TE OGH 1990/9/26 9ObA261/90

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Veröffentlicht am 26.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner und Gerald Kopecky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***-D***-P*** AG, Wien 1, Franz Josefs Kai 51, vertreten durch Dr. Michael Mayenburg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dkfm.Dr. Werner H***, Angestellter, Enzesfeld, Schloßstraße 620, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 25.809 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 1990, GZ 34 Ra 113/89-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6. Juni 1989, GZ 10 Cga 2341/87-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Arbeitsrechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Beklagte war Angestellter der Klägerin und wurde von ihr zum 30. Juni 1985 gekündigt. Nach Anfechtung dieser Kündigung beim Einigungsamt Graz sprach ihm das Erstgericht zu 13 Cga 188/85 mit Urteil vom 16.April 1987 den Betrag von S 361.756,50 brutto samt 4 % Zinsen seit 31.Dezember 1985 als Entgelt für die Zeit vom 1.Juli 1985 bis 31.Dezember 1985 mit der Begründung zu, daß die Kündigung zum 30.Juni 1985 nach dem ArbVG nicht rechtswirksam erfolgt sei. Dieses Urteil wurde der Klägerin am 25.Juni 1987 zugestellt. Die Klägerin überwies am 16.Juli 1987 einen Betrag von S 316.805,75 an den damaligen Vertreter des Beklagten, Rechtsanwalt Dr. T***, wobei sie den Dienstnehmeranteil an der Sozialversicherung in Höhe von S 23.581,50 abzog, den sie bereits am 6.Juli 1987 an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse überwiesen hatte. Darüber übermittelte sie dem Beklagten schon am 14.Juli 1987 eine Abrechnung. Über Antrag des Beklagten vom 11.August 1987 bewilligte das Exekutionsgericht Wien die Fahrnisexekution zur Hereinbringung eines restlichen Betrages von S 23.581,50 samt 4 % Zinsen seit 31.Dezember 1985 wider die Klägerin. Diese zahlte anläßlich des Exekutionsvollzugs am 18.September 1987 die betriebene Forderung samt Zinsen und Kosten in Höhe von insgesamt S 25.809 an den Gerichtsvollzieher.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von S 25.809 sA. Der Beklagte habe in Kenntnis des gesetzlichen Abzugs der Sozialversicherungsbeiträge rechtswidrig Exekution geführt. Die Klägerin habe die betriebene Forderung unter dem Druck des Vollzugs und nur deshalb gezahlt, um größeren Schaden zu vermeiden. Durch die im Exekutionsverfahren geleistete Zahlung sei der Beklagte bereichert.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin hätte den auf das Entgelt entfallenden Dienstnehmeranteil zur Sozialversicherung nicht abziehen dürfen. Sie habe durch die Rückzahlung dieses Betrages im Exekutionsverfahren ihre Schuld auch anerkannt und es unterlassen, gegen die Exekutionsbewilligung rechtliche Schritte zu setzen. Darüber hinaus treffe sie im Sinne des § 60 ASVG ein Verschulden an der nachträglichen Entrichtung der Beiträge, da sie spätestens seit der Zustellung des Bescheides des Einigungsamtes Graz vom 10.Oktober 1986, mithin seit Ende November 1986 habe wissen müssen, daß die Kündigung zum 30.Juni 1985 unwirksam gewesen sei. Das Einigungsamt habe bestätigt, daß es sich beim Beklagten nicht um einen leitenden Angestellten im Sinne des ArbVG gehandelt habe. Im übrigen habe die Klägerin noch im Dezember 1984 sowohl gegenüber dem Betriebsrat als auch gegenüber dem Aufsichtsrat bestritten, daß es sich bei der Betriebsstätte Brunn um einen organisatorisch selbständigen Betrieb handle. Ihr sei daher von vorneherein bekannt gewesen, daß auf Grund der unwirksamen Kündigung ein weiterer Entgeltanspruch des Beklagten für die Zeit von Juli bis Dezember 1985 bestanden habe. Der Beklagte habe alle ihm zugekommenen Zahlungen "gutgläubig verbraucht". Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Ansicht, es liege ein Anerkenntnis vor, wenn jemand unter dem Zwang eines Exekutionsverfahrens zahle, "abwegig" sei. Der Arbeitgeber müsse sein Abzugsrecht spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrags nächstfolgenden Entgeltzahlung ausüben, es sei denn, daß die nachträgliche Entrichtung der Beiträge nicht verschuldet sei. Im Sinne des § 60 ASVG genüge als Verschulden leichte Fahrlässigkeit; diese sei schon in einer nach dem ArbVG unwirksamen Kündigung zu erblicken. Die Klägerin hätte daher gemäß § 60 Abs 1 ASVG für den nachgezahlten Betrag keine Dienstnehmeranteile abziehen dürfen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, es dürfe der Klägerin nicht als Verschulden angelastet werden, daß sie im Verfahren 13 Cga 188/85 des Erstgerichts das Vorbringen des Beklagten bestritten habe. Ein Verschulden könne nur angenommen werden, wenn die Klägerin in diesem Verfahren geradezu mutwillig vorgegangen wäre und einen denkunmöglichen Rechtsstandpunkt vertreten hätte. Derartiges sei aber weder vorgebracht worden noch seien dafür Anhaltspunkte im Verfahren zu finden. Durch die Feststellung, daß die Kündigung des Beklagten rechtsunwirksam gewesen sei, sei erst dessen Anspruch auf Entgelt für die Zeit vom 1.Juli 1985 bis 31. Dezember 1985 klargestellt und die Judikatschuld mit der Zustellung des Urteils fällig geworden. Da die Klägerin die auf den Beklagten entfallenden Dienstgeberanteile mangels Zahlung eines Entgelts bisher noch nicht einbehalten habe, sei sie berechtigt gewesen, die gesamten auf dieses Entgelt entfallenden Dienstnehmeranteile einzubehalten.

