Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21.November 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pokorny als Schriftführerin in der Strafsache gegen Walter K*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 21. August 1990, GZ 28 Vr 470/90-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die (angemeldete) Berufung wegen des Ausspruches über die Schuld werden zurückgewiesen. Zur Entscheidung über die (Straf-)Berufung wird der Akt dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Walter K*** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 erster Fall StGB (Punkt I. des Urteilssatzes) und des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs 1 StGB (Punkt II.) schuldig erkannt. Darnach hat er in Innsbruck in der Zeit von Anfang 1989 bis Jänner 1990 die Unmündige Tamara M*** (geboren am 10.April 1979) zu wiederholten Malen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er die Genannte über der Kleidung (Unterhose, Strumpfhose) am Geschlechtsteil abgriff (zu I) und unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden genannten Minderjährigen diese durch die oben angeführte Tat zur Unzucht mißbraucht (zu II.). Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Mit seiner Berufung strebt er eine bedingte Nachsicht der gesamten Strafe, allenfalls Umwandlung der Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe an. Das Erstgericht gründete den Schuldspruch auf die Aussage der Tamara M*** und ihrer Mutter Monika M*** und erachtete dadurch die leugnende Verantwortung des Angeklagten für widerlegt. Es führte im Rahmen der Würdigung der Beweise an, daß Tamara M*** zwar an einem "hyperkinetischen Syndrom" leide und seit Jahren mit Amphetamin-Tabletten behandelt werde, das Beweisverfahren ungeachtet dieser gesundheitlichen Probleme aber keinen Hinweis dafür erbracht habe, daß das Kind zu Phantasien neige oder eine Lügnerin sei. Gegenüber Monika M*** habe der Angeklagte das ihm vorgeworfene Verhalten zugegeben und diese gebeten, ihn nicht anzuzeigen. Er habe auch versprochen, den Umgang mit kleinen Mädchen zu meiden; weil die Zeugin aber dann herausgefunden habe, daß der Angeklagte nach wie vor solche Kontakte unterhalte, habe sie Anzeige erstattet. Auch findet diese Aussage der Zeugin Monika M*** nach Ansicht der Tatrichter eine gewisse Bestätigung in den Angaben der Zeugin Rotraud K***, der Gattin des Angeklagten, weil letztere den Ablauf eines von Monika M*** geschilderten Telefonats mit dem Beschwerdeführer im wesentlichen bestätigt habe.
Rechtliche Beurteilung
Als Verfahrensmangel (Z 4) rügt der Beschwerdeführer die Abweisung in der Hauptverhandlung (S 83 f) gestellten Beweisanträge auf 1. Beischaffung "der Krankenunterlagen betreffend Tamara M*** der Klinik in Innsbruck (Abteilung Prof. M***)" sowie Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über deren "psychischen Zustand", ferner Einvernahme der Ärzte Prof. Dr. M*** und Dr. E*** darüber, daß Tamara M*** "psychisch krank" ist und auf Grund (eines) "psychiatrischen Defektzustandes" den Angeklagten unwahr eines unsittlichen Verhaltens zeiht;
2. Einvernahme der Zeugen Karin und Bettina K*** sowie der Kerstin S*** zum Beweise dafür, daß sich der Angeklagte in der Vergangenheit nie eines unsittlichen Verhaltens gegenüber Kindern schuldig gemacht habe und somit die vorgeworfene Tat im Widerspruch zum bisherigen Lebenslauf des Angeklagten stehe;
3. Einvernahme der Zeugin K*** darüber, daß sich Tamara M*** anläßlich einer Busfahrt äußerst provozierend und "psychisch nicht normal" verhalten habe, indem sie sagte: "Küß mich, Onkel Walter, aber auf den Mund", also zum Beweise dafür, daß Tamara M*** im Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen, insbesondere auf dem Gebiet der Sexualität nicht dem psychischen Normbereich zuzuordnen ist.
Durch die Abweisung dieser Beweisanträge wurden indes Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt.
Zu 1.: Die gesundheitlichen Probleme der Tamara M*** - sie leidet an Unruhezuständen und Konzentrationsstörungen und war im Jahre 1987 in der Kinderklinik in Innsbruck in stationärer Behandlung, vgl S 14 und 18 - wurden im Beweisverfahren erörtert (vgl S 78 f) und finden in den Urteilsfeststellungen ihren Niederschlag (vgl US 5 und 14). Da die Relevanz des im Antrag angeführten Beweisthemas im Hinblick auf diese Beweisergebnisse keineswegs auf der Hand liegt, wäre es erforderlich gewesen, schon anläßlich der Antragstellung in erster Instanz darzutun, aus welchen besonderen Gründen zu erwarten ist, daß die Durchführung der begehrten Beweise das vom Antragsteller behauptete Ergebnis haben werde.
Zu 2. und 3.: Das Gericht ging davon aus, daß die im Punkt 2. des Beweisantrages genannten Zeugen keinerlei Wahrnehmungen über ein Fehlverhalten des Angeklagten gemacht haben (S 84), dieser zu einer Personengruppe gehöre, die einen ausgezeichneten Leumund genießen und "während ihres ganzen Lebens nie aufgefallen sind" (US 14). Es hat im Rahmen der Würdigung des Beweiswertes der Aussage der Tamara M*** festgehalten, daß diese körperliche Kontakte offenbar nicht scheute, sich dem Angeklagten und dessen Frau an den Hals warf, den Angeklagten küßte und sich auch von ihm - vielleicht sogar auf den Mund - küssen ließ und auf seinem Schoß herumturnte, daß dies aber deren Glaubwürdigkeit nicht beeinträchtige, weil sehr viele Kinder einfach liebesbedürftig sind und sich nach Körperkontakten sehnen (US 8).
Damit hat das Gericht aber das, was durch die beantragten Zeugenaussagen nachgewiesen werden sollte, ohnedies als erwiesen angenommen und auch erörtert, sodaß die Vernehmung der beantragten Zeugen ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten des Angeklagten unterbleiben konnte (vgl Mayerhofer-Rieder, StPO2 ENr 77 zu § 281 Z 4).
Unter dem Gesichtspunkt einer Urteilsnichtigkeit nach der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO macht der Beschwerdeführer geltend, das Beweisverfahren habe keine Anhaltspunkte dafür erbracht, daß er sich auch an einem anderen, gleichaltrigen Mädchen, zu dem er ebenfalls Kontakt hatte, vergangen habe, verweist auf sein bisher tadelloses Vorleben und darauf, daß die Zeugin Monika M*** Erfahrung im Umgang mit Gericht gehabt habe, der Angeklagte hingegen nicht. Damit wird aber nicht aufgezeigt, inwiefern der Schöffensenat seine Pflicht zur amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit durch Übergehen aktenkundiger Umstände in einer Weise verletzt hätte, daß daraus erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des dem Schuldspruch zugrundegelegten entscheidenden Sachverhalts resultieren müßten. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO) zurückzuweisen.
Mit einer Zurückweisung war ferner auch in Ansehung der angemeldeten Berufung wegen des Ausspruches über die Schuld vorzugehen, weil das Gesetz ein derartiges Rechtsmittel zur Bekämpfung schöffengerichtlicher Urteile nicht vorsieht (§§ 280, 283 StPO). Demgemäß wird der Gerichtshof zweiter Instanz (nur) über die Straf-Berufung zu entscheiden haben (§ 285 i StPO).
Anmerkung
E22280European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0130OS00124.9.1121.000Dokumentnummer
JJT_19901121_OGH0002_0130OS00124_9000000_000