Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Dezember 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pokorny als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Anton S*** und Walter M*** wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3.Oktober 1989, GZ 9 a Vr 5798/89-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, der Angeklagten und des Verteidigers Dr. Bernhauser (bei Urteilsverkündung: Dr. Soyer) zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Den Berufungen wird teilweise Folge gegeben und das Ausmaß der Freiheitsstrafen beim Angeklagten Anton S*** auf 6 (sechs) Monate, beim Angeklagten Walter M*** auf 2 (zwei) Monate herabgesetzt. Im übrigen wird den Berufungen nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden der Gendarmeriebeamte Anton S*** des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (I.) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (III.) sowie der Werkmeister Walter M*** der Vergehen der Amtsanmaßung nach § 314 StGB (II.) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (III.) schuldig erkannt.
Darnach haben am 26.Mai 1989 in Mödling I. Anton S*** als Gendarmeriebeamter mit dem Vorsatz, den Staat und den Staatsbürger Markus D*** in ihrem "Recht auf Vornahme sicherheitsbehördlicher Amtshandlungen nur im Rahmen der bestehenden Gesetze" zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes oder des Landes Niederösterreich als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht, indem er gegen den Mopedfahrer Markus D*** nach Veranlassung zum Anhalten eine Pistole in Anschlag brachte, sich mit der Dienstkokarde als Gendarmeriebeamter auswies und mit der Behauptung, er und Walter M*** seien eine Zivilstreife, zur Übergabe der Kraftfahrzeug- und Personalpapiere aufforderte;
II. Walter M*** ohne dazu befugt zu sein, eine Handlung vorgenommen,
die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf,
indem er anläßlich der zu I geschilderten Tathandlung des
Anton S*** mit einer
orangefarbenen Taschenlampe aus
dem rechten Seitenfenster
des PKW des Anton S***
dem Markus D*** Zeichen
zum Anhalten gab,
solcherart den Eindruck
erweckte, es handle sich bei
dem von Anton S***
gelenkten PKW um einen Funkstreifenwagen,
und die
Überprüfungsplakette am Moped des Markus
D***
kontrollierte;
III.Anton S*** und Walter M*** im gewollten und bewußten Zusammenwirken als Mittäter die Margret L*** mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich zum Abbremsen ihres PKW und zur Änderung ihrer Fahrtroute genötigt, indem sie mit dem von Anton S*** gelenkten PKW Margret L*** wiederholt zum rechten Fahrbahnrand hin abdrängten, um sie solcherart zum Anhalten zu zwingen, weshalb die Genannte ihren PKW mehrmals stark abbremsen mußte, wobei Walter M*** mit der zu Punkt II erwähnten Taschenlampe zu dem von Margret L*** gelenkten PKW leuchtete.
Dazu hat das Schöffengericht folgendes festgestellt:
Anton S***, der seit 1.Juli 1987 der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich dienstzugeteilt ist, befand sich in der Zeit vom 12.Mai 1989 bis einschließlich 26.Mai 1989 im Krankenstand. Am Abend dieses Tages fuhr S*** mit seinem PKW in Begleitung seines Bekannten Walter M*** in Mödling umher. Er verfolgte den Mopedfahrer Markus D*** durch verschiedene Straßenzüge, fuhr wiederholt dicht auf, schaltete die Beleuchtung seines PKW ab und gleich darauf das Fernlicht ein, überholte das Motorfahrrad und drängte es an den rechten Fahrbahnrand, wobei M*** aus dem rechten Fenster mit einer orangefarbenen Taschenlampe mit weißem Licht Zeichen zum Anhalten gab und beide Angeklagten dem Markus D*** zuriefen, er solle anhalten. D***, der das Gestikulieren der Angeklagten und deren Rufe zwar wahrnahm, aber durch den Sturzhelm und wegen des Geräusches der beiden Fahrzeuge nicht verstand, bekam Angst und ergriff, nachdem beide Fahrzeuge an einer Kreuzung angehalten hatten und S*** ausgestiegen war, zunächst auf dem Gehsteig fahrend in Richtung Zwillinggasse die Flucht. Er hatte vor, dort bei einem Freund Hilfe gegen die ihn bedrängenden Angeklagten zu suchen. Diese holten ihn aber ein, als er gerade die Glocke des Wohnhauses seines Freundes betätigte. S*** stieg neuerlich aus seinem PKW, ging auf D*** zu und versetzte ihm einen kräftigen Stoß gegen die rechte Schulter. Sodann zog S*** eine (ihm persönlich gehörende) Pistole und brachte sie gegen D*** in Anschlag. Er behauptete, er und sein Begleiter M*** seien Gendarmeriebeamte auf Zivilstreife und wies auf Verlangen D*** seine Dienstkokarde vor. Er forderte ihn zur Abnahme des Helms und zur Vorweisung der Kraftfahrzeug- und Personalpapiere auf. Dem kam D*** nach. S*** ersuchte nun M***, die Überprüfungsplakette (§ 57 a KFG) am Motorfahrrad zu kontrollieren, was dieser auch tat. Hernach erklärten beide Angeklagten übereinstimmend, daß nun eigentlich kein Grund mehr zu einer weiteren Amtshandlung gegen D*** vorliege und daß er weiterfahren könne.
