Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Schlosser, Dr.Redl und Dr.Kellner als weitere Richter in der Vormundschaftssache der am 8. August 1989 geborenen Anna Jasmin E***, 4812 Pinsdorf, Freinstorf 17, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Gmunden als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 25.Juli 1990, GZ R 717/90-15, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gmunden vom 1.Juni 1990, GZ P 8/90-6, aufgehoben wurden, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der am 25.9.1964 in Fes, Marokko, geborene Jaouad H***, marokkanischer Staatsbürger, seinerzeit wohnhaft in Ohlsdorf, Preinstorf 17, hat am 24.8.1989 vor dem Standesamtsverband Gmunden die Vaterschaft zu der am 8.8.1989 außer der Ehe geborenen Anna Jasmin E*** anerkannt. Gleichzeitig verpflichtete er sich zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltes von S 1.570 (Regelbedarf). Dieser Vereinbarung lag ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von S 8.000 zugrunde, das dieser als Gießer bei einem Unternehmen in Altmünster erzielte.
Am 1.1.1990 wurde Jaouad H*** im kreisgerichtlichen Gefangenenhaus Wels in Untersuchungshaft genommen. Mit Beschluß vom 17.1.1990 gewährte das Erstgericht deshalb einen Unterhaltsvorschuß nach § 4 Z 3 UVG. Über Anfrage des Erstgerichtes berichtete das kreisgerichtliche Gefangenenhaus Wels am 4.5.1990, daß der Vater des Kindes zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 11 Monate bedingt, verurteilt, am 3.5.1990 enthaftet und der Fremdenpolizei Wels übergeben worden sei. Das Erstgericht stellte daraufhin mit Beschluß vom 7.5.1990 die gemäß § 4 Z 3 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des 31.5.1990 ein.
Am 29.5.1990 beantragte der Unterhaltssachwalter des Kindes die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen auf Grund des abgeschlossenen Unterhaltsvergleiches im Sinne des § 4 Z 1 UVG mit der Begründung, daß die Führung einer Exekution aussichtslos erscheine, weil sich Jaouad H*** in Schubhaft befinde und weder Einkommen noch Vermögen habe.
Das Erstgericht bewilligte mit Beschluß vom 1.6.1990 ohne weitere Erhebungen die beantragten Vorschüsse.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Republik Österreich, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz, Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf, trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Rechtlich führte das Rekursgericht aus, das Gericht habe gemäß § 7 Abs 1 UVG Unterhaltsvorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 5 begründete Bedenken bestünden, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) bestehe oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt sei. Diese Bestimmung habe den Zweck und das Ziel, im Bewilligungsverfahren von Amts wegen den Staat davor zu schützen, daß nicht entgegen § 1 UVG höhere Vorschüsse als sie dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch entsprächen, bezahlt würden. Dieser Unterhaltsanspruch bestimme sich nach § 140 Abs 1 ABGB, eine der maßgeblichen Komponenten sei die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten. Bei bescheinigten oder aktenkundigen Umständen, die die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten wesentlich beeinträchtigten, sei das Vorliegen dieses Versagungsgrundes zu bejahen. Der Unterhaltsverpflichtete sei zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt und nach Verbüßung des unbedingten Teiles von vier Monaten der Fremdenpolizei übergeben worden. Da er marokkanischer Staatsbürger sei, sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in Verbindung mit einer Abschiebung zwingend voraussehbar gewesen. Tatsächlich sei auch der Unterhaltsverpflichtete nach dem Bericht der Bundespolizeidirektion Wels vom 5.7.1990 am 8.6.1990 mit einem Flugzeug der Royl Air Maroc abgeschoben worden. Es sei daher davon auszugehen, daß sich Jaouad H***, falls er nicht neuerlich in ein europäisches Land eingereist sei und dort ein entsprechendes Einkommen erziele, wofür aber keine Anhaltspunkte bestünden, in seinem Heimatland Marokko aufhalte. Es könne als gerichtsbekannt und offenkundig angesehen werden, daß der Lebensstandard und die Verdienstmöglichkeiten in Marokko um ein Vielfaches geringer seien als in Österreich. Die weitere Annahme der Möglichkeit, daß der Unterhaltsverpflichtete den auf seinem Arbeitsverdienst in Österreich beruhenden Unterhaltsbeitrag auch weiterhin leisten könne, sei völlig unrealistisch und es sei daher im Sinne des § 7 Abs 1 UVG nicht zu verantworten, die dem Regelbedarf entsprechenden Titelvorschüsse trotz der aktenkundig geänderten Situation weiterzugewähren.
