TE OGH 1990/11/29 6Ob24/90

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Veröffentlicht am 29.11.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Handelsregistersache der zu HRB 177/Leibnitz des vom Landes- als Handelsgericht Graz geführten Handelsregisters einzutragenden Verhältnisse der Franz W*** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in Leibnitz wegen Eintragung einer halbseitigen Gesamtvertretung infolge Revisionsrekurses der Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, (RE/23/2) gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 21. August 1990, GZ 1 R 197/90-8, womit der Beschluß des Landes- als Handelsgerichtes Graz vom 13. Juli 1990, GZ 22 HRB 177/Leibnitz-5, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs der Finanzprokuratur wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Nach der besonderen Regelung in dem - von zwei Hotelkaufleuten und einer Stadtgemeinde zur gemeinsamen Ausübung des Gastgewerbes sowie zur Verwaltung und zum Betrieb eines Kulturzentrums in Form einer Gesellschaft mbH geschlossenen - Gesellschaftsvertrag hat die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer und wird, wenn mehrere Geschäftsführer bestellt sind, durch jeweils zwei von ihnen gemeinsam oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Gesamtprokuristen vertreten. Dazu ist bestimmt: "Einzelnen Geschäftsführern kann auch in diesem Falle Einzelvertretungsbefugnis erteilt werden." Nachdem die Stadtgemeinde die Geschäftsanteile der beiden anderen Gründungsgesellschafter übernommen und hierauf ihrerseits den nun mit einer 100 %-Beteiligung verbundenen Geschäftsanteil einem Kaufmann übertragen hatte, beschloß dieser als Alleingesellschafter außer einer Änderung der Firma, einer Änderung des Unternehmensgegenstandes und der Abberufung des (einzigen) Geschäftsführers seine eigene Bestellung zum alleinvertretungsbefugten Geschäftsführer und die Bestellung eines Gastwirtes zum weiteren Geschäftsführer, der "gemeinsam mit einem zweiten Geschäftsführer oder einem Gesamtprokuristen" vertretungsbefugt sein soll. Die beiden neuen Geschäftsführer widerriefen hierauf die (einzige) erteilte Prokura und meldeten außer den erwähnten Satzungsänderungen auch die neuen Vertretungsverhältnisse zur Eintragung in das Handelsregister an. Das Registergericht wies die Eintragung der Bestellung des Gastwirtes zum (kollektivzeichnungsberechtigten) Geschäftsführer ab und faßte in Ansehung der angemeldeten Satzungsänderungen und Vertretungsverhältnisse eine Eintragungsverfügung.

Das Rekursgericht änderte in Stattgebung eines von den Geschäftsführern namens der Gesellschaft erhobenen Rekurses die abweisliche Entscheidung des Registergerichtes im Sinne einer Eintragung des (im Rekurs als zukünftigen Schwiegersohn des Alleingesellschafters bezeichneten) Gastwirtes als Geschäftführer (bei halbseitiger Gesamtvertretung) ab. Dazu sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Diese Rekursentscheidung wurde mit der in ihrem Sinne erfolgten registergerichtlichen Eintragungsverfügung vom 12. September 1990 am 26. September 1990 an den notariellen Vertreter der anmeldenden Gesellschaft abgefertigt. (Die Zustellung ist nicht aktenkundig.) Im Sinne eines Ersuchens des Rekursgerichtes verfügte das Registergericht die Zustellung einer Ausfertigung der Rekursentscheidung an die Finanzprokuratur. Diese Zustellung wurde am 17. Oktober 1990 bewirkt.

Der von der Finanzprokuratur am 24. Oktober 1990 zur Postaufgabe an das Registergericht gebrachte Revisionsrekurs ist mangels Rechtsmittelbefugnis der Einschreiterin zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 1 Abs.3 ProkG ist die Prokuratur "berufen, zum Schutze öffentlicher Interessen vor allen Gerichten und Verwaltungsbehörden einzuschreiten, wenn sie von der zuständigen Behörde hiefür in Anspruch genommen wird oder die Dringlichkeit des Falles ihr sofortiges Einschreiten erfordert." Diese Umschreibung der der Finanzprokuratur gesetzlich zugewiesenen Aufgaben darf nicht als Anordnung einer durch die Finanzprokuratur auszuübenden Einschreitungsbefugnis des Staates in jedem gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren zur allgemeinen Wahrung öffentlicher Interessen ausgelegt werden. Das Einschreiten der Finanzprokuratur setzt vielmehr im Einzelfall voraus, daß einer "zuständigen Behörde" in Ansehung des Verfahrensgegenstandes materiellrechtlich oder nach den anzuwendenden besonderen Verfahrensvorschriften verfahrensrechtlich die Wahrung konkreter öffentlicher Interessen zukäme. Regelfall ist dann für ein Einschreiten der Prokuratur, daß sie von einer solchen "zuständigen Behörde hiefür in Anspruch genommen wird", Ausnahme der Dringlichkeitsfall, in dem von einer solchen Initiative der "zuständigen Behörde" abgesehen werden kann.

