Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer (Arbeitgeber) und Alfred Klair (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Adolf O***, 1220 Wien, Bambergergasse 119, vertreten durch Dr.Martin Hahn, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.August 1990, GZ 31 Rs 133/90-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20. Februar 1990, GZ 6 Cgs 222/88-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 11.1.1949 geborene Kläger ist gelernter Buchhändler, übte diesen Beruf aber (zumindest) in den letzten 15 Jahren nicht aus. In den Jahren 1970 bis 1983 war er überwiegend als Hüttenarbeiter in Schweden beschäftigt. Vom 10.7.1983 bis 31.1.1985 arbeitete er in Österreich als Lagerleiter im Angestelltenverhältnis; ab dem 1.2.1985 war er - mit einer kurzen Unterbrechung vom 22. bis 26.4.1985 - arbeitslos.
Mit Bescheid vom 17.7.1987 gewährte die beklagte P*** DER A*** dem Kläger gemäß §§ 271 und 256 ASVG unter Anwendung der Bestimmungen des Abkommens zwischen der R*** Ö*** und dem K*** S*** über soziale Sicherheit vom 11.11.1975, BGBl. 1976/587 in der geltenden Fassung, für die Zeit vom 1.4.1987 bis 30.6.1988 eine zeitlich begrenzte Berufsunfähigkeitspension von monatlich S 1.827,--. Diesem Bescheid lagen 130 in Österreich und 156 in Schweden erworbene Versicherungsmonate und ein zwischenstaatlicher Kürzungsfaktor von 45 % zugrunde.
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 10.8.1988 wurde der Antrag des Klägers auf Weitergewährung dieser befristet zuerkannten Berufsunfähigkeitspension über den 30.6.1988 hinaus mit der Begründung abgewiesen, daß Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege. Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Kläger auf Grund des näher dargelegten medizinischen Leistungskalküls (wonach leichte und halbzeitig mittelschwere Arbeiten ohne ständigen besonderen Zeitdruck und bei Einhaltung einer Diät möglich sind) die zuletzt vom 10.7.1983 bis 31.1.1985 ausgeübte Tätigkeit als Lagerleiter weiterhin ausüben kann. Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß der Kläger nicht berufsunfähig iS des § 273 Abs. 1 ASVG sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und verwarf auch die Rechtsrüge, in welcher der Kläger selbst eingeräumt hätte, daß seine Leistungsfähigkeit "auf mehr als die Hälfte" der durchschnittlich gegebenen Arbeitsfähigkeit herabgesunken sei; § 273 Abs 1 ASVG verlange dagegen, daß die Arbeitsfähigkeit auf "weniger als die Hälfte" derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten herabsinke. Sekundäre Verfahrensmängel lägen nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist im Ergebnis nicht berechtigt.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist inhaltlich (§ 84 Abs. 2 ZPO) als Rechtsrüge ausgeführt, weil in ihr das Fehlen von Feststellungen über die vom Kläger in der Zeit vom 29.9.1975 bis Juli 1983 in Schweden ausgeübte Tätigkeit als Hüttenarbeiter geltend gemacht wird; diese in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte Tätigkeit sei dem Kläger nicht mehr zumutbar. Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht der Kläger geltend, daß auf die in Schweden verrichteten Tätigkeiten Bedacht zunehmen gewesen wäre. Dem ist im Ergebnis nicht beizupflichten.
