Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitnehmer) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Georg M***, Pensionist, 5020 Salzburg, Gorianstraße 14, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***,
1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Endurteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.März 1990, GZ 12 Rs 8/90-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Endurteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17. Jänner 1989, GZ 40 Cgs 1132/87-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Endurteil des Berufungsgerichtes, das hinsichtlich der Feststellung des Monats Juni 1945 als Ersatzzeit als unangefochten unberührt bleibt, wird im übrigen dahin abgeändert, daß das Mehrbegehren auf Feststellung der Monate September 1946 bis August 1947 als weitere Versicherungszeiten abgewiesen und insoweit das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 1.Oktober 1987 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf Antrag des Klägers die Versicherungszeiten im einzelnen, insgesamt mit 479 Versicherungsmonaten fest.
Der Kläger begehrte - neben inzwischen unstrittigen rechtskräftig festgestellten bzw abgewiesenen Versicherungszeiten (vgl die im ersten Rechtsgang gefällte Entscheidung vom 5.12.1989, 10 Ob S 325/89 = SSV-NF 3/147) - und des im 2. Rechtsgang rechtskräftig als Ersatzzeit fetgestellten Monats Juni 1945 die Feststellung der Monate September 1946 bis August 1947 wegen politischer Verfolgung in Rumänien als weitere Versicherungszeiten. Das Erstgericht wies diesen Teil des Begehrens mit der Begründung ab, über eine angebliche politische Verfolgung des Klägers in Rumänien gebe es keine Beweisergebnisse. Das Berufungsgericht gab dem Begehren insoweit statt. Es stellte nach Beweisergänzung folgenden Sachverhalt fest:
In der Zeit vom September 1946 bis August 1947 wurde der Kläger in einem staatlichen Molkereibetrieb seines Heimatortes (Molkereigenossenschaft in Nitzkydorf) zwangsverpflichtet, zu arbeiten. Er leistete in diesem Betrieb manuelle Arbeiten, bewerkstelligte die Anlieferung und Verarbeitung der Milch, er war in den Molkereibetrieb voll eingegliedert und an die Weisungen seiner Vorgesetzten gebunden. Er erhielt keine Bezahlung, auch keine Naturalien. Es bestand kein Dienstverhältnis, der Kläger war zu einer staatlichen Rentenversicherung odgl. nicht angemeldet. Daher bestehen für den fraglichen Zeitraum auch keine Unterlagen über den allfälligen Erwerb von Versicherungszeiten in der rumänischen Rentenversicherung. Der Kläger konnte zwar seine Wohnung nach der Arbeitszeit, die von 6 Uhr morgens bis etwa 9 Uhr abends dauerte, aufsuchen und dort nächtigen, er durfte jedoch den Ort, in dem die Molkerei gelegen war, nicht verlassen. Solange der Kläger zwangsverpflichtet war, blieb er von den Polizeibehörden unbehelligt. In rechtlicher Würdigung dieses Sachverhaltes führte das Berufungsgericht aus, die genannten Monate seien zwar keine Ersatzzeiten nach § 6 Abs 1 ARÜG, weil Versicherungszeiten in einer rumänischen Rentenversicherung iS des § 1 Abs 1 Z 1 lit a ARÜG nicht feststünden; sie seien aber als Ersatzzeiten nach § 6 Abs 2 iVm § 1 Abs 1 Z 1 lit b ARÜG bzw § 228 Abs 1 Z 1 lit c ASVG zu berücksichtigen: Die zwangszweise Verpflichtung des Klägers in der rumänischen staatlichen Molkerei habe den Charakter einer Arbeitsdienstverpflichtung im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung. Die dagegen von der beklagten Partei erhobene Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Da bereits im 1. Rechtsgang vom Obersten Gerichtshof ausgsprochen wurde, daß diese zwangsweise Arbeitsverpflichtung keine Ersatzzeit gemäß § 228 Abs 1 Z 4 ASVG begründet hat, ist Gegenstand des Revisionsverfahrens nur mehr die Frage, ob der Kläger durch seine Arbeit in der rumänischen Molkerei Ersatzzeiten deshalb erwarb, weil er "eine Wehr- oder Arbeitsdienstpflicht nach den jeweils in Geltung gestandenen Vorschriften erfüllt hat" (§ 228 Abs 1 Z 1 lit c ASVG). Dabei würde es sich um Zeiten iS des § 1 Abs 1 Z 1 lit b ARÜG handeln, die gemäß § 6 Abs 2 ARÜG bei der Feststellung der Rente in der österreichischen Pensions(Renten)Versicherung nach den jeweiligen österreichischen Vorschriften in der gleichen Weise zu berücksichtigen sind wie auf österreichischem Gebiet zurückgelegte Zeiten iS des § 1 Abs 1 Z 1 lit b ARÜG, für die nach den jeweils in Geltung gestandenen österreichischen Vorschriften keine Pensions(Renten)Versicherung bestanden hat (vgl Teschner ASVG MGA Anh N 4, 50. ErgLfg, 104 Anm 6 zu § 1 ARÜG, 41. ErgLfg 119 Anm 3 zu § 6 ARÜG).
