TE OGH 1990/10/9 10ObS328/90

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Veröffentlicht am 09.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ilse F***, Pensionistin, D-4650 Gelsenkirchen, Holtwiesche 29, vertreten durch Dr. Harald W. Jesser und DDr. Manfred Erschen, Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei P*** DER A***

(Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Mai 1990, GZ 32 Rs 80/90-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 31. Oktober 1989, GZ 10 Cgs 110/89-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die zwischen der Klägerin und dem Versicherten Anton F*** am 24.12.1949 geschlossene Ehe wurde mit Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 26.1.1984, 6 Cg 464/82-43, aus dem alleinigen Verschulden des Versicherten Anton F*** geschieden. Nach den Feststellungen dieses Urteils war die Ehe der Streitteile schon seit längerer Zeit zerrüttet, weil sich die Ehegatten, bedingt durch das Verhalten des Mannes, nicht mehr verstanden. Er war zur Klägerin lieblos und zog es vor, seine Freizeit allein zu verbringen und seine eigenen Wege zu gehen. Beide Teile zeigten an der Fortsetzung der Ehe kein Interesse mehr. Daraus hatte das Kreisgericht Leoben rechtlich gefolgert, daß der Beklagte schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG begangen habe. Die Ehe sei daher aus seinem alleinigen Verschulden zu scheiden gewesen. In der letzten mündlichen Streitverhandlung dieses Scheidungsverfahrens schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Versicherte Anton F*** verpflichtete, der Klägerin mit Wirksamkeit ab 1.2.1984 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 1.000 zu leisten. Am 10.6.1988 verstarb der Versicherte. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt der Klägerin monatlich S 1.000 an Unterhalt bezahlt, dieser Betrag war von dem für den Versicherten zuständigen Rentenamt in der Bundesrepublik Deutschland im Exekutionsweg überwiesen worden. Erhöhungsanträge hatte die Klägerin nicht gestellt; es war auch weder eine vertragliche noch eine tatsächliche Erhöhung der Unterhaltszahlungen durch den Versicherten bis zum Zeitpunkt seines Todes eingetreten.

