Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Zehetner und Dr. Kellner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Elisabeth K***, geboren am 19. Jänner 1981, und Elke K***, geboren am 7. Oktober 1982, infolge Revisionsrekurses des besonderen Sachwalters M*** DER L*** ST. P***, Heßstraße 6, 3100 St. Pölten, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgerichtes vom 12. September 1990, GZ R 536, 537/90-82, womit der Rekurs des besonderen Sachwalters gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 27. Juli 1990, GZ 1 P 155/85-78 und 79, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des besonderen Sachwalters unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung:
Die mj. Elisabeth und Elke K*** sind eheliche Kinder des Raimund und der Sylvia K***. Die Ehe der Eltern ist geschieden. Die Obsorge für die beiden Kinder steht der Mutter zu. Auf Grund eines Vergleiches vor dem Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten vom 12. September 1988 hat der Vater ab 1. Jänner 1989 monatliche Unterhaltsleistungen von S 1.600,-- für die mj. Elisabeth und von S 1.500,-- für die mj. Elke zu erbringen. Am 14. Dezember 1989 stellte der Vater beim Erstgericht den Antrag, seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber den beiden Kindern ab 1. Jänner 1990 "seinem Arbeitsloseneinkommen entsprechend herabzusetzen". Am 30. Jänner 1990 stellte der Vater den Antrag, seine Unterhaltsverpflichtung ab 1. September 1989 auf S 1.000,-- monatlich je Kind herabzusetzen. Der Unterhaltssachwalter und die Mutter sprachen sich gegen diese Anträge aus. In einem am 13. April 1990 beim Pflegschaftsgericht eingelangten Schreiben gab der Vater an, er könne insgesamt nur S 1.800,-- monatlich bezahlen. Über die Herabsetzungsanträge des Vaters ist noch nicht entschieden. Mit Beschlüssen vom 27. Juli 1990 (ON 74 und 75) bewilligte das Erstgericht den beiden Kindern antragsgemäß nach den §§ 3 und 4 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe (S 1.600,-- bzw S 1.500,-- monatlich) für den Zeitraum vom 1. Juli 1990 bis 30. Juni 1993. Diese Beschlüsse sind rechtskräftig.
Mit weiteren Beschlüssen vom 27. Juli 1990 (ON 78 und 79) ersuchte das Erstgericht den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, mit der Auszahlung dieser Unterhaltsvorschüsse an jedes der beiden Kinder hinsichtlich eines monatlich S 1.000,-- übersteigenden Vorschußbetrages innezuhalten. Das Erstgericht begründete diese Entscheidung damit, mit der Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen sei innezuhalten, wenn fraglich sei, ob die Vorschüsse in der bewilligten Form und Höhe gebührten. Seit 14. Dezember 1989 sei ein Unterhaltsherabsetzungsverfahren anhängig, in welchem die Herabsetzung des Unterhaltsbetrages auf jeweils monatlich S 1.000,-- beantragt worden sei.
Den gegen die Beschlüsse des Erstgerichtes ON 78 und 79 gerichteten Rekurs des besonderen Sachwalters wies das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Das Rekursgericht führte im wesentlichen aus, im Herabsetzungsverfahren gelte gemäß § 19 Abs 3 UVG für die Innehaltung der § 16 UVG sinngemäß. Diese analoge Anwendung umfasse auch den im § 16 Abs 2 UVG angeordneten Rechtsmittelausschluß. Die Innehaltung nach § 16 Abs 2 UVG sei nur und ausschließlich für den Fall vorgesehen, daß gegen den Bewilligungsbeschluß Rekurs erhoben werde. Dieser Rechtsmittelausschluß gelte dann nicht, wenn die Innehaltung nicht aus Anlaß eines Rekurses, sondern aus anderen Gründen angeordnet werde. Dies gelte aber nur im eigentlichen (engeren) Anwendungsbereich des § 16 Abs 2 UVG.
Anders sei der Verweisungsfall nach § 19 Abs 3 UVG zu beurteilen. Hier stelle sich die Frage, was das Analogon zum beachtlichen Rekurs im Herabsetzungsverfahren nach § 19 Abs 1 UVG sei. Die Gesetzesmaterialien gäben dazu wenig Auskunft. Sicher werde die Innehaltung in diesem Zusammenhang zulässig sein, wenn der noch nicht rechtskräftige Herabsetzungsbeschluß vorliege. Um der Gesetzesbestimmung des § 19 Abs 3 UVG einen wirksamen Sinngehalt zu geben, müsse es aber wohl auch für zulässig erachtet werden, daß die Innehaltung auf Grund eines beachtlichen Unterhaltsherabsetzungsantrages und weiters auch bei amtswegigem Auftreten begründeter Bedenken zu erfolgen habe, wenn in beiden Fällen zur Klarstellung noch ein Verfahren abzuführen sei. Demnach komme es im Anwendungsfall des § 19 Abs 3 UVG im Gegensatz zu dem des § 16 Abs 2 UVG nicht auf eine Rekurserhebung an. Ein Rechtsmittelausschluß stipprinzipiell restriktiv auszulegen; das Rechtsmittelverbot bestehe dann nicht, wenn die Beschlußfassung ausdrücklich gegen die prozeßrechtlichen Vorschriften verstoße. Von einem derartigen ausdrücklichen Verstoß könne aber im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Wendung "sinngemäß" im § 19 Abs 3 UVG keine Rede sein. Denn es bleibe die Tatsache, daß der Vater im strittigen Umfang einen Unterhaltsherabsetzungsantrag gestellt habe. Die Frage, ob dieser Antrag als "beachtlich" zu qualifizieren sei bzw "begründete Bedenken" zu rechtfertigen vermöge, falle aber bereits in die inhaltliche Ermessensentscheidung des Gerichtes betreffend die Innehaltung, gegen die eben ein Rechtsmittel nicht zulässig sei. Es könne nicht Aufgabe der bloß formalen Zulässigkeitsprüfung sein, schon in diesem Stadium Fragen der Sachentscheidung (der meritorischen Prüfung) vorwegnehmend aufzugreifen.
Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof begründete das Rekursgericht damit, daß zur Problematik des Rechtsmittelausschlusses nach § 19 Abs 3 (§ 16) UVG insbesondere bei der hier gegebenen Kombination von Vorschußbewilligung und Innehaltung keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.
Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des besonderen Sachwalters mit dem Antrag, die bekämpften Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos aufzuheben, allenfalls den angefochtenen Beschluß aufzuheben "und die Rechtssache an die zweite Instanz zur meritorischen Entscheidung zurückzuverweisen".
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch sachlich berechtigt. Gemäß § 16 Abs 2 UVG (idF BGBl 1980/278) hat, wenn gegen den Beschluß, mit dem das Gericht einen Unterhaltsvorschuß bewilligt (und der gemäß § 16 Abs 1 UVG sogleich zu vollziehen ist), Rekurs erhoben wird, das Erstgericht oder das Rekursgericht, soweit es die vorgetragenen Einwendungen für beachtlich hält, unverzüglich anzuordnen, daß mit dem Vorschuß bis zum Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses innegehalten wird. Gegen diese Anordnung ist ein Rechtsmittel unzulässig. In den §§ 19 Abs 3 und 20 Abs 2 UVG wird bezüglich der dort geregelten Änderung bzw Einstellung der Unterhaltsvorschüsse angeordnet, daß in diesen Fällen für die Innehaltung der § 16 sinngemäß gilt.
Wie den Gesetzesmaterialien (RV 276 BlgNR 15.GP 6, 13, 14) zu entnehmen ist, diente diese Regelung dem Ziel, den Nettoabgang aus der Unterhaltsbevorschussung gering zu halten; auf diese Weise sollten "Übergenüsse, die sich allein aus der technischen Abwicklung der Bevorschussung" ergeben können, vermieden werden. Die Möglichkeit, mit dem Vollzug innezuhalten, sollte nicht nur in den Fällen der Gewährung und Weitergewährung, sondern auch in den Verfahren über die Änderung und Einstellung der Vorschüsse geschaffen werden. Bezüglich des angeordneten Rechtsmittelausschlusses wird in den Gesetzesmaterialien nur ausgeführt, daß er der Verfahrensökonomie diene. Die Innehaltung sei keine endgültige Entscheidung über den Anspruch des Kindes auf Unterhaltsvorschüsse. Sie stoppe (im Fall des § 16 UVG) nur den Auszahlungsvorgang bis zum Eintritt der Rechtskraft des Bewilligungsbeschlusses.
Es ist dem Rekursgericht darin beizustimmen, daß ein partieller von der allgemeinen Regelung des § 9 AußStrG abweichender Rechtsmittelausschluß einschränkend auszulegen ist. Wie sich aus der Vorschrift des § 16 Abs 2 UVG ganz eindeutig ergibt, ging der Wille des Gesetzgebers nicht dahin, gegen jede aus welchen Gründen immer erfolgte Anordnung der Innehaltung mit der Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen ein Rechtsmittel auszuschließen, sondern nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen, im Fall der Bewilligung von Unterhaltsvorschüssen also nur dann, wenn gegen den Bewilligungsbeschluß Rekurs erhoben wird und das Erstgericht oder das Rekursgericht die vorgetragenen Einwendungen für beachtlich hält (siehe dazu Knoll, UVG in ÖA, Rz 2 bis 4 zu § 16; vgl auch EFSlg. 51.939, 54.789). Die getroffene gesetzliche Regelung geht somit erkennbar davon aus, daß ein Rechtsmittel gegen eine für die Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen bedeutsame gerichtliche Entscheidung einen Grund für die unbekämpfbare Anordnung der Innehaltung mit der Auszahlung solcher Vorschüsse bilden kann, wenn die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels eine solche Maßnahme aus fiskalischen Gründen rechtfertigt. Dabei steht aber erkennbar im Vordergrund, daß eine derartige unbekämpfbare Innehaltung mit der Auszahlung von Vorschüssen nur als eine vorläufige auf kurze Zeit abgestellte Maßnahme als gerechtfertigt angesehen wird, wie sie unter Bedachtnahme auf die Interessen des Anspruchsberechtigten während eines - in der Regel nicht besonders zeitaufwendigen - Rechtsmittelverfahrens zumutbar erscheint. Wenn aus diesen Gesichtspunkten der Gesetzgeber in der Grundvorschrift des § 16 Abs 2 UVG den Rechtsmittelausschluß gegen die Anordnung der Innehaltung mit der Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen vom Vorliegen eines Rechtsmittels (hier gegen den Bewilligungsbeschluß) abhängig machte, so ist kein Grund zu sehen, warum dies in den Fällen des § 19 Abs 3 und des § 20 Abs 2 UVG, in denen für die Innehaltung die sinngemäße Anwendung des § 16 UVG angeordnet wird, anders sein sollte. Denn auch in den Fällen der Änderung oder der Einstellung der Vorschüsse ist keinesfalls anzunehmen, daß der Gesetzgeber eine unbekämpfbare Innehaltung mit der Auszahlung von Unterhaltsansprüchen über längere Zeiträume tolerieren wollte, wie sie sich etwa daraus ergeben könnte, daß ein Herabsetzungsantrag des Unterhaltspflichtigen gestellt wird, über dessen Berechtigung erst nach einem in der Regel zeitaufwendigen Verfahren abgesprochen werden kann. Der erkennende Senat vermag daher der (im wesentlichen auf die Ausführungen von Knoll aaO Rz 11 zu § 19, die vom Autor selbst als nicht unbedenklich bezeichnet werden, gestützten) Rechtsansicht des Rekursgerichtes nicht zu folgen, daß das Gesetz im Fall des § 19 Abs 3 UVG die Anfechtung eines Beschlusses des Erstgerichtes ausschließt, mit dem dieses die Innehaltung mit der Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen deswegen verfügt, weil der Unterhaltspflichtige einen Herabsetzungsantrag gestellt hat. Von einem solchen Rechtsmittelausschluß könnte vielmehr auch im Fall der Änderung oder der Einstellung von Vorschüssen nur dann ausgegangen werden, wenn eine Innehaltung im Zusammenhang mit einem Rechtsmittel gegen eine solche für die Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen bedeutsame gerichtliche Entscheidung angeordnet wird.
Das Rekursgericht hat somit zu Unrecht den Rekurs des besonderen Sachwalters gegen die im vorliegenden Fall getroffenen Innehaltungsverfügungen des Erstgerichtes als unzulässig zurückgewiesen.
Der angefochtene Beschluß war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses des besonderen Sachwalters aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Anmerkung
E22104European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00622.9.1121.000Dokumentnummer
JJT_19901121_OGH0002_0020OB00622_9000000_000