Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Alfred Hoppi und Oskar Harter (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl G***, Hochschüler, 2700 Wr. Neustadt, Burgenlandgasse 6/2/7, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER G*** W***
(L*** N***), 1051 Wien, Wiedner
Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Waisenpension infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juni 1990, GZ 33 Rs 85/90-10 womit das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2. Februar 1990, GZ 4 Cgs 758/89-6, aufgehoben wurde in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:
Das erstgerichtliche Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger die mit 30. September 1989 entzogene Waisenpension weiterzugewähren, wird abgewiesen."
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 7.9.1963 geborene Kläger bezog nach dem Tod seines bei der beklagten Partei versicherten ehelichen Vaters Kurt G*** über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus eine Waisenpension, weil er sich in einer Schulausbildung befindet (zunächst am Bundesoberstufenrealgymnasium in Wr. Neustadt, dann an der Universität Wien).
Mit Bescheid vom 28.8.1989 entzog die beklagte Partei diese Waisenpension mit Ablauf des 30. September 1989 wegen Vollendung des 26. Lebensjahres.
Die auf Weitergewährung der entzogenen Leistung gerichtete Klage stützte sich im wesentlichen darauf, daß der Kläger das nach der im Sommer 1982 am Bundesoberstufenrealgymnasium Wr. Neustadt bestandenen Reifeprüfung im Wintersemester 1982/1983 an der Universität Wien begonnene Studium der Biologie und Erdwissenschaften (Lehramt), für das 11 Semester vorgeschrieben seien, nicht mit der für den 31.7.1989 vorgesehen gewesenen zweiten Diplomprüfung habe abschließen können, weil seine 1988 begonnene, erstmals Ende März oder April 1989 vorgelegte, insgesamt sieben weitere Male vorgelegte und beanstandete Diplomarbeit etwa 14 Tage vor dem genannten Diplomprüfungstermin erstmals mit der Begründung nicht angenommen worden sei, daß noch chemische Analysen für Gewässer, die noch eine Jahresarbeit erfordert hätten, ausstünden. Am 28.7.1989 habe der betreuende Professor die Approbation der Diplomarbeit mit dieser Begründung endgültig abgelehnt. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, daß die Kindeseigenschaft über das vollendete 26. Lebensjahr hinaus nicht bestehe.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Es ging im wesentlichen von dem vom Kläger behaupteten Sachverhalt aus und stellte weiters fest, daß er seit Ende Oktober/Anfang November 1989 an einer von einem anderen Professor betreuten Diplomarbeit arbeitet und im Falle ihrer Annahme Ende Juli 1990 zur Diplomprüfung antreten könne.
Das Erstgericht führte die Verzögerung des Studienfortganges darauf zurück, daß der erste Betreuungsprofessor die Diplomarbeit nicht approbiert und dem Kläger dadurch die Möglichkeit genommen habe, zur letzten Diplomprüfung anzutreten. Dies sei ein wesentliches, den rechtzeitigen Studienabschluß hinderndes Ereignis, das die Weitergewährung der Waisenpension rechtfertige. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei dahin Folge, daß es das angefochtene Urteil aufhob und die Sozialrechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies.
Es vertrat die Rechtsansicht, der Kläger hätte das im Wintersemester 1982/1983 begonnene Studium, für das 11 Semester vorgeschrieben seien, frühestens mit Ende des Wintersemesters 1987/1988 abschließen können. Auch dann, wenn an das Kriterium der Unüberwindbarkeit eines Hindernisses strenge Anforderungen gestellt würden, hätte er das Hindernis für die für 31.7.1989 angesetzte Diplomprüfung trotz aller Bemühungen wegen der erst kurz vorher vom ersten Betreuungsprofessor der Diplomarbeit geforderten zeitaufwendigen Ergänzungen nicht rechtzeitig beseitigen können. Deshalb sei ein unüberwindbares Hindernis der Studienausbildung anzunehmen. Dennoch sei das erstgerichtliche Urteil aufzuheben, weil das Verfahren hinsichtlich des der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraumes, für den die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus weiterbestehe, nicht spruchreif sei. Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der nach § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 ZPO iVm § 47 Abs 2 ASGG zulässige, unbeantwortet gebliebene, als "Revisionsrekurs" bezeichnete Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, ihn durch ein klageabweisendes Urteil zu ersetzen oder die Vorinstanzen an die im Rechtsmittel vertretene Rechtsansicht zu binden.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Anspruch auf Waisenpension haben nach dem Tode des Versicherten Kinder iS des § 128 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 GSVG. Über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus wird Waisenpension nur auf besonderen Antrag gewährt (§ 138 leg cit).
Sind die Voraussetzungen des Anspruches auf eine laufende Leistung nicht mehr vorhanden, so ist die Leistung zu entziehen, sofern nicht der Anspruch gemäß § 68 GSVG ohne weiteres Verfahren erlischt (§ 67 Abs 1 leg cit), was jedoch hier nicht der Fall ist. Wenn der Entziehungsgrund nicht in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes des Anspruchsberechtigten gelegen ist, wird die Entziehung mit dem Ende des Kalendermonates wirksam, in dem der Entziehungsgrund eingetreten ist (Abs 2 der zit Gesetzesstelle).
§ 128 Abs 2 GSVG lautet in der vor der 13. GSVGNov geltenden, nach deren Art II Abs 8 ungeachtet der neuerlichen Novellierung durch die 15.GSVGNov im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung (zB Teschner in MGA ASVG 50.ErgLfg 1275 FN 9, 1276 FN 11 a unter Berufung auf eine im Einvernehmen mit dem BMAS ergangene Empfehlung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger vom 7.11.1989;
SSV-NF 3/7, 38, 49, 59 und 105):
"Die Kindeseigenschaft besteht auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und so lange das Kind 1. sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres; zur Schul- oder Berufsausbildung zählt auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, die Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden, so besteht die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum". Der erkennende Senat hat schon wiederholt dargelegt (SSV-NF 3/7, 49 und 105), daß der Gesetzgeber für den Begriff "anderes unüberwindbares Hindernis" dadurch einen Auslegungshinweis gab, daß er die in derselben Gesetzesstelle genannten Hinderungsgründe Wehrpflicht, Zivildienst und Krankheit ausdrücklich zu den "unüberwindbaren Hindernissen" zählte. Ein "anderes unüberwindbares Hindernis" ist jeder Umstand, der das Kind - wie die Erfüllung der Wehr- oder Zivildienstpflicht oder eine Krankheit - daran hindert, die Schul- oder Berufsausbildung rechtzeitig zu beginnen oder zu vollenden, und der trotz Aufbietung aller Anstrengungen nicht beseitigt werden kann.
Unter Berücksichtigung dieser Auslegung kann nicht gesagt werden, daß die Schulausbildung des Klägers durch ein unüberwindbares Hindernis verzögert wurde.
Der Kläger begann das Studium der Studienrichtung "Biologie und Erdwissenschaften (Lehramt an höheren Schulen)" in dem der Reifeprüfung unmittelbar folgenden Wintersemester 1982/1983. Nach der Studienordnung für diese Studienrichtung (Verordnung BMWF 25.3.1976 BGBl 129) besteht dieses Studium aus zwei Studienabschnitten und erfordert einschließlich der für die Anfertigung der Diplomarbeit und der in der Studienordnung für die pädagogische Ausbildung für Lehramtskandidaten und das Schulpraktikum vorgesehenen Zeit unbeschadet der Bestimmungen des § 5 Abs 5 und 6 des Bundesgesetzes über geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Studienrichtungen BGBl 1971/326 die Inskription von neun Semestern. Der erste Studienabschnitt umfaßt vier, der zweite fünf Semester. Nach § 8 der Studienordnung hat der Kandidat durch selbständige Bearbeitung eines Themas aus einem dem gewählten Studium zugehörigen Fach den Erfolg der wissenschaftlichen Berufsvorbereitung durch eine Diplomarbeit darzulegen, deren Thema einem dieser Studienrichtung zugehörenden Fach (einschließlich der entsprechenden Fachdidaktik) zu entnehmen ist (Abs 1). Der Kandidat ist berechtigt, das Thema der Diplomarbeit aus einer Anzahl von Vorschlägen der ihrem Fach nach zuständigen Universitätsprofessoren, em. Universitätsprofessoren, Honorarprofessoren und Universitätsdozenten nach Maßgabe der Bestimmungen des § 25 Abs 1 Allgemeines HochschulstudienG auszuwählen. Dem Universitätslehrer, der das Thema der Diplomarbeit vorgeschlagen hat, obliegt auch die Betreuung des Kandidaten bei der Ausarbeitung der Diplomarbeit sowie ihre Begutachtung (§ 8 Abs 2 der Studienordenung). Das Thema der Diplomarbeit ist auf Antrag des ordentlichen Hörers spätestens in den letzten zwei Wochen des drittletzten in die Studiendauer einrechenbaren Semesters zu vergeben. Ist die Anfertigung der Diplomarbeit jedoch an bestimmte Jahreszeiten gebunden, so hat die Vergabe iS des § 2 Abs 1 AHStG entsprechend früher zu erfolgen (§ 8 Abs 3 der StudienO). Die Diplomarbeit ist bei der Prüfungskommission zur Abhaltung der zweiten Diplomprüfung einzureichen (Abs 6 der zit Verordnungsstelle) und innerhalb eines angemessenen Zeitraumes zu begutachten, wobei die Bestimmungen des § 3 zu berücksichtigen sind (Abs 7 leg cit). Die Zulassung zur kommissionellen Ablegung des ersten Teiles der zweiten Diplomprüfung und zum zweiten Teil dieser Prüfung setzt ua die Approbation der Diplomarbeit voraus (§ 9 Abs 2 lit e der StudienO).
Aus den zitierten Bestimmungen der StudienO ergibt sich, daß das vom Kläger gewählte Studium einschließlich der für die Anfertigung der Diplomarbeit und der für die pädagogische Ausbildung für Lehramtskandidaten und für das Schulpraktikum vorgesehenen Zeit die Inskription von neun Semestern erfordert. Dem Kläger standen nach der im Sommer 1982 bestandenen Reifeprüfung bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres im September 1989 vom Wintersemester 1982/1983 bis zum Sommersemester 1989 14 Semester zur Verfügung. Obwohl das Thema der Diplomarbeit auf Antrag des ordentlichen Hörers spätestens in den letzten zwei Wochen des drittletzten in die Studiendauer einrechenbaren Semesters zu vergeben ist, das wäre nach der StudienO bei normalem Studienerfolg spätestens am Ende des siebenten Semesters, beim Kläger also am Ende des Wintersemesters 1985/1986 gewesen, begann der Kläger seine Diplomarbeit erst im Jahr 1988, also frühestens im letzten Monat des Wintersemesters 1987/1988, möglicherweise auch erst im Sommersemester 1988 oder gar erst im Wintersemester 1988/1989. Daß das Thema der Diplomarbeit entgegen den Bestimmungen der StudienO so spät vergeben worden wäre, daß es dem Kläger auch bei Aufbietung aller Anstrengungen nicht möglich gewesen wäre, sein Studium spätestens im Sommersemester 1989, also im 14. Semester, nach Approbation der Diplomarbeit durch Ablegung der zweiten Diplomprüfung zu beenden, wurde von ihm nicht einmal behauptet. Daß seine Diplomarbeit, die er erstmals Mitte des Sommersemesters 1989, also im 14. Semester, dem Universitätslehrer, dem seine Betreuung bei der Ausarbeitung dieser Arbeit und deren Begutachtung oblag, vorlegte, von diesem Universitätsprofessor negativ begutachtet wurde, so daß der Kläger mangels Approbation dieser Arbeit nicht - wie von ihm beabsichtigt - Ende Juli 1989 zum letzten Teil der zweiten Diplomprüfung zugelassen werden konnte, hätte er durch frühere Vorlage einer positiv zu beurteilenden Diplomarbeit verhindern können.
Daß das Studium durch die infolge der negativen Begutachtung seiner ersten Diplomarbeit erforderliche Ausarbeitung einer anderen Diplomarbeit weiter verzögert wurde, ist zwar richtig, doch wäre diese Verzögerung durch entsprechende Anstrengungen des Klägers ebenso vermeidbar gewesen wie etwa eine auf negative Prüfungsleistungen zurückzuführende Verzögerung.
Daraus folgt, daß die Kindeseigenschaft des Klägers iS des § 128 Abs 1 und Abs 2 GSVG, die eine Voraussetzung des Anspruches auf Waisenpension ist, seit der Vollendeung des 26. Lebensjahres des Klägers im September 1989 nicht mehr besteht. Deshalb war diese laufende Leistung zum Ende dieses Kalendermonates zu entziehen. Die Streitsache ist daher zur Entscheidung reif. Deshalb konnte der Oberste Gerichtshof nach § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über den berechtigten Rekurs der beklagten Partei in der Sache selbst erkennen und das auf Weitergewährung der Waisenpension über den 30.9.1989 hinaus gerichteten Klagebegehren durch Urteil abweisen.
Anmerkung
E22512European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00339.9.1023.000Dokumentnummer
JJT_19901023_OGH0002_010OBS00339_9000000_000