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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §28;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des RZ in G, geboren 1965, vertreten durch Dr. Christiane Loidl, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Glacisstraße 67, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. April 2005, Zl. 224.900/0-VIII/22/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen Angaben am 5. Mai 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 29. Oktober 2001 wies das Bundesasylamt seinen Antrag gemäß § 7 AsylG ab; außerdem sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Mazedonien gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. In der Berufungsverhandlung vom 7. Jänner 2003 brachte er u.a. Folgendes vor (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführer):
"VL: Haben Sie sich politisch betätigt?
BW: Ja.
VL: Bei welcher Partei?
BW: Partia Balli Kombetar Shiqptar (PBKSH).
VL: Wie kamen Sie mit dieser Partei in Kotakt?
BW: Zu dieser Partei kam ich nach den Zwischenfällen im Juli 1997. Ein Monat nach der Gründung hatte diese Partei 36 Mitglieder. Zu dieser Zeit bin ich dieser Partei beigetreten. Mir hat das Programm dieser Partei sehr gut gefallen. Ich habe das von intellektuellen Personen erfahren.
VL: Was hat Ihnen an diesem Programm so gut gefallen?
BW: An diesem Programm hat mir gefallen, die ethnische Säuberung und das Leben der Albaner in einem Territorium, wo nur Albaner leben. Ein Parlament, wo Albaner für sich selbst abstimmen können. Diese Partei strebt und ich hoffe, sie realisiert auch, Kosovo, Skopje, Tetove, Gostivar, Kumanove, Dibra, Kercova, Struga, Ohrid in einem Staat zusammenzufassen und über diese Territorien Macht zu haben und zu bestimmen. Westmazedonien soll den Namen Ilirida bekommen. Ich glaube, ich werde nicht der erste sein und auch nicht der letzte, der Sie darüber informiert.
VL: Kann man das Programm dieser Partei kurz als Panalbanisch, d.h. alle Albaner sollen in einem Staat leben, zusammenfassen?
BW: Ja, das ist ganz natürlich.
VL: Hat diese Partei irgendwann einmal in Mazedonien an
Wahlen teilgenommen?
BW: Nein, nie, weil sie einem Druck durch die mazedonischen Behörden ausgesetzt sind. Es ist eine illegale Partei in Mazedonien. Sie ist nach wie vor in Mazedonien illegal, das hat mir mein Sohn erzählt, der vor 5 Monaten aus Mazedonien nach Österreich gekommen ist. Meine Familie befindet sich jetzt in Graz.
VL: Welche Tätigkeiten haben Sie für diese Partei ausgeübt?
BW: Meine Aufgabe war es, neue Mitglieder zu werben. Wir haben Gespräche geführt mit der albanischen Bevölkerung. Wir haben sie über unser Programm informiert. Wir wollen unsere Rechte bekommen.
VL: Haben Sie auch an Versammlungen dieser Partei teilgenommen?
BW: Sicher 6-mal, bis die mazedonische Polizei anfing, uns zu verhaften.
VL: Wurden auch Sie wegen Ihres Engagements für diese Partei verhaftet?
BW: Nein. Aber einige meiner Freunde sind verhaftet worden, 8 an der Zahl. Ich war mir sicher, dass ich der 9. oder 15. sein werde, der verhaftet wird. Ich war mir sicher, dass ich irgendwann auch verhaftet würde. Ich habe darauf gewartet, dass die Polizei kommt und mein Haus durchsucht. Sie haben auch mich gesucht, aber meine Frau hat gesagt, dass ich nicht zu Hause bin.
Vorhalt: Bei der Behörde erster Instanz haben Sie angegeben, dass Sie deswegen gesucht wurden, weil Sie der Einberufung zum Militärdienst nicht Folge geleistet haben, und nicht wegen Ihrer politischen Tätigkeit. Was sagen Sie dazu?
BW: Das sowieso. Das ist ganz sicher."
