TE OGH 1990/10/11 6Ob648/90

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Veröffentlicht am 11.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Vormundschaftssache der mj. Nicole Angelika H***, geboren am 18. September 1974, infolge Revisionsrekurses des P*** DES O*** L*** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 28. Juni 1990, GZ 22 a R 75/90-46, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Zell am See vom 25. April 1990, GZ P 37/77-39, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß den §§ 3 und 4 Z 1 UVG abgewiesen wird.

Text

Begründung:

Die Minderjährige ist das uneheliche Kind des Pietro C***, der in Genf, Schweiz, lebt und dort auch beschäftigt ist. Der Vater war aufgrund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 2.5.1986 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 1.500,-- verpflichtet. Diese Unterhaltsleistungen erhöhte das Erstgericht mit Beschluß vom 14.5.1990 vom 1.10.1989 an auf S 2.500,--. Dem Akt ist allerdings nicht zu entnehmen, ob beziehungsweise wann dieser Beschluß dem Vater zugestellt worden ist.

Das Erstgericht bewilligte der Minderjährigen über Antrag des Unterhaltssachwalters mit Beschluß vom 25.4.1990 für die Zeit vom 1.4.1990 bis 31.3.1993 Unterhaltsvorschüsse von monatlich S 1.500,-- gemäß den §§ 3 und 4 Z 1 UVG mit der Begründung, die Exekutionsführung erscheine aussichtslos, weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten lasse, nicht bekannt sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, die Frage, ob Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3 und 4 Z 1 UVG zu gewähren seien, wenn der Unterhaltsschuldner im Ausland lebe, werde je nach dem Aufenthaltsstaat des Unterhaltsschuldners in der Rechtsprechung unterschiedlich gelöst. Das Rekursgericht halte jedoch angesichts des eindeutigen Wortlautes der genannten Gesetzesstellen in ständiger Rechtsprechung die Vorschußgewährung bereits dann für möglich, wenn die im § 3 Z 2 UVG angeführte Exekution im Ausland zu betreiben wäre. Davon abzugehen, biete der vorliegende Fall keinen Anlaß.

Rechtliche Beurteilung

Der vom P*** DES O*** L*** dagegen erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz zu dieser Frage nicht einheitlich ist (vgl. nur etwa EFSlg. 49.057 und 49.058 gegen EFSlg. 57.463 und 49.059). Er ist auch berechtigt.

Der Unterhaltssachwalter begründete den namens der Minderjährigen unter Berufung auf die §§ 3 und 4 Z 1 UVG gestützten Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen lediglich durch teilweise Wiederholung des Gesetzestextes. Gemäß § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos scheint, besonders weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten läßt, nicht bekannt ist.

Diese Bestimmung gibt zu manchen Zweifeln Anlaß. Vor allem die - im vorliegenden Fall entscheidende - Frage, ob Unterhaltsvorschüsse jedenfalls zu gewähren seien, wenn sich eine Exekutionsführung im Ausland als notwendig erweist, oder aber an Hand der konkreten Verhältnisse differenziert werden müsse, wurde von den Gerichten zweiter Instanz auch noch in jüngster Zeit unterschiedlich beantwortet.

Der erkennende Senat hat in seiner in EvBl 1990/121 veröffentlichten Entscheidung vom 10.5.1990, 6 Ob 589/90, ausgesprochen, daß die durch das Unterhaltsvorschußgesetz gewährten Ansprüche in erster Linie auf eine wirtschaftliche Sicherung bereits festgesetzter Unterhaltsansprüche abzielen, indem die öffentliche Hand anstelle des Unterhaltspflichtigen Leistungen erbringt, die aber nur aushilfsweise als Vorschuß auf die vom Unterhaltspflichtigen kraft Gesetzes geschuldeten Leistungen bestimmt sind. Das unterhaltsberechtigte Kind soll deshalb grundsätzlich zunächst die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Unterhaltsanspruches ausschöpfen. Nur aussichtslose Schritte können dem Unterhaltsvorschußwerber nicht zugemutet werden. Wenngleich diese Entscheidung in Erledigung eines auf § 4 Z 2 UVG gestützten Antrages ergangen ist, haben die dort angestellten Erwägungen auch für die Fälle des § 4 Z 1 UVG Gültigkeit. Soweit im Schrifttum (etwa Strauß-Bosch, UVG, 65, 67) die Meinung vertreten wird, Ziel des Unterhaltsvorschußgesetzes sei die "rasche und unbürokratische" Befriedigung von Unterhaltsansprüchen, kann sie nur vor diesem Hintergrund bestehen. Einem solchen Verständnis des Unterhaltsvorschußgesetzes steht - entgegen Knoll (KommUVG in ÖA § 3 und § 4 Z 1 Rz 22) - auch der Wortlaut des § 4 Z 1 UVG keineswegs entgegen: Diese Bestimmung hebt zwar die Notwendigkeit einer Exekutionsführung im Ausland als Beispiel einer aussichtslos scheinenden Exekutionsführung heraus, doch kann es nicht zweifelhaft sein, daß die im Ausland notwendige Exekutionsführung gegen den Unterhaltsschuldner etwa dann nicht aussichtslos ist, aber auch nicht aussichtslos "scheint", wenn der Aufenthalt und die Beschäftigung des Unterhaltsschuldners bekannt sind und die Vollstreckung durch internationale Verträge nicht bloß geordnet, sondern auch durch die konkrete Behördenpraxis gewährleistet ist.