Der Begriff "Wehr- oder Arbeitsdienstpflicht nach den jeweils in Geltung gestandenen Vorschriften" wurde wörtlich aus § 11 Z 4 des ersten Sozialversicherungs-Neuregelungsgesetzes BGBl 1952/86 (1. SV-NG) entnommen; § 11 dieses bis zum Inkrafttreten des ASVG geltenden Gesetzes gab eine alle bisherigen Vorschriften ersetzende Zusammenfassung der Zeiten, die als Ersatzzeiten anerkannt wurden, darunter eben auch Zeiten der Ableistung einer Wehrdienstpflicht oder Arbeitsdienstpflicht (RV zum 1. SV-NG 452 Blg NR 6. GP, 19). Mit 1.4.1952 trat unter anderem § 1267 RVO außer Kraft, nach dem Zeiten als Ersatzzeiten angerechnet wurden, in denen der Versicherte
1. zur Erfüllung der Wehrpflicht eingezogen gewesen ist, 2. der Reichsarbeitsdienstpflicht genügt hat.
Offenbar auf dieser Terminologie fußend, wurde vom Oberlandesgericht Wien wiederholt die Rechtsansicht vertreten, der in § 228 Abs 1 Z 1 lit c ASVG verwendete Begriff "Arbeitsdienstpflicht" beziehe sich ausschließlich auf die Einziehung zur Dienstleistung beim Reichsarbeitsdienst im Sinne des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 26.6.1935 dRGBl I S 769 bzw vom 9.9.1939 dRGBl I S 1747 (zB SVSlg 32.957, 31.338; kritisch allerdings SSV 26/95). Auch die Revisionswerberin beruft sich auf diese Rechtsansicht. Die Frage nach ihrer Richtigkeit braucht diesmal nicht beantwortet zu werden, weil das Klagebegehren insoweit schon aus anderen Erwägungen nicht zu Recht besteht. Nach dem eindeutigen Wortlaut der zitierten Bestimmung reicht es nämlich nicht aus, daß der Inhalt der vom Kläger verrichteten Tätigkeit dem Inhalt einer Tätigkeit entsprach, die im Rahmen einer durch eine Rechtsvorschrift angeordneten Wehr- oder Arbeitsdienstpflicht zu verrichten war. Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist formelle Voraussetzung hier vielmehr, daß die Pflicht zur Verrichtung der Tätigkeit auf Grund eines Gesetzes oder einer ihm gleichgestellten Norm bestand (SSV-NV 3/133). Dies ist im Fall des Klägers aber nicht hervorgekommen, wurde von ihm nicht behauptet und ist nach der Aktenlage auch nicht anzunehmen. Daß sich der Kläger auf Grund der damals in Rumänien herrschenden tatsächlichen (und nicht rechtlichen) Verhältnisse der Erfüllung der Aufgabe nicht entziehen konnte, ohne Nachteile zu erleiden, reicht nach dem klaren und nicht analogiefähigen Wortlaut des Gesetzes nicht aus (SSV-NF 3/133). Ergänzend sei bemerkt, daß die Berücksichtigung nichtversicherter ausländischer Beschäftigungszeiten als Ersatzzeiten nach § 6 Abs 2 ARÜG im Zusammenhalt mit §§ 229, 234 Abs 1 Z 8 ASVG auf die Zeit vor dem 1.1.1939 beschränkt ist (SSV 11/2, 11/55; SVSlg 24.010 ua), daher im Falle des Klägers nicht möglich erscheint.
Der Kläger hat demnach in dem revisionsgegenständlichen Zeitraum keine Ersatzzeiten erworben. In Stattgebung der Revision war das berufungsgerichtliche Urteil insoweit im Sinne einer Wiederherstellung des abweislichen Urteils des Erstgerichtes abzuändern.
Eine Kostenentscheidung hatte mangels Verzeichnung von Kosten zu entfallen.
Anmerkung
E22041European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00233.9.0925.000Dokumentnummer
JJT_19900925_OGH0002_010OBS00233_9000000_000