Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Oskar Harter (Arbeitgeber) und Claus Bauer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Adalbert S***, Pensionist, 6020 Innsbruck, Neu-Rum, Innstraße 50/6/298, vertreten durch Dr.Franz Pegger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei P***
DER A*** (Landesstelle Salzburg), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 7 C V 122/84 des (damaligen) Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Tirol in Innsbruck, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Juli 1990, GZ 5 Rs 35/90-35, womit der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 19. Oktober 1989, GZ 43 Cgs 40/89-24, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der am 13.4.1927 geborene Kläger bezog seit 30.1.1976 eine zunächst befristete Invaliditätspension, die gemäß dem am 27.7.1978 vor dem Schiedsgericht der Sozialversicherung für Tirol zu 7 C II 23/78 geschlossenen Vergleich ab 1.12.1976 unbefristet weitergewährt wurde. Mit Bescheid vom 8.7.1982 sprach die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter aus, daß diese Invaliditätspension ab 1.5.1980 wegen Auslandsaufenthaltes des Klägers und Verbüßung einer Freiheitsstrafe gemäß § 89 Abs 1 Z 1 und 3 ASVG ruhe und der Überbezug bis 31.7.1980, S 9.930,10 betrage. Der Kläger halte sich seit April 1980 im Ausland auf. Mit Bescheid vom 1.2.1983 wurde dieses Ruhen der Pension mit Wirkung vom 13.12.1982 wieder aufgehoben, weil der Kläger seit diesem Tag wieder in Österreich sei.
Am 11.4.1984 beantragte der Kläger bei der beklagten Partei die Herstellung des gesetzlichen Zustandes und die Nachzahlung der ruhenden Beträge, weil er im genannten Zeitraum unschuldig in Pakistan festgehalten worden sei. Die beklagte Partei lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25.4.1984 mit der Begründung ab, daß weder ein Irrtum noch ein offenkundiges Versehen vorgelegen sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger zu 7 C V 122/84 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Tirol rechtzeitig Klage. Er sei in der afghanischen Botschaft in Pakistan verhaftet und dann wegen Aufhetzung bzw Aufstandes, Spionage und Weitergabe von Waffen an Konterrevolutionäre zu 8 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurden. Am 11.12.1982 sei er über Intervention des Bundesministeriums für Äußeres freigelassen worden und nach Österreich zurückgekehrt. Die genannten Tatbestände hätten im österreichischen Strafrecht keine Deckung und verstießen gegen den ordre public. Die Haftzeit in Afghanistan hätte auch nicht aus Auslandsaufenthalt gewertet werden dürfen.
Dieses Klagebegehren wurde mit Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Tirol vom 20.9.1984, 7 C V 122/84-6, abgewiesen. Gemäß § 89 Abs 1 Z 3 ASVG ruhten Leistungsansprüche aus der Pensionsversicherung, solange sich der Leistungsempfänger im Ausland aufhalte, wobei es nicht darauf ankomme, ob dieser Auslandsaufenthalt gewollt sei. Auch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe im Ausland sei als Auslandsaufenthalt anzusehen. Die Voraussetzungen für eine Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG seien daher nicht gegeben. Das Oberlandesgericht Wien als damaliges Höchstgericht in Leistungsstreitsachen gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge (8.1.1985, 32 R 270/84 = SSV 25/2).
Mit der vorliegenden, am 28.3.1989 zu Protokoll gegebenen Wiederaufnahmsklage behauptet der Kläger, er habe in den letzten drei bis vier Wochen Beweismittel gefunden, deren Benützung in dem eben genannten wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Der Kläger sei erst im Mai 1980 von Österreich ausgereist, die Haft in Afghanistan sei ungesetzmäßig gewesen und eine Verurteilung sei nie erfolgt. Die Haftzeit sei daher zu Unrecht als Auslandsaufenthalt gewertet worden. Das Erstgericht wies diese Wiederaufnahmsklage als unzulässig zurück. Die geltend gemachten neuen Beweismittel, nämlich der Reisepaß des Klägers, das Schreiben des Bundesministeriums für Justiz vom 3.3.1984, wonach die in Afghanistan erlittene Verurteilung im Hinblick auf die dem Kläger zur Last gelegten Deliktstypen zu keiner Eintragung in das österreichische Strafregister geführt habe, und der Zeuge Adolf H***, der damalige österreichische Botschafter in Afghanistan, seien dem Kläger bereits vor Schluß der Verhandlung erster Instanz im wiederaufzunehmenden Vrefahren (also vor dem 20.9.1984) bekannt gewesen (§ 530 Abs 2 ZPO). Im übrigen wären die neuen Beweismittel nach der Rechtslage auch gar nicht geeignet gewesen, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Das Rekursgericht gab dem vom Kläger erhobenen Rekurs nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und ergänzte, daß die rechtliche Beurteilung im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht Gegenstand einer Wiederaufnahmsklage sei. Die Behauptung des Rekurswerbers, Österreich erst am 5. oder 15.Mai 1980 verlassen zu haben, könne mit dem neuen Beweismittel des Reisepasses nicht mehr bewiesen werden, weil feststehe, daß der Kläger diesen Reisepaß bereits am 9.1.1984 zurückgestellt erhalten und seitier in Händen habe, also lange vor Schluß der Verhandlung erster Instanz im wiederaufzunehmenden Verfahren. Zwar könne das gesundheitlich begründete Vergessen eines Beweismittels einem Wiederaufnahmskläger nicht als Verschulden angerechnet werden, doch habe der schon in erster Instanz qualifiziert vertretene Kläger ein solches Vergessen gar nicht behauptet. Das Erstgericht hätte den Kläger auch nicht anleiten müssen, sein Wiederaufnahmsbegehren darauf zu stützen, daß er wegen der Haftfolgen die nun vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel vergessen habe; eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens liege nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Kläger erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichtes, daß die vorliegende Wiederaufnahmsklage auf keinen gesetzlich zulässigen Anfechtungsgrund gestützt wurde und demzufolge nach § 543 ZPO zurückzuweisen war, ist zutreffend. Ergänzend ist den Rechtsmittelausführungen entgegenzuhalten:
Gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO müssen die neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet sein, eine günstigere Entscheidung über den Streitgegenstand des Vorprozesses innerhalb von dessen Grenzen herbeizuführen (Fasching Komm IV 513 f, 541; derselbe ZPR2 Rz 2068 mwN; 10 Ob S 438/89 = RZ 1990, 173/71). Bei Unschlüssigkeit ist die Wiederaufnahmsklage in jeder Lage des Verfahrens mit Beschluß zurückzuweisen (SSV-NF 1/40 mwN; RZ 1990, 173/71). Gemäß § 530 Abs 2 ZPO ist wegen der in Abs 1 Z 7 leg cit angegebenen Umstände die Wiederaufnahme nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der Verhandlung erster Instanz geltend zu machen (vgl dazu Fasching aaO Rz 2067).
