Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Robert Renner (Arbeitgeber) und Ferdinand Rodinger (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Franz B***, Facharzt, 6971 Hard, Im Acker 29, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei V*** G***, 6850 Dornbirn, Jahngasse 4, vertreten durch Dr. Klaus Grubhofer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 141,90 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 1990, GZ 5 Rs 78/90-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29. Jänner 1990, GZ 35 Cgs 51/90-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 727,68 S (darin 121,28 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Der für die Vertragszahnärzte in Vorarlberg gültige Gesamtvertrag wurde von der Ärztekammer für Vorarlberg zum 31.Dezember 1987 gekündigt. Am 1. Jänner 1988 trat für die Vertragszahnärzte der Gebietskrankenkassen, ausgenommen die beklagte Vorarlberger Gebietskrankenkasse, eine neue Honorarordnung in Kraft. Aufgrund des rechtzeitig gestellten Antrags der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger setzte die Bundesschiedskommission mit Bescheid vom 23.März 1988 gemäß § 348 Abs 1 ASVG den Inhalt des aufgekündigten Gesamtvertrages für die Dauer von drei Monaten ab dem Tag der Entscheidung mit dem Wortlaut dieses Vertrages und der ab 1. Jänner 1988 geltenden Honorarordnung fest.
Nach dem 31.Dezember 1987 hatten in Vorarlberg 14 Zahnärzte Einzelverträge mit der beklagten Partei, die deren Leistungen nach den Sätzen der ab 1. Jänner 1988 geltenden Honorarordnung vergütete. Die übrigen Vertragszahnärzte hatten die mit der beklagten Partei geschlossenen Einzelverträge gekündigt. Der Kläger, der bei der beklagten Partei in der Krankenversicherung versichert ist, nahm in der Zeit vom 1. bis 24.Februar 1988 bei einem dieser Vertragsärzte Zahnbehandlung in Anspruch. Die beklagte Partei ersetzte ihm hiefür den Betrag, der nach der bis 31.Dezember 1987 gültigen Honorarordnung vergütet wurde.
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei die Bezahlung von 141,90 S samt 4 % Verzugszinsen seit 23.November 1988 als Differenz zwischen der Vergütung nach der neuen und jener nach der alten Honorarordnung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt. Aufgrund der ihm überbundenen Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes sei § 131 Abs 1 ASVG anzuwenden. Da der Versicherungsträger bei Behandlung durch einen der noch vorhandenen Vertragszahnärzte eine um den eingeklagten Betrag höhere Vergütung hätte bezahlen müssen, sei das Klagebegehren berechtigt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. § 131 a ASVG sei nicht anzuwenden, weil zur Zeit der Behandlung noch Vertragszahnärzte zur Verfügung gestanden seien. Da die beklagte Partei mit diesen die Anwendung der Bundeshonorarordnung vereinbart habe, hätte sie ihnen bei Inanspruchnahme durch den Kläger noch den eingeklagten Betrag bezahlen müssen. Daran ändere sich nichts, wenn die beklagte Partei, wie sie behaupte, den Vertragzahnärzten die über die frühere Honorarordnung hinausgehende Vergütung nur gemäß § 116 Abs 3 ASVG bezahlt habe, um die zahnärztliche Versorgung in unterversorgten Gebieten gewähren zu können. In diesem Fall hätte das höhere Honorar als zwischen den Vertragsparteien stipuliert zu gelten. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Der Kläger beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Meinung des Klägers zulässig, weil eine Partei dadurch, daß sie die mögliche Anfechtung des Aufhebungsbeschlusses unterläßt, nicht das Recht verliert, die darin vertretene Rechtsansicht im zweiten Rechtsgang zu bekämpfen (SpR 37 neu = SZ 26/312; MietSlg 39.785; Fasching ZPR2 Rz 1824).
Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht erkannte zutreffend, daß § 131 a ASVG hier nicht anzuwenden ist. Stehen Vertragsärzte (Vertragsdentisten) infolge des Fehlens einer Regelung durch Verträge (§ 338) nicht zur Verfügung, so hat der Versicherungsträger nach dieser Bestimmung dem Versicherten für die außerhalb einer eigenen Einrichtung in Anspruch genommene Behandlung (den Zahnersatz) die Kostenerstattung in der Höhe des Betrages zu leisten, der vor Eintritt des vertragslosen Zustandes bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes (Wahldentisten) zu leisten gewesen wäre. Nach dem klaren Wortlaut der Gesetzesstelle kommt es also darauf an, ob Vertragsärzte zur Verfügung stehen. Die Ansicht der beklagten Partei, die Bestimmung sei auch dann anzuwenden, wenn - wie im Fall der Kündigung des Gesamtvertrages - keine Willensübereinstimmung der Vertragsparteien mehr vorliege, findet weder im Wortlaut noch im Zweck der Bestimmung eine Grundlage. Zur Zeit der Behandlung standen in dem Bundesland, für das die beklagte Partei zuständig ist, noch 14 Vertragszahnärzte zur Verfügung, deren Einzelverträge noch nicht erloschen waren, weil der Gesamtvertrag gemäß § 348 Abs 2 ASVG in Kraft geblieben war. Aus diesem Grund sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 131 a ASVG nicht gegeben.
