Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred W***, Kaufmann, Schottenfeldgasse 67/6-7, 1070 Wien, vertreten durch Dr. Herbert Grün, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** F***- und S*** Gesellschaft m.b.H., Fröhlichgasse 15, 1230 Wien, vertreten durch Dr. Konrad Faulhaber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufstellung und Übersendung von Jahresabschlüssen (S 500.000,-), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 17. Juli 1990, GZ 4 R 81/90-12, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 26.März 1990, GZ 27 Cg 809/89-6, aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufgetragen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß sie zu lauten hat:
"Das bisherige Verfahren wird für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen."
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 14.441,40 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 2.406,90, keine Barauslagen) und die mit S 17.317,80 bestimmten Kosten des Verfahrens über den Revisionsrekurs (darin Umsatzsteuer von S 2.886,30, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte mit seiner beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage die Verurteilung der Beklagten zur Aufstellung der Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 1986/87, 1987/88 und 1988/89 und zur Übersendung dieser Jahresabschlüsse an ihn im wesentlichen mit der Begründung, er sei mit einer Stammeinlage von S 145.000,- Gesellschafter der Beklagten; weitere Gesellschafter seien Ernst G*** mit einer Stammeinlage von S 255.000,-, Hans H*** mit einer Stammeinlage von S 50.000,- und Josef W*** mit einer Stammeinlage von S 50.000,-. Ernst G*** sei Geschäftsführer der Beklagten. Obwohl ihm in der Generalversammlung vom 29.2.1988 die Weisung erteilt worden sei, den Jahresabschluß 1986/87 zu erstellen, sei er dieser Weisung nicht nachgekommen. Auch die Jahresabschlüsse 1987/88 und 1988/89 habe der Geschäftsführer entgegen der Vorschrift des § 22 Abs 2 GmbHG nicht erstellt. Die Beklagte wendete ein, daß für diese Klage der streitige Rechtsweg unzulässig sei; über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch wäre im Außerstreitverfahren zu entscheiden. Im übrigen bestritt die Beklagte die Berechtigung des Klagebegehrens. Das Erstgericht entschied, daß die Rechtssache im außerstreitigen Verfahren zu erledigen sei. Es begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, das Begehren des Klägers sei rechtlich als ein ihm aus dem Bucheinsichtsrecht zustehender Anspruch zu qualifizieren; darüber sei im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden.
Dem gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Rekurs des Klägers gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge. Es hob die Entscheidung des Erstgerichtes auf und trug diesem die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage auf. Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteigt und daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Das Rekursgericht führte im wesentlichen aus, daß es sich bei einem Begehren um Bucheinsicht und einem Begehren auf Erstellung des Jahresabschlusses um ganz verschiedene Ansprüche handle. Wenn auch über das Begehren eines Gesellschafters gegenüber einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Bucheinsicht im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden sei, stehe nach neuerer Ansicht nach Ablauf der Frist zur Aufstellung des Jahresabschlusses dem Gesellschafter diesbezüglich ein klagbarer Anspruch gegen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu. Nur diese Ansicht lasse die neu eingeführte Fristsetzung im § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG als sinnvoll erscheinen; diese Bestimmung setze die Aufstellung eines Jahresabschlusses voraus. Seinen Ausspruch über die Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht damit, daß zu der hier relevanten Rechtsfrage keine veröffentlichte Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliege.
Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Zurückweisung der Klage abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Der Kläger hat eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch sachlich berechtigt. Das Rekursgericht stützt seine Rechtsansicht im wesentlichen auf Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht 199 und auf Goerdeler-Müller in Hachenburg7 Rz 23 zu § 29.