Die Abweisung der Klage im Vorprozeß erfolgte unter anderem deshalb, weil beide Instanzen an der schon früher in Lehre und Rechtsprechung vertretenen Rechtsansicht festhielten, daß Leistungsansprüche in der Pensionsversicherung gemäß § 89 Abs 1 Z 3
ASVG auch dann ruhen würden, wenn sich der Anspruchsberechtigte infolge höherer Gewalt oder Zufalles, also gegen seinen Willen und gezwungenermaßen, im Ausland aufhalte und daß auch die Verbüßung einer - ob zu Recht oder nicht und unter welchen Begleitumständen immer verhängten - Freiheitsstrafe im Ausland als Auslandsaufenthalt gelte (so das Urteil des OLG Wien vom 8.1.1985, 32 R 270/84 = SSV 25/2). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht wäre die Klage im Vorprozeß auch abgewiesen worden, hätte der Kläger die nunmehr zur Dartuung seiner menschenrechtswidrigen Inhaftierung in Afghanistan geltendgemachten Tatsachen und Beweismittel damals ins Treffen geführt. Angebliche Fehler bei der rechtlichen Beurteilung sind nämlich als Wiederaufnahmsgrund ausgeschlossen (Fasching aaO Rz 2053).
Soweit sich der Wiederaufnahmskläger zum Beweis dafür, daß er Österreich nicht im April 1980, sondern erst am 5. oder am 15.Mai 1980 verlassen habe, auf seinen Reisepaß berief, steht für den Obersten Gerichtshof bindend fest, daß er diesen Paß bereits seit 9.1.1984 (also vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Vorprozeß) in Händen hatte, woraus sich die Unzulässigkeit dieses Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs 2 ZPO ergibt. Gründe, warum er ohne sein Verschulden außerstande gewesen sei, das neue Beweismittel damals geltend zu machen, hat der qualifiziert vertreten gewesene Kläger in erster Instanz nicht behauptet. Ein im Zusammenhang damit gerügter Verfahrensmangel, nämlich die Verletzung der Anleitungspflicht nach § 39 Abs 2 Z 1 ASGG (das Erstgericht hätte ihn anleiten sollen, sich auf das Vergessen bekannter Tatsachen und Beweismittel zu stützen - vgl Fasching aaO Rz 2067), wurde vom Rekursgericht verneint. Ein solcher angeblich dem Erstgericht unterlaufener und vom Rekursgericht verneinter Verfahrensmangel kann in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden. Dieser Grundsatz wurde zwar bisher nur für die Verneinung von Mängeln durch
das Berufungsgericht aufgestellt (SSV-NF 1/32 = SZ 60/197, SSV-NF
3/115 = JBl 1990, 535 uva), er muß aber analog auch für solche
Mängel gelten, deren Vorliegen vom Rekursgericht verneint wurde. Ausgehend von der Bestimmung des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO idF vor der WGN 1989 (nunmehr § 519 Abs 1 Z 1 ZPO), wonach die Entscheidung des Berufungsgerichtes, welche die wegen Nichtigkeit erhobene Berufung verwarf, nicht angefochten werden konnte (MietSlg 38.799 mwN uva), hat der Oberste Gerichtshof bereits früher keinen Grund gesehen, in den durch die ZPO geregelten Verfahren eine Nichtigkeit im Rekursverfahren anders zu behandeln als im Berufungsverfahren; der gebotene Analogieschluß führe dazu, daß der Oberste Gerichtshof auf Grund eines Rekurses ebenfalls eine Nichtigkeit, die das Gericht zweiter Instanz nicht als gegeben ansah, nicht mehr wahrnehmen könne (JBl 1989, 389). Dieser für die Nichtigkeit im Rekursverfahren entwickelte Gedanke muß aber nach dem Größenschluß auch für die Mangelhaftigkeit gelten. Auf die im Revisionsrekurs vorgetragene Mängelrüge kann daher nicht mehr eingegangen werden. Die vom Rekursgericht bejahte Frage, ob mit Rücksicht auf das - nach neuerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 3/76) - dem wiederaufzunehmenden Verfahren entgegenstehende Prozeßhindernis der Unzulässigkeit des Rechtsweges für die vorliegende Wiederaufnahmsklage überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl Fasching aaO Rz 1710 ff), braucht nicht beantwortet zu werden, weil die Klage aus anderen Überlegungen als unzulässig zurückzuweisen war.
Dem Revisionsrekurs mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 uva).
Anmerkung
E22495European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00349.9.1023.000Dokumentnummer
JJT_19901023_OGH0002_010OBS00349_9000000_000