S*** hatte keinen "faktischen" Anlaß, sich in den Dienst zu stellen und handelte auch keineswegs mit dem Vorsatz eine (rechtmäßige) Amtshandlung durchzuführen (US 20). Nach Auffassung des Erstgerichtes mißbrauchte er vielmehr die ihm als Gendarmeriebeamten übertragenen Befugnisse zu sicherheitsbehördlichen Amtshandlungen wissentlich, um dadurch den Bund, das Land Niederösterreich und den Staatsbürger Markus D*** an ihren Rechten "auf Durchführung gesetzmäßiger Amtshandlungen und Amtsgeschäfte" zu schädigen (Faktum I).
Dem Angeklagten Walter M*** war bewußt, daß er selbst kein Gendarmeriebeamter war, S*** sich nicht im Dienst befand und er (M***) sich durch die geschilderte Verhaltensweise "ein öffentliches Amt und Handlungen im Rahmen eines öffentlichen Amtes, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden dürfen", anmaßte (Faktum II).
Nach den erwähnten Vorfällen setzten die Angeklagten im PKW S*** die Fahrt durch Mödling fort. Um etwa 23.20 Uhr kamen sie in die Nähe des von Margret L*** gelenkten PKW, als diese auf der Wienerstraße etwa zwischen dem Bezirksgericht und dem Gendarmerieposten fuhr. M*** gab auch Margret L*** mit der erwähnten Taschenlampe Leuchtzeichen, an den rechten Fahrbahnrand zu fahren und stehenzubleiben. S*** drängte mit seinem PKW das Fahrzeug L*** mehrmals zum rechten Fahrbahnrand ab, um sie zum Abbremsen und Anhalten zu zwingen. L*** mußte tatsächlich wiederholt stark abbremsen. Schließlich stellte S*** nach einer Kreuzung sein Fahrzeug quer über die Fahrbahn. L***, die angesichts der Lichtzeichen zunächst den Eindruck hatte, es handle sich um ein Polizei- oder Gendarmeriefahrzeug, bei der Annäherung jedoch feststellte, daß dies nicht zutraf, und deshalb annahm, daß Betrunkene sie zum Abbremsen und Anhalten zwingen wollten, wich auf der Kreuzung vor dem quergestellten PKW des S*** ab und fuhr zum Gendarmerieposten, wo sie unter Bekanntgabe des Kennzeichens des fremden PKW Anzeige erstattete. Die Angeklagten hatten hiebei im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem Vorsatz gehandelt, Margret L*** gewaltsam zum Abbremsen und Anhalten ihres Fahrzeuges zu zwingen (Faktum III).
Dieses Urteil wird von beiden Angeklagten mit gemeinsam ausgeführter Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a - von M*** auch Z 9 lit b - des § 281 Abs 1 StPO angefochten.
