TE Vwgh Erkenntnis 2005/12/13 2003/01/0316

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.2005
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §11;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des CD in S, vertreten durch Mag. Johannes Michaeler, Rechtsanwalt in 6824 Schlins, Walgaustraße 24-26, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 28. April 2003, Zl. Ia 370- 1378/2002, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG)" ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, sie könne ihr Ermessen nicht zugunsten des Beschwerdeführers ausüben. Zwar spreche für die Verleihung der Staatsbürgerschaft, dass der Beschwerdeführer (dessen Ehefrau und Kinder sich nach den Feststellungen der belangten Behörde in der Türkei aufhalten) seit dreizehn Jahren in Österreich lebe und seit 29. Mai 2000 durchgehend beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt sei. Seine Deutschkenntnisse seien jedoch gering. Er spreche mit einfachem Wortschatz und stark hörbarem Akzent, die Wiedergabe eines vorgegebenen Textes sei ihm nur mit Mühe und nicht vollständig gelungen, eine schriftliche Ausarbeitung nicht lesbar gewesen. Außerhalb seines Arbeitsplatzes habe er "außer zu seinem bereits eingebürgerten Bruder keine Kontakte zu Einheimischen". Es könne "daher nicht von einem solchen Ausmaß an Integration ausgegangen werden, das eine Einbürgerung des Verleihungswerbers ermöglichte".

Weiters habe er wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft werden müssen, da er durch unachtsames Fahren Verletzungen anderer Personen mitverursacht habe. Hinzu komme, dass ein weiteres Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung nach einem Verkehrsunfall erst kürzlich nach Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleiches eingestellt worden sei.

Zu diesen Verfahren stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 27. April 1998 wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB zu einer (wie aus dem Akt hervorgeht: bedingten) Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt worden, weil er (dem Akt zufolge: am 1. November 1997) auf einer Brückenüberführung einen Frontalzusammenstoß mit einem anderen PKW gehabt habe. Dabei seien jeweils beide Insassen beider Fahrzeuge verletzt worden. Am 19. Juni 2002 sei der Beschwerdeführer mit einem mehrspurigen Kleinkraftrad ins Schleudern geraten, von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt, wobei außer ihm selbst auch sein mitfahrender Bruder schwer verletzt worden sei. Das diesbezügliche Strafverfahren sei nach Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleiches eingestellt worden.

Zusammenfassend gelangte die belangte Behörde zu der Auffassung, eine Ermessensübung zugunsten des Beschwerdeführers könne "wegen der schlechten Deutschkenntnisse, der sich daraus ergebenden mangelnden Integration und der strafrechtlich relevanten Sachverhalte" nicht erfolgen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die gesetzlichen Verleihungsvoraussetzungen des § 10 StbG - unter Einschluss der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, wonach der Verleihungswerber Gewähr dafür bieten müsse, weder die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen zu gefährden - und des § 10a StbG erkennbar als erfüllt angesehen, ihr Ermessen aber zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgeübt.

Gemäß § 11 StbG hat sich die Behörde unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen.

In der Beschwerde wird geltend gemacht, die belangte Behörde habe in ihrer Ermessensausübung in Bezug auf die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers "viel zu strenge Maßstäbe" angelegt und keine Rücksicht auf die einfache Schulbildung, die persönlichen Umstände und das soziale Umfeld des Beschwerdeführers genommen. Auch in Bezug auf die beiden Verkehrsunfälle sei die belangte Behörde "zu restriktiv vorgegangen". Eine Ermessensübung der von ihr gewählten Art könne "nicht im Sinn des Gesetzes sein".

Dem ist zunächst insofern beizupflichten, als eine Überbetonung des Gesichtspunktes der Sprachbeherrschung bei der Beurteilung der Integration nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Sinne des Gesetzes ist (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 12. April 2005, Zl. 2003/01/0107, und das darin erwähnte Vorerkenntnis vom 9. September 2003, Zl. 2002/01/0459). Das Abstellen auf den "einfachen Wortschatz" des Beschwerdeführers und seine Unbeholfenheit im schriftlichen Ausdruck bzw. im Umgang mit einem "vorgegebenen Text" weist in der vorliegenden Form darüber hinaus auch Züge einer sozialen Selektion - anstelle einer Beurteilung der Integration in das konkrete Lebensumfeld - auf.

Auf die erwähnten Vorerkenntnisse kann auch hinsichtlich der - in der Zusammenfassung der Ermessensgründe nicht mehr erwähnten - Auseinandersetzung der belangten Behörde mit der Frage von "Kontakten" des Beschwerdeführers zu "Einheimischen" verwiesen werden. Darauf abzielenden Argumenten gegen eine Verleihung der Staatsbürgerschaft steht im vorliegenden Fall aber auch entgegen, dass der Bruder des Beschwerdeführers, bei dem dieser lebt, österreichischer Staatsbürger und somit ein "Einheimischer" ist. Die zurückhaltende Formulierung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer könne "bereits Integrationsmerkmale ... nachweisen", wird dem Sachverhalt auch in Bezug auf die fremdenrechtliche Situation des Beschwerdeführers (unbefristete Niederlassungsbewilligung) und seine sehr stark ausgeprägte berufliche Integration nicht gerecht.

Der Hinweis auf die beiden Verkehrsunfälle des Beschwerdeführers vermag die angefochtene Entscheidung unter diesen Umständen nicht zu tragen. In beiden Fällen hat die belangte Behörde zwar den Unfallshergang im Groben festgestellt, aber nicht erörtert, worin das Verschulden des Beschwerdeführers jeweils lag und welche Schlüsse daraus für die Verleihung der Staatsbürgerschaft zu ziehen seien. Der Aktenlage nach soll der Beschwerdeführer am 1. November 1997 (mithin mehr als fünf Jahre vor Bescheiderlassung) in einer langgezogenen Rechtskurve über die Fahrbahnmitte hinausgeraten sein, was den Zusammenstoß verursacht habe. Zu dem Unfall im Juni 2002 soll es nach Aussage des mitfahrenden Bruders des Beschwerdeführers nur gekommen sein, weil der Beschwerdeführer einer plötzlich auf die Fahrbahn springenden Katze ausweichen wollte (wohingegen die darüber nichts aussagenden Feststellungen der belangten Behörde auch überhöhte Geschwindigkeit oder eine aggressive Fahrweise als Ursache vermuten lassen könnten). Derartigen Ungeschicklichkeiten im Straßenverkehr kann - ohne Hinweis auf aggressives Fahrverhalten, eine bewusste Missachtung von Schutzgesetzen oder gar das Imstichlassen eines Verletzten nach einem Unfall - bei der Entscheidung über den Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft im Regelfall und jedenfalls unter den hier vorliegenden Umständen kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren (zusätzliche Umsatzsteuer) findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am 13. Dezember 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003010316.X00

Im RIS seit

12.01.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten