Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Leonhard S***, Mittelschullehrer, Dominikanerbastei 19/8, 1010 Wien, vertreten durch Dr.Hermann Gaigg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Heinrich K***, Rechtsanwalt, Reichsratstraße 15, 1010 Wien, vertreten durch Dr.Rainer Cuscoleca, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 119.379,42 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 14.Mai 1990, GZ 14 R 55/90-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 29.November 1989, GZ 35 Cg 319/88-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.789,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.131,60 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Mieter der im 4.Stock des Hauses Wien 1., Dominikanerbastei 19 gelegenen Wohnung Nr 8. Er beantragte, gestützt auf § 44 Abs 2 MRG, im außerstreitigen Verfahren festzustellen, daß die Vermieterin ihm gegenüber das gesetzlich zulässige Zinsausmaß durch Einhebung von S 3.418,70 an Stelle S 2.319,08 um monatlich S 1.099,62 zuzüglich 8 % Umsatzsteuer seit 1.März 1982 überschritten habe.
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wies diesen Antrag ab und ging hiebei von folgenden Feststellungen aus:
Das gegenständliche Haus wurde 1897 erbaut. Infolge Kriegseinwirkung 1945 wurde es teilweise zerstört und brannte völlig aus. Das Gebäude grenzt an beiden Schmalseiten an Nachbarhäuser. Die tragenden Außenmauern sowie die Mittelmauer wiesen durch die Kriegseinwirkung keine wesentliche Schäden auf. Auch das Stiegenmauerwerk, welches ein Teil der Hofmauer ist, wies nach dem Brand keine wesentlichen Schäden auf. Dafür waren sämtliche Holztramdecken, welche im vorderen Teil des Hauses zwischen Straßenmauer und Mittelmauer eingezogen waren, zur Gänze zerstört, bis zum Parterre fehlten in diesem Bereich sämtliche Decken. Im Bereich hinter der Mittelmauer zum Hof zu sind Ziegelplatzeldecken zwischen Falzprofilträgern, diese wurden nur stellenweise beschädigt. Über dem gesamten Gebäude fehlte das Dach, weiters fehlten im gesamten Gebäude die Fenster und die Türen. Die Wohnung Nr 8 befindet sich im vierten Stock. Sie weist zwei Zimmer zur Dominikanerbastei auf. Die Nebenräume (Bad, Kabinett, Küche, Vorraum, WC) liegen nach hinten zum Hof. Ab 1947 ließ die Vermieterin in Etappen das Haus ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel und ohne daß die Ausbauarbeiten etwa durch Mieter selbst durchgeführt oder finanziert wurden - das Haus war nach der Kriegseinwirkung nicht mehr bewohnt - wieder instandsetzen. Unter anderem wurden die ausgebrannten Tramdecken im vierten Stock erneuert und die Ziegelscheidewände neu erstellt. Das zweite, dritte und vierte Stockwerk wurden durch Einziehen der fehlenden Decken geschaffen, die fehlenden Zwischenwände aufgestellt, die Fenster hergestellt und sowohl Türen und auch Verputz instandgesetzt. Obwohl die Außenmauern zum Großteil noch vorhanden waren, mußten sie teilweise ergänzt bzw auch ausgewechselt werden.
Das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge und erklärte einen weiteren Rekurs für zulässig. Es vertrat die Ansicht, der vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien festgestellte Sachverhalt erfülle die Voraussetzungen des § 16 Abs 1 Z 2 MRG. In dieser Bestimmung fordere das Gesetz, daß der Mietgegenstand - der Fall der Neuerrichtung des Gebäudes liege nicht vor - auf Grund einer nach dem 8.Mai 1945 erteilten Baubewilligung durch Um-, Auf-, Ein- oder Zubau neu geschaffen worden sei. Wohl müsse es sich hiebei um die Gewinnung neuen und nicht um die bauliche Umgestaltung schon vorhandenen Räums für Wohn- und Geschäftszwecke handeln, so daß bloße Adaptierungen, Neuverteilung des Raumes durch Versetzen von Zwischenwänden, Teilung von Wohnungen oder Umwandlung von Geschäfts- in Wohnräume nicht darunterfielen. Von der Gewinnung neuen Raums im Sinne der Neuschaffung könne aber dann gesprochen werden, wenn die Räume vorher nicht zu Wohn- oder Geschäftszwecken geeignet gewesen seien, oder Gebäude bzw Gebäudeteile niedergerissen worden seien. Diese Voraussetzungen lägen im gegenständlichen Fall vor. Die von der Vermieterin vorgenommenen Aufbauarbeiten am Gebäude hätten zu einer Neuschaffung von Räumen geführt, die durch die Kriegseinwirkung zerstört und damit weitestgehend als nicht mehr vorhanden anzusehen gewesen seien. Wenn schon bauliche Arbeiten, die das Niederreißen von Gebäudeteilen und deren Neubau zum Inhalt hätten, als Neuschaffung von Raum zu gelten hätten, müsse dies auch für die Errichtung von solchen Gebäudeteilen gelten, die nicht im Zuge von Umbauarbeiten niedergerissen, sondern durch Kriegseinwirkungen zerstört worden waren.
Die Entscheidung des Rekursgerichtes wurde nicht mit Revisionsrekurs angefochten.
Der Kläger brachte in seiner Klage vor, der Beklagte habe ihn im außerstreitigen Verfahren nach dem Mietrechtsgesetz vertreten, habe ihn aber nicht von der Entscheidung der zweiten Instanz in Kenntnis gesetzt. Im Fall rechtzeitiger Information hätte der Kläger den Auftrag zur Anfechtung der Entscheidung des Landesgerichtes für ZRS Wien erteilt, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wäre mit größtmöglicher Sicherheit erfolgreich gewesen. Der Kläger begehrt daher vom Beklagten Schadenersatz in der Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich bezahlten Zins und jenem, der nach Ansicht des Klägers zu bezahlen wäre. Außerdem begehrt er die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Schäden, die aus der Unterlassung der Anfechtung des Beschlusses des Landesgerichtes für ZRS Wien in Zukunft entstehen.
Der Beklagte wendete ein, er habe den Auftrag nicht vom Kläger, sondern von der Mietervereinigung Österreichs gehabt und habe von keiner dieser beiden Personen den Auftrag gehabt, einen Revisionsrekurs zu erheben. Von sich aus habe er dies nicht getan, weil er die Entscheidung für richtig gehalten habe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Brufung des Klägers nicht Folge und erklärte die Revision für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, auch wenn man dem Beklagten die vom Kläger behauptete pflichtwidrige Unterlassung der direkten Verständigung von der Rekursentscheidung und das dadurch verursachte Unterbleiben des Revisionsrekurses unterstelle, sei die Rechtsrüge nicht berechtigt. Gemäß § 44 MRG könne der Hauptmieter einer vor dem Inkrafttreten des MRG gemieteten Wohnung vom Vermieter die Ermäßigung des vorher vereinbarten Hauptmietzinses auf das eineinhalbfache des Kategoriemietszinses (§ 16 Abs 2 MRG) begehren, wenn keiner der Ausnahmetatbestände des § 16 Abs 1 Z 2 bis 6 MRG vorliege. Gemäß § 16 Abs 1 Z 2 MRG fielen aber Vereinbarungen zwischen Vermieter und Mieter über die Höhe des Hauptmietzinses nicht unter die Beschränkungen des § 16 Abs 2 MRG, wenn der Mietgegenstand in einem Gebäude gelegen sei, das auf Grund einer nach dem 8.Mai 1945 erteilten Baubewilligung neu errichtet worden sei, oder der Mietgegenstand auf Grund einer nach dem 8.Mai 1945 erteilten Baubewilligung durch Um-, Auf-, Ein- oder Zubau neu geschaffen worden sei, wobei Mietzinsvorschriften in förderungsrechtlichen Bestimmungen hiedurch nicht berührt würden. § 16 Abs 1 Z 2 berücksichtige die Interessensituation der Vermieter, die bereit seien (gewesen seien), zur Vermehrung des Mietangebotes beizutragen. Wegen der Übereinstimmung des Wortlautes und des Zweckes dieser Bestimmung mit den Bestimmungen des § 1 Abs 2 Z 1 und Abs 3 Z 1 MG könne zur Auslegung des § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG die Rechtsprechung zu § 1 Abs 2 Z 1 und Abs 3 Z 1 MG herangezogen werden. Danach liege eine Neuschaffung vor, wenn durch bauliche Maßnahmen Räume (jetzt Mietgegenstände) gewonnen werden, die bisher überhaupt nicht zur Verfügung gestanden seien oder zur Verwendung als Wohn- oder Geschäftsräume nicht geeignet gewesen seien; die bloße Umgestaltung vorhandener, wenn auch schlecht ausgestatteter Wohn- oder Geschäftsräume in gut ausgestattete könne hingegen nicht als Neuschaffung angesehen werden, möge sie auch neben einer baubehördlichen Bewillligung aufwendige Instandsetzungsarbeiten erfordert haben. Die Bestimmung des § 1 Abs 3 Z 1 MG sei der Vorschrift des § 1 Abs 2 Z 1 MG nachgebildet und verfolge denselben Zweck, den diese Norm ursprünglich gehabt habe, nämlich im Interesse der Linderung der Raumnot die Bautätigeit zur Schaffung neuer Wohn- und Geschäftsräume durch Befreiung dieser Räume von den Beschränkungen des MG anzuregen. Durch diese Nachbildung sollte auch die Kontinuität der zu dieser Vorschrift entwickelten Spruchpraxis gewährleistet werden. Ein Umbau im Sinne des § 1 Abs 3 Z 1 MG liege vor, wenn durch bauliche Maßnahmen aus einem bisher zu Wohn- oder Geschäftszwecken überhaupt ungeeigneten Raum ein im § 1 Abs 1 MG bezeichneter Raum neu geschaffen worden sei. Es müsse sich um die Gewinnung neuer Räume handeln, die noch nicht als Wohn- oder Geschäftsraum zur Verfügung standen, zumindest aber eine völlige Umgestaltung des Inneren eines Gebäudes, verbunden mit einem Niederreißen und der Neuherstellung von Baulichkeiten oder Teilen eines Bauwerkes. Bei einem völligen Neubau sei § 1 Abs 3 Z 1 MG auch dann anzuwenden, wenn der Neubau an Stelle abgerissener Wohn- und Geschäftsräume getreten sei, selbst wenn die Raumeinteilung in Teilen des Neubaues die gleiche wie im abgerissenen Altbau sei. Nach dem Zweck dieser Bestimmung seien an den Umfang des Umbaues besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn objektiv für Wohn- oder Geschäftszwecke geeignete, wenn auch vernachlässigte, reparaturbedürftige oder den modernen Anforderungen nicht mehr entsprechende Räume bereits vorhanden gewesen seien und vom Vermieter mit oder ohne Übernahme der Raumaufteilung instandgesetzt, verändert oder verbessert würden. Durch einen solchen Umbau bestehe nämlich die Gefahr, daß vorhandener und objektiv
geeigneter - seinerzeit den Beschränkungen des MG unterliegender - Wohnraum nur der Beschränkung entzogen werde, ohne daß dadurch eine wesentliche Vermehrung des Wohnraumangebotes erfolge. Wenn man auch für den Zeitpunkt des Beginnes der Wiederaufbauarbeiten, im vorliegenden Fall im Jahre 1947, an die objektive Eignung von Wohnräumen nicht zu strenge Anforderungen stellen könne wie heute, so könne doch kein Zweifel daran bestehen, daß auch die heute vom Kläger gemietete Wohnung durch die Zerstörung von wesentlichen Teilen des Hauses durch Kriegseinwirkungen nicht als objektiv geeignete Wohn- oder Geschäftsräume zur Verfügung gestanden seien. Damit seien die hypothetischen Erfolgsaussichten des vom Beklagten unterlassenen Rekurses an den Obersten Gerichtshof von einer geringen Wahrscheinlichkeit, die für den Nachweis des Kausalzusammenhanges nicht ausreiche.
Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 1 ZPO), aber nicht berechtigt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, durch den Wiederaufbau seien keine neuen Räume geschaffen worden, die vor der Zerstörung nicht vorhanden gewesen seien. Der Bau sei entsprechend den ursprünglichen Bauplänen wieder instandgesetzt worden. In Ermangelung von Baumaterial in der Nachkriegszeit sei der Altbestand nicht entfernt, sondern - soweit wie möglich - in den Wiederaufbau einbezogen worden. Aus diesen Gründen seien keine neuen Räume geschaffen worden. Es bestehe keine sachliche Begründung für einen wesensmäßigen Unterschied, ob Räumlichkeiten, die sich in einem nicht bewohnbaren Zustand präsentierten, aber realiter doch vorhanden seien, mit hohen finanziellen Mitteln instandgesetzt werde oder ob kriegsgeschädigte Räumlichkeiten, die realiter nur teilweise vorhanden seien, mit eben denselben finanziellen Mitteln wieder aufgebaut würden. Einem Rechtsmittel gegen die Rekursentscheidung wäre daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg beschieden gewesen.
Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:
Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung MietSlg XXXVII/5 ausgeführt hat, kann zur Auslegung des § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG wegen der Übereinstimmung des Wortlautes und des Zweckes dieser Bestimmung die Rechtsprechung zu § 1 Abs 2 Z 1 und Abs 3 Z 1 MG herangezogen werden (vgl auch Würth-Zingher, MRG2 Anm 11 zu § 16 und Würth in Rummel, ABGB, Rz 10 zu § 16 MRG). Nach ständiger Rechtsprechung sind aber als durch Um-, Zu-, Auf- und Einbauten im Sinne des § 1 Abs 2 Z 1 MG neu geschaffen, nicht nur solche Mieträume anzusehen, die in einem von Grund auf neu errichteten Gebäude liegen oder die infolge Kriegseinwirkung ganz zerstört und danach wieder aufgebaut wurden, sondern auch solche Räume, die durch die Kriegsschäden (objektiv) unbenützbar geworden sind und instandgesetzt, also wieder benützbar gemacht wurden (MietSlg 5017, 6341, 7120, 17.550 ua). Im vorliegenden Fall war das gesamte Haus ausgebrannt, die beiden Zimmer der Wohnung befinden sich in dem Teil des Hauses, in dem nicht nur das Dach sondern auch sämtliche Holztramdecken gänzlich zerstört waren. In dem Teil, in welchem sich Kabinett, Küche, Vorraum, Bad und WC befinden, waren die Ziegelplatzeldecken zwar nur teilweise beschädigt, es fehlten aber auch hier alle Türen und Fenster und das Dach. Die Wohnung, die der Kläger gemietet hat, war daher völlig unbenützbar, auch wenn man den Wohnungsstandard der ersten Nachkriegszeit berücksichtigt. Im Sinne der dargelegten Rechtsprechung ist daher davon auszugehen, daß der Mietgegenstand im Sinne des § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG neu geschaffen wurde. Darauf, ob der vor der Zerstörung bestehende Zustand wieder hergestellt wurde oder nicht, kommt es nicht an. Daraus folgt, daß die Entscheidung des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entsprach, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, daß ein Revisionsrekurs die Chance eines Erfolges gehabt hätte. Dies führt aber zu dem Ergebnis, daß dem Kläger durch die Unterlassung eines Revisionsrekurses kein Schaden erwachsen ist und auch in Zukunft nicht erwachsen wird. Sein Klagebegehren wurde daher mit Recht abgewiesen.
Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E22343European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00618.9.1205.000Dokumentnummer
JJT_19901205_OGH0002_0020OB00618_9000000_000