Rechtliche Beurteilung
Zur Mängelrüge in bezug auf das Faktum I:
Es trifft zwar zu, daß dem Angeklagten Anton S*** bei seinen ersten Vernehmungen durch die Gendarmerie am 26. und 27.Mai 1989 wohl die Anzeige einer unbekannten Person über eine von den Insassen seines PKW durchgeführte Anhaltung und Belästigung sowie die Anzeige Margret L*** (Faktum III), noch nicht aber das den Gegenstand des nunmehrigen Schuldspruchs I bildende Vorgehen vorgehalten worden ist (S 41 bis 43, 51), weil dieser Vorfall erst am 28.Mai 1989 zur Kenntnis der Gendarmerie gelangte (S 13). Daraus kann jedoch der Beschwerde zuwider ein Begründungsmangel nicht abgeleitet werden. Die Tatrichter schlossen in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) auf das Bewußtsein des Angeklagten S*** vom Fehlen der Voraussetzungen für eine Indienststellung nicht nur aus seinem Stillschweigen über einen solchen Ausnahmefall bei den ersten Vernehmungen (wo er überhaupt leugnete, im fraglichen Zeitraum seinen PKW in Betrieb genommen zu haben - S 41 f) und aus seiner Verantwortung vor der Sicherheitsdirektion am 30.Mai 1989, in der von einer Indienststellung noch keine Rede war (S 73), sondern auch aus dem Unterbleiben der diesfalls erforderlich gewesenen nachträglichen schriftlichen Dokumentation der Amtshandlung (wofür einem an anderer Stelle erhobenen weiteren Einwand zuwider trotz seiner - erst am 30.Mai 1989 erfolgten [S 17] - Suspendierung ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden wäre) und lehnten deshalb die gegenteilige, erst in der Hauptverhandlung vorgebrachte Verantwortung des Angeklagten S*** über ein angeblich begründetes Indienststellen ab (US 19 f).
Für das sogenannte Indienststellen bestimmt der Erlaß des Bundesministeriums für Inneres vom 4.Feber 1947, Zl. 150.189-GD 5/47 (vgl. auch SSt. 20/47 und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.April 1979, Zl. 201/78, auszugsweise wiedergegeben im Erlaß des Bundesministeriums für Inneres vom 16. Oktober 1979, Zl. 6.700/38-II/4/79), daß (nur) bei Gefahr im Verzug jeder hiezu berechtigte Gendarmeriebeamte, falls die Indienststellung durch den unmittelbaren Vorgesetzten nicht möglich ist, gehalten ist, sich selbst in Zivilkleidung in Dienst zu stellen, wenn je nach der Sachlage die Voraussetzungen für die Dienstverrichtung gegeben sind. Soweit das Erstgericht in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung mehrmals auf den Inhalt der Dienstvorschrift Bezug nimmt, stellt es auf das Fehlen der Gefahr im Verzug und nicht auf die Dienstleistung in Zivilkleidung (§ 9 a der Gendarmeriedienstinstruktion - GDI) ab. Der Beschwerdeeinwand, daß der Angeklagte S*** seinen Dienst als Kriminalbeamter ohnedies immer in Zivilkleidung ausübt, geht daher schon deshalb ins Leere. Keiner Erörterung jener Angaben des Zeugen D***, wonach der Angeklagte M*** - und nicht S***, wie die Beschwerde vermeint - behauptete, er (D***) hätte "sicher" (oder "vielleicht") das Moped gestohlen (S 35, 141), bedurfte es in der in gedrängter Darstellung abzufassenden Urteilsbegründung (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO), in welcher nicht sämtliche Aussagen im Detail wiederzugeben sind und nicht vorweg zu jedem in einer Nichtigkeitsbeschwerde später erhobenen Einwand Stellung genommen werden kann. Im übrigen steht diese Äußerung des Angeklagten M*** gegeNüber dem Zeugen D*** keineswegs der Urteilsannahme entgegen, daß sich der Angeklagte S*** des Fehlens der Voraussetzungen für eine Indienststellung bewußt war. Denn der Zeuge D*** konnte naturgemäß keine Kenntnis davon haben, ob ein Diebstahlsverdacht von den Angeklagten nicht bloß vorgeschützt wurde, um ihrem Vorgehen den Anschein einer rechtmäßigen Amtshandlung zu verleihen.
