TE OGH 1990/11/7 3Ob605/90

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Veröffentlicht am 07.11.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz R***, Kaufmann in St. Veit/Glan, Villacher Straße 32, vertreten durch Dr. Peter Sommeregger und Dr. Ulrich Suppan, Rechtsanwälte in St.Veit/Glan, wider die beklagte Partei Franz P*** AG, Ried i.I., Emprechting 1, vertreten durch Dr. Alexander Puttinger, Rechtsanwalt in Ried i. I., wegen restl. S 379.471,25 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 14. Februar 1990, GZ 3 R 286/89-34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried i.I. vom 24. Juli 1989, GZ 3 Cg 275/87-28, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.602,60 (darin S 2.267,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei hat am 17. 9. 1985 vom Kläger, einem Tapetengroßhändler, dessen "Moda-Kollektion" exklusiv für Österreich für die Dauer eines Jahres übernommen. Bei Vertragsabschluß standen der beklagten Partei schon früher gelieferte 8800 Tapetenrollen und die Musterkollektion der klagenden Partei zur Verfügung. Die beklagte Partei verpflichtete sich, im Rahmen dieser Vereinbarung rund 100.000 Rollen a S 34,- auf jeweiligen Abruf abzunehmen. Tatsächlich wurden aber nur 34.005 Rollen von ihr abgerufen und bezahlt. Die beklagte Partei hat ab 11. 11. 1985 keine Tapeten mehr abgerufen. Auf die Urgenz des Klägers vom 5. 6. 1986, den Vertrag zuzuhalten, reagierte die beklagte Partei zunächst gar nicht, auf das folgende Schreiben des Klagevertreters vom 18. 9. 1986 erklärte der Beklagtenvertreter im Schreiben vom 25. 9. 1986 erstmals, daß die gelieferten Tapeten farblich nicht mit den als Vertragsgrundlage heranzuziehenden Mustern übereingestimmt hätten, die Kunden der beklagten Partei hätten deswegen reklamiert. Es konnte nicht festgestellt werden, daß die beklagte Partei schon vor diesem Zeitpunkt reklamiert und erklärt hat, vom Vertrag zurückzutreten. Unbestritten blieb, daß der Kläger durch die Nichtabnahme der restlichen Tapetenkollektion einen Verlust von S 379.471,25 (ohne Umsatzsteuer) erlitten hat.

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei die Bezahlung von letztlich S 455.365,49 sA (ds. S 379.471,25 zuzüglich Umsatzsteuer). Die beklagte Partei sei durch die unterbliebene Abrufung weiterer Lieferungen in Verzug geraten. Durch die nicht vollständige Abnahme der Tapetenkollektion sei dem Kläger ein Schaden in Klagshöhe entstanden.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung. Sie wendete ein, daß es sich bei der Abnahmemenge von 4000 Kartons nur um ein Präliminare und um keine Absatzvereinbarung gehandelt habe. Bereits nach den beiden ersten Lieferungen habe sich herausgestellt, daß die Farbe der Tapetenrollen nicht mit jener des Musters übereinstimme. Kunden, denen Tapeten auf Grund der Muster verkauft worden seien, hätten reklamiert. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, dem Muster entsprechende Tapeten zu liefern. Die beklagte Partei sei daher vom Vertrag zurückgetreten. Darüber hinaus habe der Kläger auch die vereinbarten Liefertermine nicht einhalten können. Die gelieferten Tapeten seien im Gegensatz zur (Muster-)Kollektion keine Duplextapeten gewesen, dh. der Duplexcharakter sei beim Aufziehen der Tapete zufolge ihres geringen Gewichtes verlorengegangen. Der Qualitätsunterschied zwischen einer Duplextapete und einer Normaltapete sei so groß, daß von einer Produktverschiedenheit zu sprechen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte neben dem oben wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, daß die vom Kläger gelieferten Tapeten dem Muster entsprochen hätten und mängelfrei gewesen seien. Das Erstgericht vertrat rechtlich den Standpunkt, daß es die beklagte Partei vereinbarungswidrig unterlassen habe, die bestellte Menge abzurufen. Sie sei daher in Verzug geraten, dem Kläger stünde der begehrte Schadenersatz zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nur zum Teil, und zwar durch Abweisung eines Teilbegehrens von S 75.894,25 an Umsatzsteuer Folge und wies in diesem Umfang das Klagebegehren ab. Ansonsten bestätigte es das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht erachtete die wegen der unterlassenen Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Tapetenwesen und wegen der unterlassenen Einvernahme von fünf weiteren Zeugen, die zum Beweis der Mangelhaftigkeit der vom Kläger gelieferten Tapeten in der letzten mündlichen Streitverhandlung als Beweis angeboten wurden, erhobene Mängelrüge für unerheblich und übernahm die Feststellung, daß die beklagte Partei die angeblichen Mängel der Tapeten nicht vor dem 25. 9. 1986 gerügt hat. Die weiters bekämpfte Feststellung, daß die Lieferungen des Klägers qualitätsmäßig und farblich den der beklagten Partei bei Abschluß bereits zur Verfügung stehenden Tapeten und der Musterkollektion entsprochen haben, wurde als nicht entscheidungswesentlich ungeprüft gelassen. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß beim Kauf auf Abruf der Käufer in Annahmeverzug gerate, wenn er trotz Aufforderung den Abruf innerhalb der vereinbarten Frist unterlasse. Die beklagte Partei habe weitere Abrufe und damit die vollständige Vertragserfüllung beharrlich und endgültig verweigert. Sie habe insbesondere eine den § 918 ff ABGB entsprechende Vorgangsweise gegenüber dem Kläger unterlassen. Der Kläger sei daher berechtigt gewesen, ohne Nachfristsetzung den Ersatz seines Nichterfüllungsschadens zu begehren. Da bei Schadenersatzleistungen kein Wertaustausch stattfinde, dürfe für solche Ansprüche aber keine Umsatzsteuer hinzugerechnet werden. Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kauf nach Probe (bzw. nach Muster) ist ein unbedingter Kauf. Die Eigenschaften des Probestücks (Musters), die gemäß Art. 8 Nr. 17 EVHGB als zugesichert gelten, sind ausdrücklich bedungene bzw. zugesagte Eigenschaften iSd Gewährleistungsrechtes, speziell iSd §§ 922, 923 und 928 ABGB (Kramer in Straube zu § 373, 374 HGB Art. 8 Nr. 17 EVHGB Rz 2). Der Revisionswerberin ist beizupflichten, daß es einem Käufer zusteht, die Übernahme einer Ware, die nicht über die zugesagten Eigenschaften verfügt, zu verweigern (HS VII/15), uzw auch wegen unwesentlicher Mängel (EvBl. 1955/51). Dieser allgemeine Grundsatz hat auch für den Kauf nach Probe Anwendung zu finden. Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend erkannt, daß es im vorliegenden Fall nicht mehr auf den Nachweis der Probewidrigkeit der Lieferung ankommt, weil es die beklagte Partei unterlassen hat, ihrer Rügepflicht nach § 377 Abs.2 oder 3 HGB nachzukommen. Diese Bestimmung gilt für den beiderseitigen Handelskauf auch dann, wenn es sich um einen Kauf auf Probe oder nach Probe handelt (Kramer aaO, Rz 7 zu § 377, 378 HGB mwN). Auf Grund fehlender Feststellungen muß dahingestellt bleiben, ob der beklagten Partei als Fachhändlerin der von ihr erst am 25. 9. 1986 behauptete Mangel bereits an Hand der bei Vertragsabschluß zur Verfügung stehenden 8800 Tapetenrollen auffallen hätte müssen und sie daher eine sofortige Rügepflicht nach § 377 Abs.2 HGB getroffen hätte, oder ob (unwahrscheinlich) ein geheimer Mangel vorlag, der sich bei einer nach Ablieferung der Ware unverzüglich vorgenommenen sachkundigen Prüfung nicht zeigte und dem Käufer auch nicht anderweitig bekannt wurde (Kramer aaO Rz 46 mwN). Im letzteren Fall wäre die beklagte Partei verpflichtet gewesen, spätestens sofort nach Einlangen einer Reklamation ihrer Abnehmer zu rügen (SZ 53/63). Versäumt ein Käufer die rechtzeitige Erhebung der Mängelrüge, so gilt die Ware als genehmigt, dh der Käufer verliert alle aus der Mangelhaftigkeit der Ware resultierenden Ansprüche. § 377 Abs.2 und 3 HGB stellt eine echte und unwiderlegliche gesetzliche Fiktion auf, die ohne Rücksicht auf den Parteiwillen eintritt (Kramer aaO Rz 4). Bei unterlassener Rüge einer Teillieferung gilt aber nur diese als genehmigt (Kramer aaO Rz 34 mwN), es sei denn, daß nach den Umständen ein Verzicht auf die Beanstandung der Restlieferung zu erschließen ist, etwa weil die Ware ein unteilbares Ganzes bildet (Würdinger-Röhricht, Großkomm HGB III Rz 38 und 182 zu § 377). Durch die Annahme einer Teillieferung geht daher regelmäßig das Recht der Beanstandung weiterer Lieferungen nicht verloren. Bei einem Kauf nach Probe, wie er hier vorliegt, braucht der Verkäufer bei der Hauptlieferung grundsätzlich nichts besseres als die Probe zu liefern. Offensichtliche Mängel der Probe muß der Käufer sogleich (nach dem Ausprobieren) und nicht erst nach der Hauptlieferung rügen. Nur wenn der Mangel der Probe versteckt war oder der Verkäufer arglistig handelte, kann er sich nicht darauf berufen, daß die Hauptlieferung die selben (mangelhaften) Eigenschaften wie das unbeanstandet gebliebene Probestück habe (Kramer aaO Rz 8 zu Art. 8 Nr. 17 EVHGB bei §§ 373, 374 mwN).

