TE OGH 1990/9/25 10ObS280/90

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Veröffentlicht am 25.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl und Dkfm.Dr. Franz Schulz (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Georg S***, Pensionist, 5541 Abtenau, Wegscheid 5, vertreten durch Dr. Friedrich Gehmacher und Dr. Helmut Hüttinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei S*** DER B*** (L*** S***), 1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 1990, GZ 12 Rs 30/90-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6. Dezember 1989, GZ 19 Cgs 56/88-22, als Teilurteil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird für die Zeit bis 7.11.1988 bestätigt, für die Zeit vom 8.11.1988 an hingegen ebenso wie der diesbezügliche Teil des das Rentenbegehren betreffenden erstgerichtlichen Urteils aufgehoben und die Sozialrechtssache insoweit zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23.3.1988 lehnte die beklagte Partei die Gewährung einer Leistung aus der Unfallversicherung für die Folgen der angezeigten Erkrankung nach § 177 Abs 1 ASVG ab, weil eine Berufskrankheit iS der Anlage 1 zum ASVG nicht vorliege. Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage stützte sich im wesentlichen darauf, daß beim Kläger eine Berufskrankheit iS der laufenden Nummer 30 und 43 vorliege. Er beantragte daher, ihm eine Versehrtenrente von 50 vH samt Zusatzrente und die sonstigen gesetzlichen Leistungen aus diesem Versicherungsfall im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil keine Berufskrankheit vorliege.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Nach seinen wesentlichen Feststellungen bewirtschaftet der am 22.5.1925 geborene Kläger einen Bauernhof in 800 m Seehöhe. Der Kläger befindet sich zwar seit 1984 im Ruhestand, arbeitet aber in seinem ehemaligen Betrieb weiter mit. Zur Zeit der (im laufenden Verfahren vorgenommenen) Untersuchungen lagen bei ihm folgende Beschwerden vor: Eine chronische Bronchitis im Intervall ohne Lungenfunktionsstörung, mehrfache nicht relevante Sensibilisierungen gegen nicht berufsbedingte Inhalationsallergene und ein metalldichter Fremdkörper (Granatsplitter) in der rechten Axilla ohne Krankheitswert. Ein beruflich verursachtes Asthma bronchiale oder eine sogenannte Farmerlunge ließen sich nicht nachweisen. Dagegen erhob der Kläger Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben. In der mündlichen Berufungsverhandlung, in der der den Kläger betreffende Pensionsakt der beklagten Partei verlesen wurde, erklärte der Kläger, die Rente vom 1.12.1987 an zu begehren.

Das Berufungsgericht gab mit Teilurteil der Berufung gegen die Abweisung des Rentenbegehrens nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil insoweit als Teilurteil. Im übrigen gab es der Berufung mit Beschluß Folge und hob das erstgerichtliche Urteil, soweit das vom Leistungsbegehren umfaßte Begehren auf Feststellung der Berufskrankheit Asthma bronchiale (Nr 30 der Anlage 1 zum ASVG) bzw Farmer(Drescher)lunge (Nr 43 der Anlage zum ASVG) abgewiesen wurde, auf und trug dem Erstgericht diesbezüglich eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf, wobei es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig erklärte.

Soweit sich die Berufung gegen die Abweisung des auf eine Versehrtenrente gerichteten Begehrens richte, müsse sie schon deshalb erfolglos bleiben, weil nach dem verlesenen Anstaltsakt feststehe, daß beim Kläger seit 13.11.1984 dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege (Bescheid der beklagten Partei vom 22.1.1985 über die Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit seit 1.12.1984). Deshalb könnten die behaupteten Berufskrankheiten, die erst mit Ende 1987 aufgetreten sein sollen, keinen Anspruch auf Versehrtenrente auslösen, da diese eine Minderung einer noch gegebenen Erwerbsunfähigkeit voraussetze. Deshalb sei die Abweisung des Rentenbegehrens als Teilurteil zu bestätigen.