Dem ist zu entgegnen, daß hier nicht die materiellrechtliche Berechtigung des Klagebegehrens zu prüfen ist (sie wurde in der bisherigen Rechtsprechung verneint; siehe dazu etwa EvBl 1977/240; GesRZ 1978,34; GesRZ 1978,179), sondern die Frage, ob über den im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Anspruch des Klägers im streitigen oder im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist aus der deutschen Lehre schon deswegen nichts zu gewinnen, weil dem deutschen GmbHG eine gleichartige Bestimmung wie die Vorschrift des § 102 des österreichischen GmbHG fehlt. Reich-Rohrwig behandelt an der angeführten Stelle im wesentlichen die Frage, ob und in welcher Weise der Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung dieser gegenüber einen Anspruch auf Erstellung von Jahresabschlüssen hat und ihn durchsetzen kann. Er setzt sich dort mit der Frage, ob ein solcher Anspruch im streitigen Rechtsweg oder im außerstreitigen Verfahren durchzusetzen wäre, nicht erkennbar auseinander und geht insbesondere auf die Vorschrift des § 102 GmbHG nicht ein. Seine Ansicht, daß dem Gesellschafter nach Ablauf der Frist zur Aufstellung des Jahrsabschlusses ein klagbarer (also im streitigen Rechtsweg durchzusetzender) Anspruch gegen die Gesellschaft auf Erstellung des Jahresabschlusses zustehe, entbehrt in verfahrensrechtlicher Hinsicht einer nachvollziehbaren Begründung. Dem erkennenden Senat erscheint entscheidend, daß nach § 102 GmbHG über Angelegenheiten, die in diesem Gesetz dem Gericht zugewiesen sind, der zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen berufene Gerichtshof erster Instanz im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden hat, sofern es sich nicht um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten handelt, die dem Prozeßgericht zugewiesen sind. Diese der allgemeinen Regelung des § 1 AußStrG derogierende Gesetzesvorschrift erhielt ihre heute gültige Fassung durch das Bundesgesetz vom 2.7.1980, BGBl 320. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (RV 5 BlgNR 15.GP 10) entnehmen läßt, verfolgte diese Gesetzesänderung das Ziel, die bis dahin geltenden Bestimmungen des § 102 GmbHG durch die Übernahme der im § 14 AktG getroffenen Regelung zu ersetzen. Diesen inhaltlich gleichlautenden gesetzlichen Regelungen ist eindeutig die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, die Durchsetzung aus diesen Gesetzen abgeleiteter Ansprüche in das außerstreitige Verfahren zu verweisen, soweit nicht eine gesetzliche Anordnung in der Richtung besteht, daß über derartige Ansprüche im streitigen Rechtsweg abzusprechen sei. Davon ausgehend wurde nach Wirksamwerden der im § 102 GmbHG in der heute geltenden Fassung getroffenen gesetzlichen Regelung etwa entschieden, daß das Recht des Gesellschafters einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Bucheinsicht nach § 22 Abs 4 GmbHG und überhaupt jeder dem Gesellschafter, auch dem ausgeschiedenen Gesellschafter, zustehende Informationsanspruch gegen die Gesellschaft im außerstreitigen Verfahren zu verfolgen ist (RdW 1990,47; 6 Ob 17/90).
Nichts anderes kann aber für die Durchsetzung des Anspruches eines Gesellschafters gegen die Gesellschaft auf Aufstellung und Übersendung von Jahresabschlüssen gelten. Es sei hier nochmals darauf verwiesen, daß hier nicht die materielle Berechtigung eines solchen Anspruches zu beurteilen ist, sondern die Frage, ob ein solcher Anspruch im streitigen Rechtsweg oder im außerstreitigen Verfahren durchzusetzen ist. Daraus, daß die eingangs wiedergegebenen Entscheidungen, mit denen die materielle Berechtigung solcher Ansprüche verneint wurde, in im streitigen Rechtsweg ausgetragenen Verfahren ergingen, ist für die Beurteilung dieser Frage nach der heutigen Gesetzeslage nichts zu gewinnen, weil diese Entscheidungen vor der Abänderung des § 102 GmbHG durch das Bundesgesetz vom 2.7.1980, BGBl 320, ergingen.
Nach der heutigen Gesetzeslage erscheint dem erkennenden Senat entscheidend, daß der Kläger seine gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche ausschließlich auf die Vorschrift des § 22 GmbHG stützt. Er behauptet, auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmung diese Ansprüche gegen die Beklagte zu haben, macht also aus dem Gesetz abgeleitete Gesellschafterrechte, gerichtet auf Erstellung und Zusendung von Jahresabschlüssen, geltend. Da eine gesetzliche Anordnung, mit der die Durchsetzung solcher Ansprüche im streitigen Rechtsweg angeordnet wird, nicht besteht, sind sie im Sinne der im § 102 GmbHG angeordneten Generalklausel (vgl RdW 1990,47) im außerstreitigen Verfahren durchzusetzen.
Es war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses der Beklagten die Entscheidung des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederherzustellen, daß die Nichtigerklärung des vor dem Erstgericht abgeführten Verfahrens und die Zurückweisung der vorliegenden Klage wegen Unzulässigkeit des streitigen Rechtsweges ausgesprochen wird. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens und des Verfahrens über den Revisionsrekurs beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E22344European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00612.9.1205.000Dokumentnummer
JJT_19901205_OGH0002_0020OB00612_9000000_000