Zur Mängelrüge in bezug auf das Faktum II:
Das Erstgericht hat in Ansehung der in Punkt II des Urteilsspruchs als orangefarben beschriebenen Taschenlampe entgegen dem Beschwerdeeinwand ausdrücklich festgestellt, daß es sich um eine solche mit "weißem Licht" handelte (US 8). Die von der Beschwerde bekämpfte Annahme, daß der Angeklagte M*** durch die Haltezeichen mit dieser Taschenlampe den Eindruck erwecken wollte, es handle sich bei dem von S*** gelenkten PKW um einen Funkstreifenwagen, ist gerade durch die Verantwortung des Angeklagten M*** selbst gedeckt, wonach er mit der Stabtaschenlampe, die bei seitlicher Beobachtung orange leuchtete, dem Mopedfahrer D*** Lichtzeichen zum Stehenbleiben gab und ihn hiezu auch wörtlich aufforderte (S 81, 83, 134).
Im übrigen kommt es für die Tatbildlichkeit eines Verhaltens als Amtsanmaßung im Sinne der beiden Deliktsfälle des § 314 StGB nicht darauf an, ob der von einer scheinbaren Amtshandlung Betroffene der Täuschung über die Ausübung eines öffentlichen Amtes (erster Fall) oder über die Nichtbefugnis zur Vornahme einer Handlung, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden kann (zweiter Fall), unterliegt. Es ist daher nicht entscheidend, ob der Zeuge D*** anläßlich der erwähnten Haltezeichen des Angeklagten M*** den PKW des Angeklagten S*** für einen Funkstreifenwagen hielt oder nicht. Eine Erörterung dieser Frage in den Entscheidungsgründen war somit entbehrlich.
Zur Rechtsrüge (Z 9 lit a) in bezug auf das Faktum I:
Entgegen der Beschwerdeauffassung hat der Angeklagte S*** nicht bloß abstrakte staatliche Aufsichtsrechte bzw. das allgemeine Recht auf Einhaltung der Rechtsvorschriften, sondern konkrete Rechte geschädigt:
Den Sicherheitsbehörden obliegt im Rahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gerade die Sicherung der Freiheit des Einzelnen zur Ausübung seiner Grundrechte und die Gewährleistung von Freiheit und Frieden in der Gemeinschaft. Hiemit und überhaupt mit der Grundrechtsordnung stünde in unlösbarem Widerspruch, wenn Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes selbst in ihrem Privatleben die Möglichkeit eröffnet wäre, willkürlich nach Gelegenheiten für die Ausübung ihrer Befehls- und Zwangsgewalt zu suchen. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, daß die gegenständliche Amtshandlung einen Akt der ausschließlich um ihrer selbst willen ausgeübten Schikane dargestellt hat. Durch die unberechtigte Anhaltung von nicht unerheblicher Dauer wurde daher der Zeuge D*** in seinem Recht auf Freiheit verletzt. Es liegt somit nicht bloß Mißbrauch, sondern überdies die Verletzung konkreter Rechte vor. Gerade auch die Amtsführung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterliegt wie jede Rechtsausübung dem der gesamten Rechtsordnung innewohnenden Schikaneverbot (vgl. §§ 879, 1295 Abs 2 ABGB und ENr. 348, 350, 351 hiezu MGA33). Diesem die Organe verpflichtenden Verbot entspricht der Anspruch sowohl des Rechtsträgers als auch des von der Amtshandlung betroffenen Menschen, daß die Vollziehung der Gesetze frei von Schikane bleibt. Auch dieses Recht ist seinem Wesen nach im Vergleich zum abstrakten allgemeinen Anspruch auf Gesetzlichkeit der Vollziehung konkreter Art und somit Schutzobjekt des § 302 StGB.
Schließlich hat der Angeklagte S*** durch den dem Mopedfahrer nach der Anhaltung versetzten kräftigen Stoß und das Ziehen seiner Pistole gegen die Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes (WaffGG) verstoßen:
Ersterenfalls handelt es sich um Anwendung von Körperkraft, die, wie aus den §§ 2 bis 6 WaffGG abzuleiten ist, im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse (§ 1 WaffGG) denselben grundsätzlichen Einschränkungen wie der Waffengebrauch unterliegt (§§ 2, 4, 6 WaffGG; vgl. Anm. 4 zu § 4 in: Das Waffengebrauchsrecht in Österreich4). Der - bei Fehlen einer geeignet erscheinenden Dienstwaffe nur ausnahmsweise zulässige (§ 9 WaffGG) - Gebrauch der Privatwaffe hinwieder bedeutet konkludent die Androhung eines lebensgefährdenden Waffengebrauches (§ 8 WaffGG).