Mit Bescheid vom 22. April 2005 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Sie traf Feststellungen zu Mazedonien, insbesondere - auf Grundlage eines Gutachtens des von ihr beigezogenen "Ländersachverständigen" - zur "albanischen Nationalarmee" (ANA oder AKSH). Im Übrigen ging sie davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht für glaubwürdig erachtet werden könne. Dem legte sie wesentlich die Überlegung zugrunde, dass er beim Bundesasylamt lediglich die Nichtbefolgung von Einberufungsbefehlen zur mazedonischen Armee (Reserve) als Fluchtgrund geltend gemacht und demgegenüber in der Berufungsverhandlung sein Vorbringen gesteigert habe. So habe der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde aus seiner Parteimitgliedschaft eine asylrelevante Gefährdung abgeleitet, die erstinstanzlich mit keinem Wort erwähnt worden sei. Zu diesem Fluchtgrund (politische Aktivität für die verbotene Partei PBKSH) sei - so die belangte Behörde im Zuge ihrer rechtlichen Erwägungen - zu ergänzen, dass der Beschwerdeführer insofern eine gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung auch in der Berufungsverhandlung "verneint" habe. Dass acht seiner Parteifreunde verhaftet worden seien und der Beschwerdeführer nunmehr glaube, der nächste zu sein, sei rein spekulativer Natur ohne konkretes Sachsubstrat und stelle somit keinen tauglichen Fluchtgrund im Sinne der FlKonv dar.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerde macht als Verfahrensfehler geltend, dass die erstinstanzliche Einvernahme des Beschwerdeführers nur oberflächlich durchgeführt worden sei und dass er bereits bei dieser Einvernahme auf seine Parteimitgliedschaft hingewiesen habe, ohne dass dies in irgendeiner Weise hinterfragt worden sei. Der Vorwurf, der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen "gesteigert", treffe mithin nicht zu. Der belangten Behörde sei weiter anzulasten, dass sie zwar den von ihr beigezogenen "Ländersachverständigen" mit der Erstattung eines Gutachtens zur PBKSH beauftragt habe, dass sie es jedoch in der Folge kritiklos dabei belassen habe, dass der Sachverständige ausschließlich über die AKSH Informationen geliefert habe.
Mit diesen Mängelrügen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht. Gemäß der in den Verwaltungsakten erliegenden Niederschrift über seine Einvernahme durch das Bundesasylamt am 22. Juni 2001, die auch der Erhebung der persönlichen Daten des Beschwerdeführers sowie der Ermittlung von Informationen zum Fluchtweg diente und ungeachtet dessen insgesamt nur 50 Minuten in Anspruch nahm, gab er auf die Frage, ob er Mitglied einer Partei oder Organisation sei, an, dass er seit sechs Monaten Mitglied der "PARTIA BALLIT KOMBTAR SHQIPTAR" sei. In Bezug auf die Parteimitgliedschaft als solche liegt damit eine "Steigerung" von vornherein nicht vor. Richtig ist zwar, dass in Bezug auf diese Parteimitgliedschaft in der Folge vor der erstinstanzlichen Behörde keine Verfolgungshandlungen bzw. kein Gefährdungspotential vorgebracht wurde(n). Ebenso richtig ist aber auch, wie in der Beschwerde zutreffend geltend gemacht, dass jegliches Nachfragen zu dieser Mitgliedschaft unterblieben ist, was der dem Bundesasylamt obliegenden Ermittlungspflicht nach § 28 AsylG nicht gerecht wurde. Davon ausgehend erweist es sich aber als verfehlt, aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer erst später Gefährdungen aus seiner Mitgliedschaft bei der PBKSH ableitete, Konsequenzen bezüglich seiner Glaubwürdigkeit zu ziehen. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer sowohl in der Berufungsschrift als auch in der Berufungsverhandlung auf eine Gefährdung wegen seiner Parteimitgliedschaft hinwies und entgegen der Ansicht der belangten Behörde relativ detaillierte Angaben zur PBKSH zu machen vermochte.
Nach dem Gesagten vermag die behördliche Beweiswürdigung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht standzuhalten. Davon ausgehend kommt es wesentlich auf die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde an, wonach im Hinblick auf die Mitgliedschaft bei der PBKSH kein tauglicher Fluchtgrund im Sinne der FlKonv vorliege. Auch dieser Argumentation kann freilich nicht beigetreten werden. Waren - ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers - bereits acht Parteimitglieder verhaftet worden, so lässt sich ohne nähere Erwägungen zur Funktion der verhafteten Mitglieder und zur Zahl der Parteimitglieder insgesamt nicht ohne Weiteres sagen, der Beschwerdeführer seinerseits habe nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit staatliche Eingriffsmaßnahmen zu befürchten. Bezeichnenderweise hat es die belangte Behörde zunächst für erforderlich gehalten, ein Gutachten betreffend die PBKSH und allfällige Verfolgung ihrer Mitglieder und Aktivisten in Auftrag zu geben. Dass das in der Folge lediglich zur AKSH erstattete Gutachten dem Gutachtensauftrag nicht Rechnung trug, versteht sich von selbst, weshalb im Ergebnis auch nach der ursprünglichen Einschätzung seitens der belangten Behörde offenkundig ergänzende Ermittlungen zur Klärung des vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedrohungsszenarios erforderlich gewesen wären. Dass nach der Berufungsverhandlung vom 7. Jänner 2003 durchgeführte Ermittlungen im Übrigen im Rahmen einer ergänzenden Verhandlung erörtert hätten werden müssen, sei nur mehr der Vollständigkeit halber erwähnt.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet ist, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 13. Dezember 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005010433.X00Im RIS seit
01.02.2006