Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Kindes Christina D***, geboren am 14. Mai 1976, Schülerin, Pfarrgasse 61/21/8, 1232 Wien, hier vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Haeckelstraße 4, 1235 Wien, als Sachwalter zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche gegen den Vater Franz Peter G***, Kraftfahrzeugmechanikermeister,
Hauptstraße 5, 9871 Seeboden, vertreten durch Dr. Peter Borowan und Dr. Erich Roppatsch, Rechtsanwälte in Spittal an der Drau, infolge ao. Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Juli 1990, GZ 47 R 487/90-16, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liesing vom 22.Mai 1990, GZ 1 P 203/89-12, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Rekursgericht zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Der Vater hatte nach dem Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 9.Dezember 1985, GZ P 410/80-17, für seine Tochter, die damals noch die Volksschule besuchte, monatlich S 2.200,-
Unterhalt zu leisten. Er kam dieser Unterhaltsverpflichtung nach. Das Erstgericht erhöhte auf Antrag des durch den Jugendwohlfahrtsträger als Sachwalter vertretenen Kindes den vom Vater zu leistenden Unterhalt ab dem 10.Oktober 1989 auf monatlich S 4.220,- und wies den Antrag, den Vater zur Leistung des weiteren monatlichen Unterhaltes von S 1.260,-- vom 15.Oktober 1986 bis 31. Dezember 1986, von S 1.360,- vom 1.Jänner 1987 bis 31.Dezember 1987, von S 1.480,- vom 1.Jänner 1988 bis 31.Dezember 1988 und von S 2.020,- vom 1.Jänner 1989 bis 9.Oktober 1989 zu verpflichten, ab, weil in der Vergangenheit die Mutter schon den allenfalls fehlenden Unterhalt des Kindes geleistet und damit - vorbehaltlich ihres Ersatzanspruches nach § 1042 ABGB - den Anspruch des Kindes getilgt habe.
Das Rekursgericht gab den von Vater und Kind erhobenen Rekursen nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es ging auf Grund der unbekämpft gebliebenen Feststellung davon aus, daß die Mutter für den allenfalls fehlenden Unterschiedsbetrag zwischen dem Unterhaltsanspruch des Kindes un dem vom Vater geleisteten Betrag von monatlich S 2.200,- aufgekommen ist, und teilte daher unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 9.Juni 1988 zu 6 Ob 544/87 die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Unterhaltsanspruch der Minderjährigen in der Vergangenheit dadurch erloschen sei, daß der Unterhalt von der Mutter geleistet wurde. Der allfällige Rückforderungsanspruch der Mutter nach § 1042 ABGB bleibe davon unberührt.
Mit dem außerordentlichen Revisionsrekurs bekämpft das Kind diese rechtliche Beurteilung, weil die Mutter nicht freiwillig, sondern "zwangsläufig" den fehlenden Unterhalt geleistet habe und deshalb der Unterhaltsanspruch des Kindes nicht erlöschen oder auf die Mutter übergehen konnte. Die Einforderung von Unterhalt für die Vergangenheit, die nach der erwähnten Entscheidung zugelassen sei, komme sonst praktisch nicht zum Tragen, wenn die den Interessen der Minderjährigen widerstreitende Rechtsansicht der zweiten Instanz zuträfe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nach § 14 Abs 1 und 3 AußStrG idF WGN 1989 zulässig und berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof ist von der früher vertretenen Rechtsmeinung, Unterhalt für die Vergangenheit könne nicht gefordert
werden, abgegangen (verstärkter Senat 9.Juni 1988, 6 Ob 544/87 =
EvBl 1988/123 = JBl 1988, 586 zust. Pichler = ÖA 1988, 79 =
EFSlg 57.045/3). In dieser in einem Prozeß ergangenen Entscheidung wurde auch zu der Frage Stellung genommen, wie sich Leistungen eines Dritten auf den Unterhaltsanspruch auswirken: Leistete ein Dritter in der Erwartung des Ersatzes vom Unterhaltsschuldner ohne Schenkungsabsicht den gesetzlichen Unterhalt, so sei der Anspruch des Unterhaltsberechtigten im Umfang der erbrachten Leistung durch die Erfüllung getilgt. Dem Leistenden stehe gegen den Unterhaltsschuldner der Anspruch nach § 1042 ABGB zu. Die Schuldtilgung und der Forderungsübergang seien vom Unterhaltsbeklagten einzuwenden. Einen dann bestehenden ersten Anschein für das Zutreffen der Einwendung habe der Unterhaltsberechtigte zu entkräften.