Nach § 2 WaffGG ist der Waffengebrauch und damit auch die weniger gefährliche Maßnahme der Anwendung von Körperkraft aber nur im Falle gerechter Notwehr (Z 1), zur Überwindung eines auf die Vereitlung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes (Z 2), zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme (Z 3), zur Verhinderung des Entkommens einer rechtmäßig festgehaltenen Person (Z 4) und zur Abwehr einer von einer Sache drohenden Gefahr (Z 5) zugelassen. Da keine dieser Voraussetzungen gegeben war, hat der Angeklagte S*** auch insoweit konkrete, auf dem WaffGG beruhende Rechte, nämlich den Anspruch sowohl des Staates als auch des vom Waffengebrauch und der minder gefährlichen Maßnahme Betroffenen auf Einhaltung der zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Menschen die exekutiven Zwangsbefugnisse einschränkenden Normen beeinträchtigt. Damit sind im Rahmen der vom Erstgericht umschriebenen Rechte "auf Vornahme sicherheitsbehördlicher Amtshandlungen nur im Rahmen der bestehenden Gesetze" bzw. "auf Durchführung gesetzmäßiger Amtshandlungen und Amtsgeschäfte" (US 3 und 11) jene konkreten Rechte substantiiert, auf deren Schädigung der - vom Erstgericht sogar in der Form der Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) angenommene - Vorsatz des Angeklagten S*** bei der mißbräuchlichen Amtshandlung gerichtet war.
Der Unterstellung seines Verhaltens unter das Tatbild des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB haftet daher entgegen den Beschwerdeeinwänden, die im übrigen in unzulässiger Weise teils von den Tatsachenfeststellungen zur inneren und äußeren Tatseite abweichen, kein rechtlicher Fehler an.
Zu den Rechtsrügen (Z 9 lit a und lit b) in bezug auf die Fakten II und III:
Als Amtsanmaßung (Faktum II) werden dem Angeklagten M*** die Anhaltezeichen mittels der Taschenlampe, verstärkt durch die mündliche Aufforderung zum Stehenbleiben, sowie die ersichtlich im Bewußtsein der Äußerung des Angeklagten S***, daß er und M*** Gendarmeriebeamte auf Zivilstreife seien, durchgeführte Kontrolle der Begutachtungsplakette am Moped des Zeugen D*** angelastet. Mit diesen Verhaltensweisen, die jedenfalls in ihrer Gesamtheit beurteilt scheinbare Amtshandlungen darstellen, hat sich M*** als Träger des öffentlichen Amtes eines Gendarmeriebeamten aufgeführt und daher die Ausübung dieses Amtes angemaßt (§ 314 erster Fall StGB). Der Vollständigkeit halber sei nur vermerkt, daß der verfehlten, weil auf den zweiten Deliktsfall des § 314 StGB hindeutenden Wortwahl im Urteilsspruch ("... ohne dazu befugt zu sein, eine Handlung vorgenommen, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf ...") wegen der rechtlichen Gleichwertigkeit der beiden Deliktsfälle keine entscheidende Bedeutung zukommt.
Ob der Betroffene über die Amtsträgereigenschaft und die Echtheit der Amtshandlung tatsächlich getäuscht wurde, ist, wie schon erwähnt, unerheblich.
Soweit der Beschwerdeführer das Anleuchten mit einer Taschenlampe und die Inaugenscheinnahme der Begutachtungsplakette nicht als für die Ausübung eines öffentlichen Amtes typisch ansieht, löst er diesen Teil des Gesamtverhaltens in unzulässiger Weise aus dem Zusammenhang und läßt vor allem außer acht, daß in seiner Gegenwart und mit seinem Wissen von S*** dem Betroffenen gegenüber das Einschreiten einer Zivilstreife ausdrücklich behauptet wurde. Gegenstand einer Nötigung (Faktum III) kann auch eine Handlung ohne besondere rechtliche oder faktische Relevanz sein (Dok zum StGB S 144). Vorauszusetzen ist lediglich, daß das abgenötigte Verhalten nicht völlig belanglos, sondern von einigem Gewicht ist (vgl. Leukauf-Steininger Komm.2 RN 9, Kienapfel BT I2 RN 57, Foregger-Serini StGB4 Erl. III, Mayerhofer-Rieder StGB3 E 11 mit Anm., jeweils zu § 105 sowie die dort zit. Judikatur). Diese Erheblichkeitsschwelle ist aber bei der Erzwingung wiederholten abrupten Abbremsens und Ausweichens, also besonders unfallträchtiger Fahrmanöver, wozu Margret L*** vorliegendenfalls durch das gezielte Abdrängen ihres PKW mehrmals genötigt war, um eine Kollision zu vermeiden (US 12, vgl. S 31, 137 f), überschritten worden. Ein derartiges Abdrängen eines Kraftfahrzeuges durch ein anderes - das keineswegs eine im Straßenverkehr nicht seltene bloß "unfreundliche" Fahrweise bedeutete, die der verwaltungsbehördlichen Ahndung vorbehalten ist (vgl. Kienapfel BT I2 RN 20 und Mayerhofer-Rieder aaO) - ist aber vom Erstgericht zu Recht als mittelbare, insoweit aber ausreichende (Leukauf-Steininger aaO RN 4) Gewalt gegen die Person im Sinne des § 105 StGB beurteilt worden (US 24). Bei dem beschriebenen Einsatz der Bewegungsenergie des Kraftfahrzeuges des Angeklagten S*** handelte es sich um die Einwirkung überlegener physischer Kraft, die dazu bestimmt und geeignet war, den Willen des Opfers zu beugen. Gerade weil Margret L*** die Kollision nur durch die erzwungenen Ausweichmanöver vermeiden konnte, ist das Abdrängen nicht als (im übrigen als Begehungsmittel gleichwertige) gefährliche Drohung, sondern als auf das Opfer einwirkende Gewalt - vergleichbar etwa dem Hieb mit einem waffenähnlichen Gegenstand, dem das Opfer sich gerade noch entziehen kann - anzusehen (vgl. hiezu 12 Os 138/87 nv: Abdrängen eines fahrenden Kraftfahrzeuges als Gewalt iS § 269 StGB). Daß der Täter einen Zusammenstoß der Fahrzeuge nicht herbeiführen wollte und offensichtlich auch hoffte, daß derartiges nicht eintritt, steht mit der Annahme des Vorsatzes, das Opfer auf die erwähnte Weise gewaltsam zu den genannten Abwehrmanövern zu nötigen, durchaus im Einklang.
Bewußtes und gewolltes Zusammenwirken im Sinne des Begriffes unmittelbarer Mittäterschaft (§ 12 erster Fall StGB) setzt nicht voraus, daß jeder Mittäter das gesamte Tatbild erfüllt. Es genügt das einverständliche Handeln in der Ausführungsphase der Tat gleichsam mit verteilten Rollen (vgl. etwa Leukauf-Steininger Komm.2 § 12 RN 10). Unter diesem Aspekt hat das Erstgericht die Abgabe von Leuchtzeichen durch den Angeklagten M*** rechtsrichtig als eine solche Tatbeteiligung beurteilt, auch wenn diese Teilhandlung für sich allein gesehen weder eine Gewaltausübung noch eine gefährliche Drohung darstellen könnte.
Somit vermochten die Beschwerdeführer in keinem der hier in Rede stehenden Fakten II und III eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung (Z 9 lit a) aufzuzeigen.
Schließlich kann der Beschwerde des Angeklagten M*** auch insoweit kein Erfolg beschieden sein, als er aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO in Ansehung seiner Person die Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit nach § 42 StGB reklamiert:
Beide ihm zur Last liegenden Straftaten (II und III) dürfen wegen ihres zeit- und aktionsmäßigen Zusammenhanges unter dem Aspekt des Grades der Schuld (§ 42 Z 1 StGB) nicht getrennt und ohne Bedachtnahme auf ihre Gesamtauswirkungen beurteilt werden. Darnach kann aber nicht gesagt werden, daß die Schuld des Beschwerdeführers nur gering gewesen, dh erheblich hinter dem in den Strafdrohungen der §§ 105 und 314 StGB typisierten Unrechts- und Schuldgehalt zurückgeblieben wäre. M*** hat durch sein, wenn auch nur untergeordnetes Tätigwerden jeweils ein Verhalten unterstützt, das einesteils von krasser Willkür und in beiden Fällen von üblem Rowdytum geprägt, sohin von beträchtlicher Sozialschädlichkeit war. Die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten waren daher in allen Punkten zu verwerfen.
