TE OGH 1990/11/28 1Ob503/91

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Veröffentlicht am 28.11.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Christoph M***, geboren am 4.März 1975, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Kindes, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 13. September 1990, GZ 43 R 363/90-20, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 10.Mai 1990, GZ 6 P 435/82-16, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden in Ansehung der Abweisung des Begehrens auf Unterhaltsvorschuß für die Zeit vom 1.Juli 1990 bis 31.Juli 1990 bestätigt, im übrigen aber dahin abgeändert, daß dem mj. Christoph M***, geboren am 4.März 1975, für die Zeit vom 1. August 1990 bis 31.Juli 1993 ein monatlicher Unterhaltsvorschuß in der Höhe von drei Viertel des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs. 1 Buchstabe c bb erster Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG), das sind derzeit 2.773 S, gewährt wird.

Die erforderlichen weiteren Anordnungen hat das Erstgericht zu treffen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht verhielt mit Urteil vom 10.Juli 1987, AZ 6 C 24/85, den Vater des unehelichen Kindes Branislav P***, der seit 1979 unbekannten Aufenthaltes ist, unter Annahme eines erzielbaren Monatsnettoeinkommens von 8.000 S bis 10.000 S zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 700 S an das am 4.März 1975 geborene Kind, dem aufgrund dieses Titels mit Beschluß vom 8.November 1989 für die Zeit vom 1.September 1989 bis 31.August 1991 Unterhaltsvorschüsse in Höhe des Titels gewährt wurden. Den Antrag des Kindes auf Erhöhung des Unterhalts auf monatlich 2.400 S ab 1.September 1989 - unter Zugrundelegung eines erzielbaren Monatsnettoeinkommens des Vaters von 12.000 S - wies das Erstgericht mit Beschluß vom 19.Jänner 1990 wegen der Unmöglichkeit, entsprechende, für die Unterhaltsbemessung maßgebliche Umstände festzustellen, rechtskräftig ab. Mit Schriftsatz vom 27.April 1990 beantragte das Kind die Gewährung eines monatlichen Unterhaltsvorschusses nach § 4 Z 2 UVG ab 1.Juli 1990. Das Erstgericht wies den Antrag ab. Das Kind habe nicht die Wahl, ob es einen sogenannten Titelvorschuß nach §§ 3, 4 Z 1 UVG oder einen sogenannten Richtsatzvorschuß nach § 4 Z 2 UVG verlange. Da sich das Kind für einen Titelvorschuß entschieden habe, könne es einen Richtsatzvorschuß erst nach Ablauf der Laufzeit des Titelvorschusses nach der dann erkennbaren Lage des Falles begehren. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu. Mangels eines sogenannten Untertitels iS der Rechtsauffassung des Rekursgerichtes sei eine Vorschußgewährung in Richtsatzhöhe nicht zulässig. Es liege zwar die Unterhaltsverpflichtung unter dem gesetzlichen Unterhaltsausmaß, die beantragte Unterhaltserhöhung habe auch zweifellos die "übliche Bandbreite" von in Alterssprüngen des Kindes bedingten Erhöhungen überstiegen. Das angenommene fiktive Einkommen des Vaters als Hilfsarbeiter von 12.000 S monatlich übersteige auch den Betrag, der üblicherweise vom Rekursgericht seinen Entscheidungen zugrundegelegt werde. eine Erhöhung von 700 S auf 2.400 S sei daher nach Lage des Falles, abgesehen von faktischen Schwierigkeiten, die maßgeblichen Umstände des Vaters zu erheben, von vorneherein eine eher optimistische Einschätzung des Kindes.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Kindes ist zulässig und teilweise berechtigt.

