Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitgeber) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz P***, Pensionist, 1020 Wien, Wehlistraße 305/1/4/17, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***
(L*** W***), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31.Mai 1990, GZ 34 Rs 50/90-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21.September 1989, GZ 9 Cgs 35/89-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger den Hilflosenzuschuß vom 1.4.1989 an weiterzugewähren, wird abgewiesen."
Der Kläger hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 1.11.1923 geborene Kläger bezieht von der beklagten Partei seit 10.11.1980 eine Invaliditätspension, deren monatliche Höhe im Februar 1989 7.521,20 S betrug. Dazu gewährte ihm die beklagte Partei im Frühjahr 1987 vom 3.2.1987 an einen Hilflosenzuschuß. Nach dem dafür maßgeblichen ärztlichen Gutachten vom 6.4.1987 war der Kläger damals nach einer im Dezember 1986
vorgenommenen Amputation des linken Unterschenkels in seiner Beweglichkeit weitgehend eingeschränkt, weil die Amputationsnarbe noch nicht vollständig abgeheilt war und der Gang mit Prothese nur mit zwei Stützkrücken und schmerzhaft möglich war.
Mit Bescheid vom 8.2.1989 setzte die beklagte Partei die Invaliditätspension vom 1.4.1989 an um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag herab, weil die Voraussetzungen für diesen Zuschuß nicht mehr vorlägen.
Die auf Weitergewährung des Hilflosenzuschusses gerichtete Klage stützte sich darauf, daß das Befinden des Klägers eher schlechter geworden sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie wendete ein, daß der Kläger nicht mehr ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Nach seinen wesentlichen Feststellungen ist nunmehr der Stumpf des linken Unterschenkels gut weichteilgedeckt, die Amputationsnarbe geschlossen und schmerzfrei, ohne Druckstellen oder Hautveränderungen. Der prothesenfähige Stumpf ist mit einer Unterschenkelgießharzprothese ohne Gelenk versorgt, die jedoch nicht gut sitzt und ersetzt werden sollte, weil sie zu Gangbehinderungen führt. (Wegen der nicht passenden Prothese braucht der Kläger zum Gehen zwei Stützkrücken.) Er kann sich an- und auskleiden, die Körperpflege vornehmen, die Notdurft verrichten, oberflächliche Aufräumungsarbeiten vornehmen und mit einer Umhängtasche Lebensmittel udgl bis 3 kg tragen, jedoch keine beidarmig zu verrichtenden Hausarbeiten durchführen. Daraus schloß das Erstgericht, daß er sich keine einfachen Mahlzeiten zubereiten, auch die kleine Leibwäsche nicht waschen, kein Bett machen und den Ofen nicht warten könne, weil dies "einarmig nicht möglich sei". Die Kosten der ständigen Wartung und Hilfe würden die Höhe des Hilflosenzuschusses erreichen, weshalb der Kläger nach wie vor hilflos sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge.
Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Entgegen der Meinung der Vorinstanzen hat sich der Zustand des Klägers seit der Gewährung des Hilflosenzuschusses wesentlich gebessert. Während der Unterschenkelstumpf damals wenige Monate nach der Amputation wegen der teilweise noch offenen Amputationsnarbe praktisch noch nicht prothesenfähig war, ist er jedenfalls seit der Entziehung mit der völlig geschlossenen und schmerzfreien Narbe voll prothesenfähig. Der Kläger muß beim Gehen nur deshalb zwei Stützkrücken benützen, weil seine Unterschenkelprothese nicht entspricht.
Die Vorinstanzen haben die verkürzte oder möglicherweise nur verkürzt protokollierte Ergänzung des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen für Chirurgie in der Tagsatzung vom 21.9.1989 "Derzeit ist er (ergänze: der Kläger) nicht in der Lage, beidarmig zu verrichtende Hausarbeiten durchzuführen", offensichtlich mißverstanden. Diese Aussage des Sachverständigen kann nach dem Zusammenhang mit dem schriftlichen Gutachten dieses Sachverständigen und dessen anderen mündlichen Ergänzungen in der genannten Tagsatzung nur so verstanden werden, daß der Kläger dann keine beidarmigen Hausarbeiten verrichten kann, wenn er sich auf beide Krücken stützen muß. Daß dies insbesondere im Sitzen, aber etwa auch dann nicht notwendig ist, wenn sich ein beim Gehen auf zwei Krücken angewiesener Einbeiniger beim Stehen auf nur eine Krücke oder auf andere Weise stützen kann, liegt auf der Hand. In solchen Fällen hat ein Einbeiniger entweder beide Hände oder wenigstens eine Hand frei. Der von den Vorinstanzen gezogene Schluß, der Kläger könne keine beidarmigen Hausarbeiten durchführen, ist daher mit der allgemeinen Erfahrung ebenso unvereinbar, wie die daraus abgeleiteten Feststellungen, er könne deshalb weder einfache Mahlzeiten zubereiten und kochen noch die kleine Leibwäsche waschen. Der Kläger kann diese Hausarbeiten auch in einer Körperhaltung erledigen, in der er beide Hände dafür frei hat; überdies lassen sich viele diesbezügliche Arbeitsgänge auch mit einer Hand bewältigen. Ähnliches gilt auch für die oberflächliche Wohnungsreinigung und das Auf- und Zubetten sowie für die Bedienung der Gasheizung (vgl die stRsp des Oberlandesgerichtes Wien als damaliger letzter Instanz in Leistungsstreitsachen, nach der Einbeinigkeit für sich allein noch keine Hilflosigkeit nach sich zieht, zB SVSlg 25.419, 27.046, 27.073, 27.074, 27.075, 31.085 = SSV 25/108 uva).
Daraus folgt, daß der Kläger nicht mehr derart hilflos ist, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedarf. Damit sind die Voraussetzungen des Hilflosenzuschusses nicht mehr vorhanden, so daß seine Pension wegen der Besserung seines körperlichen Zustandes um den Hilflosenzuschuß herabzusetzen war. Diese Herabsetzung wurde nach § 97 Abs 3 ASVG mit dem Ablauf des Monates März 1989 wirksam. In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen durch Abweisung der auf Weitergewährung des Hilflosenzuschusses vom 1.4.1989 an gerichteten Klage abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E22050European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00313.9.0925.000Dokumentnummer
JJT_19900925_OGH0002_010OBS00313_9000000_000