In der in einem außerstreitigen Unterhaltsverfahren ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 7.Juli 1988, 6 Ob 580/88 (RPflSlgA 1988, 181/7848 = EFSlg 57.053 = ÖA 1990, 15) wurde eine Erörterung der Frage, ob die Unterhaltsschuld des Vaters durch eine andere Person getilgt wurde, für entbehrlich gehalten, weil nichts dafür sprach, daß das unterhaltsberechtigte Kind Leistungen eines Dritten erhalten hatte. Der Vater war seiner in einem Vergleich vereinbarten festgelegten Unterhaltspflicht nachgekommen, die Unterhaltsleistungen hätten nur nicht dem Einkommen entsprochen, das der Vater erzielte. Es fehle daher ein Grund zur Annahme, daß ein Dritter das Fehlende beigetragen habe. Dagegen trug der Oberste Gerichtshof am 15.September 1988 zu 8 Ob 626/88 und am 9.Mai 1990 zu 2 Ob 551/90 dem Erstgericht auf, Feststellungen darüber zu treffen, ob und in welchem Ausmaß eine dritte Person (die Mutter) in der Erwartung des Ersatzes vom Unterhaltsschuldner Leistungen an das Kind erbrachte und damit einen Anspruch nach § 1042 ABGB erworben habe. Während in 8 Ob 626/88 dieser in dem Außerstreitverfahren unerörtert gebliebene Problemkreis vom Obersten Gerichtshof amtswegig aufgegriffen wurde, war in 2 Ob 551/90 die Aufhebung darauf gestützt, daß der Vater in seinem Rekurs gegen die Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit geltend gemacht hatte, in dem betroffenen Zeitraum habe die Mutter den Unterhalt für das minderjährige Kind selbst geleistet. Es sei vor allem nicht erkennbar, wie das Rekursgericht zu der Annahme gelangt sei, daß eine Unterhaltsleistung durch die Mutter in Erwartung eines Ersatzes durch den unterhaltspflichtigen Vater erfolgte, und es bedürfe daher ergänzender Feststellungen zu diesem Einwand des Vaters. In dem nun zur Entscheidung vorliegenden Fall hat der Vater im außerstreitigen Verfahren über den Antrag des minderjährigen Kindes, ihn auch für vor der Antragstellung liegende Zeiträume zu einer zusätzlichen Unterhaltsleistung zu verhalten, sich nur auf die Rechtskraft der Unterhaltsfestsetzung mit S 2.200,-- monatlich und darauf berufen, daß er die auferlegten Zahlungen pünktlich erbracht und sich nicht durch unrichtige Angaben über seine Lebensverhältnisse einer Unterhaltspflicht entzogen habe. Es gehe nicht an, daß das Kind durch einen Wechsel seines Aufenthaltes wegen der unterschiedlichen Unterhaltsbemessung in den Gerichtssprengeln eine beträchtliche Unterhaltsnachforderung trotz rechtskräftiger Unterhaltsfestsetzung stellen könne. Daß die Mutter mit der Absicht, von ihm Ersatz nach § 1042 ABGB zu fordern, für ihn Beträge zum Unterhalt des Kindes aufgewendet habe, hat der Vater nicht geltend gemacht. Die Mutter hat bei ihrer Vernehmung am 13.Feber 1990 erklärt, sich dem Antrag des durch den Sachwalter vertretenen Kindes anzuschließen.
Im Verfahren außer Streitsachen hat das Gericht alle Umstände und Verhältnisse, welche auf die Entscheidung Einfluß haben, von Amts wegen zu untersuchen (§ 2 Abs 2 Z 5 AußStrG), doch sind auch im Bereich des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens Behauptungs- und Beweislastregeln heranzuziehen, wenn es sich um nur über Antrag zu entscheidende vermögensrechtliche Ansprüche handelt (Edlbacher, Verfahren außer Streitsachen, 21, Anm 4 zu § 2 AußStrG;
Pichler, Gedanken zum Unterhalt für die Vergangenheit, ÖA 1988, 69;
SZ 53/54; ÖA 1982, 67). Ob der vom Kind erhobene Unterhaltsanspruch gegen den Vater erloschen ist, weil die Mutter bereits in der Erwartung des Ersatzes vom Vater geleistet hat, ist daher auch im außerstreitigen Unterhaltsverfahren nur zu untersuchen, wenn der Vater diesen Einwand erhebt oder sich sonst im Verfahren hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben.
Die Vorinstanzen haben nun zu Unrecht daraus, daß die Mutter von sich aus allenfalls zum Unterhalt ihres Kindes über die ihr nach dem § 140 ABGB obliegende Verbindlichkeit, die mit der Führung des Haushalts, in dem sie das Kind betreute, erfüllt war - Anhaltspunkte für das Vorliegen der im § 140 Abs 2 Satz 2 ABGB angeführten Voraussetzungen fehlen - , Beiträge erbrachte, weil die Bedürfnisse des Kindes mit dem vom Vater geleisteten Monatsbetrag von S 2.200,-- und der Haushaltsführung nicht gedeckt waren, den rechtlichen Schluß gezogen, schon daraus ergebe sich ihr Anspruch nach § 1042 ABGB. Gewiß muß vermieden werden, daß der Vater für die Vergangenheit Unterhalt für sein Kind zu leisten hat und dann noch einem ihm während der langen Verjährungszeit drohenden Ersatzanspruch eines Dritten ausgesetzt ist.
Solange der Oberste Gerichtshof daran festgehalten hatte, daß Unterhalt stets erst ab der gerichtlichen Geltendmachung zuerkannt werden könne, und einen Zuspruch für vor der Geltendmachung liegende Zeiträume abgelehnt hatte, konnte ein an sich nach dem Gesetz zur Unterhaltsleistung Verpflichteter nur mehr im Wege des im Prozeß geltend zu machenden Anspruches des Dritten, der Unterhaltsleistungen an seiner Stelle erbracht hatte, herangezogen werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist es verständlich, daß dem Dritten der Verpflichtungswille unterstellt wurde und die Absicht, den Schuldner zum Rückersatz zu verpflichten, zu vermuten war (Koziol-Welser8 I 388; SZ 57/121 uva). Es wurde sogar ein nur hypothetischer Rückforderungswille anerkannt, wenn die Leistung in der irrigen Annahme erbracht wurde, selbst verpflichtet zu sein (SZ 31/8; SZ 33/41 ua). Durch die Änderung der Rechtsprechung zum Unterhalt für die Vergangenheit ist dieser Vermutung aber dann der Boden entzogen, wenn Unterhaltsansprüche des Kindes noch geltend gemacht werden können. Der Dritte kann in der Absicht leisten, die Unterhaltspflicht des Schuldners zu erfüllen, und ihm die Leistung zu schenken oder von ihm Ersatz einzuklagen. Im ersten Fall steht ihm kein, im zweiten Fall ein Anspruch nach § 1042 ABGB gegen den zur Leistung Verpflichteten zu. In beiden Fällen ist der Anspruch des Kindes, weil für den Schuldner geleistet wurde, durch Erfüllung erloschen. Der Dritte (die Mutter) kann aber nur nach § 1042 ABGB vorgehen, wenn der Unterhaltspflichtige von seiner Schuld befreit wurde. Der Anspruch kann nur entweder dem Kind oder dem Drittzahler zustehen (Koziol-Welser8 II 247).
