Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Oktober 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter M*** und einen anderen wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten Walter M*** und Josef F*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 12.Juni 1990, GZ 5 Vr 1238/90-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Tschulik, jedoch in Abwesenheit der beiden Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden (auf Grund der wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage) der am 6.Juni 1966 geborene Josef F*** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB sowie der am 15.September 1963 geborene Walter M*** des Vergehens der Unterlassung der Hilfeleistung nach § 95 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach haben sie am 14.November 1989 in Graz, und zwar
1. Josef F***,
a) den Heinz S*** durch Faustschläge am Körper verletzt, wobei S*** ein Schädelhirntrauma, eine Prellung des rechten Oberkiefers, eine Zahnprellung, einen Zahnausriß, ein Hämatom im rechten Jochbogenbereich und ein Monokelhämatom links erlitt, und
b) es unterlassen, dem Genannten, dessen Verletzung am Körper er verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten;
2. Walter M*** es bei dem oben bezeichneten Unglücksfall unterlassen, zur Rettung des verletzten und praktisch bewußtlosen Heinz S*** aus der Gefahr einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung die offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten.
Hingegen wurden sie von der Anklage, am 14.November 1989 in Graz im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter dem Heinz S*** durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten mit Gewalt gegen seine Person eine Geldbörse mit mindestens 1.000 S Bargeld mit Bereicherungsvorsatz weggenommen und hiedurch das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Josef F*** wurde wegen der ihm in derselben Anklageschrift außerdem angelasteten Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch und des gewerbsmäßigen schweren Betruges in dem insoweit zum AZ 5 Vr 2713/89 (des LGSt Graz) abgesondert geführten Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilt (ON 42).
Das nunmehrige Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft hinsichtlich beider Angeklagten mit einer auf die Gründe nach Z 5 und 8 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund (Z 5) wendet die Beschwerdeführerin gegen den Freispruch der beiden Angeklagten vom Anklagevorwurf des Raubes mit Recht ein, das Erstgericht habe das Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz. Dr. L*** mit Stillschweigen übergangen, demzufolge die Hose des Angeklagten M*** zahlreiche Auflagerungen der Blutgruppe 0, und zwar neben Blutspritzern und Wischspuren von Blut auch einen kleinkinderhandtellergroßen Blutfleck am rechten Bein links innen, aufgewiesen hat. Dieses mit der Urteilsfeststellung, wonach sich Walter M*** nicht an den Tätlichkeiten gegen Heinz S*** beteiligt hat, im Widerspruch stehende Verfahrensergebnis stimme mit dem Anzeigevorbringen des Heinz S*** überein, beide Angeklagte hätten auf ihn eingeschlagen und ihm Tritte versetzt, als er bereits am Boden gelegen sei.
Mag auch das Gutachten des Sachverständigen Dr. L***, wonach Walter M*** - anders als Josef F*** - dieselbe Blutgruppeneigenschaft 0 wie der Verletzte besitze, sodaß die Blutspuren an seiner Hose sowohl von ihm selbst als auch von Heinz S*** stammen können (S 37/II), für sich allein noch keine zureichende Begründung für die Feststellung bieten, daß die Verunreinigung der Hose des Walter M*** vom Blut des Heinz S*** herrührt, wäre eine Erörterung dieses wesentlichen Beweismittels gemäß § 270 Abs. 2 Z 5 StPO bei der Begründung des Freispruchs jedenfalls geboten gewesen; dies umso mehr, als der Angeklagte M*** zur Frage, worauf die objektivierten Blutspuren zurückzuführen seien, widersprüchliche Angaben gemacht hat. Während er vorerst