Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Jacqueline B***, geboren am 7. Dezember 1976 und des mj. David B***, geboren am 18. Juli 1984, infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 4. Juli 1990, GZ 22 a R 74/90-8, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 22. Mai 1990, GZ 4 P 40/90-5, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die mj. Jacqueline ist die uneheliche Tochter der Sabine B*** und des Bernd H***. Mit Urteil des Stadtbezirksgerichtes Berlin-Friedrichshain vom 22. September 1978 wurde die Vaterschaft des Bernd H*** festgestellt und der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 95 Mark und ab dem 13. Lebensjahr der Minderjährigen von 110 Mark verurteilt.
Der mj. David B*** ist der eheliche Sohn der Sabine B*** und des Dirk B***. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Stadtbezirksgerichtes Berlin-Friedrichshain vom 24. März 1988 geschiiee.. Das Erziehungsrecht für den Minderjährigen wurde der Mutter übertragen und der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 120 Mark und ab dem 13. Lebensjahr des Minderjährigen von 145 Mark verurteilt. Nach dem Inhalt des Urteils waren beide Eltern Staatsbürger der DDR.
Die Mutter und die beiden Minderjährigen haben ihren gewÄhnlichen Aufenthalt im Inland (in Gröding). Mit schriftlicher Erklärung vom 26. Februar 1990 erteilte die Mutter gemäß § 212 Abs. 2 ABGB ihre1Z6stimmung, daß die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung zur Festsetzung und Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der Minderjährigen einschreitet. Die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung beantragte seine Bestellung zum besonderen Sachwalter für die Minderjährigen mit der Begründung, daß § 212 ABGB offensichtlich nur für im Inland geborene Kinder gelte.
Das Erstgericht bestellte die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung für die mj. Jacqueline zum Pfleger gemäß den §§ 1706 f BGB und für den mj. David zum Pfleger gemäß § 1671 Abs. 5 BGB unter Begrenzung des Wirkungskreises auf die Geltendmachung und Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Die Voraussetzungen für die Anordnung und Beendigung einer Vormundschaft oder Pflegschaft sowie deren Wirkungen seien gemäß § 27 IPRG nach dem Personalstatut des Pflegebefohlenen, somit im vorliegenden Fall nach dem Recht der BRD zu beurteilen. Das BGB sehe in den §§ 1706 ff und 1671 die Möglichkeit vor, einem mj. Kind einen Vertreter zur Festsetzung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen zu bestellen. Das Rekursgericht gab dem gegen den erstgerichtlichen Beschluß erhobenen Rekurs der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung Folge und wies den Antrag der Rechtsmittelwerberin ab. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist.
Nach der Auffassung des Rekursgerichtes könne im Geltungsbereich des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens der gesetzliche Vertreter ausländischer Minderjähriger mit inländischem gewÄhnlichen Aufenthalt durch Zustimmung den Jugendwohlfahrtsträger zum Muß- oder Kann-Sachwalter nach § 212 Abs. 2 und Abs. 3 ABGB machen, soweit nicht ihr Heimatrecht eine solche Übertragung untersage. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens seien gegeben, da die Minderjährigen Staatsangehörige der BRD seien, ihren gewÄhnlichen Aufenthalt in Österreich hätten und sowohl die BRD als auch Österreich Vertragsparteien des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens seien. Es genüge somit die bereits vorliegende schriftliche Zustimmungerklärung der Mutter, sodaß der Antrag abzuweisen sei. Eine Sachwalterbestellung nach § 213 ABGB sei nur bei Vorliegen bestimmter Gründe möglich, die sich aus einzelnen Gesetzesstellen ergeben könnten, wie etwa aus den §§ 145 b, 145 c, 156 bis 159 und 176 a ABGB. Solche Gründe lägen nach der Aktenlage nicht vor. Eine Bestellung zum Pfleger nach den Bestimmungen des BGB sei, worauf die Rechtsmittelwerberin zu Recht hinweise, nie beantragt worden.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung ist nicht berechtigt.
