TE OGH 1990/10/24 11Os102/90 (11Os103/90)

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Veröffentlicht am 24.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.Oktober 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pokorny als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sigismund G*** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung

I. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 26.Juni 1990, GZ 2 b Vr 11/90-16, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Hauptmann und der Verteidigerin Dr. Pitzlberger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten

des Rechtsmittelverfahrens zur Last;

II. über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 26.Juni 1990, 2 b Vr 11/90-16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13.Dezember 1971 geborene Sigismund G*** des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB, aber auch des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 StGB schuldig erkannt. Als solches Vergehen liegt ihm zur Last, am 20.Dezember 1989 in Wien der Heidi H*** etwa 30 S Bargeld mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich hiedurch unrechtmäßig zu bereichern (Punkt B./ des Urteilsspruches). Nur gegen den Schuldspruch wegen dieser Vermögensstraftat richtet sich die (formell) ausschließlich auf den § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b (iVm mit Z 10) StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Mit der einleitenden Rüge, es mangle an einer Feststellung, ob die Zeugin H*** der Entnahme von 30 S aus ihrer Geldbörse zugestimmt hätte, bringt der Beschwerdeführer weder den erwähnten noch einen anderen materiellen Nichtigkeitsgrund (etwa einen Feststellungsmangel im Sinn der Z 9 lit. a leg. cit.) zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung, geht er doch von einer aktenwidrigen Zusammenfassung der zitierten Zeugenaussage aus: Der vom Erstgericht (in US 8) als glaubwürdig bezeichneten und den Urteilsannahmen zugrundegelegten Tatschilderung ist nämlich keineswegs eine ausdrückliche oder konkludente Einwilligung in die Entnahme von Bargeld aus der Börse, sondern die unmißverständliche Ablehnung des Ansinnens des Angeklagten zu entnehmen (siehe insbes.

AS 88 unten: "Laß es drin" sowie "Ich habe ... ihm nicht erlaubt, die 30,-- S zu nehmen").

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Urteilstat B./ wäre rechtsrichtig als Vergehen der Entwendung (§ 141 StGB) zu beurteilen gewesen, zu dessen Verfolgung es an der nach Absatz 2 dieser Gesetzesstelle erforderlichen Ermächtigung des Verletzten fehle, ist die Rechtsrüge zwar gesetzmäßig ausgeführt, jedoch inhaltlich nicht begründet. Die Verübung der Vermögensstraftat aus einem der im § 141 Abs. 1 StGB angeführten Motive - aus Not, aus Unbesonnenheit oder zur Befriedigung eines Gelüstes - geht weder aus dem Urteilssachverhalt noch aus der Aktenlage hervor: Unter Not ist nämlich nicht eine ungünstige wirtschaftliche Lage (insbesondere Bargeldmangel) an sich, sondern nur ein auf Unmöglichkeit der Befriedigung dringender Lebensbedürfnisse beruhender Zustand quälender Unlust zu verstehen, in welchem auch von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen (nach seinem Alter, seinen sozialen Verhältnissen sowie seinem körperlichen und geistigen Zustand zu demselben Personenkreis wie der Täter zählenden) Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten gewesen wäre (siehe insbesondere ENr. 1 und 1 a zu § 141 StGB in Mayerhofer-Rieder3). Das Vorliegen einer derart qualifizierten Zwangslage zur Tatzeit behauptete nicht einmal der Angeklagte selbst. Unbesonnenheit wieder kann nur jenem Täter zugutegehalten werden, dessen Handlung einer augenblicklichen Eingebung, also einem Willensimpuls entspringt, der aus besonderen Gründen zur ungehemmten Entfaltung gelangt ist, in der Regel hingegen nach dem Charakter des Täters unterdrückt worden wäre (ENr. 4 aaO). Der Ablauf der gegenständlichen Tat indiziert keine solche Augenblickseingebung, sondern beharrliche Bemühungen eines wiederholt einschlägig verurteilten Täters, an ihm nicht zustehende Bargeldbeträge zu gelangen. Eine Tatbegehung zur Befriedigung eines Gelüstes - im Sinn eines sofort oder wenigstens alsbald zu stillenden Bedürfnisses (EGr 8 ff aaO) - scheidet jedoch schon im Hinblick auf das Tatobjekt aus (Kienapfel BT II2 § 141 RN 42 mit Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung; aM Bertel in WK § 141 Rz 9, aus dessen Gegenposition hier nichts zu gewinnen wäre, weil jeglicher Anhaltspunkt dafür fehlt, daß der Angeklagte den erlangten Betrag sogleich in Sachgüter zur alsbaldigen Bedürfnisbefriedigung umzusetzen gedachte).

