortlaut des § 255 Abs.4 lit.c ASVG ("Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz") spreche im Hinblick auf die §§ 225 Abs.3 und 232 Abs.1 ASVG gegen die Klägerin. Wenn die Klägerin ihre gegenteilige Rechtsansicht weiters damit zu begründen versuche, daß es ein Unding wäre, dem Gesetzgeber einen Regelungsinhalt zu unterstellen, wonach man durch die Leistung freiwilliger Beiträge zwar die durch die 39.ASVG-Novelle zusätzlich geschaffene Anspruchsvoraussetzung (Vorliegen von 180 für die Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate am Stichtag) erfüllen könne, dabei aber gleichzeitig die günstigere Beurteilung nach dieser Gesetzesstelle verliere, sei ihr entgegenzuhalten, daß eine solche Änderung des Willens des Gesetzgebers im Rahmen der 39.ASVG-Novelle weder dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sei. Der Gesetzgeber der 39.ASVG-Novelle habe durch die Änderung des § 255 Abs.4 ASVG i.d.F. der 35.ASVG-Novelle nur insofern den Zugang zur Invaliditätspension erleichtern wollen, als nunmehr diese Bestimmung allen versicherten Dienstnehmern unabhängig von ihrer beruflichen Qualifikation zugutekommen sollte. Der Gesetzgeber habe dadurch eine Änderung der bisherigen Judikatur erreichen wollen, wonach dieser erleichterte Zugang zur Invaliditätspension nur den ungelernten Arbeitnehmern zustand. In diesem Zusammenhang habe es der Gesetzgeber allerdings für notwendig gehalten, als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung das Vorliegen von 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigenden Versicherungsmonate am Stichtag vorzusehen (AB zur 39.ASVG-Novelle, 80 BlgNR 16.GP 5). Ein Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber damit auch eine Änderung der oben wiedergegebenen Judikatur, wonach auch Zeiten der freiwilligen Weiterversicherung als Beitragsmonate im Sinn des § 255 Abs. 4 ASVG anzusehen sind, erreichen wollte, liege somit nicht vor. Auch der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 24.1.1989, 10 Ob S 15/89 = SSV-NF 3/17 die Berücksichtigung von Beitragsmonaten der freiwilligen Versicherung in diesem Zusammenhang bejaht und ausdrücklich ausgesprochen, daß diese Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung bei der Bestimmung des § 255 Abs.4 lit.c ASVG aber nicht als Beitragsmonate gewertet werden können, in denen eine (die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründende) Tätigkeit ausgeübt wurde und zwar gleichgültig, ob eine und allenfalls welche Tätigkeit in dieser Zeit tatsächlich ausgeübt wurde.

Die Bestimmung des § 255 Abs.4 lit.c ASVG sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Nach § 255 Abs.4 ASVG sei ein Versicherter dann als invalid anzusehen, wenn er seine im Beobachtungszeitraum überwiegend ausgeübte gleiche oder gleichartige Tätigkeit nicht mehr verrichten könne. Während somit diese Bestimmung den Schutz vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit zum Ziel habe, eröffne die Selbstversicherung Personen, die keinem Pflichtversicherungsverhältnis unterliegen, den Sozialversicherungsschutz; die Weiterversicherung gebe den aus der Pflichtversicherung Ausgeschiedenen die Möglichkeit, ihren bisherigen Versicherungsschutz weiterhin aufrechtzuerhalten. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Zielsetzung erblicke das Berufungsgericht in der Regelung, daß Zeiten der freiwilligen Versicherung wohl Beitragsmonate im Sinn des § 255 Abs.4 lit.c ASVG, nicht aber Zeiten der Ausübung einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit seien, keine willkürliche oder unsachliche Differenzierung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil von der Klägerin erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung nicht als solche gewertet werden können, in denen eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit im Sinne des § 255 Abs.4 lit.c oder des § 273 Abs 3 lit.c ASVG ausgeübt wurde, ist zutreffend und steht im Einklang mit der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichthofes (SSV-NF 3/17; zuletzt 12.6.1990, 10 Ob S 225/90), weshalb es ausreicht, darauf zu verweisen.

Es trifft auch zu, daß unter Beitragsmonaten im Sinn des § 255 Abs.4 lit.c ASVG (bzw. des § 273 Abs.3 lit.c ASVG) nicht nur solche aus einer Pflichtversicherung zu verstehen sind, sondern die in den §§ 225 und 226 ASVG angeführten Beitragszeiten (§ 224 ASVG), somit auch Zeiten der freiwilligen Weiterversicherung (§ 225 Abs.3 ASVG). Beitragszeiten sind Versicherungszeiten, für die Beiträge wirksam entrichtet wurden. Grundlage für die Beitragsentrichtung bildet entweder eine Pflichtversicherung oder eine freiwillige Versicherung (vgl. Teschner in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 376). Für eine einschränkende Auslegung dahin, daß unter Beitragsmonaten im Sinne der zitierten Gesetzesstellen nur solche aus einer Pflichtversicherung gemeint seien, finden sich keine Anhaltspunkte. Beitragszeiten der freiwilligen Versicherung sind daher bei Beantwortung der Frage, ob der Versicherte in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat, mitzuzählen (ebenso OLG Wien SV-Slg. 29.667, SSV 21/112 ua.; vgl. auch Teschner/Fürböck ASVG MGA 49.ErgLfg. 1312 Anm.8 zu § 255). Demgemäß liegt auch der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vor, weil nicht entscheidend ist, ob der Klägerin die in nur 4 Beitragsmonaten während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübte Tätigkeit als Hilfsarbeiterin bei den A*** noch zumutbar wäre.

Das Berufungsgericht hat auch zutreffend dargelegt, daß verfassungsmäßige Bedenken gegen die Regelung des § 255 Abs.4 lit.c ASVG nicht bestehen. Diese Bestimmung stellt den Erwerber freiwilliger Beitragszeiten nicht grundsätzlich schlechter als einen Versicherten, der nach Beendigung der Arbeit innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag keine Beiträge leistet. Der Erwerb weiterer Versicherungszeiten, der im Belieben des Versicherten steht (sei es durch Weiterarbeit, sei es durch Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung), führt in der Regel dazu, daß die Versicherungsleistung überhaupt erst ermöglicht oder zumindest der Höhe nach verbessert wird (vgl. Krejci/Marhold in Tomandl SV-System 3. ErgLfg. 97 ff). Nach den Bestimmungen der §§ 255 Abs.4 und 273 Abs.3 ASVG nützt es auch einem Versicherten, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend eine leichtere (und nach Vollendung des 55.Lebensjahres weiterhin zumutbare) Arbeit verrichtet hat, nichts, wenn er eine während dieses Zeitraumes nicht überwiegend verrichtete schwerere Arbeit nicht mehr ausüben kann (vgl. SSV-NF 3/89). Der Oberste Gerichshsof sieht sich daher - ebenso wie in dem nach § 273 Abs.3 lit.c ASVG zu beurteilenden Fall 10 Ob S 225/90 - nicht veranlaßt, beim Verfassungsgerichtshof einen Gesetzesprüfungsantrag zu stellen. Daß Invalidität der Klägerin nach § 255 Abs.3 ASVG nicht gegeben ist, wird von ihr nicht angezweifelt.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E22233

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00287.9.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19900918_OGH0002_010OBS00287_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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