Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Günther Schön und Kurt Wuchterl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alois F***, Angestellter, Krems, Bründlgraben 30, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** A*** Gesellschaft mbH, Hard, Schäfferhofstraße 15, vertreten durch DDr. Walter Barfuß ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 80.789,50 brutto sA und S 2.495,92 netto sA (im Revisionsverfahren S 66.393,85 brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Mai 1990, GZ 34 Ra 7/90-57, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. April 1989, GZ 16 Cga 6/87-51, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.077,- (darin S 679,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Dezember 1982 bis 31. Dezember 1985 als Gebietsvertreter auf Provisionsbasis angestellt. Das Dienstverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger unter anderem eine restliche Provision von S 31.233,85 brutto und S 38.205,- brutto als Entgelt für 500 im Jahr 1985 geleistete Überstunden. Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Dem Kläger stehe keine Provision mehr zu, da die geltend gemachten Ansprüche einerseits stornierte Aufträge beträfen und er andererseits den Gebietsschutz verletzt habe. Überstunden seien weder angeordnet noch gestattet worden. Abgesehen davon seien die diesbezüglichen Aufzeichnungen des Klägers in den Fahrtenblättern unrichtig.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit den Beträgen von S 70.247,02 brutto und S 835,40 netto jeweils sA statt und wies das Mehrbegehren von S 10.542,48 brutto und S 1.660,44 netto jeweils sA ab. Es stellte für das Revisionsverfahren noch wesentlich unter anderem fest:
In der Vertriebshierarchie der Beklagten fungiert an oberster Stelle ein Landesleiter; nach diesem kommt der Verkaufsleiter und unter diesem folgt ein Bezirksleiter, dem die Außendienstmitarbeiter unterstehen. Der für den Kläger zuständige Verkaufsleiter war Franz H***, der zugleich auch die Stelle des Bezirksleiters innehatte. H***, der auch für die Aufnahme von Vertretern zuständig war, stellte den Kläger ein und veranlaßte ihn, einen "von niemandem wirklich ernst genommenen" sogenannten "Anstellungslaufzettel" zu unterschreiben, den der Kläger nicht durchlas, da ihm H*** dazu lediglich sagte, er müsse den Zettel wegen seiner Anstellung "in der Firma" unterschreiben. Einen im "Anstellungslaufzettel" erwähnten schriftlichen Dienstvertrag erhielt der Kläger ebensowenig wie die angeführten betriebsinternen schriftlichen Regelungen (OFP). Die sogenannten OFP, Organisationsanweisungen für Provisionsabrechnungen der Sektion VO (Sektion Elektrogeräte für Bodenpflege), blieben dem Kläger unbekannt und selbst der Verkaufsleiter H*** hatte in den letzten 10 Jahren kein Exemplar der OFP zu Gesicht bekommen. Der Kläger war sich bewußt, daß er eine Vertretertätigkeit für die Beklagte entfalten sollte; er hatte aber keine weitergehenden Vorstellungen über seinen Aufgabenbereich und seine dienstrechtliche Stellung. Er wurde in verschiedenen Gebieten tätig, wobei er auf Weisung H*** Fahrtenblätter führte, in die er die gefahrenen Kilometer samt Streckenangabe, die Dauer der Dienstverrichtungen vom Verlassen der Wohnung bis zur Rückkehr und die aufgewendeten Arbeitsstunden nach Monaten und Tagen eintrug. Der Kläger hatte nicht nur Aufträge zu akquirieren, sondern auch Kundendienstleistungen zu erbringen. H*** legte die vom Kläger zu betreuenden Gebiete fest und erteilte ihm alle diesbezüglichen Aufträge. Er verfügte in vielen Fällen über den Einsatz des Klägers, so daß dieser seine im übrigen selbst bestimmte Tätigkeit diesbezüglich nicht nach eigener Disposition gestalten konnte. Der Kläger erhielt Umsatzvorgaben, denen er in mühsamen Hausbesuchen von Tür zu Tür zu entsprechen suchte. H*** erklärte ihm, daß er einen bestimmten Umsatz zu erbringen habe; wenn er diesen nicht erbringe, dann müsse er länger arbeiten. In diesem Zusammenhang erwähnte H*** auch, daß die Abendstunden für die Akquisition am besten seien. Dadurch kam es immer wieder zur Leistung von Überstunden. Manchmal verfügte auch der Landesleiter einen Sondereinsatz an Samstagen; diese Einsätze dauerten den ganzen Tag, wobei der Kläger von seiten der Beklagten nicht darauf hingewiesen wurde, daß Überstundenleistungen nicht entgegengenommen und nicht abgegolten würden. Auch der Verkaufsleiter H*** arbeitete regelmäßig an Samstagen und erwartete von seinen Mitarbeitern einen ebensolchen Einsatz. Der Kläger erbrachte deshalb auch an Samstagen Arbeitsleistungen für die Beklagte. H*** wies den Kläger an, auch im Büro der Beklagten in Krems zu arbeiten. Der Kläger verrichtete dort einen täglichen Anwesenheitsdienst von 8.00 Uhr bis 10.00 Uhr, fallweise bis Mittag, währenddessen er unter anderem kleinere Reparaturen im Kundendienst vornahm. Dazu kamen noch von H*** verfügte Verkaufstätigkeiten bei Messeveranstaltungen. Auf diese Weise kam der Kläger zu einem wöchentlichen Arbeitseinsatz von mindestens 60 Stunden. Nicht zuletzt durch die ihm auferlegte Bürotätigkeit verrichtete er im Jahre 1985 rund 500 Überstunden für die Beklagte. Der Kläger verzeichnete seinen Zeitaufwand in den Fahrtenblättern mit einer Genauigkeit von +/- 15 Minuten; die im Büro verbrachten Zeiten wies er dabei nicht gesondert aus. Die Arbeitspausen waren nur kurz, zumal sich der Kläger eine Mittagsmahlzeit in einem Gasthaus nicht leisten konnte.
Die Provisionsermittlung erfolgte bei der Beklagten in der Weise, daß zunächst die Kaufanträge im Wege des Verkaufsleiters in der Außengeschäftsstelle der Landesleitung gesammelt und von dort an die Zentrale der Beklagten zur Datenspeicherung übermittelt wurden. Bei Postzustellungen galten die Geschäfte mit der Ablieferung als ausgeführt; bei Selbstablieferung durch den Vertreter war die Übermittlung des Lieferscheins für die Fälligkeit der Provision maßgeblich. Da der Kläger den Eindruck hatte, er erhalte zu wenig Provisionen, stellte er Nachforschungen an. Deren Ergebnis war, daß H*** verschiedene Neuaufträge nicht an die Beklagte weitergeleitet hatte. Da sich das nächste Auslieferungslager der Beklagten im 50 km entfernten Stockerau befand, hatte sich H*** am Kremser Standort ein privates Warenlager angelegt, aus dem er dem Kläger die bestellten Geräte lieferte und den Kaufpreis dafür entgegennahm. Zugleich erwirkte er eine Stornierung des Auftrags bei der Zentrale der Beklagten. Der Kläger wußte nicht, daß H*** ein privates Warenlager unterhielt; er war vielmehr der Ansicht, bei den Geräten handle es sich um firmeneigene Bestände. Zufolge der Storni erhielt der Kläger für die von ihm akquirierten Aufträge keine Provision. Soweit es sich um Sofortgeschäfte handelte, unterblieb eine Weitergabe der jeweiligen Kaufanträge an die Beklagte.
Das Erstgericht vertrat unter anderem die Rechtsauffassung, daß die Ansprüche des Klägers auf Überstundenentgelt und Provisionen zu Recht bestünden. Die Überstunden seien zwar nicht ausdrücklich angeordnet, aber auch nicht gegen den Willen der Beklagten erbracht worden. Der Kläger habe die dem Provisionsanspruch begründenden Aufträge akquiriert und mit den Kunden ordnungsgemäß abgewickelt. Er habe auch die einkassierten Geldbeträge im Wege des Verkaufsleiters im Sinne des § 10 Abs 3 AngG an die Beklagte weitergeleitet. Die Beklagte, bei der die Verkaufsleiter "so etwas wie die Fürsten des Betriebes" gewesen seien, habe die Kenntnis H*** von den Überstunden des Klägers ebenso gegen sich gelten zu lassen wie die Täuschung des Klägers durch H*** hinsichtlich der
ausstehenden Provisionen.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung zum Teil dahin ab, daß es dem Kläger insgesamt S 67.202,82 brutto sA und S 2.457,48 netto sA zusprach und das Mehrbegehren von S 13.587,48 brutto sA und S 38,44 netto sA abwies. Es vertrat hinsichtlich des geltend gemachten Anspruches auf Überstundenentgelt - zu den zuerkannten und der Höhe nach außer Streit gestellten Provisionen enthielt die Rechtsrüge in der Berufung keinerlei Ausführungen - die Rechtsauffassung, daß mangels Erörterung weder ein (vorgedruckter) Angestelltendienstvertrag noch eine Organisationsanweisung der Beklagten Vertragsbestandteil für das Dienstverhältnis des Klägers geworden seien. Der Kläger habe in Kenntnis des Verkaufsleiters Überstunden geleistet. Dieser sei nicht nur ermächtigt gewesen, das Dienstverhältnis mit dem Kläger zu begründen und zu beenden, sondern auch über dessen Arbeitseinsatz zu verfügen. Für den Kläger habe kein Anlaß bestanden, an der Berechtigung H***, Überstunden anzuordnen und
entgegenzunehmen, zu zweifeln. Die Beklagte müsse sich daher die Kenntnis H*** von den ständigen Überstunden und deren widerspruchslose Entgegennahme zurechnen lassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ein Begehren des Klägers in Höhe von S 66.393,85 brutto sA abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Bei den Ansprüchen auf Überstundenentgelt und Provisionen handelt es sich um selbständige und voneinander unabhängige Ansprüche, so daß die in der Berufung zur Gänze unterlassene Rechtsrüge hinsichtlich der Provisionen im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeholt werden kann (SZ 50/152; 9 Ob A 224/90; 9 Ob A 28/90 und die zahlreichen Judikaturhinweise in MGA ZPO14 § 503 E 108). Im übrigen hat das Berufungsgericht die Frage, ob dem Kläger das zugesprochene Überstundenentgelt zusteht, zutreffend gelöst. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG). Ergänzend ist der Rechtsrüge der Beklagten, das Verhalten H*** dürfe ihr nicht zugerechnet werden, entgegenzuhalten, daß H*** als Verkaufsleiter der örtliche Repräsentant der Beklagten gegenüber dem Kläger war. Der Kläger wurde von H*** eingestellt und war diesem gegenüber weisungsgebunden. H*** war sohin entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht "irgendein Mitarbeiter" der Beklagten. Von einem allenfalls weisungswidrigen und untreuen Verhalten des Verkaufsleiters der Beklagten gegenüber hatte der Kläger, dem die Beklagte selbst ansonsten keinerlei schriftliche oder mündliche Anordnungen erteilte, keine Kenntnis. Auf Grund des von der Beklagten durch die innerbetriebliche Organisation vorgegebenen äußeren Tatbestandes, ist ihr das dienstliche Verhalten H*** voll zuzurechnen (vgl. Strasser in Rummel2 ABGB, § 1002 Rz 44 bis 46, §§ 1016, 1017 Rz 3 und Rz 23). Nach ständiger Rechtsprechung besteht ein Anspruch auf Zahlung von Überstundenentgelt nicht nur dann, wenn die Überstunden ausdrücklich oder schlüssig angeordnet werden, sondern auch, wenn vom Dienstnehmer Arbeitsleistunden verlangt werden, die bei richtiger Einteilung der Arbeit in der normalen Arbeitszeit nicht erledigt werden können (vgl. Arb. 10.660, 10.488, 10.451, 9.661 uva). Dies war hier nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen der Fall. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 50 und 41 ZPO begründet.
Anmerkung
E22183European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00251.9.1121.000Dokumentnummer
JJT_19901121_OGH0002_009OBA00251_9000000_000