Der (nur zum Teil gesetzmäßig ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerde war daher der Erfolg zu versagen. Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 201 Abs. 2 StGB unter Anwendung des § 28 StGB sowie unter Bedachtnahme auf den § 5 Z 4 JGG eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten.

Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die einschlägigen Vorverurteilungen wegen Vermögensdelikten sowie den raschen Rückfall als erschwerend und berücksichtigte demgegenüber die extrem ungünstigen Erziehungsverhältnisse, die einfache Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten sowie die objektive Schadensgutmachung als mildernd. Sigismund G*** strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe, in eventu eine zumindest teilweise bedingte Strafnachsicht an.

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Erstgericht stellte die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig fest und würdigte sie auch zutreffend. Der intensive deliktische Willen und der relativ hohe Unrechtsgehalt der vom wiederholt vorbestraften Angeklagten zu verantwortenden Taten ergeben einen Gesinnungs- und Handlungsunwert, der aus spezialpräventiver Sicht ein Strafmaß in der vom Erstgericht gefundenen Höhe rechtfertigte.

Der Angeklagte vermochte in seiner Berufung keine weiteren relevanten Umstände ins Treffen zu führen, die sein Verhalten in einem milderen Licht erscheinen ließen.

Eine - wenn auch nur teilweise - bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe schied nicht nur im Hinblick auf das Gewicht des Tatunrechts, sondern vor allem auch deswegen aus dem Kreis der Erwägungen aus, weil bei Sigismund G*** eine Charakterstruktur vorliegt, die angesichts der gegebenen familiären Problematik sowie der bisherigen Delinquenz aus präventiven Erwägungen eine entsprechende Nacherziehung im Strafvollzug erfordert. Der Berufung konnte daher in keiner Richtung ein Erfolg beschieden sein.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Das Schöffengericht widerrief zugleich (§ 494 a Abs. 1 StPO) mit der Verurteilung des Angeklagten die mit den Urteilen des Jugendgerichtshofes Wien vom 12.November 1987 zum AZ 3 a Vr 621/87, vom 17.Juni 1987 zum AZ 3 a Vr 263/87, vom 25.August 1988 zum AZ 2 a Vr 465/88 und vom 14.Dezember 1988 zum AZ 5 Vr 629/88 gewährten bedingten Nachsichten von vier verhängten Freiheitsstrafen (darunter einer Teil-Strafe) im Gesamtausmaß von zwölf Monaten (vgl. US 3 und 4 sowie die Punkte 2 bis 5 der Strafregisterauskunft S 5 und 6 des Vr-Aktes).

Der dagegen vom Angeklagten erhobenen Beschwerde, die sich im wesentlichen auf die Berufungsgründe stützt, kommt keine Berechtigung zu, weil es angesichts der bereits wiederholten Wirkungslosigkeit bloß bedingter Strafnachsichten sowie in Anbetracht des Gewichtes der neuen Verurteilung innerhalb der dem Angeklagten gewährten Probezeiten geboten ist, auch die früher verhängten Strafen zu vollziehen, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen wirkungsvoll abzuhalten (vgl. auch die Stellungnahme des Bewährungshelfers, S 91 dA).

Es war daher über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerrufsbeschluß spruchgemäß zu beschließen.

Anmerkung

E22254

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0110OS00102.9.1024.000

Dokumentnummer

JJT_19901024_OGH0002_0110OS00102_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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