Auf Antrag vom 10.10.1988 anerkannte die beklagte

P*** DER A*** mit Bescheid vom 29.3.1989

den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension; sie setzte die Pension gemäß §§ 86 und 258 Abs 4 ASVG ab 1.7.1988 mit S 1.000 und ab 1.1.1989 mit S 1.021 monatlich fest.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegeende Klage mit dem Begehren auf Zuspruch einer Witwenpension in voller Höhe (§ 264 Abs 5 ASVG) mit der Begründung, daß der dem Anspruch zugrundeliegende Sachverhalt einer Scheidung gemäß § 55 EheG in Verbindung mit einem Verschuldensausspruch im Sinne des § 61 Abs 3 EheG gleichzuhalten sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das auf Gewährung der vollen Witwenpension ab 1.7.1988 gerichtete Klagebegehren ab, ohne einen Zuspruch im Sinne des außer Kraft getretenen Bescheides zu wiederholen. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und folgerte daraus rechtlich, daß es sich bei dem von der Klägerin angestrengten Scheidungsverfahren um eine "streitige" Scheidung gehandelt habe. Da keine Scheidung gemäß § 55 EheG erfolgt sei, sei für einen Antrag im Sinne des § 61 Abs 3 EheG und einen diesbezüglichen Scheidungsfolgenausspruch überhaupt kein Raum gewesen. Die Bemessung der Witwenpension richte sich daher ausschließlich nach § 264 Abs 4 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Die Klägerin mache zu Unrecht geltend, daß entgegen dem Wortlaut des § 264 Abs 5 ASVG, der ausdrücklich auf § 61 Abs 3 EheG hinweise, es sich hier um eine ungenaue legistische Formulierung handle, die eine ausdehnende Auslegung auf Fälle wie den gegenständlichen zulasse. Es sei nicht Aufgabe des beklagten Versicherungsträgers, auf Grund von Anträgen auf Witwenpension, die sich auf ein Ehescheidungsurteil stützen, das Scheidungsverfahren und den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt nachzuvollziehen und Überlegungen anzustrengen, welche Möglichkeiten dem Versicherten damals allenfalls offengestanden wären. Vielmehr habe die beklagte Partei ebenso wie das Gericht das rechtskräftige Scheidungsurteil als bindend seiner Prüfung zugrundezulegen. Mangels einer Scheidung gemäß § 55 EheG mit Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG seien die formellen Voraussetzungen für die Anwendung des § 264 Abs 5 ASVG nicht gegeben. Zudem habe sich der Gesetzgeber dafür entschieden, den schuldlos gegen seinen Willen geschiedenen Ehegatten - und nur einen solchen - unterhaltsrechtlich so zu stellen, als ob die Ehe nicht geschieden worden wäre. Eine ausdehnende Auslegung sei entgegen dem Wortlaut und der erklärten Absicht des Gesetzgebers nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin steht auf dem Standpunkt, es sei nicht einzusehen, daß sie bloß deshalb, weil der Versicherte (ihr Ehegatte) bei Bestehen der Möglichkeit einer Klagsführung nach § 55 EheG wegen mehr als sechsjähriger Trennung dennoch auf Scheidung der Ehe nach § 49 EheG geklagt habe, schlechter gestellt werden sollte. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß die Klägerin schließlich eine Widerklage eingebracht habe und die Ehe aus einem weit geringeren Verschulden als dem vom Scheidungskläger gesetzten Verschulden nach Abschluß eines Unterhaltsvergleiches sozusagen einvernehmlich geschieden worden sei. Der Klägerin sei ja kein anderer Ausweg geblieben. Es sei ihr nicht zumutbar gewesen, die auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage lediglich durch Einwand eines Mitverschuldens abzuwehren und dann nach langjähriger Prozeßführung erst wieder einer Klage nach § 55 EheG ausgesetzt zu sein, gegen die wegen der faktisch vorliegenden, mehr als sechsjährigen Trennung ein zweckdienliches Prozeßvorbringen gar nicht möglich gewesen wäre und die auch schon im Zeitpunkt der Einbringung der auf § 49 EheG gestützten Klage durchsetzbar gewesen wäre. Es sei der wahre Wille des Gesetzgebers, jedem Ehegatten, der sich wegen mehr als sechsjähriger Trennung und Auflösung der ehelichen Gemeinschaft einem Scheidungsbegehren nicht mehr widersetzen könne, die gleiche Behandlung wie einem nicht geschiedenen Ehegatten in unterhalts- und sozialrechtlicher Beziehung zu gewährleisten.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Gemäß § 264 Abs 4 ASVG darf die Witwenpension nach § 258 Abs 4 ASVG den gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes bestehenden und mit dem im Zeitpunkt des Pensionsanfalles für das Jahr des Todes geltenden Aufwertungsfaktor aufgewerteten Anspruch auf Unterhalt (Unterhaltsbeitrag)..... nicht übersteigen. Eine vertraglich oder durch gerichtlichen Vergleich übernommene Erhöhung des Unterhaltes (Unterhaltsbeitrages) bleibt außer Betracht, wenn seit dem Abschluß des Vertrages (Vergleiches) bis zum Tod nicht mindestens ein Jahr vergangen ist. Der zitierte Absatz 4 ist gemäß § 264 Abs 5 ASVG nicht anzuwenden, wenn a) das auf Scheidung lautende Urteil den Ausspruch nach § 61 Abs 3 des Ehegesetzes enthält, b) die Ehe mindestens 15 Jahre gedauert und c) die Frau (der Mann) im Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtskraft des Scheidungsurteiles das 40. Lebensjahr vollendet hat. Die Lehre spricht hier vom "begünstigten früheren Ehegatten", dessen Ehe wegen tiefgreifender unheilbarer Zerrüttung nach § 55 EheG geschieden wurde, sofern im Scheidungsurteil gemäß § 61 Abs 3 EheG das alleinige oder überwiegende Verschulden des klagenden Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe festgestellt ist (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 141 Rz 187; Schrammel in Tomandl, SV-System