Auch für den Fall der Annahme eines Verschuldens der Klägerin an der nachträglichen Zahlung wäre für den Beklagten nichts gewonnen. Die Klägerin habe nämlich bereits bei der ersten Zahlung an den Beklagten nach jeweiligem Eintritt der Fälligkeit der Beiträge im Juli bis Dezember 1985 den Dienstnehmeranteil abgezogen und damit den Bestimmungen des § 60 Abs 1 ASVG voll entsprochen. Daß vor dieser Zahlung andere Zahlungen gelegen wären, sei vom Beklagten nicht behauptet worden.

In einer Zahlung im Zuge eines Exekutionsverfahrens könne kein Anerkenntnis erblickt werden; bei Zahlung einer Nichtschuld im Sinne des § 1431 ABGB entstehe ein Kondiktionsanspruch. Davon, daß der Beklagte den exekutiv eingetriebenen Betrag redlich verbraucht habe, könne keine Rede sein, da er die ihm zugekommene Abrechnung gekannt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei Beurteilung der Frage des Verschuldens der Klägerin in der Beitragsentrichtung bei Entgeltnachzahlung zum Teil von der Judikatur des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, so daß schon aus diesem Grunde eine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 45 ASGG vorliegt; sie ist auch berechtigt.

Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, gewährt die Zahlung einer Nichtschuld unter dem Druck eines Vollstreckungsverfahrens ohne Rücksicht auf einen allfälligen Irrtum des Leisteneden einen Bereicherungsanspruch (SZ 43/60 ua). Darauf und auf den ebenso unzutreffenden Einwand des "gutgläubigen Verbrauchs" der exekutiv eingetriebenen Dienstnehmeranteile kommt der Revisionswerber auch nicht zurück.

Hinsichtlich der Zulässigkeit des Abzugs des Versichertenbeitrags (Dienstnehmeranteils) an den Sozialversicherungsbeiträgen vom Entgelt kommt es gemäß § 60 Abs 1 ASVG darauf an, ob den Dienstgeber an der verspäteten Beitragsentrichtung ein Verschulden trifft. Für den Fall einer vom Dienstgeber unverschuldeten Beitragsnachentrichtung ändert sich weder Beitragslast noch Beitragsschuldnerschaft, sondern es wird nur das Abzugsrecht dahin beschränkt, daß der Dienstnehmer durch die notwendig gewordene Beitragsnachentrichtung auf einmal nicht allzusehr belastet werden soll. Wenn der Dienstgeber zwar das Entgelt an den Dienstnehmer gezahlt, die Dienstnehmeranteile aber nicht oder nicht im vollen gesetzlichen Ausmaß einbehalten hat, darf er diese Beitragsanteile nur mehr insoweit einbehalten, als sie gemeinsam mit dem auf das laufende Entgelt entfallenden Anteil das Ausmaß der Dienstnehmeranteile für zwei Lohnzahlungszeiträume nicht übersteigen. Wenn hingegen der Dienstgeber auch das Entgelt an den Dienstnehmer, ohne daß ihn daran ein Verschulden trifft, nicht gezahlt und die darauf entfallenden Dienstnehmeranteile daher nicht einbehalten hat, darf er bei der Nachzahlung dieses Entgelts die gesamten auf dieses Entgelt entfallenden Dienstnehmeranteile einbehalten (Arb. 10.646 mwH; 9 Ob A 514/88).

Trifft hingegen den Dienstgeber an der verspäteten Beitragsentrichtung (Entgeltnachzahlung) ein Verschulden, darf er sein Abzugsrecht bei sonstigem Verlust nur spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrags nächstfolgenden Entgeltzahlung ausüben. Dieses Abzugsrecht geht aber auch dann verloren, wenn der Dienstgeber aus seinem Verschulden nicht nur mit der Beitragszahlung, sondern mit der gesamten Entgeltzahlung bzw. einer gebührenden Nachzahlung in Verzug gerät (9 Ob A 166/89; 9 Ob A 129,130/89; 9 Ob A 514/88).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist es daher für den Fall der verschuldeten nachträglichen Entgeltentrichtung nicht schlechthin entscheidend, daß die Klägerin bereits bei der ersten Zahlung nach der Fälligkeit der Judikatschuld die Dienstnehmeranteile abgezogen hat. Der Eintritt der Fälligkeit ist vielmehr nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Demnach sind gemäß § 58 Abs 1 ASVG die allgemeinen Beiträge am letzten Tag des Kalendermonats fällig, in den das Ende des Beitragszeitraums fällt. Die Fälligkeit der laufenden Versicherungsbeiträge richtet sich im Sinne der §§ 58 Abs 1 und 44 Abs 2 ASVG sohin nicht nach der tatsächlichen Auszahlung des Entgelts, sondern danach, wann dieses abzurechnen und auszuzahlen ist (§§ 15, 29 Abs 2 AngG; 9 Ob A 514/88; 9 Ob A 166/89 ua).

Soweit das Erstgericht ein Verschulden der Klägerin an der verspäteten Entgeltzahlung bereits in einer nach dem ArbVG unwirksamen Kündigung sah und das Berufungsgericht davon ausging, daß der Entgeltanspruch des Beklagten erst mit dem Urteil des Erstgerichtes vom 16.April 1987 klargestellt und mit der Zustellung des Urteils am 25.Juni 1987 fällig geworden sei, fehlt es dazu an jeglichen Feststellungen über das diesbezügliche Vorgehen der Klägerin. Der für ein Verschulden der Klägerin behauptungs- und beweispflichtige Beklagte stützte seine Behauptung, die Klägerin treffe ein vorwerfbares Verschulden an der verspäteten Entgeltzahlung und sohin an der nachträglichen Entrichtung der Beiträge unter anderem darauf, daß es der Klägerin von vornherein bekannt gewesen sei, daß es sich bei der Betriebsstätte Brunn nicht um einen organisatorisch selbständigen Betrieb gehandelt habe und der Beklagte kein leitender Angestellter im Sinne des ArbVG gewesen sei; diese Auffassung sei durch den Bescheid des Einigungsamtes Graz vom 10.Oktober 1986 bestätigt worden. Die damit angeschnittene Frage, zu welcher der Beklagte auch Beweise anbot, ob nämlich das betriebsverfassungsrechtliche Vorverfahren gemäß § 105 ArbVG hinsichtlich der Kündigung des Beklagten im Hinblick auf § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG überhaupt erforderlich gewesen wäre, wurde bisher nicht einmal erörtert.

Es bleibt dem Dienstgeber an sich unbenommen, ein seiner vertretbaren Ansicht nach nicht dem allgemeinen Bestandschutz unterliegendes Dienstverhältnis frist- und termingerecht zu kündigen. Daraus könnte entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ein Schuldvorwurf im Sinne des § 60 ASVG auch dann nicht abgeleitet werden, wenn die Kündigung nach Klärung der Tatsachen- und Rechtsfragen nachträglich als unwirksam erkannt wurde (vgl. Reischauer in Rummel, ABGB § 1305 Rz 1). Wäre hingegen bei gehöriger Aufmerksamkeit schon vorauszusehen gewesen, daß die Prozeßführung aussichtslos ist, kann die dadurch verursachte erhebliche Verzögerung der Entgeltzahlung als verschuldet im Sinne des § 60 ASVG angesehen werden. Dabei könnte aber auch unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung die Frage einer allfälligen Gegenforderung bzw. Anrechnung nach § 1155 ABGB eine Rolle spielen. Da sohin der wesentliche Fragenkomplex bisher nicht erörtert wurde, hat das Erstgericht noch ergänzende Feststellungen im aufgezeigten Sinn zu treffen. Es wird dabei insbesondere zu klären sein, unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen die Klägerin kündigte, welche Konsequenzen sich dazu aus dem Beschluß des Einigungsamtes Graz ergeben haben und ob sich die Klägerin wider besseres Wissen in eine aussichtslose Prozeßführung eingelassen hat.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

Anmerkung

E22007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00261.9.0926.000

Dokumentnummer

JJT_19900926_OGH0002_009OBA00261_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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