Index
41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des ÜK in S, vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 1. Oktober 2003, Zl. Gem(Stb)-417077/15-2003- Dor, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß § 12 Z 1 lit. a in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985" (StbG) ab.
Die belangte Behörde begründete dies mit Verstößen gegen österreichisches Recht, die der seit 1973 mit ständigem Hauptwohnsitz in Österreich lebende Beschwerdeführer zu verantworten habe. Hiezu traf die belangte Behörde - nach einem einleitenden Hinweis auf "zumindest zehn" Fälle nur zusammenfassend dargestellter Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen im Zeitraum 7. November 1997 bis 20. Februar 2002 - Feststellungen über strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers.
Am 17. Jänner 1992 habe der Beschwerdeführer durch ein vorschriftswidriges Überholmanöver auf der Westautobahn einen PKW von der Fahrbahn abgedrängt, dadurch den Lenker dieses Fahrzeuges und dessen Beifahrer fahrlässig schwer am Körper verletzt und die Fahrt fortgesetzt, ohne ihnen die notwendige Hilfe zu leisten. Hiefür sei er mit einem vom Oberlandesgericht Wien bestätigten Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 10. November 1992 zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt worden.
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 9. Juli 1997 sei der Beschwerdeführer zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden, weil er als Schuldner eine Depotzahlung von S 50.000,-- verschwiegen und dadurch einen Bestandteil seines Vermögens verheimlicht bzw. beiseitegeschafft habe. Der Beschwerdeführer sei (im selben Urteil) auch schuldig befunden worden, vor dem Bezirksgericht Linz ein unvollständiges Vermögensverzeichnis unterzeichnet, hiebei ein weiteres Einkommen aus dem Betrieb einer Gastwirtschaft verschwiegen und dadurch die Befriedigung eines Gläubigers gefährdet zu haben.
Am 12. November 1997 habe der Beschwerdeführer in Steyr als Lenker eines Kraftfahrzeuges die im Straßenverkehr gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen, indem er entgegen der Bestimmung des § 20 Abs. 2 StVO im Ortsgebiet mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h unterwegs gewesen sei. Infolge der überhöhten Geschwindigkeit habe er eine Kollision mit einer die Straße überquerenden Radfahrerin nicht vermeiden können, wodurch die Radfahrerin tödliche Verletzungen erlitten habe. Dafür sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Steyr vom 19. Jänner 1998 zu einer Geldstrafe in der Höhe von 150 Tagessätzen verurteilt worden. Hinsichtlich der vorangegangenen Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe sei die Probezeit verlängert worden.
Schließlich sei der Beschwerdeführer auch noch mit Strafverfügung des Finanzamtes Steyr, rechtskräftig seit 2. Oktober 2000, wegen des Vergehens der Abgabenhinterziehung zu einer Geldstrafe von S 50.000,-- verurteilt worden.
Aus diesen Sachverhalten ergebe sich ein Charakterbild des Beschwerdeführers, das befürchten lasse, er werde auch in Zukunft wesentliche, die öffentliche Sicherheit regelnde Vorschriften missachten bzw. sich nicht rechtskonform verhalten. Der Beschwerdeführer habe sich durch die erste gerichtliche Verurteilung nicht zu Sorgfalt und Aufmerksamkeit im Straßenverkehr verhalten lassen, weshalb es zu einem Verkehrsunfall mit tödlichen Verletzungen habe kommen können, und er habe im Zusammenhang mit der Gefährdung bzw. Vereitelung der Befriedigung eines Gläubigers und bei der Abgabenhinterziehung wesentliche Normen des Strafgesetzbuches und des Finanzstrafgesetzes missachtet. Sein Verhalten lasse "auf eine Charaktereigenschaft schließen, wonach es ihm zu allererst um seinen eigenen Nutzen geht, ohne Rücksicht auf die daraus folgende Benachteiligung oder gar Gefährdung anderer Menschen". Die Tatsache, dass er sich "in letzter Zeit nicht neuerlich strafbar gemacht" habe, ändere an dieser Gesamtbeurteilung nichts, sodass die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht erfüllt sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen geltend gemacht, bei der Bestrafung des Beschwerdeführers sei jeweils von einer günstigen Zukunftsprognose ausgegangen worden und er befinde sich "nach wie vor im Besitze einer gültigen - und ohne Einschränkungen bzw. Auflagen verbundenen - Lenkerberechtigung". Davon abgesehen handle es sich um Fakten, die angesichts des jahrzehntelangen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich nicht ausreichend gravierend seien, um das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG zu verneinen.
Gemäß § 12 Z 1 lit. a in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z 6 StbG setzt die Verleihung der Staatsbürgerschaft auch in einem Fall wie dem vorliegenden (mindestens dreißigjähriger ununterbrochener Hauptwohnsitz im Bundesgebiet) u.a. voraus, dass der Verleihungswerber nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.
Verhaltensweisen wie die vom Beschwerdeführer gesetzten - im Besonderen die vorsätzliche Unterlassung der Hilfeleistung nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall und die fahrlässige Herbeiführung eines Verkehrsunfalles mit tödlichem Ausgang - stellen klare Indizien dafür dar, dass die genannte Voraussetzung nicht erfüllt ist. Delikte gegen die körperlich Unversehrtheit fallen in diesem Zusammenhang besonders ins Gewicht (vgl. zu fahrlässiger Körperverletzung in Verbindung mit Imstichlassen eines Verletzten etwa schon das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2005, Zl. 2004/01/0171). Dass dem Beschwerdeführer neben rücksichtslosem Verhalten im Straßenverkehr auch Tathandlungen zur Last liegen, die sich auf die Gefährdung der Befriedigung von Gläubigern und auf die Hinterziehung von Abgaben beziehen, lässt ihn - abgesehen von der Frage des zeitlichen Abstandes zu den Tathandlungen - als in mehrfacher Hinsicht gefährlich im Sinne der zitierten Bestimmungen erscheinen.
Fraglich kann nur sein, ob die belangte Behörde dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer "in letzter Zeit nicht neuerlich strafbar gemacht" hatte, in ihrer Prognose ausreichend Rechnung getragen hat, oder ob bereits - im Sinne des zitierten Erkenntnisses und der darin erwähnten Vorjudikatur - ein für eine positive Prognose ausreichend langer Zeitraum des Wohlverhaltens vorlag. Die Beschwerde, deren Schwerpunkt auf der Darstellung der nachsichtigen Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers durch andere Behörden liegt und in der u.a. damit argumentiert wird, dass der Beschwerdeführer nicht schon nach § 10 Abs. 1 Z 2 StbG von der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen sei, führt nur in eher untergeordneter Weise auch den Zeitablauf ins Treffen. Änderungen in den Lebensumständen des Beschwerdeführers, die für die Zukunft ein anderes als das von der belangten Behörde festgestellte gehäuft rechtswidrige Verhalten erwarten ließen und von der belangten Behörde nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, werden nicht aufgezeigt.
Fällt gegenüber den Tathandlungen, auf die die belangte Behörde ihre negative Prognose gestützt hat, somit nur der Zeitablauf als solcher ins Gewicht, so könnte diese Prognose trotz des Umstandes, dass das fahrlässige Tötungsdelikt des Beschwerdeführers bei Erlassung des angefochtenen Bescheides schon fast sechs Jahre zurücklag, berechtigt gewesen sein. Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage wäre einerseits - in Bezug auf das weitere Verhalten des Beschwerdeführers im Straßenverkehr - die Art und Häufigkeit der Vorschriftswidrigkeiten, für die er nach den Ausführungen der belangten Behörde noch bis zum Februar 2002 von der Bundespolizeidirektion Steyr bestraft worden sein soll. Andererseits käme es auch auf die Begehungszeiträume und sonstigen Einzelheiten der Tathandlungen an, auf die sich die nach den Feststellungen der belangten Behörde erst im Oktober 2000 rechtskräftig gewordene Verurteilung wegen Abgabenhinterziehung bezog. In Verbindung mit dem hier vorliegenden Gesamtverhalten, im Besonderen der gerichtlichen Verurteilung vom 9. Juli 1997, könnte auch diese Delinquenz des Beschwerdeführers zu einer negativen Prognose beitragen, wovon die belangte Behörde offenbar auch ausgegangen ist.
Die belangte Behörde hat es in ihrem im Oktober 2003 erlassenen Bescheid aber verabsäumt, über die Tathandlungen des Beschwerdeführers nach dem 12. November 1997, die seinen Bestrafungen nach dem 19. Jänner 1998 zugrunde lagen, konkrete Feststellungen zu treffen, weshalb ihre Prognose des zukünftigen Verhaltens des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Zeitabstandes zu den näher festgestellten früheren Tathandlungen nicht fehlerfrei begründet ist.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 13. Dezember 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003010586.X00Im RIS seit
01.02.2006Zuletzt aktualisiert am
03.11.2010