Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik, Dr.Zehetner, Dr.Klinger und Dr.Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei "L***-M***", Leder- und Pelzwarenhandelsgesellschaft mbH, Wien 3., Löwengasse 47, vertreten durch Dr.Norbert Kosch, Dr.Ernst Schilcher, Dr.Jörg Beirer und Dr.Roman Kosch, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Fred E***, Angestellter, Theresienfeld, Kressgasse 34, vertreten durch Dr.Peter Schnabl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 130.000 S samt Anhang, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 12.Juli 1990, GZ 15 R 73/90-12, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 26.Februar 1990, GZ 2 Cg 412/89-9, behoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die rekursgerichtliche Zurückweisung des Antrages der beklagten Partei richtet, die Nichtigkeit der Zustellung der Klage und des Auftrages, die Klageschrift zu beantworten, festzustellen, zurückgewiesen. Im übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Rekursgericht eine neue Entscheidung über den Rekurs der beklagten Partei aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.
Text
Begründung:
Die Klage auf Zahlung von 130.000 S samt Anhang und der Auftrag, die Klage binnen 3 Wochen zu beantworten, wurden dem Beklagten laut Rückschein am 21.11.1989 durch Hinterlegung beim Zustellpostamt zugestellt, nachdem beim ersten Zustellversuch am 20.11.1989 die Ankündigung eines zweiten Zustellversuches und beim zweiten Zustellversuch am 21.11.1989 die Verständigung über die Hinterlegung in den Briefkasten eingelegt worden waren.
Am 14.12.1989 gab der Beklagte die Klagebeantwortung zur Post. Er brachte vor, daß dies fristgerecht geschehe, weil er sich von Montag (20.11.1989) früh bis Mittwoch (22.11.1989 spätabends im Ausland aufgehalten habe und die Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung erst am Donnerstag (23.11.1989) beheben habe können. Er beantragte die Feststellung, daß der Zustellvorgang nichtig sei, in eventu die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung. Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag ab, ohne über den Feststellungsantrag ausdrücklich abzusprechen. Es ging davon aus, daß der Beklagte bereits am Montag, dem 20.11.1989, an die Abgabestelle zurückgekehrt ist; der Zustellversuch am 20.11.1989 und die Hinterlegung am 21.11.1989 seien daher dem Zustellgesetz gemäß erfolgt. Am 29.11.1989 behob der Beklagte das Poststück, in weiterer Folge verreiste er geschäftlich in die C***. Die Klagebeantwortung sei verspätet erstattet worden. Ein Wiedereinsetzungsgrund liege nicht vor.
Das Rekursgericht wies aus Anlaß des Rekurses des Beklagten dessen Antrag auf Ausspruch der Nichtigkeit der Zustellung zurück und behob in Stattgebung des Rekurses den erstgerichtlichen Beschluß; den Revisionsrekurs ließ es nicht zu. Das Rekursgericht führte aus:
Der Beklagte sei am 20.11.1989 ortsabwesend gewesen. Wohl sei er noch am späten Abend dieses Tages von einer Geschäftsreise an die Abgabestelle zurückgekehrt, doch sei schon nach der Lebenserfahrung ein Unterschied zu machen, ob eine Person den Tag über außer Haus war und erst spätabends nach Hause kam oder ob sie nach einer längeren Abwesenheit von einer mehrtägigen Geschäftsreise spätabends zu Hause eintraf. Da selbst ein Vollkaufmann bei längerer Ortsabwesenheit keinen Postbevollmächtigten zu bestellen habe, sei die Zustellung der Klage entgegen § 17 ZustellG erfolgt. Die Klageschrift sei dem Beklagten am 29.11.1989 tatsächlich zugekommen, die Frist für die Klagebeantwortung habe demnach am 30.11.1989 zu laufen begonnen. Die Klagebeantwortung sei daher rechtzeitig erstattet worden. Über die Nichtigkeit eines Zustellvorganges könne nicht mit Beschluß abgesprochen werden, handle es sich doch lediglich um eine Vorfrage, über die nicht selbständig zu entscheiden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei ist insoweit schon mangels Beschwer unzulässig, als er sich gegen die Zurückweisung des Antrages des Beklagten richtet, die Nichtigkeit der Zustellung der Klage und des Auftrages zur Klagebeantwortung festzustellen. Er war daher in diesem Umfang zurückzuweisen. Im übrigen ist der Revisionsrekurs zulässig und auch berechtigt. Bei der eigenhändigen Zustellung ist eine Hinterlegung dann unwirksam, wenn der Empfänger zufolge Ortsabwesenheit von der Aufforderung, beim zweiten Zustellversuch anwesend zu sein, nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte oder wenn ihm zufolge Ortsabwesenheit für die Erstattung eines befristeten Schriftsatzes nicht ein gleicher Zeitraum zur Verfügung stand wie in einem ortsanwesenden Empfänger, an den nur wegen Abwesenheit von der Abgabestelle durch Hinterlegung zugestellt wurde (Fasching, Lehrbuch2, Rz 537 mwN; SZ 57/34 ua). Im vorliegenden Fall ist der Beklagte am späten Abend des 20.11.1989 an die Abgabestelle zurückgekehrt. Dafür, daß er von der an diesem Tag in den Briefkasten eingelegten Aufforderung, bei dem für den Folgetag vorgesehenen zweiten Zustellversuch anwesend zu sein, nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob er als an diesem Tag ortsabwesend zu betrachten wäre. Daß der Beklagte am 21.11.1989, dem Tag des zweiten Zustellversuches und der Hinterlassung der Hinterlegungsanzeige, ortsabwesend gewesen wäre, wurde nicht einmal vom Rekursgericht angenommen. Der Oberste Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, daß die Hinterlegung der Klageschrift und des Auftrages zur Erstattung der Klagebeantwortung am 21.11.1989 den Vorschriften des Zustellgesetzes entsprach. Die Klagebeantwortung wurde demnach verspätet zur Post gegeben, ohne daß es darauf ankäme, ob die Abholfrist schon am 21.11.1989 oder erst am 22.11.1989 begonnen hat.
Da das Rekursgericht - von der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht ausgehend, die Klagebeantwortung sei rechtzeitig erstattet worden - das Vorliegen des vom Beklagten behaupteten Wiedereinsetzungsgrundes nicht geprüft hat, war dem Revisionsrekurs im übrigen Folge zu geben, der angefochtene Beschluß, soweit er den erstgerichtlichen Beschluß behob, aufzuheben und dem Rekursgericht in diesem Umfang eine neue Entscheidung über den Rekurs des Beklagten aufzutragen.
Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E21909European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0050OB00599.9.1009.000Dokumentnummer
JJT_19901009_OGH0002_0050OB00599_9000000_000