Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitgeber) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herbert L***, Kapitän i.R., 5020 Salzburg, Kreuzbergpromenade 5, vertreten durch Dr. Manfred Jokesch, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pensionshöhe (Berufsunfähigkeitspension), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Mai 1990, GZ 12 Rs 38/90-13, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22.November 1989, GZ 20 Cgs 146/89-5, als nichtig aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekurses sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 18.11.1987 setzte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten die dem Kläger zustehende Berufsunfähigkeitspension ab 1.10.1982 unter Zugrundelegung von 318 Versicherungsmonaten gemäß § 101 ASVG der Höhe nach neu fest. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Klage, der - letztlich - mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 14.2.1989 zu 13 Rs 130/88 dahin Folge gegeben wurde, daß das Berufungsgericht die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.1982 unter Zugrundelegung der im angefochtenen Bescheid vom 18.11.1987 genannten Versicherungszeiten sowie der Monate April bis Juli 1945 als weitere Ersatzzeiten zu zahlen; das Mehrbegehren, auch die Monate Juni bis August 1938 sowie August und September 1945 als weitere Versicherungszeiten anzuerkennen, wurde (rechtskräftig) abgewiesen.
Zufolge dieses Urteils setzte die beklagte Partei mit Bescheid vom 10.7.1989 die Berufsunfähigkeitspension des Klägers nunmehr unter Zugrundelegung von 322 Versicherungsmonaten neu fest. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Protokollarklage des in erster Instanz unvertretenen Klägers mit dem Begehren auf Zahlung der Berufsunfähigkeitspension "in gesetzlich größtmöglicher Höhe unter Berücksichtigung der Versicherungszeiten des Klägers von VIII und IX 1945, 2-er Monate im Jahr 1980 sowie sämtlicher Versicherungszeiten des Klägers vor dem 15. Lebensjahr". Die beklagte Partei habe mit dem angefochtenen Bescheid die Pensionshöhe neu festgestellt, doch sei die Berechnungsgrundlage für den Kläger nicht nachvollziehbar, weshalb er beantrage, der beklagten Partei aufzutragen, einen Ausdruck der Berechnungsgrundlagen vorzulegen.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension "im gesetzlichen Ausmaß" ab 1.10.1982 "unter Zugrundelegung der im angefochtenen Bescheid vom 10.7.1989 genannten Versicherungszeiten" zu zahlen; das Mehrbegehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension "im gesetzlich größtmöglichen Ausmaß" unter Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten des Klägers wies es ab. Es gelangte zu dem Ergebnis, daß weitere Versicherungszeiten nicht vorlägen und verwies im übrigen darauf, daß wegen der "identen Sachlage und der rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 20 Cgs 2/88 res iudicata" vorliege. Da der Bescheid im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft getreten sei, sei im Urteil auszusprechen, daß die beklagte Partei dem Kläger die Pension unter Berücksichtigung der im Bescheid genannten Versicherungszeiten zu gewähren habe.
Das Berufungsgericht erklärte aus Anlaß der vom Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung die erstgerichtliche Entscheidung und das vorangegangene Verfahren für nichtig und wies die Klage wegen entschiedener Streitsache zurück. Bezüglich der vom Kläger geltend gemachten weiteren Versicherungszeiten läge bereits eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vor, sodaß sich eine sachliche Prüfung des Klagebegehres verbiete. Da eine unzulässige Klagsführung den angefochtenen Bescheid gar nicht außer Kraft gesetzt habe, erübrige es sich auch, ihn nunmehr "wieder herzustellen".
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Kläger erhobene Rekurs ist berechtigt. Zutreffend macht der Rekurswerber geltend, daß die Klage im Sinne der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Rechtsbelehrung zulässig gewesen sei.
Hat das Sozialgericht eine Rechtsstreitigkeit dadurch erledigt, daß es das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennt und dem Versicherungsträger aufträgt, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen (§ 89 Abs. 2 ASGG), dann ist der Versicherungsträger kraft Gesetzes verpflichtet, die endgültige Höhe der Leistung mit Bescheid festzusetzen. Gegen diesen (neuen) Bescheid kann der Versicherte, wenn er mit der festgesetzten Höhe nicht einverstanden ist, neuerlich mit Klage vorgehen (Kuderna ASGG 446 f Anm 6 und 7 zu § 89). Dies hat der Kläger mit seiner "wegen Pensionshöhe" erhobenen Klage getan.
Über das zu 20 Cgs 2/88 des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes gestellte Klagebegehren wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 14.2.1989 (13 Rs 130/88) nur dem Grunde nach entschieden; zufolge dieser Entscheidung setzte die beklagte Partei mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid die endgültige Höhe der Pensionsleistung ab 1.10.1982 betragsmäßig fest, und zwar ab 1.10.1982 mit monatlich S 5.337,60 (ohne Kinderzuschuß und Ausgleichszulage) beginnend, in der Folgezeit gestaffelt und ab 1.1.1989 mit S 6.788,40. Die vom Kläger gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobene, ausdrücklich die "Pensionshöhe" bekämpfende Klage (nicht nur mit der Geltendmachung angeblich unberücksichtigt gebliebener Versicherungszeiten, sondern auch mit dem Vorbringen, die Pensionsberechnung sei nicht nachvollziehbar) war daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes durchaus zulässig und, wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hat, auch geeignet, den klagsgegenständlichen Bescheid zur Gänze außer Kraft zu setzen (§ 71 Abs. 1 ASGG).
Nach der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie liegt derselbe Streitgegenstand nur dann vor, wenn sowohl der Entscheidungsantrag (Sachantrag) als auch die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen (Sachverhalt) identisch sind (Fasching ZPR2 Rz 1155 ff; SZ 48/113, SZ 59/14, 9 Ob A 366/89 ua). Werden verschiedene Bescheide eines Versicherungsträgers mit Klagen bekämpft, haben diese Klagen nicht (genau) denselben Anspruch zum Gegenstand, sodaß mangels Identität des Anspruchs weder das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit noch das der entschiedenen Sache vorliegt.
Das Erstgericht hätte allerdings über die vorliegende (die Pensionshöhe bekämpfende) Klage nicht neuerlich ein nur über den Grund des Anspruchs absprechendes Urteil fällen dürfen, sondern - wenn es der Klage im Umfang des außer Kraft getretenen Bescheides stattgab - die strittige Leistung der Höhe nach festsetzen und das Begehren auf eine höhere Leistung abweisen müssen.
Daß über die maßgeblichen Versicherungszeiten bereits durch ein rechtskräftiges früheres Urteil abgesprochen worden ist, begründet für die gegen den die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheid erhobene Klage nicht das Prozeßhindernis der entschiedenen Sache, sondern eine Bindungswirkung insofern, als das Gericht im Zweitprozeß bei der Beurteilung der Vorfrage (der für die Pensionsleistung maßgeblichen Versicherungszeiten) an die rechtskräftige Entscheidung gebunden ist, mit der darüber als Hauptsache entschieden wurde; eine Zurückweisung der Klage kommt schon mangels Identität der beiden Sachbegehren (beide Klagen richten sich gegen verschiedene Bescheide) nicht in Frage (Fasching aaO Rz 1500, 1501; vgl RZ 1980, 138/31; RZ 1989, 250/96 ua). Das Erstgericht hat selbst auf die rechtskräftige Entscheidung über die Vorfrage der Versicherungszeiten hingewiesen (Seite 6 seines Urteils) und inhaltlich nicht gegen die Bindungswirkung verstoßen. Die vom Berufungsgericht von Amts wegen wahrgenommene Nichtigkeit (Fasching aaO Rz 1539) haftet daher dem Urteil des Erstgerichtes nicht an.
Das Berufungsgericht hätte aus diesen Erwägungen nicht das erstgerichtliche Urteil und das vorangegangene Verfahren aus Anlaß der Berufung für nichtig erklären dürfen. Demzufolge war der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die Verhandlung (§§ 480, 492 ZPO) und Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.
Anmerkung
E22220European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00279.9.0925.000Dokumentnummer
JJT_19900925_OGH0002_010OBS00279_9000000_000