Da immerhin aktenkundig sei, wo der Unterhaltsschuldner geboren und offensichtlich zuletzt wohnhaft gewesen sei, erscheine es nicht aussichtslos, unter Einschaltung der österreichischen Vertretungsbehörden, den Aufenthaltsort und die Lebensverhältnisse, zumindest aber die durchschnittlichen Lebensverhältnisse eines offenbar ungelernten, in arbeitsfähigem Alter befindlichen marokkanischen Arbeiters, zu ermitteln und auf dieser Grundlage zu einem angemessenen, in Österreich zahlbaren Geldunterhalt zu gelangen. Diese Erhebungen werde das Erstgericht nachzuholen haben. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt nicht vorliege und es erheblich im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG erscheine, ob in einem solchen oder vergleichbaren Fall die Bestimmung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zur Anwendung komme und wie in verfahrensrechtlicher Sicht vorzugehen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus den vom Rekursgericht zutreffend angeführten Gründen - eine Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG liegt noch nicht vor - zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Das Unterhaltsvorschußgesetz ist dem beherrschenden Grundsatz unterstellt, daß die Vorschußleistung aus öffentlichen Mitteln nur an die Stelle der vom Unterhaltsschuldner geschuldeten Leistungen zu treten hat. Unterhaltsvorschüsse auf den Unterhalt des Kindes sollen nur in den Fällen gewährt werden, in denen die Unterhaltsbeiträge von einem an sich leistungsfähigen Unterhaltsschuldner wegen dessen Verhaltens überhaupt nicht, nur zum Teil oder nicht rechtzeitig hereingebracht werden können (276 BlgNR XV.GP, 6). Dem Versagungstatbestand des § 7 UVG kommt daher zur Einhaltung und Durchsetzung dieses Grundsatzes entscheidende Bedeutung zu. Gemäß dessen Abs 1 Z 1 hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch angesetzt ist. Damit soll einerseits Mißbräuchen durch Schaffung von vornherein zu hoher Exekutionstitel vorgebeugt, andererseits eine entscheidende Änderung der Verhältnisse seit Entstehen des Exekutionstitels berücksichtigt werden. Nach dieser Bestimmung ist das Gericht verpflichtet, im Verfahren auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen entsprechend der materiellen Rechtslage einen dem Gesetz entsprechend niedrigeren Beitrag als er im Exekutionstitel bestimmt ist, als Vorschuß festzusetzen oder die Unterhaltsvorschüsse überhaupt zu versagen. Dadurch soll dem Gericht zwar nicht die Last aufgebürdet werden, in jedem Fall prüfen zu müssen, ob der im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsbeitrag noch dem Gesetz entspricht, hat es aber aus Gründen der Offenkundigkeit oder nach der Aktenlage begründete Bedenken, so ist es zur Abweichung vom Exekutionstitel verpflichtet (vgl 5 BlgNR XIV.GP, 14).
Der hier vorliegende Unterhaltstitel beruhte auf der Grundlage eines Wohnsitzes des Unterhaltspflichtigen in Österreich und einer aufrechten Beschäftigung als Hilfsarbeiter mit einem monatlichen Nettolohn von S 8.000. Zum Zeitpunkt der Bewilligung von Unterhaltsvorschüssen durch das Erstgericht stand nach der Aktenlage und auch nach den Angaben im Antrag des Sachwalters des Kindes ("Jaouad H*** befindet sich in Schubhaft und hat weder Einkommen noch Vermögen") fest, daß der Unterhaltspflichtige nach Verbüßung einer gerichtlichen Haftstrafe der Fremdenpolizei übergeben wurde, so daß nach den Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in Verbindung mit einer Abschiebung in sein Heimatland zwingend vorhersehbar war. Tatsächlich wurde der Unterhaltsschuldner auch am 8.6.1990 mit einem Flugzeug der Air Maroc abgeschoben.
Es kann, wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, als offenkundig und gerichtsbekannt vorausgesetzt werden, daß der Standard der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Marokko jenen in Österreich bei weitem nicht erreicht, so daß es keinem Zweifel unterliegen kann, daß dort die Lebensverhältnisse und Erwerbsmöglichkeiten des - noch dazu
vorbestraften - Unterhaltspflichtigen jenen in Österreich aller Voraussicht nach nicht gleichgesetzt werden können, damit aber auch eine Anspannung bis zu dem in Österreich erzielbaren oder tatsächlich erzielten Einkommen nicht in Betracht kommt. Es liegt vielmehr nahe, daß die Unterhaltspflicht zumindest derzeit erloschen oder doch erheblich unter den Richtsatzvorschuß gesunken ist.
§ 7 Abs 1 UVG gebietet bei - den hier vorliegenden - begründeten Bedenken gegen die im Unterhaltstitel festgesetzte Unterhaltspflicht die Versagung von Unterhaltsvorschüssen "ganz oder teilweise". Diese Formulierung verpflichtet das Gericht nicht von vornherein zu einer gänzlichen Versagung, sondern auch zu einer Anpassung im Sinne einer Herabsetzung der titelmäßigen Unterhaltsverpflichtung an die tatsächlichen Verhältnisse schon im Bewilligungsverfahren. