TE OGH 1990/11/20 10ObS368/90

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Veröffentlicht am 20.11.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Walter Holzer (Arbeitgeber) und Mag. Wilhelm Patzold (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois S***, Pensionist, 1170 Wien, Dürauergasse 9-13/5/5, vertreten durch Dr. Wolfgang Kainz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Juni 1990, GZ 31 Rs 118/90-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. Februar 1990, GZ 16 Cgs 117/88-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 22.5.1934 geborene Kläger bezieht von der beklagten P*** DER A*** seit 5.5.1980 die Berufsunfähigkeitspension (zuzüglich einer Ausgleichszulage). Mit Bescheid vom 10.6.1988 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 9.12.1987 auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses ab. Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage im zweiten Rechtsgang ab. Es stellte zunächst die beim Kläger bestehenden krankhaften Veränderungen aus interner, urologischer, hals-nasen-ohrenärztlicher, chirurgischer und neurologisch-psychiatrischer Hinsicht fest. Auf Grund seines Zustandes kann der Kläger folgende Verrichtungen des täglichen Lebens selbständig vornehmen: Er kann sich an- und auskleiden, er kann selbst zu Bett gehen, sich stark verlangsamt daraus erheben, sich Hände und Gesicht waschen und auch eine Ganzkörperreinigung vornehmen. Er kann Wasser entnehmen, trinken, alle Arten der Notdurft selbständig verrichten, er kann die Wohnung oberflächlich aufräumen und die kleine Leibwäsche waschen, trocknen und bügeln. Er kann sich eine kleine, d.h. einfache Mahlzeit zubereiten und diese zu sich nehmen. Das Einkaufen von Nahrungsmitteln ist nicht möglich, ebensowenig die schwierigen Verrichtungen wie Großreinemachen und Fensterputzen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Kläger im Sinne der nunmehrigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht hilflos gemäß § 105 a ASVG sei. Er könne lediglich nicht mehr einkaufen und die schwierigen Verrichtungen wie Großreinemachen und Fensterputzen nicht mehr selbst vornehmen. Für diese Tätigkeiten bedürfe es im Hinblick auf die mögliche und auch im Lebensbereich des Pensionisten übliche Bevorratung von Lebensmitteln mittels Kühlschrankes des zweimal wöchentlichen Einkaufens durch eine fremde Person, wofür ein Zeitaufwand von jeweils einer Stunde veranschlagt werde. Dazu komme ein Aufwand an Fremdhilfe für die schwierigen Tätigkeiten des täglichen Lebens zwischen 10 und 15 Stunden monatlich, so daß sich insgesamt ein Aufwand von 18 bis 23 Stunden monatlich ergebe. Bei Zugrundelegung eines durchschnittlich geschätzten Aufwandes von S 80,-- pro Stunde werde der Mindesthilflosenzuschuß bei weitem nicht erreicht. Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen der gerügten Verfahrensmängel und übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen. Da eine Einschränkung der Fingerfertigkeit beim Kläger nicht festgestellt worden sei, könne der Kläger kochen und mit Feuer hantieren. Soweit der Kläger in der Berufung vorbringe, er sei schwer zuckerkrank, entferne er sich von den erstgerichtlichen Feststellungen. Der Sachverständige für innere Medizin habe lediglich eine Zuckerstoffwechselstörung diagnostiziert. Diese Diagnose habe aber im Kalkül keinen Niederschlag gefunden und zu keiner Einschränkung geführt, insbesondere nicht dahingehend, daß der Kläger Diätmahlzeiten zu sich nehmen müsse. Wäre dies der Fall, dann könne davon ausgegangen werden, daß der im Verfahren über die Gewährung von Hilflosenzuschüssen durchaus versierte Sachverständige diese Einschränkung in sein Kalkül aufgenommen hätte. Auch die Rechtsrüge sei nicht berechtigt. Auf Grund der Feststellungen des Erstgerichtes könne ausgeschlossen werden, daß der Aufwand, der nach dem Lebenskreis des Klägers durch die Beiziehung einer Hilfsperson entstehe, im Monatsdurchschnitt auch nur annähernd die Höhe des monatlichen Durchschnitts des Mindesthilflosenzuschusses erreiche.