4. ErgLfg. 124). Die leistungsrechtliche Begünstigung des nach § 55 EheG geschiedenen früheren Ehegatten wurde im Zusammenhang mit den Änderungen des Ehescheidungsrechtes verfügt. Gemäß § 55 Abs 1 EheG idF BGBl. 1978/280 kann jeder Ehegatte wegen tiefgreifender unheilbarer Zerrüttung der Ehe deren Scheidung begehren, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben ist. Dem Scheidungsbegehren ist unter anderem auf Verlangen des beklagten Ehegatten dann nicht stattzugeben, wenn der klagende Ehegatte die Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend verschuldet hat. Der Scheidungsklage ist gemäß § 55 Abs 3 EheG idF BGBl. 1978/303 aber jedenfalls Folge zu geben, wenn die häusliche Gemeinschaft seit 6 Jahren aufgehoben ist. Nach Ablauf dieser Frist kann daher die Ehe auch gegen den Willen des Partners und selbst dann geschieden werden, wenn den Kläger das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung trifft. In diesem Fall gibt § 61 Abs 3 EheG dem Beklagten das Recht, im Urteil den Ausspruch zu verlangen, daß den Kläger das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung trifft. An diesen Ausspruch sind weitreichende Folgen geknüpft. Enthält das Scheidungsurteil einen Ausspruch über das alleinige oder überwiegende Verschulden des Scheidungsklägers an der Zerrüttung der Ehe, so gilt für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten weiter § 94 ABGB (§ 69 Abs 2 EheG). Wie sich aus dem Bericht des Justizausschusses vom 6.6.1978, 916 Blg NR 14.GP, S. 2 ergibt, war es das grundsätzliche Anliegen des Gesetzgebers, den schuldlos gegen seinen Willen geschiedenen Ehegatten - und nur einen solchen - unterhaltsrechtlich so zu stellen, als ob die Ehe nicht geschieden wäre; diese Regelung ist nur dadurch gerechtfertigt, daß sich nach der seit 1.7.1978 geltenden Rechtslage der an der Zerrüttung nicht schuldige Eheteil auf Dauer nicht mit Erfolg gegen die Scheidungsklage des anderen wehren kann (Teschner/Fürböck ASVG MGA 49.ErgLfg. 1353 Anm.12 zu § 264; Schrammel aaO 125). Schon die bisherigen Ausführungen zeigen, daß der Rechtsstandpunkt der Klägerin nicht richtig sein kann. Wenngleich sie völlig schuldlos geschieden wurde, so läßt sie doch außer acht, daß die Ehe nicht gegen ihren Willen, sondern letztlich nur auf Grund der von ihr erhobenen, auf § 49 EheG gestützten Widerklage geschieden wurde. Wie dem Akt 6 Cg 260/82 des Kreisgerichtes Leoben (Ehescheidung F***) entnommen werden kann, hatte der klagende Ehemann nach Erörterung der Sach- und Rechtslage seine Ehescheidungsklage unter Anspruchsverzicht zurückgezogen (Protokoll vom 26.1.1984, ON 40 dA). Die Ehefrau Ilse F*** hielt jedoch ihre am 15.9.1982 zu 6 Cg 464/82 des Kreisgerichtes Leoben eingebrachte Widerklage aufrecht, schränkte das Klagebegehren auf die Eheverfehlungen der Lieblosigkeit und mangelnden ehelichen Gesinnung des Beklagten ein und schloß mit dem Mann für den Fall der rechtskräftigen Scheidung der Ehe den bereits genannten Unterhaltsvergleich. Daraus folgt, daß die Ehe einzig und allein auf Grund einer von der Frau aufrecht erhaltenen Klage geschieden wurde, wobei es nicht mehr entscheidend ist, ob diese Klage auf § 49 EheG oder § 55 EheG gestützt worden wäre, weil für den im Sinn des § 264 Abs 5 erforderlichen Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG in beiden Fällen kein Raum gewesen wäre. Die Klägerin konnte daher weder unterhaltsrechtlich noch kann sie pensionsrechtlich so gestellt werden, als ob ihre Ehe nicht geschieden wäre. Die oben aufgezeigten rechtspolitischen Erwägungen des Gesetzgebers, nämlich die gegen ihren Willen geschiedene Ehegattin, die an der Zerrüttung nicht schuldig ist und sich auf Dauer nicht mit Erfolg gegen die Scheidungsklage des anderen wehren kann, bei Gewährung der Witwenpension zu begünstigen, beruhen auf Unterschieden im Tatsächlichen und rechtfertigen daher eine unterschiedliche Regelung. Der Oberste Gerichtshof hat daher auch unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der Regelung des § 264 Abs 5 ASVG. Daß gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 258 Abs 4 ASVG keine Bedenken bestehen, hat der Oberste Gerichtshof bereits früher ausgesprochen (SSV-NF 2/27 ua).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E22208

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00328.9.1009.000

Dokumentnummer

JJT_19901009_OGH0002_010OBS00328_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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