TE OGH 1990/10/10 2Ob79/90

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Veröffentlicht am 10.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Zehetner und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. mj. Tamara B***, 2.) Richard B***, Kraftfahrer, 3. Jutta B***, Hausfrau, alle Hauptstraße 27, 3441 Freundorf, vertreten durch Dr. Thomas Herzka und Dr. Gerhard Duschek, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. W*** S*** Wechselseitige Versicherungsanstalt, 1010 Wien, Ringturm, 2. Karl F*** und

3. Maria F***, beide Landwirte, 3464 Hausleiten, alle vertreten durch Dr. Eduard Pranz, Dr. Oswin Lukesch und Dr. Anton Hintermeier, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 446.000 und Feststellung (Erstklägerin), S 178.200 und Feststellung (Zweitkläger) und

S 40.000 (Drittklägerin), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2. Mai 1990, GZ. 17 R 59/90-17, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 7. Dezember 1989, GZ. 28 Cg 16/89-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 19. Dezember 1987 ereignete sich im Gemeindegebiet von Tulln ein Verkehrsunfall. Beteiligt waren der Zweitkläger als Lenker eines von ihm gehaltenen PKWs sowie die Drittbeklagte als Lenkerin eines vom Zweitbeklagten gehaltenen, bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten PKWs. Im Fond des PKWs des Zweitklägers saß links dessen Ehegattin, die Drittklägerin, neben dieser lag auf einem Sitzpolster die damals sechseinhalb Monate alte Erstklägerin. Als sich der Unfall ereignete, wollte die Mutter dem Kind gerade das Fläschchen geben. Alle genannten Personen wurden bei dem Unfall verletzt (besonders schwer die Erstklägerin), beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Das Alleinverschulden der Drittklägerin am Unfall ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

Die drei Kläger machten Schadenersatzansprüche geltend, die Erstklägerin und der Zweitkläger stellten auch ein Feststellungsbegehren.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Einwendung der Beklagten von Bedeutung, den Zweitkläger treffe an den Verletzungen der Erstklägerin ein Mitverschulden von einem Drittel, weil das Kind im PKW mangelhaft verwahrt gewesen sei. Die Drittbeklagte habe an die Erstklägerin bisher S 200.000 bezahlt (laut Ersturteil wurden tatsächlich nur S 150.000 geleistet), ein Drittel davon, also S 66.666,66 würden als Gegenforderung gegenüber dem Zweitkläger eingewendet.

Das Erstgericht erkannte im Sinne der Feststellungsbegehren der Erstklägerin und des Zweitklägers und gab dem Leistungsbegehren aller drei Kläger teilweise statt (die Abweisung betrifft die Höhe der Ansprüche und ist für das Revisionsverfahren ohne Bedeutung). Das Erstgericht sprach aus, daß die eingewendeten Gegenforderungen nicht zu Recht bestehen. Es vertrat die Ansicht, den Zweitkläger treffe kein Mitverschulden an der Verletzung der Erstklägerin, da sich § 106 Abs 1 a KFG lediglich auf die Beförderung von Kindern auf den vorderen Sitzplätzen beziehe, während eine gesetzliche Regelung für die Verwahrung von Kleinkindern im vorliegenden Fall fehle. Selbst ein geringer Verstoß gegen die Verwahrungspflicht falle gegenüber der krassen Vorrangverletzung des Unfallsgegners nicht ins Gewicht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien in der Hauptsache nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision gegen das Urteil betreffend den Zweitkläger zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung, in welcher Form Kleinkinder im Alter von rund 7 Monaten bei der Beförderung zu verwahren seien, fehle. Die Verwendung besonderer zusätzlicher technischer Einrichtungen zum Schutz von Kindern sei gesetzlich nicht geboten, da insbesondere als ungeklärt anzusehen sei, wie weit allenfalls im Fachhandel angebotene "Kinderkörbchen" einen ausreichenden Schutz gewährleisten und wie weit die Verwendung herkömmlicher Kindersitze nicht eine zusätzliche Gefahrenquelle darstelle, die aus der geringen Körpergröße des Kindes und der daraus resultierenden mangelnden Funktion der Sicherheitsgurte dieser Kindersitze entstehe. Darüber hinaus habe das Erstgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß ein allfälliges diesbezügliches Verschulden in ein Verhältnis zu dem Verschulden der Drittbeklagten am Unfallshergang selbst zu setzen wäre. Im Hinblick auf die grobe Vorrangverletzung durch die Drittbeklagte würde somit eine Unterlassung einer besonderen Absicherung des Kleinkindes nicht mitverschuldensbegründend ins Gewicht fallen. Die Revision sei zuzulassen, weil es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der ausreichenden Verwahrung von Kleinkindern bei der Beförderung mit Personenkraftwagen fehle.

