Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga F***, Kosmetikerin, Wien 1., Dominikanerbastei 10, vertreten durch Dr.Otto Philp und andere, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Christa K***, Geschäftsfrau, Wien 1., Schellinggasse 5, vertreten durch Dr.Lennart Binder, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 500.000 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 10.Oktober 1989, GZ 13 R 40/89-48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 26.September 1988, GZ 28 Cg 35/84-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 18.277,80 (darin S 2.886,30 an Umsatzsteuer und S 960 an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsanwalt Dr.Viktor Franz P*** starb am 21.2.1982. Sein Nachlaß wurde mit Einantwortungsurkunde des Bezirksgerichtes Inneres Stadt Wien vom 11.3.1987, 7 A 927/86-718, dem auf Grund des Gesetzes bedingt erbserklärten Erben Dr.Robert P*** als Sohn des Verstorbenen und der Beklagten als auf Grund des Testamentes vom 1.10.1977 bedingt erbserklärten Erbin je zur Hälfte eingeantwortet. In dem mit 4.6.1976 und 1.10.1977 datierten, eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testament hinterließ Dr.Viktor Franz P*** der Klägerin zu Lasten des Erbteils der Beklagten ein Geldlegat.
Mit der am 7.2.1984 erhobenen Klage begehrte die Klägerin zunächst die Verpflichtung der Verlassenschaft zur Zahlung von S 500.000 sA bei Exekution die Hälfte des Reinnachlasses. Der Verstorbene habe ihr einen Betrag von S 500.000 vermacht: Das Vermächtnis sei ein Jahr nach dem Tod fällig, von den Erben aber nicht bezahlt worden. Der Erblasser habe den Betrag von S 500.000 in seinem Testament weder auf S 50.000 korrigiert noch reduziert. Die Verlassenschaft reiche zur Befriedigung des Vermächtnisses aus, eine Unzulänglichkeit des Nachlasses müßte die beklagte Partei beweisen und für eine Kürzung nach § 692 ABGB konkrete Aufstellungen vorlegen. Nach Einantwortung des Nachlasses stellte die Klägerin die Bezeichnung der beklagten Partei von Verlassenschaft nach Dr.Viktor Franz P*** auf die Beklagte als eingeantwortete und mit dem Vermächtnis belastete Erbin richtig. In ihrem Schriftsatz vom 2.5.1988, ON 37, modifizierte sie ihr Begehren dahin, daß die Beklagte schuldig sei, ihr S 500.000 samt Anhang zu bezahlen. Die zunächst beklagte Verlassenschaft beantragte durch den bestellten Verlassenschaftskurator die Abweisung des Klagebegehrens. Dr.Viktor Franz P*** habe wohl zuerst in seinem Testament vom 4.6.1976 der Klägerin ein Vermächtnis von S 500.000 ausgesetzt. Er habe diesen Betrag aber in der Folge auf S 50.000 reduziert. Auch dieser Betrag sei noch nicht fällig, weil die Inventarisierung des Nachlasses noch nicht beendet sei und die Gefahr bestehe, daß der Nachlaß zur Bezahlung der Schulden und sonstigen pflichtmäßigen Auslagen nicht ausreiche. Solange diese Gefahr bestehe, seien die Erben nicht verpflichtet, ein Vermächtnis ohne Sicherstellung zu zahlen; eine Sicherstellung durch die Klägerin sei aber nicht erfolgt.
Die nach Einantwortung in den Rechtsstreit eingetretene Beklagte machte geltend, der Verstorbene habe das Legat für die Klägerin von allenfalls S 500.000 auf S 50.000 offensichtlich am 1.10.1977 reduziert, weil sich seine Beziehungen zu ihr seit 1977 auf gelegentliche Treffen, ein- bis zweimal jährlich, eingeschränkt und sich auch seine finanzielle Situation schon damals erkennbar verschlechtert habe. Bei dem erst Ende 1980 zustandegekommenen Verkauf einer in seinem Miteigentum gestandenen Liegenschaft in Wien sei auf ihn nur mehr ein Verkaufserlös von S 5 Mio. entfallen, wovon ihm wegen Übersiedlungskosten und Bankspesen nur S 1 Mio. verblieben sei. Es treffe insbesondere auf die Hälfte der Beklagten zu, daß der Nachlaß verschuldet sei. Der Reinnachlaß sei noch nicht ermittelt worden und sei auch nicht ermittelbar, solange noch Prozesse anhängig seien. Da die Beklagte eine bedingte Erbserklärung abgegeben habe, hafte sie nur bis zur Höhe des anteiligen Reinnachlasses. Dieser habe bis heute nicht festgestellt werden können, es stünden vielmehr weder die Aktiven noch die Passiven der Verlassenschaft fest.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es ging von folgendem Sachverhalt aus:
Das Testament des Dr.Viktor Franz P*** vom 4.6.1976 bzw 11.9.1976 und 1.10.1977 enthält eine Verfügung, wonach dieser zu Lasten des Erbteiles der Beklagten, die er als Erbin der Hälfte seines Vermögens einsetzte, der Klägerin einen Betrag von S 500.000 vermachte. Die Zahl 500.000 ist deutlich zu lesen, sie ist auch in Worten hinzugefügt. Der Erblasser hat dies nicht korrigiert, er hat auch keinen Korrekturvermerk angebracht. Es war keinesfalls sein Wille, der Klägerin nur S 50.000 zu vermachen.
Zwischen Dr.Viktor Franz P*** und der Klägerin bestand ab dem Jahr 1970 eine enge Beziehung. Dr.P*** traf die Klägerin wiederholt und erzählte gegenüber anderen Personen von der Klägerin, die er sehr schätzte, durchwegs Nettes und Positives. Er war auch der Beklagten sehr zugetan und schätzte sie vor allem in wirtschaftlichen Belangen. Dr.P*** war in den Jahren 1976 und 1977 ein sehr vermögender Mann und besaß einen ca 40 %-igen Anteil an einem Gebäude in Wien, in dem sich eine Möbelfabrik und einige Wohnungen befanden. Das Gebäude war mindestens S 20 Mio. wert, so daß sein Anteil etwa S 8 Mio. betrug. Beim Verkauf im Jahre 1980 erhielt er schließlich etwa S 6 Mio.
Nach dem Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien als des Verlassenschaftsgerichtes vom 11.3.1987, 7 A 927/82-717, betrugen die Nachlaßaktiven S 4,069.352,41.
In einem Schreiben vom 30.1.1983 an den Sohn des Verstorbenen gab die Beklagte selbst bekannt, daß ihr an die Klägerin auszuzahlendes Legat S 500.000 betragen wird.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, das Testament des Dr.Viktor Franz P*** enthalte ein Geldvermächtnis von S 500.000 zugunsten der Klägerin, mit dem die Beklagte als Erbin des halben Nachlasses belastet worden sei. Dieses Vermächtnis sei gemäß § 685 ABGB ein Jahr nach dem Tod des Erblassers, also am 21.12.1983, fällig geworden. Da der Beklagten die Hälfte des Nachlasses auf Grund ihrer bedingten Erbserklärung eingeantwortet worden sei, könnte ihr die Regelung des § 692 ABGB zugute kommen, wonach Legatare einen verhältnismäßigen Abzug erleiden, wenn die Verlassenschaft zur Bezahlung der Schulden, anderer pflichtgemäßer Auslagen und zur Berichtigung aller Vermächtnisse nicht hinreiche. Die Unzulänglichkeit des Nachlasses sei im Prozeß zu klären, wobei den Erben die Beweislast hiefür treffe, weil