Hier betreffen die Einwendungen der beklagten Partei zum Teil einander ausschließende Tatbestände. Litten die bereits vor der strittigen Bestellung von der beklagten Partei gekauften Tapeten und das der Auftragserteilung zugrunde liegende weitere Muster unter Mängeln (Verlust der Farbe oder der Duplexeigenschaft bei Verarbeitung), so hätten offenkundige Mängel dieser Art schon bei der Probe und versteckte Mängel spätestens nach deren Hervorkommen gerügt werden müssen (s auch JBl 1989, 309). Aus den von der beklagten Partei vorgelegten Reklamationsschreiben ihrer Abnehmer ist zu ersehen, daß diese etwa gleichzeitig mit der ersten Teillieferung des Klägers bei der beklagten Partei einlangten. Entsprachen die per November 1985 abgerufenen Tapeten aber nicht den schon vor der Bestellung von der beklagten Partei gekauften Tapeten und der Musterkollektion, so hätte auch dies sofort nach Prüfung der Teillieferung oder nach dem Hervorkommen eines geheimen Mangels gerügt werden müssen. Wäre der beklagten Partei der Nachweis einer erfolgten Mängelrüge gelungen, so wäre sie auch nicht verpflichtet gewesen, spätere Warenlieferungen abzunehmen (Würdinger-Röhricht aaO Rz 182) oder hier abzurufen.

Der vorliegende Fall ist aber dadurch besonders gekennzeichnet, daß nicht etwa dem Verkäufer die Zusendung weiterer Teillieferungen zu bestimmten Terminen oder nach seiner Wahl offen stand, sondern der beklagte Käufer sich zum Abruf der vereinbarten Warenmenge innerhalb eines Jahres verpflichtet hatte. Für diesen Fall ist zu prüfen, ob sich der Käufer die Rüge von Teillieferungen oder die Beanstandung der zu erwartenden Waren über den Ablauf der Abrufsfrist hinaus vorbehalten kann. Dies ist zu verneinen:

Der Sinn der den Verkäufer nach § 377 HGB treffenden Untersuchungs- und Anzeigepflicht liegt in einer möglichst raschen Unterrichtung des Verkäufers von der Mangelhaftigkeit der Ware. Er soll dadurch in die Lage versetzt werden, die zur Wahrung seiner Interessen nötigen Maßnahmen möglichst rasch zu ergreifen. Die Mängelrüge des Käufers muß daher auch alle Angaben darüber enthalten, worin der Mangel im einzelnen besteht und unter welchen Begleitumständen er aufgetreten ist (Kramer aaO Rz 41 zu §§ 377, 378; Schlegelberger, KommHGB4 III 2094, Anm 54 und 55; SZ 56/146 mwN). Der Nichtabruf der vereinbarten Warenmenge innerhalb der Abruffrist (hier durch fast das ganze restliche Jahr) und noch dazu das Schweigen auf die ausdrückliche Aufforderung zum Abrufen widersprechen dieser Aufklärungsfunktion des § 377 HGB. Der Käufer hat durch sein Stillschweigen dem Verkäufer die Möglichkeit genommen, die erst nach der Abruffrist behaupteten Mängel der Probe und oder der ersten Warenlieferung bzw. den Umstand bald zu prüfen, daß die weiteren Waren mit gleichen Mängeln behaftet sein würden, solche Mängel allenfalls abzustellen oder eine mängelfreie Ware innerhalb der Abruffrist zu liefern. Wenngleich daher die Genehmigungsfiktion unmittelbar nur die ungerügt angenommenen Teillieferungen umfaßte, geht die Berechtigung des Käufers, einen bloß möglicherweise mangelbehafteten Rest der Ware nicht mehr abrufen zu müssen, verloren, wenn gegenüber dem Verkäufer während der vereinbarten Abruffrist jede Rüge unterblieb. Der Fall liegt anders als in den Entscheidungen SZ 4/92 und HS 10.855, nach denen der Käufer bei Verweigerung der Annahme der Ware die Einwendung von Mängeln nicht verliert (so auch Kramer aaO Rz 11 a zu §§ 377, 378). Dort ging es nämlich nicht um Teillieferungen und auch nicht um die Verpflichtung zum Abruf einer nach Probe gekauften Ware. Daher trifft auch das dortige Argument, bei Nichtannahme fehle die Möglichkeit der Prüfung der Beschaffenheit der Ware, auf den vorliegenden Fall nicht zu, in dem der Beklagte nichts anderes behaupten kann, als daß entweder schon die Probe oder die ersten Teillieferungen mangelhaft gewesen seien und die Befürchtung bestanden habe, die noch abzurufenden künftigen Teillieferungen könnten denselben Mangel haben. Da fest steht, daß bis zum 25. 9. 1986 keine Rüge erhoben wurde, verlor die beklagte Partei also eine allenfalls erworbene Berechtigung, einen vielleicht mangelhaften Rest der Ware vom Kläger nicht mehr abrufen zu müssen, und geriet durch den Nichtabruf in schuldhaften Annahmeverzug. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, daß es auf Feststellungen darüber nicht mehr ankommt, ob die von der klagenden Partei gelieferten Tapeten mangelhaft waren, erweist sich daher im Ergebnis als zutreffend.

Im vorliegenden Fall liegt auch kein sogenanntes Qualifikationsaliud vor. Darunter versteht man die Lieferung einer Ware, die zwar das äußere Aussehen der ausgesuchten, in Wirklichkeit aber ganz andere Eigenschaften hat, die sie zu einem anderen Produkt stempeln (vgl. Kramer aaO Rz 59 mwN). Nach der für die Unterscheidung einer mangelhaften Ware von einem aliud maßgebenden Verkehrsauffassung (HS Erg 47) wäre daher der beklagten Partei, selbst wenn man von der Richtigkeit ihrer Behauptungen ausginge, eine verwendungsfähige Tapete geliefert worden. Allein von ihren Behauptungen her kann daher kein aliud vorliegen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E22582

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00605.9.1107.000

Dokumentnummer

JJT_19901107_OGH0002_0030OB00605_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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