Die gesetzliche Regelung des § 1 Abs.3 ProkG aus dem Jahre 1945 ist in der hier hervorzuhebenden Einschränkung nicht anders zu verstehen als die entsprechende Regelung des § 2 III der Verordnung des Gesamtministeriums vom 9. März 1898, RGBl. Nr. 41 betreffend die Dienstinstruction für die k.k. Finanzprokuratur. Nach jener Regelung war die Finanzprokuratur "zur Vertretung öffentlicher Interessen vor Gericht dann berufen, wenn zum Schutze derselben das Einschreiten einer staatlichen Behörde zulässig erscheint und die Finanzprokuratur hiefür von der zuständigen Behörde in Ermangelung eines anderen zum Einschreiten besonders bestimmten Organes in Anspruch genommen" wurde. Die weitherzige Auslegung dieser Regelung in der Entscheidung SZ 19/26 kann schon nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Bestimmung nicht geteilt werden. Die in der Entscheidung SZ 48/43 ohne jede weitere Ausführung aufgestellte These, der Finanzprokuratur stünde aus Gründen des öffentlichen Interesses gegen Registereintragungen das Rekursrecht (zu ergänzen: ohne jede Einschränkung und nähere Voraussetzung) zu, ist in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten, setzte sich die zitierte Entscheidung doch auch in der Frage der formellen Rechtskraft nicht weiter mit der gegenteiligen Ansicht, wie sie bereits in der Entscheidung SZ 25/48 vertreten worden war, auseinander. Nach der Lehrmeinung von Fasching (Komm. II, 8 in Anm. 1 zu Art. IV EGZPO) steht der Finanzprokuratur im Handelsregisterverfahren außer in besonders geregelten Fällen (etwa nach der Art des § 113 GmbHG) keine Rechtsmittelbefugnis zu.

Die Rechtsprechung fordert für die Zulässigkeit eines Einschreitens der Finanzprokuratur im allgemeinen, daß sich das öffentliche Interesse unmittelbar auf den Gegenstand der Entscheidung beziehe (SZ 31/111 ua) und schränkt auch in solchen Fällen die Wahrnehmung der Anfechtungsbefugnis (mangels eigener Beteiligtenstellung der Finanzprokuratur, einer von ihr ersuchten "zuständigen Behörde" oder eines von einer solchen vertretenen Rechtsträgers) jedenfalls auf die den Parteien und Beteiligten offenstehenden Rechtsmittelfristen ein (SZ 25/48, SZ 49/58).

Die Wahrung der Interessen der beteiligten Verkehrskreise bei Eintragungen in das Handelsregister erscheint den Handelskammern überantwortet, die aber nicht als "zuständige Behörden" im Sinne des § 1 Abs.3 ProkG erkannt werden können. Diese Sonderregelung nach § 23 HRV schließt eine parallele Einschreiterbefugnis zum Schutz öffentlicher Interessen aufgrund der allgemeinen Bestimmung des § 1 Abs.3 ProkG aus.

Die weitreichende Befugnis des Registergerichtes zur amtswegigen Löschung unzulässiger Eintragungen im Sinne des § 142 FGG läßt im übrigen auch rechtspolitisch keinen Bedarf nach einer allgemeinen Rechtsmittelbefugnis der Finanzprokuratur erkennen. Die Finanzprokuratur bleibt daher auf Anregungen zur Einleitung eines Verfahrens zur amtswegigen Löschung unzulässiger Eintragungen beschränkt.

In dieser Hinsicht besteht aber kein Anlaß, die in der Rechtsmittelschrift der Finanzprokuratur enthaltenen Ausführungen dem Rekursgericht zur Prüfung der Voraussetzungen für den Auftrag zur Einleitung eines Verfahrens zur amtswegigen Löschung der vom Gericht zweiter Instanz als zulässig erklärten Handelsregistereintragung nahezulegen, zumal der Oberste Gerichtshof erst jüngst die grundsätzliche Zulässigkeit halbseitiger unechter Gesamtvertretung (Kollektivzeichnungsberechtigung eines Prokuristen gemeinsam mit einem einzelvertretungsbefugten Geschäftsführer) bejaht hat (6 R 15/90 und 6 R 19/90).

Aus den dargelegten Erwägungen war der Revisionsrekurs der Finanzprokuratur mangels Rechtsmittelbefugnis zurückzuweisen.

Anmerkung

E22430

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00024.9.1129.000

Dokumentnummer

JJT_19901129_OGH0002_0060OB00024_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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