Verwendete aber die Mutter, wie dies in einem Familienverband nahe liegt, Geld nicht zum Nutzen des unterhaltspflichtigen Vaters, sondern gleichsam vorschußweise für das ihrer Obsorge anvertraute Kind in der Absicht, dessen berechtigte Ansprüche nicht zum Erlöschen zu bringen und sich allenfalls nach Durchsetzung der unberührt gebliebenen Unterhaltsansprüche des Kindes Ausgleich zu verschaffen, so hat sie keinen Anspruch nach § 1042 ABGB gegen den Vater, und dieser hat weiter an das Kind das Geschuldete zu leisten. Nur so ist in einer familienpolitisch vernünftigen Weise eine Lösung zu finden, der auch nicht entgegensteht, daß eine Darlehensgewährung der Mutter an das Kind ein Insichgeschäft mit dem gesetzlichen Vertreter des Kindes wäre, das nur unter besonderen Voraussetzungen und mit Genehmigung des Gerichtes gültig wäre (vgl Pichler in ÖA 1988, 74), weil bei dem laufend oder plötzlich eintretenden Bedarf des Kindes solche rechtliche Konstruktionen lebensfremd wären.
Es ist daher denkbar, daß die Mutter für das Kind leistet und sich vom Vater Ersatz holen will. Dann ist der Anspruch des Kindes getilgt. Die Mutter kann auf den Ersatz verzichten und ihre Leistung dem Vater schenken. In diesem Fall steht dem Kind im Umfang des Empfangenen kein Unterhalt mehr zu, aber auch der Mutter kein Ersatzanspruch gegen den Vater.
Die Mutter kann auch dem Kind schenkungsweise Beträge zuwenden und den Unterhaltsanspruch des Kindes unberührt lassen. Dann steht ihr, weil sie nicht für den Vater geleistet hat, kein Ersatzanspruch gegen diesen zu; der Problematik der Anlegungspflicht (Pichler, ÖA 1988, 74) kommt wohl keine besondere Bedeutung zu.
Letztlich aber kann die Mutter im Zuge der Versorgung des Kindes kurzfristig Beträge vorschießen, ohne für den Vater leisten und diesen entlasten zu wollen und ohne Ersatz von ihm zu verlangen. Da hier die Mutter dem Antrag des Kindes beitrat, ist nur die zuletzt geschilderte Variante naheliegend. Es ist nicht anzunehmen, daß die Mutter es auf sich nimmt, einen mit dem Kostenrisiko verbundenen Prozeß gegen den Vater führen zu wollen, um sich fallweise zugeschossene Mittel wieder zu verschaffen, wenn das Kind im außerstreitigen Verfahren seine berechtigten Ansprüche durchsetzen kann. Auch für den Vater ist es nachteiliger, wenn er einem Ersatzanspruch nach § 1042 ABGB ausgesetzt ist. Daß die Mutter in der Zeit vor der Stellung des Erhöhungsantrages fallweise Beiträge zuschoß, statt schon früher die Geltendmachung von Ansprüchen des Kindes auf höheren Unterhalt einzuleiten, stellt also ohne weitere Anhaltspunkte für das Entstehen eines Anspruches nach § 1042 ABGB keinen Grund dar, dem Kind nicht auch für den vergangenen Zeitraum Unterhalt zuzuerkennen, ganz abgesehen davon, daß die erstgerichtliche Annahme einer Grundlage entbehrt und selbst dann, wenn die Mutter für "einen allenfalls fehlenden Unterhalt" aufgekommen wäre, noch nicht feststeht, daß damit der gesamte Erhöhungsbetrag abgedeckt wurde. Es ist daher der Beschluß des Rekursgerichtes aufzuheben und diesem die neue Entscheidung über den Erhöhungsantrag für die Vergangenheit aufzutragen.
Anmerkung
E22583European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00606.9.1114.000Dokumentnummer
JJT_19901114_OGH0002_0030OB00606_9000000_000