Zu den Berufungen:
Bei der Strafbemessung wertete das Schöffengericht bei beiden Angeklagten das Zusammentreffen von zwei Vergehen und die Fortsetzung des deliktischen Verhaltens durch einen längeren Zeitraum als erschwerend; als mildernd berücksichtigte es deren bisher ordentlichen Lebenswandel, und daß sie zur Wahrheitsfindung wesentlich beigetragen haben; dem Angeklagten M*** billigte es überdies zu, daß er an den Straftaten nur in untergeordneter Weise beteiligt war. Mit Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) führte es weiters aus, daß die Schuld bei S*** wesentlich schwerer wiege als bei M***. Jener habe als Beamter eine Handlungsweise gesetzt, die vom Gesetz nicht ohne Grund mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe bedroht sei. Dazu komme, daß dieser Angeklagte zumindest in der Hauptverhandlung wenig Schuldeinsicht gezeigt habe. Es beurteilte S*** als Menschen, der möglicherweise nach falsch gewählten Vorbildern einen Hang zu Waffen und Uniformen habe und dem zur Betätigung in diesem Bereich im Rahmen der Gesetze seine Beschäftigung als Gendarmeriebeamter offenbar nicht genügte. Gerade Personen aber, die ohne Grund Waffen tragen und diese einsetzen, wobei sie offenbar eine Vorliebe für Selbstjustiz entwickeln, seien für das Gefüge eines demokratischen Staates gefährlich. Etwas günstiger beschrieb das Erstgericht den Angeklagten M***, dem es eine gewisse habituelle Unbesonnenheit zugute hielt, aus der er bei den gegenständlichen Straftaten in bloß untergeordneter Rolle eben mitgetan habe. Bei ihm handle es sich offenbar um einen leicht beeinflußbaren Menschen, der im Übermut dazu neige, über die Stränge zu schlagen und dabei mitunter auch die Schranken des Gesetzes mißachte.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände verhängte das Schöffengericht über den Angeklagten S*** eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, über den Angeklagten M*** eine solche von vier Monaten, die es bei beiden Angeklagten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah, weil es annahm, daß schon im Hinblick auf den bisher ordentlichen Lebenswandel auch die bloße Androhung den Strafzwecken genügen werde.
Gegen diesen Strafausspruch richten sich die Berufungen der Angeklagten, mit welchen beide die Herabsetzung des Ausmaßes der Freiheitsstrafen anstreben und darüber hinaus die Verhängung von Geldstrafen an deren Stelle (§ 37 StGB) beantragen. Dazu hat ihr Verteidiger im Gerichtstag erklärt, daß diesfalls auch der Beseitigung des Ausspruchs über die bedingte Strafnachsicht zugestimmt werde (§ 295 Abs 2 StPO).
Die Berufungen sind nur zum Teil begründet.
Der Erschwerungsgrund der Fortsetzung des deliktischen Verhaltens durch einen längeren Zeitraum hatte zu entfallen, weil die Begehung der beiden strafbaren Handlungen der Angeklagten notwendigerweise eine gewisse Zeit in Anspruch nahm, was ihnen daher nicht zusätzlich als besonders erschwerend anzulasten war. Im übrigen hat das Schöffengericht die Strafbemessungsgründe zwar richtig und vollständig aufgezählt, sie aber ihrem Gewicht nach doch erheblich über- bzw. unterbewertet. Bei sorgfältiger Abwägung aller für das Ausmaß der unrechtsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) maßgebenden allgemeinen und besonderen Umstände erschien dem Obersten Gerichtshof eine Reduzierung der (bedingt nachgesehenen) Strafen auf die aus dem Spruch ersichtliche jeweilige Höhe nach Lage des Falles geboten und zur Erzielung des Strafzweckes bei beiden Angeklagten durchaus hinreichend. Die Verhängung von Geldstrafen kam allerdings aus generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht. In diesem Umfang war daher den Berufungen ein Teilerfolg beschieden.
Anmerkung
E22775European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0140OS00019.9.1204.000Dokumentnummer
JJT_19901204_OGH0002_0140OS00019_9000000_000