Die beklagten Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes insoweit mit Revision, als die eingewendete Gegenforderung gegen den Zweitkläger nicht mit S 50.000 als zu Recht bestehend angenommen wurde, machen den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Zuspruch gegenüber dem Zweitkläger um S 50.000 reduziert wird.

Die klagenden Parteien (richtig handelt es sich wohl nur um die Revisionsbeantwortung des Zweitklägers, da die Revision nur diesen betrifft) beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 1 ZPO), aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerber führen aus, das Mitverschulden des Zweitklägers beziehe sich sowohl auf seine Verantwortlichkeit als Lenker wie auch als Elternteil. Aus § 106 Abs 1 und 1 a KFG ergebe sich für den Lenker und Halter eines Fahrzeuges eine Verpflichtung, für die ordnungsgemäße und sichere Beförderung von Personen Sorge zu tragen. Im Fahrzeug nicht ordnungsgemäß verwahrte Gegenstände würden bei einer Bremsung im Fahrzeug herumgeschleudert, dies gelte auch für Kleinkinder, die einem Bremsvorgang hilflos ausgeliefert seien. Die sichere Verwahrung eines Kleinstkindes sei daher unbedingt erforderlich. Durch Beförderung in einer Tragtasche bzw. einem Kinderwagenoberteil oder das Halten durch einen Elternteil am Schoß würde ein Kind weit besser geschützt als beim ungeschützten Liegen auf dem Rücksitz. Auch wenn dem Kind das Fläschchen gegeben werde, könne es in einer Tragtasche liegen oder mit einem Arm gehalten werden. Der Zweitkläger habe daher gegen die Schutznorm des § 106 KFG verstoßen. Er habe überdies gegen seine Elternpflicht verstoßen.

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Gemäß § 106 Abs 1 KFG dürfen Personen mit Kraftfahrzeugen nur befördert werden, wenn deren Sicherheit gewährleistet ist. Sie dürfen nur so befördert werden, daß dadurch nicht die Aufmerksamkeit oder die Bewegungsfreiheit des Lenkers beeinträchtigt, seine freie Sicht behindert oder der Lenker oder beförderte Personen sonst gefährdet werden. Die übrigen Absätze des § 106 KFG haben für den vorliegenden Fall keine Bedeutung und zwar auch nicht der Absatz 1 a, denn diese Vorschrift betrifft nur die Beförderung von Kindern auf den unmittelbar hinter der Windschutzscheibe befindlichen Sitzplätzen. Entscheidend ist daher lediglich, ob daraus, daß gemäß § 106 Abs 1 KFG Personen nur befördert werden dürfen, wenn sie nicht gefährdet werden, abgeleitet werden kann, ein sechseinhalb Monate altes Kind dürfe nicht liegend auf der hinteren Sitzbank befördert werden. Anläßlich der Einführung des Verbotes der Beförderung von Kindern unter 12 Jahren auf den Vordersitzen durch die erste KFG-Novelle wurde im Ausschußbericht (510 Blg NR 12. GP 10) folgendes ausgeführt: "Kinder unter 12 Jahren können weder mit Sicherheitsgurten noch immer mit eigenen Kindersitzkörben für Kleinkinder geschützt werden. Sie sind meist auch noch nicht in der Lage, sich selbst in geeigneter Weise an Haltegriffen anzuhalten. Ein Verbot ihrer Beförderung auf Plätzen der vordersten Sitzreihe ist daher zur Erhöhung ihrer Sicherheit erforderlich." Der Gesetzgeber hat zum Schutz beförderter Kinder also die Vorschrift des § 106 Abs 1 a KFG erlassen, eine Möglichkeit, Kinder durch geeignete Vorrichtungen zu schützen, aber nicht gesehen (vgl. SZ 52/20). Ein Gebot, ein Kleinstkind entweder auf dem Schoß zu halten oder in einer Tragtasche bzw. einem Kinderwagenoberteil zu befördern, besteht nicht, derartiges kann der allgemeinen Vorschrift des § 106 Abs 1 KFG, Personen nur so zu befördern, daß sie nicht gefährdet werden, nicht entnommen werden. Beim normalen Fahrbetrieb wird ein auf dem Rücksitz neben einem Erwachsenen liegendes Kind keiner Gefahr ausgesetzt sein. Dem Zweitkläger kann daher kein Verstoß gegen § 106 KFG angelastet werden, es kann ihm auch nicht der Vorwurf gemacht werden, gegen seine Elternpflichten verstoßen zu haben. Es trifft ihn daher kein Mitverschulden an den schweren Verletzungen der Erstklägerin.

Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Bei der auf den §§ 40 und 50 ZPO beruhenden Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, daß das Rechtsmittel der Beklagten erfolglos blieb, der obsiegende Zweitkläger in der Revisionsbeantwortung aber keine Kosten verzeichnet hat.

Anmerkung

E21636

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00079.9.1010.000

Dokumentnummer

JJT_19901010_OGH0002_0020OB00079_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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