Nach § 212 Abs. 2 ABGB ist der Jugendwohlfahrtsträger für die Festsetzung oder Durchsetzung der Unterhaltsansprüche des Kindes dessen Sachwalter, wenn die schriftliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorliegt. Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß die Sachwalterschaft des Jugendwohlfahrtsträgers, anders als nach der Rechtslage vor dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz kraft Gesetzes eintritt und ein Gerichtsbeschluß entbehrlich ist. Es genügt ein schriftliches Ersuchen oder eine schriftliche Zustimmungserklärung des gesetzlichen Vertreters (vgl. Pichler, Neues im Kindschaftsrecht in JBl. 1989, 681). Beizutreten ist auch der Rechtsansicht der zweiten Instanz, daß im Geltungsbereich des Übereinkommens vom 5. Oktober 1961, BGBl. 1975/446, über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (im folgenden Minderjährigenschutzübereinkommen) der gesetzliche Vertreter des ausländischen Minderjährigen den Jugendwohlfahrtsträger durch schriftliche Zustimmungserklärung zum Sachwalter nach § 212 Abs. 2 ABGB machen kann, sofern nicht das Heimatrecht des Minderjährigen eine solche Übertragung ausdrücklich untersagt (Pichler in Rummel2, Rz 1 a zu § 212). Zu den Schutzmaßnahmen des Minderjährigenschutzübereinkommens gehört jedenfalls die Bestellung von besonderen Sachwaltern. Die Behörden des zuständigen Staates haben unter Ausschluß des IPRG und somit auch des § 27 IPRG ihr eigenes Sachrecht anzuwenden (Schwimann, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen in JBl. 1976, 233 f). Außerhalb des Anwendungsbereiches des Minderjährigenschutzübereinkommens ist jedoch bei Bestellung von besonderen Sachwaltern von § 27 IPRG auszugehen, der das Personalstatut (das Recht des Staates, dessen Staatsangehöriger der Minderjährige ist) für maßgeblich erklärt. Darauf, wo der Minderjährige geboren wurde, worauf die Rechtsmittelwerberin offensichtlich abstellt, kommt es in beiden Fällen nicht an.
Das Haager Minderjährigenschutzübereinkommen ist auf alle Minderjährigen anzuwenden, die ihren gewÄhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten haben. Zufolge des von Österreich erklärten Vorbehaltes nach Art. 13 Abs. 3 des Übereinkommens ist es in Österreich jedoch nur auf Minderjährige anzuwenden, die Staatsangehörige eines Vertragsstaates sind. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland gehören zu den Vertragsstaaten, die DDR war nicht Vertragsstaat. Die beiden Minderjährigen haben ihren gewÄhnlichen Aufenthalt in Österreich. Die Vorinstanzen sind aufgrund der Eintragungen in den in Fotokopie vorliegenden, vom Generalkonsulat der BRD in Salzburg ausgestellten Reisepässen davon ausgegangen, daß die Minderjährigen Staatsangehörige der BRD und somit eines Vertragsstaates sind. Die Eintragungen in Reisepässen haben jedoch nur deklarative Bedeutung und sind deshalb nicht geeignet, die Behörden von ihrer Pflicht, zur Feststellung des kollisionsrechtlich relevanten Sachverhaltes, wozu auch Staatsangehörigkeitsfragen gehören, zu entbinden.
Staatsangehörigkeitsfragen sind nach dem Recht des Staates zu entscheiden, um deren Staatsangehörigkeit es sich dreht (Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 2 IPRG).
Die herrschende Lehre und die Praxis in der BRD bekennt sich zur gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit. Die BRD behandelte jeden Bürger der DDR, der in den Schutzbereich der BRD und ihrer Verfassung geriet, gemäß Art. 16 des Grundgesetzes als Deutschen wie jeden Bürger der Bundesrepublik. Es galt der Grundsatz der "offenen Tür"; jeder Deutsche (BRD-Bürger) konnte alle Rechte und Pflichten aus der Staatsangehörigkeit zur BRD in Anspruch nehmen, was nicht nur an den Grenzen der BRD, sondern auch in den BRD-Vertretungen in Drittländern galt (Randelzhofer in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, II, Art. 16 Abs. 1 RNr. 70 und 74; AK-GG-Rider [Alternativkommentare, Kommentar zum Grundgesetz] Art. 16 Abs. 1 I Rz 21).
Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik hat mit Beschluß vom 23. August 1990 den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD gemäß Art. 23 des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 erklärt (BGBl. 1990 I Nr. 49). Nach Art. 11 (Verträge der BRD) des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - gehen die Vertragsparteien davon aus, daß völkerrechtliche Verträge und Vereinbarungen, denen die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei angehört, ihre Gültigkeit behalten und die daraus folgenden Rechte und Verpflichtungen sich mit Ausnahme der in Anlage I genannten Verträge auch auf das in Art. 3 genannte Gebiet (Gebiet der DDR) beziehen. Das Minderjährigenschutzübereinkommen, dem die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei angehört, ist nicht in Anlage I angeführt. Der Art. 11 des Einigungsvertrages entspricht dem Prinzip der souveränen Entscheidungsfreiheit bei der Staatennachfolge und den Regeln des allgemeinen Völkerrechts. Durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik ist diese als Staat unter- und ihr gesamtes Gebiet in einen bestehenden Staat aufgegangen (vgl. Verdroß-Simma, Universelles Völkerrecht3 607 f). Nach den Grundsätzen des Völkerrechts erstrecken sich multilaterale Abkommen des einverleibenden Staates auch auf das neue Gebiet (Dahm VR2 I/1 163). Das Minderjährigenschutzübereinkommen hat keinen politischen Charakter. Es ist ein multilaterales Übereinkommen auf dem Teilgebiet des Soziallebens, mit dessen Gegenstand und Zielen die Erstreckungswirkung nicht nur nicht unvereinbar ist, sonderen dessen Zielen die Ausdehnung besser entspricht (vgl. Dahm aaO 161 und 165). Sein Geltungsbereich erstreckt sich daher räumlich auch auf die Gebiete der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und zufolge der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit auch auf ehemalige DDR-Bürger. Die durch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geschaffene Rechtslage ist auch im Rechtsmittelverfahren beachtlich. Die Problemlage ist nicht anders, als wenn bei Inkrafttreten des Minderjährigenschutzübereinkommens (allenfalls auch im Falle des Beitrittes eines weiteren Staates) ein anhängiges Verfahren in der Rechtsmittelinstanz schwebt. Die herrschende Meinung geht hiebei davon aus, daß eine Maßnahme, gegen die ein Rechtsmittel schwebt, noch nicht endgültig getroffen und daher nach der neuen Rechtslage zu prüfen ist (Schwimann, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen in JBl. 1976, 234). Daraus folgt, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des Minderjährigenschutzübereinkommens in räumlicher und personeller Hinsicht gegeben sind.
In Ansehung der mj. Jacqueline waren die Eltern bei ihrer Geburt nicht miteinander verheiratet, sodaß nach § 46 Abs. 1 des Familiengesetzbuches der DDR der Mutter das Erziehungsrecht, das auch die gesetzliche Vertretung umfaßt, zukam. Für den mj. David wurde der Mutter durch Ausspruch des Gerichtes das Erziehungsrecht übertragen (§ 45 Abs. 3 leg. cit.). An der gesetzlichen Vertretungsbefugnis der Mutter hat sich auch durch die Wiedervereinigung nichts geändert, da nach Kapitel III der Anlage I, Sachgebiet bürgerliches Recht, Art. 234, § 11 des Einigungsvertrages die elterliche Obsorge für ein Kind demjenigen zusteht, dem das Erziehungsrecht am Tage vor dem Wirksamwerden des Beitrittes nach dem bisherigen Recht zustand. Eine rechtsgeschäftliche Übertragung eines Teils der gesetzlichen Vertretungsmacht - um eine solche handelt es sich bei der Erklärung des gesetzlichen Vertreters nach § 212 Abs. 2 ABGB; Pichler, Neues im Kindschaftsrecht in JBl. 1989, 681 - ist nach dem Recht der BRD nicht ausdrücklich untersagt. Auch im Familiengesetzbuch der DDR findet sich eine solche Anordnung nicht. Dem Rekursgericht ist daher darin beizupflichten, daß die Mutter der beiden Minderjährigen durch schriftliche Zustimmungserklärung die Rechtsmittelwerberin zum besonderen Sachwaft3r nach § 212 Abs. 2 ABGB machen kann und ein Gerichtsbeschluß entbehrlich ist. Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung nach § 213 ABGB liegen nicht vor. Der Antrag der Rechtsmittelwerberin zielte auch nur auf eine Bestellung nach § 212 Abs. 2 ABGB (AS 1). Das Rekursgericht hat daher den Antrag zu Recht zurückgewiesen.
Demgemäß ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.
Anmerkung
E22448European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00635.9.1115.000Dokumentnummer
JJT_19901115_OGH0002_0070OB00635_9000000_000