Die Bestimmung des § 4 Z 1 UVG kann daher - entgegen den vom objektiven Wortsinn dieser Gesetzesstelle nicht gedeckten Materialien (276 BlgNR XV.GP, 8), die die vorstehenden Erwägungen außer acht lassen - bei Bedachtnahme auf die weiter oben dargelegten Zielsetzungen des Unterhaltsvorschußgesetzes nur so verstanden werden, daß es im Falle notwendiger Exekutionsführung im Ausland zwar nahe liegt, daß die Exekutionsführung aussichtslos scheint, daß aber das Gericht nicht jedweder Prüfung der Aussichtslosigkeit enthoben ist. Hätte der Gesetzgeber die Exekutionsführung im Ausland in jedem Fall der aussichtslos scheinenden Exekutionsführung im Sinne des § 4 Z 1 UVG gleichsetzen wollen, hätte er dies eindeutig - etwa in Form einer alternativen Aufzählung (zB "wenn....die Führung einer Exekution....entweder aussichtslos scheint oder die Exekution im Ausland geführt werden müßte") oder als Fiktion (etwa "Die Exekutionsführung im Ausland gilt als solche aussichtslos scheinende Exekution") - zum Ausdruck bringen müssen.

Für eine ausdehnende Auslegung der genannten Gesetzesbestimmung bieten weder die in der Entscheidung EvBl 1990/121 dargestellten Zielsetzungen des Gesetzes Anlaß, noch ist eine solche Auslegung angesichts der international geordneten gegenseitigen Vollstreckung auch nur geboten.

Der Entscheidung vom 11.7.1990, 2 Ob 582/90, die jedwede Exekutionsführung im Ausland als aussichtslos scheinende Exekutionsführung beurteilt, kann demnach nicht beigetreten werden. Diese Entscheidung stützt sich - vor allem - auf Erwägungen der Praktikabilität, insbesondere auf die Schwierigkeiten infolge der unterschiedlichen Rechtslage sowie des Erfordernisses der Einschaltung einer geeigneten Vertretung im Staat, in dem die Exekution zu führen ist, und der Prüfung der konkreten Verhältnisse in diesem Staat. Abgesehen davon, daß solche Erwägungen für die Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung nicht entscheidend sind, ist darauf hinzuweisen, daß sich die Jugendämter, die gerade auch in solchen Fällen zu Untersachwaltern bestellt werden, bei Vorliegen internationaler Vollstreckungsverträge im allgemeinen ohnehin der Amtshilfe der ihnen korrespondierenden Einrichtungen in den betreffenden Staaten bedienen können.

Im vorliegenden Fall ist der Aufenthalt des Unterhaltsschuldners in der Schweiz ebenso bekannt wie seine schon seit Jahren unveränderte Beschäftigung. Anstände bei Erbringung der Unterhaltsleistungen durch den unehelichen Vater der Minderjährigen sind nicht aktenkundig. Die gegenseitige Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen im Verhältnis zwischen der Schweiz und Österreich ist nicht nur durch das Übereinkommen vom 15.4.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (BGBl. Nr. 294/1961), dessen Vertragsstaat auch die Schweiz ist (BGBl. Nr. 39/1965), sondern auch durch den Vertrag vom 16.12.1960 zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (BGBl. Nr.125/1962) wohl geordnet, zumal Art.4 des letzteren Vertrages dessen Anwendungsbereich - anders als die frühere Rechtslage (vgl hiezu Matscher in JBl 1962, 358, 364) - ausdrücklich auch auf Entscheidungen über familienrechtliche Unterhaltsansprüche in Geld ausdehnte.

Bei der Beurteilung der Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung im Ausland dürfen zwar auch die praktischen Erfahrungen mit den damit befaßten Stellen des betreffenden Staats nicht außer acht gelassen werden, doch liegt es in solchen Fällen am Unterhaltssachwalter, auf solche Umstände in seinem Antrag hinzuweisen. Der aus dem Akt ersichtliche Rechtshilfeverkehr mit den Behörden des Kantons Genf läßt im übrigen auch auf eine "rasche und unbürokratische" Vollstreckung schließen.

Für eine aussichtslos scheinende Exekutionsführung gegen den Vater in der Schweiz finden sich somit nach der Aktenlage nicht die geringsten Anhaltspunkte, sodaß der Antrag auf Gewährung von Vorschüssen gemäß den §§ 3 und 4 Z 1 UVG in Stattgebung des Revisionsrekurses des P*** DES O*** L***

abzuweisen war.

Anmerkung

E22406

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00648.9.1011.000

Dokumentnummer

JJT_19901011_OGH0002_0060OB00648_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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