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil vom Kläger erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO). Soweit der Revisionswerber hier Feststellungsmängel behauptet, führt er inhaltlich eine Rechtsrüge aus. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes liegt beim Kläger eine Zuckerstoffwechselstörung vor, die im September 1988 zu einer Entgleisung geführt hat. Der Begriff "Zuckerkrankheit" ist ein Krankheitsbegriff für verschiedene Formen der Glukose-Stoffwechselstörung mit unterschiedlicher Ätiologie und Symptomatik (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch255 S 345 Stichwort "Diabetes mellitus"). Daß der Kläger an einer "schweren" Zuckerkrankheit leide und deshalb eine spezielle Diät halten müsse, ist den medizinischen Sachverständigengutachten nicht zu entnehmen. Es ist freilich allgemein bekannt, daß Zuckerkrankheit die Verringerung von überflüssigen Kohlehydraten in der Nahrung erfordert (Pschyrembel aaO 905 Stichwort "Krankenkost"). Eine besondere Erschwernis bei der Zubereitung von Mahlzeiten ist damit nach den Erfahrungen des täglichen Lebens ebensowenig verbunden wie mit dem nunmehr in der Revision behaupteten Erfordernis einer fettarmen Kost. Auf das Erfordernis der Vermeidung überflüssiger Kohlehydrate und Fette ist weniger bei der Zubereitung der Mahlzeiten, als schon beim Einkaufen von Lebensmitteln Rücksicht zu nehmen, für die der Kläger aber ohnehin fremde Hilfe benötigt. Die zunächst vom Erstgericht getroffene Feststellung, daß sich der Kläger eine "kleine" Mahlzeit zubereiten könne, ist nach den erstgerichtlichen Ausführungen zur Beweiswürdigung dahin zu verstehen, daß er sich einfache Mahlzeiten zubereiten kann; dies entspricht auch den Aussagen der ärztlichen Sachverständigen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgeführt hat, ist es einem Pensionisten zwar nicht zuzumuten, nur einfachste Speisen wie Eierspeise oder ausschließlich aufgewärmte Speisen zu sich zu nehmen; für eine dem allgemeinen Standard angepaßte menschengerechte Lebensführung ist zumindest einmal täglich die Einnahme einer ordentlich gekochten Mahlzeit erforderlich (SSV-NF 2/126 unter Hinweis auf SSV-NF 2/86 ua). Abgesehen davon, daß diesem Erfordernis auch ohne besonderen Aufwand zubereitete Speisen entsprechen können, zählen zu einer ordentlichen Mahlzeit aber auch in großer Vielfalt angebotene handelsübliche Tiefkühlkost oder Konserven, die nur gewärmt werden müssen. Die Verwendung solcher Speisen ist dem Kläger, wenn auch nicht ständig, so doch in größerem Umfang zuzumuten, so daß fremde Hilfe zum Kochen - wenn überhaupt - nur im Abstand von mehreren Tagen erforderlich wäre. Im übrigen geht die Rechtsrüge, wonach der Kläger zur Zubereitung von Diabetikerspeisen fremder Hilfe bedürfe, nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, sie ist daher insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Eine beim Kläger möglicherweise vorhandene "Leidenssummierung" brauchte nicht festgestellt zu werden, weil es bei Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses gegeben sind, nicht auf die detaillierte Feststellung der Leidenszustände ankommt, sondern darauf, auf welche Weise die Fähigkeit zur Ausübung der lebensnotwendigen Verrichtungen insgesamt eingeschränkt ist (ähnlich 10 Ob S 96/90 = SSV-NF 4/68 - in Druck).

Auch unter der Annahme, daß der Kläger im Abstand von mehreren Tagen fremde Hilfe beim Kochen eines warmen Mittagessens bedarf und darüber hinaus fremde Hilfe beim Einkaufen, beim Großreinemachen der Wohnung, beim Fensterputzen und beim Waschen der großen Wäsche erforderlich ist, muß damit ausgeschlossen werden, daß die dafür insgesamt erforderlichen Kosten nur annähernd die Höhe des monatlichen Mindesthilflosenzuschusses erreichen, selbst wenn man den erforderlichen Aufwand für fremde Hilfe an der Höhe des Hilflosenzuschusses ohne Sonderzahlungen mißt (SSV-NF 3/72). Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 uva).

Anmerkung

E22232

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00368.9.1120.000

Dokumentnummer

JJT_19901120_OGH0002_010OBS00368_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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