Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Mag.Ernst Löwe als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Michael W***, Inhaber eines Reifenhandels, Linz, Wahringerstraße-Holzmüllerstraße, vertreten durch Dr.Eduard Saxinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Siegfried H***, geboren am 28.Dezember 1944, Arbeiter, Linz,
Kremplstraße 1/8/80, vertreten durch Dr.Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, wegen 53.736,60 S sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Juli 1990, GZ 13 Ra 66/90-15, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 22.Mai 1990, GZ 14 Cga 43/90-11, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Wegen Nichterscheinens des Beklagten zur Tagsatzung vom 27.März 1990 wurde auf Antrag der klagenden Partei ein dem Klagebegehren stattgebendes Versäumungsurteil gefällt, das dem Beklagten am 28. März 1990 zugestellt wurde. Mit am 18.April 1990 zur Post gegebenem, als "Berufung gegen das Versäumungsurteil vom 27.3.1990" bezeichnetem - inhaltlich als Widerspruch zu wertendem - Schreiben machte der Beklagte geltend, er sei am Erscheinen bei Gericht beruflich verhindert gewesen und habe dies dem Gericht telefonisch mitgeteilt. Er habe seine Tätigkeit für die klagende Partei vor fünf Jahren beendet; die geltend gemachten Forderungen seien jedenfalls verjährt. Im Zuge des Verbesserungsverfahrens wurde dem Beklagten die Verfahrenshilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigegeben. Nach Zustellung des entsprechenden Beschlusses am 7.Mai 1990 begehrte der Beklagte mit am (richtig) 16.Mai 1990 eingebrachtem Schriftsatz unter anderem die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der 14tägigen Widerspruchsfrist und erhob einen Widerspruch gegen das Versäumungsurteil; vorsichtshalber brachte der Beklagte vor, daß das Schreiben vom 18.April 1990 inhaltlich als Widerspruch zu behandeln sei. Dem Versäumungsurteil vom 27.März 1990 sei keine Rechtsmittelbelehrung angeschlossen gewesen; auch bei seiner Vorsprache bei Gericht, als man den Kläger auf den Rechtsanwaltszwang hingewiesen habe, sei er nur über die Möglichkeit der Berufung, nicht aber über die des Widerspruches belehrt worden. Von dieser Möglichkeit habe er erst durch ein Telefonat mit dem ihm beigegebenen Rechtsanwalt erfahren.
Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Der Beklagte habe den Erstrichter am Tag vor der Tagsatzung vom 27.März 1990 angerufen, um eine Verlegung zu erreichen. Bei diesem Telefonat sei der Beklagte auf die Möglichkeit der Vertretung hingewiesen worden; darüber hinaus sei ihm eine Belehrung über die ihm im Falle eines Versäumungsurteils offenstehenden Rechtsmittel erteilt worden. Demnach sei der Beklagte auch auf die Möglichkeit der Erhebung des Widerspruches binnen 14 Tagen hingewiesen worden. Das Vorbringen des Beklagten, er sei durch das Unterbleiben der Rechtsmittelbelehrung an der Einhaltung der Widerspruchsfrist gehindert gewesen, sei daher unrichtig.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß. Es vertrat die Rechtsauffassung, nur ein durch das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung ausgelöster Irrtum sei ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund. Der Beklagte habe vorgebracht, durch den Richter nur auf die Möglichkeit einer Berufung, nicht aber auch auf die des Widerspruches hingewiesen worden zu sein. Diese Behauptung habe sich als unrichtig herausgestellt. Daß die fehlende schriftliche Rechtsmittelbelehrung zu einem Irrtum des Beklagten über die unterschiedlichen Anfechtungsmöglichkeiten und die dabei einzuhaltenden unterschiedlichen Fristen geführt habe, sei nicht vorgebracht worden. Es sei auch nicht von Mißverständnissen, Flüchtigkeitsfehlern oder Erinnerungslücken die Rede, die das Vergessen der ausreichend erläuterten Widerspruchsmöglichkeiten erklären könnten und durch eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung vermieden worden wären. Selbst wenn man davon ausgehe, daß der Beklagte keine schriftliche Rechtsmittelbelehrung erhalten habe, sei ein Wiedereinsetzungsgrund nicht gegeben.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne einer Bewilligung der beantragten Wiedereinsetzung abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, weil die Rechtsmittelbeschränkung des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO gemäß § 47 Abs 1 ASGG in Arbeits- und Sozialrechtssachen nicht anzuwenden ist.
Der Rekurs ist auch berechtigt.
Mit dem im Wiedereinsetzungsantrag erstatteten Vorbringen, entgegen § 39 Abs 7 ASGG sei dem Versäumungsurteil keine Rechtsmittelbelehrung angeschlossen gewesen, erst durch seinen Rechtsanwalt sei der Beklagte auf die Möglichkeit des Widerspruches hingewiesen worden, machte der Beklagte entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes sehr wohl geltend, die Versäumung der Frist sei durch das Unterbleiben der schriftlichen Rechtsmittelbelehrung verursacht worden. Zieht man in Betracht, daß der Beklagte bei seinem Telefonat mit dem Gericht vor allem eine Verlegung der Tagsatzung vom 27.März 1990 anstrebte, kann ihm ein Vergessen oder ein nicht vollständiges Erfassen der mündlichen Belehrung über die Einzelheiten der ihm gegen das noch gar nicht erlassene Versäumungsurteil zur Verfügung stehenden Anfechtungsmöglichkeiten und die dabei einzuhaltenden Fristen in dem für ihn ungünstigsten Fall als Versehen minderen Grades im Sinne des § 146 Abs 1 ZPO angelastet werden, zumal der Beklagte damit rechnen konnte, diese Einzelheiten würden der dem Versäumungsurteil angeschlossenen schriftlichen Rechtsmittelbelehrung zu entnehmen sein. Da demnach der Wiedereinsetzungsantrag nur dann unberechtigt wäre, wenn feststünde, daß dem Versäumungsurteil eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung angeschlossen war (vgl. EvBl 1987/94), ist eine diesbezügliche Feststellung entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht entbehrlich.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf § 154 ZPO.
Anmerkung
E22030European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00217.9.1010.000Dokumentnummer
JJT_19901010_OGH0002_009OBA00217_9000000_000