Den Aufhebungsbeschluß begründete das Berufungsgericht damit, daß der Kläger ungeachtet dessen, daß ein Rentenanspruch auch in Zukunft nicht entstehen könne, ein Interesse an der Feststellung der behaupteten Berufskrankheit habe, weil diese für allfällige Sachleistungen aus der Unfallversicherung von Belang sein könne. Das Berufungsgericht erachtete die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen für nicht erforderlich und übernahm auch die erstgerichtliche Feststellung, daß im vom Gutachten des bestellten Sachverständigen erfaßten Zeitraum die Berufskrankheiten Asthma bronchiale bzw Farmerlunge nicht vorlägen, als unbedenklich. Das erstgerichtliche Verfahren sei aber dennoch mangelhaft, weil der Sachverständige nicht ausschließen konnte, daß der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt eine Farmerlunge bekommen könnte. Deshalb hätte das Erstgericht auch das Vorbringen des Klägers, daß im Oktober 1989, also Monate nach der Begutachtung durch den Sachverständigen, eine Verschlechterung des Lungenzustandes festgestellt worden sei, eingehen und eine Ergänzung des Gutachtens über die behauptete Entwicklung der Farmerlunge veranlassen müssen. Deshalb sei das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich des vom Leistungsbegehren umfaßten Feststellungsbegehrens aufzuheben. Den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses nach § 45 Abs 4 ASGG begründete das Berufungsgericht damit, daß es eine einheitliche Anfechtung der bestätigenden und aufhebenden Entscheidung ermöglichen wolle. Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, es im dem Rentenbegehren stattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache auch insoweit an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist teilweise berechtigt. (Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des ASVG.) Anspruch auf Versehrtenrente besteht nach § 203 Abs 1, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder eine Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 vH vermindert ist. Die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vH. Nach § 174 Z 2 gilt der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten mit dem Beginn der Krankheit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 203) als eingetreten. Nach § 204 Abs 3 fällt die Versehrtenrente bei den im § 192 angeführten Versicherten, zu denen der Kläger gehört, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, mit dem Beginn des 3.Monates nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an. Nach § 177 Abs 1 gelten als Berufskrankheiten die in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind. In der LfdNr 30 dieser Anlage in der seit 1.1.1986 geltenden Fassung sind Erkrankungen an Asthma bronchiale bezeichnet, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Erwerbsarbeit zwingen, in der LfdNr 43 dieser Anlage in der seit 1.1.1988 geltenden Fassung des Art V Z 23 der 44.ASVGNov BGBl 1987/609 exogen-allergische Alveolitis mit objektiv nachweisbarem Funktionsverlust der Lunge, sofern das als ursächlich festgestellte Antigen tierischer oder pflanzlicher Abkunft bei der Erwerbsarbeit von einem objektiv feststellbar bestimmenden Einfluß gewesen ist. Die letztgenannte laufende Nummer hieß vor dem 1.1.1988 "Farmer(Drescher)lunge". Nach Art VI Z 17 der 44. ASVGNov sind einem Versicherten, der am 1.1.1988 an einer Krankheit leidet, die erst aufgrund des Art V Z 23 dieser Novelle als Berufskrankheit anerkannt wird, die Leistungen der Unfallversicherung zu gewähren, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.12.1955 eingetreten ist und der Antrag bis 31.12.1988 gestellt wird. Die Leistungen sind frühestens ab 1.1.1988 zu gewähren. Wird der Antrag später gestellt, gebühren die Leistungen ab dem Tag der Antragstellung.

Schon wegen der vom Berufungsgericht übernommenen Feststellung, daß die vom Kläger behaupteten Berufskrankheiten (jedenfalls) bezogen auf den Zeitpunkt der Untersuchungen durch den Sachverständigen am 2.8. und 7.11.1988 nicht vorlagen, kann der Versicherungsfall der Berufskrankheit bis zum 7.11.1988 nicht als eingetreten gelten, so daß der Kläger schon deshalb bis dahin keinen Anspruch auf eine Versehrtenrente nach § 203 Abs 1 hat. Deshalb war das angefochtene Teilurteil bis 7.11.1988 zu bestätigen, ohne daß geprüft werden mußte, ob das Rentenbegehren bis zu diesem Zeitpunkt allenfalls auch aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt sein könnte. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor, weil die Verneinung angeblicher Mängel des Verfahrens erster Instanz durch das Berufungsgericht vom Revisionsgericht auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen nicht überprüft werden kann (stRsp des erkennenden Senates seit SSV-NF 1/32, zuletzt mit weiterer Begründung 3/115).