Auszugehen ist davon, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag sowohl in Österreich als auch in Schweden Versicherungszeiten erworben hat. In einem solchen Fall sind gemäß Art. 17 des AbkSozSi-Schweden diese Versicherungszeiten für den Erwerb eines Leistungsanspruches nach den österreichischen Rechtsvorschriften zusammenzurechnen, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit fallen. Für die Feststellung der Leistungszugehörigkeit und Leistungszuständigkeit in der Pensionsversicherung werden allerdings gemäß Art. 19 Z 1 des Abkommens nur österreichische Versicherungszeiten berücksichtigt; eine solche Regelung ist nicht nur in dem hier anzuwendenden, sondern in allen neuen Abkommen über soziale Sicherheit vorgesehen (Siedl/Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht MGA Allgemeiner Teil, Lfg. 22, 74; Teschner/Fürböck ASVG MGA 35. ErgLfg. 1231 Anm. 3 b zu § 245). Wie unbestritten feststeht, hat der Kläger in den letzten 15 Jahren in Österreich überwiegend Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung der Angestellten erworben; er leistete als Lagerleiter (nach der Tätigkeitsbeschreibung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens ON 19 des Aktes) vorwiegend kaufmännische Dienste und war daher als Angestellter iS des § 1 Abs. 1 AngG anzusehen (vgl. Martinek/Schwarz AngG6 46 ff, 51). Der Kläger ist folglich ebenso unbestritten gemäß § 245 Abs. 3 ASVG zur beklagten P*** DER A*** leistungszugehörig und die beklagte Partei daher gemäß § 246 ASVG leistungszuständig. Hat der Versicherte Versicherungsmonate in mehreren Zweigen der Pensionsversicherung erworben, so kommen für ihn gemäß § 245 Abs. 1
ASVG die Leistungen des Zweiges in Betracht, dem er leistungszugehörig ist.
Bei Anwendung des § 273 Abs. 1 ASVG liegt Berufsunfähigkeit des Klägers nicht vor, weil er die zuletzt - nicht bloß vorübergehend - ausgeübte Tätigkeit eines Lagerleiters ab 1.7.1988
weiterhin verrichten kann und damit seine Arbeitsfähigkeit nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen herabgesunken ist. Bei einem Antrag auf Weitergewährung einer befristet zuerkannten (zeitlich begrenzten) Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension (§§ 256, 271 Abs. 3 ASVG) ist ein Vergleich mit den Verhältnissen bei Zuerkennung der Leistung nicht anzustellen (SSV-NF 2/77). Kann ein Angestellter aber die zuletzt ausgeübte Tätigkeit weiterhin verrichten, liegt Berufsunfähigkeit nicht vor, ohne daß eine Verweisbarkeit auf andere Angestelltentätigkeiten untersucht werden müßte.
Der Fall des Klägers ist allerdings dadurch gekennzeichnet, daß er in den letzten 15 Jahren - unter Einbeziehung seiner in Schweden als Hüttenarbeiter erworbenen Versicherungszeiten - überwiegend als Arbeiter tätig war. Die Vorinstanzen haben über diese Tätigkeit keine Feststellungen getroffen, weshalb nicht beurteilt werden kann, ob der Kläger dabei einen erlernten (angelernten) Beruf iS des § 255 Abs. 1 und 2 ASVG oder eine Hilfsarbeitertätigkeit iS des § 255 Abs 3 ASVG ausübte. Mit Rücksicht auf das Alter des Klägers (er hat das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet) wäre allerdings nur ein Berufsschutz in dem Sinn von Bedeutung, daß der Kläger in Schweden eine Tätigkeit ausgeübt hätte, für die es erforderlich war, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Als überwiegend iS des § 255 Abs 1 ASVG gelten solche erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate "nach diesem Bundesgesetz" während der letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausgeübt wurden. Daraus ergibt sich die Frage, ob bei der Prüfung der überwiegenden Berufsausübung nur die in Österreich oder auch die im anderen Vertragsstaat (hier Schweden) ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen sind. Das Oberlandesgericht Wien hat diese Frage unter Berufung auf die Bestimmungen über die Zusammenrechnung der beiderseitigen Versicherungszeiten bejaht (SSV 18/12 im Verhältnis zur BRD und SSV 19/4 im Verhältnis zu Jugoslawien).