es um Tatsachen in seiner Sphäre zur Begründung einer ihm zustehenden Einwendung gehe. Der Beweis könne auch durch die Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens erbracht werden. Diese seien jedoch im Prozeß nicht bindend, sodaß im Prozeß weitere Beweise angeboten werden könnten. Da in dem das Verlassenschaftsverfahren beendenden und gleichzeitig mit der Einantwortung vom 11.3.1987 ergangenen Beschluß ON 717 von der Aufnahme der Passiva des Nachlasses ausdrücklich Abstand genommen worden sei, seien die Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens für den Beweis der Unzulänglichkeit des Nachlasses nicht geeignet. Auch eine Einsicht in den Verlassenschaftsakt hätte daher nichts in dieser Richtung ergeben können. Es sei aus diesem Grund durch die Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens aber auch keineswegs bescheinigt, daß die Gefahr der Unzulänglichkeit des Nachlasses zur Erfüllung des Vermächtnisses gegeben sei. Nach der Einantwortung des halben Nachlasses wäre es Sache der Beklagten als der belasteten Erbin gewesen, konkrete Behauptungen darüber aufzustellen, auf Grund welcher Schulden und sonstigen Lasten die ihr zugekommene Nachlaßhälfte zur Bezahlung des Vermächtnisses zugunsten der Klägerin nicht ausreiche, und entsprechende Beweise hiefür anzubieten. Die Beklagte habe nur ganz allgemein die Unzulänglichkeit des Nachlasses eingewendet und keine konkreten Behauptungen über bestimmte Schulden und Lasten aufgestellt, deretwegen die Verlassenschaft trotz der namhaften Aktiven nicht ausreichend wäre. Sie habe daher der ihr obliegenden Beweispflicht nicht entsprochen.
Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus den Revisionsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurück-, jedenfalls aber als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes erging am 10.10.1989, sohin vor dem Inkrafttreten der WGN 1989. Da der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld oder Geldeswert S 300.000 überstiegen hat, ist die Revision, da sie nicht etwa schon nach § 502 Abs 2 und 3 ZPO idF vor der WGN 1989 unzulässig ist, gemäß § 502 Abs 4 Z 2 ZPO idF vor der WGN 1989 ohne weitere Einschränkung zulässig.
Sie ist jedoch nicht berechtigt.
Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt die Beklagte, daß das Berufungsgericht die vom Erstgericht unterlassene Einsicht in den Verlassenschaftsakt nicht als Verfahrensmangel angesehen, sondern die Ansicht vertreten habe, eine derartige Einsicht wäre nicht geeignet gewesen, den Beweis der Unzulänglichkeit des Nachlasses zu erbringen. Es liege ein Fall der vorgreifenden Beweiswürdigung vor.
Rechtliche Beurteilung
Nach ständiger Rechtsprechung können aber angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt worden sind, nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden. Auch eine vorgreifende Beweiswürdigung ist nach dieser Rechtsprechung (entgegen der Meinung Faschings IV 311 f) in dritter Instanz nicht überprüfbar. Die Beklagte vermag im übrigen auch in ihrer Revision nicht konkrete Behauptungen über die Höhe der Nachlaßverbindlichkeiten aufzustellen, sie meint lediglich, dem Verlassenschaftsakt wäre zu entnehmen gewesen, wieviele Aktiv- und Passivprozesse vom Verlassenschaftskurator bearbeitet würden, welchen Stand diese Verfahren hätten und welcher Betrag nach Abzug der Kosten des Verlassenschaftskurators zur Auszahlung komme. Damit aber entspricht sie nicht der sie treffenden Behauptungs- und Beweislast (EvBl 1983/158, SZ 41/75, Welser in Rummel, ABGB, Rz 11 zu § 692).
Die Beklagte wendet sich unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens weiter dagegen, daß das Erstgericht das Originaltestament nicht beigeschafft, keinen graphologischen Sachverständigen (zum Beweis dafür, daß die Änderung des Betrages von S 500.00 auf S 50.000 mit dem letzten Datum des Testaments korreliere) beigezogen und Janusz F***, den Mann der Klägerin, nicht als Zeugen (darüber, daß die Klägerin ihre Beziehungen zum Erblasser beendet habe), vernommen habe. Auch diese, bereits in der Berufung gerügten Umstände hat die zweite Instanz ebenso wie die unterlassene Beischaffung des Verlassenschaftsaktes nicht als Verfahrensmangel anerkannt. Sie können daher nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden. Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht die Beklagte geltend, es sei unrichtig, davon auszugehen, daß sie konkrete Behauptungen über bestimmte Schulden und Lasten und deren Summe hätte aufstellen müssen, um die Unzulänglichkeit des Nachlasses zu beweisen. In § 692 ABGB werde ausdrücklich auf die Gefahr der Unzulänglichkeit verwiesen und nicht darauf, daß die Unzulänglichkeit tatsächlich gegeben sei. Im vorliegenden Fall stünden weder die Aktiven fest, noch auch die Passiven, weil die Kosten noch nicht bestimmt seien und eine Vielzahl von Verfahren anhängig sei. Das Verlassenschaftsverfahren sei trotz der Einantwortung im weiteren Sinn bis jetzt nicht abgeschlossen. Sei eine bedingte Erbserklärung abgegeben worden, habe eine Gläubigerkonvokation stattgefunden und sei das Verlassenschaftsverfahren noch nicht abgeschlossen, bestehe eine konkrete Gefahr der Unzulänglichkeit und es könnte die Zuerkennung der Klageforderung zwangsläufig zu einer Benachteiligung anderer Gläubiger führen. Die Klageforderung sei daher bis jetzt nicht fällig.
Nach § 685, zweiter Satzteil, ABGB, können "andere" (als die im ersten Satzteil der Bestimmungen angeführten) Vermächtnisse nach einem Jahr, vom Tod des Erblassers, gefordert werden. Zwar weicht diese gesetzliche Bestimmung der Fälligkeit der Vermächtnisforderung einem erkennbaren anderen Willen des Erblassers (Welser in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 685): Ein solcher wurde jedoch nicht festgestellt. Die Vermächtnisforderung wird von selbst, also ohne Einmahnung fällig, und zwar ohne Rücksicht auf den Stand der Verlassenschaftsabhandlung und die Einantwortung (Welser aaO Rz 4). Daß sie durch Veräußerungsverbote oder ähnliche nicht vorhersehbare Maßnahmen an der Berichtigung des Vermächtnisses gehindert wäre (Welser aaO), macht die Beklagte nicht geltend. Nun erleiden die Legatare gemäß § 692 ABGB dann einen verhältnismäßigen Abzug, wenn die Verlassenschaft zur Bezahlung der Schulden, anderer pflichtmäßiger Auslagen oder zur Berichtigung aller Vermächtnisse nicht zureicht. Es ist daher der Erbe, solange eine solche Gefahr obwaltet, nicht schuldig, Vermächtnisse ohne Sicherstellung zu berichtigen. Solange deshalb der Erbe (der Nachlaß) die Gefahr der Unzulänglichkeit des Nachlasses bescheinigen kann, hat er gegenüber dem Legatar insoweit eine aufschiebende, den Verzug und die Verjährung hemmende Einrede, als der geltend gemachte Legatsanspruch voraussichtlich von der Kürzung betroffen ist (Welser aaO, Rz 9 zu § 692): Es hat jedoch stets der Erbe (die Verlassenschaft) die Unzulänglichkeit der Verlassenschaft zu beweisen (Welser aaO, Rz 11 mwN). Die Beklagte aber hat nicht nur die Unzulänglichkeit der Verlassenschaft nicht bewiesen, sie hat nicht einmal konkrete Behauptungen hiezu aufgestellt. Die allgemein gehaltene Behauptung einer Gefahr der Unzulänglichkeit, weil es noch nicht abgeschlossene Verfahren gebe, die die Passiva beeinflußen könnten, reicht zur Abwehr des geltend gemachten Anspruches nicht aus. Auch die Gefahr muß konkret bestehen (Kralik in Ehrenzweig3, Erbrecht, 244). Mit Recht haben deshalb die Vorinstanzen dem Klagebegehren stattgegeben.
Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E21943European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00619.9.0927.000Dokumentnummer
JJT_19900927_OGH0002_0070OB00619_9000000_000