Die im Rahmen der Mängelrüge versuchte Bekämpfung der Beweiswürdigung ist unzulässig, weil die Revisionsgründe im § 503 Z 1 bis 4 ZPO abschließend aufgezählt sind.

Die Revision ist jedoch insoweit berechtigt, als sie die Abweisung des Rentenbegehrens für die Zeit vom 8.11.1988 an betrifft.

Es entspricht zwar der Lehre (zB Tomandl in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 331) und ständigen Rechtsprechung des OLG Wien als bis 31.12.1986 letzter Instanz in Leistungsstreitsachen (zB 23.9.1968 SSV 8/94; 8.11.1968 SSV 8/120; 22.11.1968 und 19.2.1969 SVSlg 18.211; 11.4.1980 SSV 20/39; 10.6.1980 SVSlg 25.686; 13.1.1981 SVSlg 27.248; 21.5.1982 SVSlg 27.249; 30.9.1982 SVSlg 27.247; 24.10.1983 SSV 23/112; 6.2.1985 SVSlg 29.147; 9.4.1985 SVSlg 29.149), daß eine schon vor dem Arbeitsunfall oder der Berufskrankheit eingetretene gänzliche Erwerbsunfähigkeit des Versehrten eine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit und damit einen Anspruch auf Versehrtenrente ausschließt.

Das Oberlandesgericht Wien hat jedoch schon in der Entscheidung SSV 23/112 mit zutreffender Begründung darauf hingewiesen, daß aus dem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitspension nach § 123 BSVG allein noch nicht auf eine eine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit ausschließende gänzliche Erwerbsunfähigkeit des Versehrten geschlossen werden darf und es vielmehr darauf ankommt, ob der Versehrte schon vor dem Arbeitsunfall bzw der Berufskrankheit so erwerbsunfähig war, daß dies gar keine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr bewirken konnte.

Abgesehen davon, daß ein Versicherter, der das 55.Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, nach § 124 Abs 2 BSVG schon dann als erwerbsunfähig gilt und Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension haben kann, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zwar nicht dauernd außerstande ist, einem regelmäßigen Erwerb, wohl aber einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat, in welchem Falle von einer gänzlichen Erwerbsunfähigkeit im obigen Sinne keine Rede sein könnte, - dem Kläger wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 22.1.1985 eine Pension aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit gemäß § 124 Abs 2 BSVG zuerkannt - ist auch aus dem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitspension bei dauernder Erwerbsunfähigkeit iS des strengeren Erwerbsunfähigkeitsbegriffes des Abs 1 der zitierten Gesetzessstelle schon deshalb noch nicht unbedingt auf eine gänzliche Erwerbsunfähigkeit im oben genannten Sinne zu schließen, die eine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder durch eine Berufskrankheit und damit eine Versehrtenrente ausschließen würde, weil die im Pensionsverfahren festgestellte Erwerbsunfähigkeit wieder weggefallen sein kann. Daß dem Kläger mit dem oben genannten Bescheid der beklagten Partei eine Erwerbsunfähigkeitspension zuerkannt wurde, rechtfertigt daher für sich allein die Abweisung seines Rentenbegehrens für die Zeit vom 8.11.1988 an noch nicht.

Diesbezüglich sind daher weitere Feststellungen erforderlich, die eine verläßliche Beurteilung möglich machen, ob und allenfalls in welchem Ausmaß die Erwerbsfähigkeit des Klägers seither durch die Folgen einer Berufskrankheit vermindert ist.

In diesem Umfang waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache insoweit an das Erstgericht zur Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten des Klägers im Berufungs- und Revisionsverfahren beruht auf § 52 Abs 1 und 2 ZPO.

Anmerkung

E22042

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00280.9.0925.000

Dokumentnummer

JJT_19900925_OGH0002_010OBS00280_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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