Da der Kläger nicht einen der zur Verfügung stehenden Vertragsärzte und auch nicht eine eigene Einrichtung (Vertragseinrichtung) eines Versicherungsträgers in Anspruch genommen hat, gebührt ihm gemäß dem für diesen Fall anzuwendenden § 131 Abs 1 ASVG der Ersatz der Kosten der anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner eines Versicherungsträgers von diesem "aufzuwenden gewesen wäre". Der Zweck dieser Regelung ist offensichtlich, daß dem Versicherungsträger bei Behandlung durch einen Wahlarzt kein höherer Aufwand als bei Behandlung durch einen Vertragsarzt entstehen soll. Ausgehend von diesem Zweck führt aber die Auslegung der Bestimmung zu dem Ergebnis, daß es auf den Betrag ankommt, der bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes aufgewendet worden wäre. Der beklagten Partei ist zwar einzuräumen, daß sie nicht verpflichtet war, ihren Vertragsärzten eine Vergütung nach der ab 1. Jänner 1988 geltenden Honorarordnung zu bezahlen. Die Honorarordnung bilden gemäß § 342 Abs 2 Satz 2 zweiter Halbsatz ASVG einen Bestandteil der Gesamtverträge und sind daher gemäß § 341 Abs 3 erster Satz ASVG auch Inhalt der Einzelverträge. In Vorarlberg blieb der gekündigte Gesamtvertrag, wie schon erwähnt, gemäß § 348 Abs 2 ASVG bis zur Entscheidung der Bundesschiedskommission in Kraft. Ob es aus diesem Grund möglich gewesen wäre, die Honorarordnung auch für die Vertragszahnärzte der beklagten Partei abzuschließen, kann dahingestellt bleiben, weil dies nach den Verfahrensergebnissen nicht geschah. Die neue Honorarordnung bildete also nicht den Inhalt der Einzelverträge und konnte ihn auch nicht bilden, weil gemäß § 341 Abs 3 letzter Satz ASVG Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt im Einzelvertrag rechtsunwirksam sind, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes geltenden Gesamtvertrages verstoßen. Da der zur Zeit der Behandlung des Klägers noch wirksame Gesamtvertrag nicht geändert wurde, hätte eine Vereinbarung über die Anwendung der neuen Honorarordnung gegen den für die Vertragszahnärzte geltenden Gesamtvertrag verstoßen und wäre daher rechtsunwirksam gewesen. Dies steht der Annahme des Berufungsgerichtes entgegen, daß die neue Honorarordnung als zwischen den Vertragsparteien vereinbart zu gelten hatte. Es ist aber ohne Bedeutung, daß die in Vorarlberg tätigen Vertragszahnärzte keinen Rechtsanspruch auf die Bezahlung der Vergütung nach der neuen Honorarordnung hatten, wenn diese Vergütung allen Vertragszahnärzten bezahlt wurde. Hätte der Kläger einen solchen Arzt in Anspruch genommen, so wäre der beklagten Partei unter diesen Umständen - wenn auch teilweise ohne rechtliche Verpflichtung - ein Aufwand in der in der neuen Honorarordnung vorgesehenen Höhe entstanden. Dies begründet aber nach dem oben Gesagten gemäß § 131 Abs 1 ASVG einen Anspruch des Versicherten in der selben Höhe, weshalb dem Klagebegehren von den Vorinstanzen jedenfalls in der Hauptsache zu Recht stattgegeben wurde. Auf die Frage, ob dies auch auf den Zuspruch von Verzugszinsen zutrifft, muß nicht eingegangen werden, weil die beklagte Partei hiezu in ihren Rechtsmitteln nichts vorgebracht hat (vgl. EvBl 1985/154; MuR 187, 221; SSV-NF 1/14 ua).
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
Anmerkung
E22655European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00344.9.1204.000Dokumentnummer
JJT_19901204_OGH0002_010OBS00344_9000000_000