das Vorhandensein von Blutflecken auf seiner Hose überhaupt bestritt (S 51, 153/I), brachte er in der Hauptverhandlung zunächst vor, daß er bei den gegen Heinz S*** ausgeübten Tätlichkeiten des Angeklagten F***, wie dieser auch selbst bestätigt, dazwischengetreten sei und den Angreifer zurückgehalten habe, wogegen er die Blutspuren am rechten (oberen) Unterschenkel schließlich auf eine eigene Verletzung an der rechten Wade zurückführte (S 76 ff, 125 ff/II). Demnach hätte das Erstgericht zu der Frage Stellung nehmen müssen, inwiefern aus den Blutauflagerungen auf der Hose des Angeklagten M***, soweit sie nicht von diesem selbst, sondern von Heinz S*** stammen, in Verbindung mit den übrigen Verfahrensergebnissen gefolgert werden kann, daß nicht nur der Angeklagte F***, sondern auch der Mitangeklagte M*** an Heinz S*** mit dem Vorsatz, diesen zu verletzen oder dessen Geldbörse wegzunehmen, Hand angelegt hat. Das Erstgericht hat zwar die Bedenken dargelegt, welche seiner Überzeugung nach gegen die Verläßlichkeit und Verwertbarkeit der Angaben des zur Tatzeit stark alkoholisierten Heinz S*** vor der Polizei sprechen, der trotz nicht unerheblicher Verletzungen ohne ärztliche Erlaubnis das Landeskrankenhaus Graz verlassen hat und in der Folge weder im Vorverfahren noch in der Hauptverhandlung zum Vorfall als Zeuge vernommen werden konnte (S 139, 140, 142/II). Dessen ungeachtet kann, wie die Generalprokuratur zutreffend dargelegt hat, nicht ausgeschlossen werden, daß die Tatrichter gerade bei Berücksichtigung der Blutspuren auf der Hose des Angeklagten M*** und des darauf bezugnehmenden Gutachtens des Sachverständigen zu einer anderen Beurteilung der Beweiskraft der in einem Aktenvermerk der Bundespolizeidirektion Graz vom 14. November 1989 wiedergegebenen Angaben des Verletzten gekommen wären, wonach beide Angeklagten auf ihn eingeschlagen und ihn getreten hätten (S 115/I).
Rechtliche Beurteilung
Der von der Staatsanwaltschaft zutreffend aufgezeigte Begründungsmangel über entscheidende Tatsachen macht eine Urteilsaufhebung und Verfahrenserneuerung erforderlich, wobei wegen des untrennbaren beweismäßigen Zusammenhanges auch die Frage, ob sich Josef F*** an den Tätlichkeiten mit Verletzungs- oder Raubvorsatz beteiligt hat, neuerlich zu prüfen sein wird. Sofern das Schöffengericht im erneuerten Verfahren abermals das Vorliegen eines Raubes verneinen und dem Angeklagten F*** wie auch allenfalls dem Angeklagten M*** (nur) den Tatbestand der Körperverletzung anlasten sollte, sei zum (weiteren) Beschwerdevorbringen der Staatsanwaltschaft der Vollständigkeit halber noch bemerkt, daß Gegenstand der Anklage der gesamte im Anklagetenor und in der Begründung der Anklageschrift - die ein einheitliches Ganzes bilden - enthaltene Sachverhalt ist. Das Gericht ist an die Auffassung des Anklägers nur gebunden, soweit die Straftat in der Anklage individualisiert ist; die Identität der Tat geht auch dann nicht verloren, wenn das Urteil abweichend von der Anklage andere, in den Rahmen des Gesamtverhaltens des Angeklagten fallende Handlungen, aus denen der strafgesetzwidrige Erfolg resultiert, in den Kreis seiner Erwägungen einbezieht und den in der Anklage individualisierten Sachverhalt einer anderen rechtlichen Beurteilung unterzieht. Erblickt das Gericht solcherart in der Tat eine andere als die in der Anklage bezeichnete strafbare Handlung, so hat es sich auf die Verurteilung wegen dieser strafbaren Handlung zu beschränken, jedoch keinen - vorliegend demnach verfehlt gewesenen - Freispruch von der strafbaren Handlung zu fällen, die die Tat nach Ansicht der Anklagebehörde darstellt (vgl. hiezu EvBl. 1989/140; Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 5 ff, 92 zu § 262; ENr. 8 ff zu § 281 Z 8).
Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E21826European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0140OS00095.9.1009.000Dokumentnummer
JJT_19901009_OGH0002_0140OS00095_9000000_000