Gemäß § 4 Z 2 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhaltsbeitrages überhaupt oder, falls der Exekutionstitel im Sinne des § 3 Z 1 UVG - also ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch - gerechnet vom Zeitpunkt der Erlassung, älter als drei Jahre ist, die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung beziehungsweise einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande. Absicht des Gesetzgebers bei Neufassung des § 4 Z 2 UVG (BGBl. 1980/278) war es, daß Vorschüsse in der Höhe der Pauschalbeträge des § 6 Abs. 2 UVG auch gewährt werden, wenn ein Exekutionstitel besteht, dieser aber schon vor längerer Zeit geschaffen wurde und der Unterhaltsschuldner die Neubemessung seiner Unterhaltspflicht vereitelt. Im vorliegenden Fall ist zwar die Festsetzung des Unterhaltsbeitrages durch das Urteil des Erstgerichtes vom 10.Juli 1987 gelungen, nicht hingegen die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages. Die Auffassung des Erstgerichtes, während der Laufzeit eines Titelvorschusses (§§ 3, 4 Z 1 UVG) könne kein Richtsatzvorschuß begehrt werden, übersieht, daß im Fall des § 4 Z 2 zweiter Fall UVG ein Titel die Bevorschussung nicht hindert (Knoll, UVG in ÖA, § 4 Z 2 und 3 UVG Rz 2) und demgemäß auch ein Titelvorschuß nicht, soferne nur die Dreijahresfrist abgelaufen ist. Das Kind begehrt im vorliegenden Fall bei einem Titel die Gewährung des Richtsatzvorschusses auch nicht, wie das Erstgericht vermeint ab 1. Mai 1990, sondern ab 1.Juli 1990.

Nach veröffentlichter Judikatur der zweiten Instanz (LG ZRS Wien

EFSlg. 57.475; EFSlg. 54.726 = RpflSlgA 1987/7755; EFSlg. 49.071;

EFSlg. 46.441 = RpflSlgA 1984/7519; EFSlg. 41.479) kann im Fall des

§ 4 Z 2 zweiter Fall UVG eine Bevorschussung nur stattfinden, wenn der gegebene Titel ein sogenannter Untertitel ist. Der Vorschußgrund erfasse demnach seinem Werden und seiner inneren Wertung nach nur solche Fälle, in welchen der nach dem Gesetz geschuldete Unterhalt im wesentlichen substantiell im Titel nicht mehr erfaßt sei und mit einer an den Kriterien des § 140 ABGB gemessenen, verantwortungsbewußten Ermessensübung in einem krassen Mißverhältnis stehe. Sogenannte "Bandbreitenerhöhungen", etwa Aufwertung wegen Alterssprung des Kindes, Kaufkraftminderung, üblicher Einkommenssteigerung etc. könnten daher im allgemeinen nicht Gegenstand einer Bevorschussung nach § 4 Z 2 zweiter Fall UVG sein (so Knoll aaO, Rz 15).

Der Oberste Gerichtshof vermag dieser Auffassung nicht beizutreten. In den Erläuterungen zur Novelle 1980, BGBl. 1980/278, mit welcher § 4 Z 2 UVG die nun maßgebliche Fassung erhielt (RV 276 BlgNR XV. GP, 8 f), wird ausgeführt, es bestehe kein Zweifel, daß ein Kind, das einen vor Jahren geschaffenen Unterhaltstitel wegen des Verhaltens des Unterhaltsschuldners nicht den geänderten Verhältnissen anpassen könne, nicht anders behandelt werden solle als ein Kind, das überhaupt keinen Unterhaltstitel habe. In beiden Fällen sei es gerechtfertigt, Vorschüsse in der Höhe der Pauschalbeträge nach § 6 Abs. 2 UVG zu gewähren. Um die Anwendung der Bestimmung möglichst zu vereinfachen, werde genau bestimmt, wie alt ein Titel sein müsse, damit die Anwendung der Z 2 in Betracht komme; er müsse, gerechnet vom Zeitpunkt seiner Erlassung älter als drei Jahre sein. Die Frist beruhe auf der Erfahrung, daß Unterhaltsansprüche im allgemeinen im Rahmen eines Verfahrens auf Neufestsetzung des Unterhalts geändert würden. Daß eine Vorschußgewährung hier - anders als sonst bei einer Unterhaltserhöhung - nur bei einem eklatanten Widerspruch zwischen Titel und Unterhaltsverpflichtung begehrt werden könnte, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Durch die Einführung einer Dreijahresfrist wurde unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß nach Ablauf von drei Jahren ein höherer Vorschuß verlangt werden kann, weil nach Ablauf dieses Zeitraums auch sonst üblicherweise eine Unterhaltserhöhung - gerade wegen der Anpassung der Unterhaltsverpflichtung wegen Alterssprung des Kindes, Kaufkraftminderung, üblicher Einkommenssteigerung des Unterhaltspflichtigen etc. - erfolgt. Das Gesetz geht demnach von der Erwägung aus, daß sich die für die Bemessung des Unterhaltes maßgeblichen Verhältnisse im allgemeinen innerhalb dieser Frist derart ändern, daß eine Neufestsetzung des Unterhaltes gerechtfertigt erscheint. Dieser Auffasung steht auch nicht entgegen, daß die Bevorschussung nach § 4 Abs. 2 UVG zwingend nach den pauschalen, im § 6 Abs. 2 UVG angeführten ASVG-Sätzen und nicht nach einer konkret auszumessenden Unterhaltsleistung richtet, somit ohne Rücksicht auf die potentielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners erfolgt. Das Rekursgericht führte hiezu in seiner E EFSlg. 41.479 aus, daß bei einer begehrten, aber vom Unterhaltsschuldner mangels Beweisbarkeit nicht erreichbaren Unterhaltserhöhung von 500 S auf 600 S der Unterhaltspflichtige durch die Heranziehung der ASVG-Sätze einen ungleich höheren als den gebührenden Unterhalt erhielte. Diese Besserstellung eines Kindes, von dessen Unterhaltspflichtigen eine auch nur geringfügige Unterhaltserhöhung nicht zu erreichen ist, gegenüber einem Kind, dessen Unterhaltspflichtiger seiner Pflicht nachkommt, ist zweifellos gegeben; sie wird aber wegen der dreijährigen Frist des § 4 Z 2 UVG nur in Ausnahmsfällen eintreten und dann offenbar vom Gesetzgeber zur Erreichung des sozialpolitischen Zwecks der Unterhaltssicherung durch Gewährung des Vorschusses in Richtsatzhöhe nicht als schädlich angesehen. Die (höhere) Vorschußleistung ist freilich dann ausgeschlossen, wenn der Unterhaltsschuldner "offenbar" zur ... Leistung des höheren Unterhalts nicht imstande ist (7 Ob 578/90; Knoll aaO, Rz 4), wofür der Bund beweispflichtig ist. Die Leistungsunfähigkeit müßte sich durch einen positiven Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit wie hier oder Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit nicht offenbar und stehen daher der Bevorschussung nicht entgegen (7 Ob 578/90; Knoll aaO, Rz 6 f). Der Beginn der dreijährigen Frist des § 4 Abs. 2 UVG ist an das Datum der Abfassung der maßgeblichen gerichtlichen Entscheidung (Urteil vom 10.Juli 1987) zu knüpfen (6 Ob 579/90), weshalb dem Antrag des Kindes, das das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat, ab 1. August 1990 stattzugeben und ein Vorschuß in Höhe des § 6 Abs. 2 Z 3 UVG zu gewähren ist. Der feste Betrag nach § 6 Abs. 2 Z 3 UVG beträgt entsprechend dem Erlaß des BMJ vom 27.Juni 1990, JMZ 4589/258-I 1/90, JABl. 1990 Nr. 24, für das zweite Halbjahr 1990 2.773 S monatlich.

Die erforderlichen weiteren Anordnungen (§ 13 UVG) hat in analoger Anwendung des § 527 Abs. 1 ZPO das Erstgericht zu treffen.

Anmerkung

E22320

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00503.91.1128.000

Dokumentnummer

JJT_19901128_OGH0002_0010OB00503_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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