TE Vwgh Erkenntnis 2005/12/13 2004/11/0081

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.2005
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §7 Abs1 Z1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z10;
FSG 1997 §7 Abs4;
StGB §43a Abs1;
StGB §83 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des C W in G, vertreten durch Dr. Franz Hitzenberger, Dr. Otto Urban, Mag. Andreas Meissner und Mag. Thomas Laherstorfer, Rechtsanwälte in 4840 Vöcklabruck, Feldgasse 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 9. März 2004, Zl. VwSen-520493/2/Kei/Sg, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 9. Dezember 2003 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 und 7 Abs. 1 Z 2, Abs. 3 Z 10 und Abs. 6 FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B auf die Dauer von zehn Monaten "ab Rechtskraft des Bescheides" entzogen. Weiters wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen und eine verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen. In ihrer Begründung ging die erstinstanzliche Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer am 25. August 2002 auf der Attersee-Bundesstraße an einer näher bezeichneten Örtlichkeit ohne besonderen Grund den aus dem eigenen Kfz ausgestiegenen und auf sein Kfz zukommenden W.M. geschlagen, gewürgt und quer über die Fahrbahn gegen die angrenzende Hecke gestoßen habe. Danach habe er W.M. nochmals mit der zur Faust geballten rechten Hand geschlagen. W.M. habe durch den Angriff Prellungen, Würgemale am Hals und Hautabschürfungen erlitten. Der Beschwerdeführer sei deshalb mit Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck "vom 30. April 2003" (richtig: vom 24. März 2003; das von der Behörde angegebene Datum bezieht sich auf die Urkunde über die bedingte Strafnachsicht) wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 150 Tagessätzen verurteilt worden. Gemäß § 43a Abs. 1 StGB sei "die Strafe" (richtig: ein Teil der Strafe von 100 Tagessätzen) unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden, der unbedingte Teil der Geldstrafe betrage 50 Tagessätze. Auf Grund des im Gerichtsakt ersichtlichen Strafregisterauszuges sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bereits am 30. April 1992 wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB, am 23. April 1993 wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 2 StGB, am 19. Juni 1997 wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB, am 11. November 1999 wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB, am 25. Jänner 1994 wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB, am 12. Dezember 1996 wegen des Vergehens nach § 146 StGB und am 5. Mai 1997 wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz verurteilt worden sei.

Das vom Beschwerdeführer gezeigte Verhalten (Selbstjustiz im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kfz) sei nicht nur an sich schon höchst verabscheuenswürdig, sondern gerade von einem Kfz-Lenker unter gar keinen Umständen zu dulden. Im Straßenverkehr komme es immer wieder zu Situationen, in denen man mit tatsächlichen oder vermeintlichen Fahrfehlern anderer Verkehrsteilnehmer konfrontiert werde. Die Verkehrssicherheit verlange es jedoch, sich auch in solchen Situationen zu beherrschen und allenfalls notwendige Maßnahmen gegen solche Fahrzeuglenker den zuständigen Organen von Exekutive, Behörden oder Gerichten zu überlassen. Durch das unbeherrschte, äußert aggressive Verhalten habe sich der Beschwerdeführer als nicht verkehrszuverlässig erwiesen. Er habe sich bei der in Rede stehenden Tat nicht nur besonders rücksichtslos benommen, sondern auch den Tatbestand des § 7 Abs. 3 Z 10 FSG erfüllt, indem er bereits zum fünften Mal wegen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 StGB verurteilt worden sei. In Anbetracht dieser Umstände vermöge auch die Tatsache, dass die Tat nun bereits länger als ein Jahr zurückliege, nichts daran ändern, dass die Annahme gerechtfertigt sei, der Beschwerdeführer werde auf Grund seiner Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten gefährden und wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kfz gegeben seien, sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen. Zusätzlich verlange dieses unbeherrschte Aggressionsverhalten aber auch eine verlässliche Abklärung, ob die ausreichende gesundheitliche - insbesondere psychische - Eignung und speziell die erforderliche Bereitschaft zur Verkehrsanpassung vorliege. In diesem Sinn sei auch eine amtsärztliche Fahrtauglichkeitsuntersuchung und vor allem eine verkehrspsychologische Begutachtung anzuordnen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 23. Dezember 2003 Berufung.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 9. März 2004 wurde der Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. In ihren Erwägungen verwies die belangte Behörde ausschließlich auf die Begründung des Bescheides der erstinstanzlichen Behörde.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgebenden Bestimmungen des Führerscheingesetzes lauten

(auszugsweise):

"Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlung schuldig machen wird.

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

10. eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß den §§ 75, 76, 84

bis 87 StGB oder wiederholt gemäß dem § 83 StGB begangen hat;

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z. 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung u.dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen.

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen."

Die belangte Behörde machte sich nach der Begründung des angefochtenen Bescheides zur Gänze die Erwägungen der erstinstanzlichen Behörde zu Eigen, worin diese unter anderem zum Ausdruck brachte, auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers sei die Annahme gerechtfertigt, er werde auf Grund seiner Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten gefährden und sich "wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, weiterer strafbarer Handlungen schuldig machen". Zutreffend ging die Behörde damit zunächst davon aus, dass die aufgezeigte Verhaltensweise des Beschwerdeführers, nämlich die Begehung eines Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB bereits zum wiederholten Male, im Hinblick auf die unstrittig früher begangenen derartigen Handlungen im Lichte des § 7 Abs. 3 Z 10 FSG eine bestimmte Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 1 Z 1 FSG darstellt. Es kann auch die Auffassung der Behörde nicht als rechtswidrig angesehen werden, dass das vom Beschwerdeführer gezeigte Verhalten bei einem Kraftfahrzeuglenker nicht toleriert werden könne, weil es im Straßenverkehr immer wieder zu Situationen kommen kann, in denen man mit tatsächlichen oder vermeintlichen Fahrfehlern anderer Verkehrsteilnehmer konfrontiert wird, und sich dennoch zu beherrschen hat.

Verfehlt war jedoch in diesem Zusammenhang der Hinweis, der Beschwerdeführer werde sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen (§ 7 Abs. 1 Z 2 FSG), weil die in § 7 Abs. 3 Z 10 FSG genannten strafbaren Handlungen ausschließlich dem § 7 Abs. 1 Z 1 FSG zuzuordnen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 2003, Zl. 2003/11/0240, mwH).

Insoweit der Beschwerdeführer rügt, dass von der belangten Behörde nicht die Verwaltungsstrafakten beigeschafft wurden, unterlässt er es darzulegen, welche für ihn günstigeren Umstände sich daraus ergeben hätten, und vermag es derart nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen.

Was jedoch die Wertung der bestimmten Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 4 FSG iVm § 7 Abs. 3 FSG anlangt, hat die belangte Behörde den Wertungskriterien nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Zwar trifft es zu, dass der Beschwerdeführer insgesamt vier Vorstrafen wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung aufweist, doch ist es von wesentlicher Bedeutung, dass diese Verurteilungen schon Jahre zurückliegen (1993, 1994, 1997, 1999) und dass der Beschwerdeführer (abgesehen von der Verurteilung aus dem Jahr 1997, wo er zu zwei Wochen bedingter Freiheitsstrafe verurteilt wurde) immer nur zu relativ geringen Geldstrafen verurteilt wurde. Die belangte Behörde hat ferner außer Acht gelassen, dass die über den Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 24. März 2003 verhängte Geldstrafe zum überwiegenden Teil (2/3) bedingt nachgesehen wurde. Das Strafgericht hat somit den vollständigen Vollzug der Strafe nicht als erforderlich erachtet. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Feber 2005, Zl. 2003/11/0266, mwH) können die diesbezüglichen Umstände auch für die Wertungskriterien nach § 7 Abs. 4 FSG Bedeutung haben.

Nach dem Spruch des Bescheides der belangten Behörde, die den Bescheid der Behörde erster Instanz bestätigte, wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung auf die Dauer von zehn Monaten, gerechnet "ab Rechtskraft des Bescheides", entzogen; das würde in Anbetracht der Tatbegehung am 25. August 2002 und der Erlassung des angefochtenen Bescheides mit seiner Zustellung am 28. März 2004 bedeuten, dass nach Einschätzung der belangten Behörde der Beschwerdeführer insgesamt rund 29 Monate verkehrsunzuverlässig wäre. Diese Einschätzung vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen. Die von der Behörde vorgenommene Prognose, der Beschwerdeführer werde erst nach 29 Monaten ab Begehung der Tathandlung seine Verkehrsunzuverlässigkeit wieder erlangen, erweist sich somit als verfehlt. Die belangte Behörde hätte vielmehr zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine noch wenigstens drei Monate ab Erlassung des erstinstanzlichen, geschweige denn des Berufungsbescheides, womit im Hinblick auf den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides erstmals wirksam die Lenkberechtigung entzogen wurde, andauernde Verkehrsunzuverlässigkeit (§ 25 Abs. 3 erster Satz FSG) nicht mehr gegeben war. Was die Anordnung der Beibringung einen amtsärztlichen Gutachtens betrifft, ist diese ebenfalls rechtswidrig, da diese Anordnung gemäß § 24 Abs. 3 FSG die Entziehung der Lenkberechtigung voraussetzt und mit der Aufhebung der Entziehung demnach die Grundlage für diese Anordnung fehlt. Desgleichen fehlt es an der Rechtsgrundlage für die Aufforderung zur Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333, im Rahmen des gestellten Begehrens.

Wien, am 13. Dezember 2005

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004110081.X00

Im RIS seit

18.01.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten