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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des S T in B, vertreten durch Mag. Stephan Wirth, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Belruptstraße 6, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 11. Februar 2003, Zl. Ia-370-722/1998, betreffend Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaftsverleihung und der Erstreckung derselben sowie Abweisung des Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. November 2000, dem Beschwerdeführer zugestellt am 8. November 2000, wurde dem Beschwerdeführer - einem im Jahr 1964 in Bosnien-Herzegowina geborenen kroatischen Staatsangehörigen - die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sowie deren Erstreckung auf beide Kinder (M T und J T) für den Fall zugesichert, dass innerhalb von zwei Jahren ab Rechtskraft dieses Bescheides das Ausscheiden aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates nachgewiesen wird.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Februar 2003 widerrief die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 2 und Abs. 5 iVm § 10 Abs. 1 Z 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) diese Zusicherung (Punkt 1.) und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft sowie die Anträge auf Erstreckung derselben gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 bzw. § 17 StbG ab (Punkt 2. und Punkt 3.).
Begründend führte sie dazu im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe seit 26. Juli 1989 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich, er sei seit 1985 mit (der kroatischen Staatsangehörigen) M T verheiratet; aus dieser Ehe entstammten die Kinder M und J. Der Beschwerdeführer habe in Kroatien die Schule besucht, er sei in Österreich bei verschiedenen Firmen beschäftigt gewesen; derzeit sei er bei einer näher bezeichneten Firma in H beschäftigt.
Gegen den Beschwerdeführer sei von der Staatsanwaltschaft K im Allgäu (BRD) ein Strafverfahren wegen exhibitionistischer Handlungen eingeleitet worden, "weil der Antragsteller am 13.03.2001 gegen 15.00 Uhr in L vor den Augen einer Frau, mit der Absicht sich sexuell zu erregen, masturbierte". Dieses Strafverfahren sei nach Einzahlung von DM 200,-- eingestellt worden. Anlässlich der Befragung durch die Polizeiinspektion L habe der Beschwerdeführer angegeben, "dass er sich vor ca. ein bis zwei Jahren in H gegenüber einer Frau in gleicher Weise gezeigt habe".
Von "der Bezirkshauptmannschaft" sei er mit Geldstrafe in Höhe von EUR 87,-- bestraft worden, wegen einer "Übertretung vom 03.10.2001 nach § 52 lit. a Z 10a StVO, weil er mit dem von ihm gelenkten PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h im Ortsgebiet um 24 km/h überschritt".
Der Beschwerdeführer sei des weiteren (vor Erlassung des Zusicherungsbescheides) etwa mit Geldstrafe in Höhe von EUR 102,-- bestraft worden wegen einer "Übertretung vom 08.04.1999 nach den §§ 52 lit. a Z 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO, weil er mit dem von ihm gelenkten PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h im Ortsgebiet um 18 km/h überschritt", und er sei auch mit Geldstrafe in Höhe von EUR 58,-- bestraft worden wegen einer "Übertretung vom 17.07.2000 nach § 38 Abs. 5 StVO in Verbindung mit § 38 Abs. 1 lit. a StVO, weil er mit dem von ihm gelenkten PKW trotz Rotlichts der Verkehrssignalanlage nicht an der Haltelinie angehalten, sondern weitergefahren ist, obwohl ein sicheres Anhalten möglich gewesen wäre".
Im Jahr 2000 sei die Behörde davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft (noch) vorgelegen seien, wenngleich der Beschwerdeführer (wie den im angefochtenen Bescheid dargestellten Übertretungen zu entnehmen sei) sich damals bereits nicht an die Rechtsordnung gehalten habe. Nach Erlassung des Zusicherungsbescheides habe der Beschwerdeführer in L in der Öffentlichkeit masturbiert. "Besonders zu berücksichtigen" sei, dass er die unzüchtige Handlung nach Erlassung des Zusicherungsbescheides vorgenommen habe und es sich "dabei um eine Wiederholungstat gehandelt hat". Nach Erlassung des Zusicherungsbescheides habe er weiters eine gravierende Geschwindigkeitsübertretung (nämlich eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 80 %) begangen. Eine Gesamtbetrachtung der vor Erlassung des Zusicherungsbescheides begangenen Übertretungen habe eine Abweisung des Verleihungsantrages nicht gerechtfertigt. Mit den "neuerlichen Übertretungen (hier von herausragender Bedeutung die erneute massive Geschwindigkeitsübertretung vom 03.10.2001, die nach erfolgter Zusicherung begangen wurde)" ergebe sich aber ein Gesamtverhalten, welches den Schluss zulasse, dass der Beschwerdeführer "möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten wird, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen wurden".
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG seien daher nicht erfüllt. Deshalb seien die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und deren Erstreckung zu widerrufen und die Anträge auf Verleihung der Staatsbürgerschaft sowie deren Erstreckung abzuweisen. Der Tatbestand des § 14 StbG sei nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer nicht von Geburt staatenlos sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Vorweg ist auf das hg. Erkenntnis vom 30. August 2005, Zl. 2004/01/0444, und die darin angegebene Judikatur zu verweisen (§ 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG). Danach kommt ein Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur in Frage, wenn eine gesetzliche Verleihungsvoraussetzung, die zur Zeit der Zusicherung erfüllt war, nachträglich weggefallen ist. Das Fehlen einer Verleihungsvoraussetzung, die auch im Zeitpunkt der Zusicherung nicht gegeben war, stellt keinen Widerrufsgrund dar. Da ein Widerruf (im Sinne des § 20 Abs. 2 StbG) nicht im Ermessen der Behörde liegt, konnte dieser auch nicht auf Ermessenserwägungen oder typischerweise im Rahmen einer Ermessensübung zu berücksichtigende Gesichtspunkte gestützt werden.
Die belangte Behörde ist im Beschwerdefall davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nach Erlassung des Zusicherungsbescheides in L (am 13. März 2001) in der Öffentlichkeit masturbiert habe. Sie hat besonders hervorgehoben, dass es sich dabei um eine "Wiederholungstat" gehandelt habe.
Die belangte Behörde hat über eine vor dem Vorfall in L vom Beschwerdeführer begangene "Tat" aber keine Feststellungen getroffen. Sie hat auch nicht hinreichend dargelegt, welche Erwägungen dazu führen, dass eine "Wiederholungstat" als erwiesen anzunehmen ist. Der Hinweis im angefochtenen Bescheid auf eine Äußerung des Beschwerdeführers anlässlich seiner Befragung bei der Polizeiinspektion L vermag die Annahme einer "Wiederholungstat" für sich allein noch nicht zu tragen und erforderliche Feststellungen darüber nicht zu ersetzen.
Der Beschwerdeführer wurde - nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten - am 4. Mai 2001 (durch die Kriminalabteilung Bregenz) wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 218 StGB zur Anzeige gebracht; diese Anzeige wurde von der Staatsanwaltschaft F am 9. Mai 2001 gemäß § 90 StPO zurückgelegt. Der damit zur Anzeige gebrachte Sachverhalt kann ohne Auseinandersetzung mit bereits vorliegenden Beweisaussagen bzw. Ermittlungen (vgl. etwa die von der Äußerung vor der Polizeiinspektion L abweichende Aussage des Beschwerdeführers vom 3. Mai 2001 vor dem Landesgendarmeriekommando V über einen Vorfall am FKK-Parkplatz in
F) bzw. ohne allenfalls ergänzende Befragung des Beschwerdeführers
nicht ohne weiteres als erwiesen angesehen und der Entscheidung ohne Feststellungen darüber jedenfalls nicht zugrunde gelegt werden.
Für das von der belangten Behörde als wesentlich erachtete Vorliegen einer "Wiederholungstat" enthält der angefochtene Bescheid daher keine tragfähige Begründung.
Auch die am 3. Oktober 2001 (16 Monate vor Erlassung des angefochtenen Bescheides) begangene Geschwindigkeitsübertretung (eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h im Ortsgebiet um 24 km/h), zu der nähere (etwa gefahrenerhöhende) Umstände nicht festgestellt wurden (vgl. im Gegensatz dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2004, Zl. 2002/01/0568, und die im damals angefochtenen Bescheid unter Punkt 7. lit. a getroffenen Feststellungen), lässt selbst unter Berücksichtigung der vor Erlassung des Zusicherungsbescheides begangenen Verwaltungsübertretungen kein ausreichendes Gewicht erkennen, um für sich betrachtet die negative Zukunftsprognose der belangten Behörde zu tragen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0427).
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das auf den zusätzlichen Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren findet in den erwähnten Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 13. Dezember 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003010121.X00Im RIS seit
08.02.2006