Wenn man dieser Auffassung auch im Verhältnis zu allen anderen Vertragsstaaten folgt, dann bewirken die einschlägigen Abkommensbestimmungen eine entsprechende Berücksichtigung der im jeweiligen Vertragsstaat ausgeübten Berufstätigkeiten in bezug auf § 255 Abs. 2 ASVG und konsequenterweise auch in bezug auf § 255 Abs. 4 ASVG (Siedl/Spiegel aaO 86). Im Ergebnis können die zuletzt angeschnittenen Fragen unbeantwortet bleiben, weil auch eine Beurteilung des klägerischen Pensionsbegehrens unter analoger Anwendung des § 255 Abs. 1 ASVG keine für ihn günstigere Entscheidung bewirken könnte.
Nach dieser Gesetzesstelle gilt ein Versicherter, der überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig war, als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, gilt der Versicherte nur dann als invalid, wenn er nicht nur in dem zuletzt ausgeübten, sondern in jedem der in den letzten 15 Jahren ausgeübten erlernten (angelernten) Berufe nicht mehr die Hälfte des Normalverdienstes gesunder Personen erreichen könnte. Es würde nun einen unüberbrückbaren Wertungswiderspruch bedeuten, bei einer Gesamtschau der in den letzten 15 Jahren zurückgelegten Tätigkeiten eine ausgeübte und Berufsschutz begründende Angestelltentätigkeit - hier die eines Lagerleiters - anders zu beurteilen als einen ausgeübten, ebenfalls Berufsschutz begründenden erlernten oder angelernten Beruf iS des § 255 Abs. 1 ASVG, auf den der Kläger selbst dann verwiesen werden könnte, wenn er einen anderen in den letzten 15 Jahren ebenfalls ausgeübten erlernten oder angelernten Beruf nicht mehr ausüben könnte. War daher ein Versicherter in den letzten 15 Jahren sowohl in erlernten (angelernten) Berufen iS des § 255 Abs. 1 ASVG als auch in Angestelltenberufen (§ 273 ASVG) tätig, so könnten dann, wenn die Voraussetzungen des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit analog § 255 Abs. 1 ASVG zu beurteilen wären, jedenfalls die als Angestellter erworbenen Versicherungszeiten nicht anders behandelt werden als diejenigen aus einem erlernten oder angelernten Beruf. Dieser Grundsatz muß zumindest in dem Fall Geltung haben, in dem die Angestelltentätigkeit weiter verrichtet werden kann. Den Regelungen des ASVG über die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit liegt doch offenbar der Gedanke zu Grunde, daß die historisch gewachsene Differenzierung von Arbeitern und Angestellten, wenngleich sie zunehmend ihre sachliche Rechtfertigung verliert und durch eine Angleichung der arbeitsrechtlichen Stellung der Arbeiter an die der Angestellten teilweise abgebaut wird (vgl. Schwarz/Löschnig, ArbR4 132), auf einem höheren Sozialprestige der Angestelltentätigkeiten beruht. Ob der oben entwickelte Grundsatz umgekehrt auch dann gelten würde, wenn ein Versicherter infolge eines Herabsinkens seiner Arbeitsfähigkeit zwar nicht mehr die Angestelltentätigkeit, wohl aber die Arbeitertätigkeiten ausüben könnte, braucht hier nicht erörtert zu werden, weil dieser Fall beim Kläger nicht vorliegt. Selbst wenn der Kläger also in Schweden in einem erlernten (angelernten) Beruf tätig gewesen wäre, müßte er sich entgegenhalten lassen, daß er den in Österreich ausgeübten Beruf eines Lagerleiters weiterhin (wieder) voll ausüben kann und sein Pensionsanspruch gegen die beklagte Partei daher auch bei analoger Anwendung des § 255 Abs. 1 ASVG nicht zu Recht bestünde.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 ua).
Anmerkung
E22654European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00355.9.1106.000Dokumentnummer
JJT_19901106_OGH0002_010OBS00355_9000000_000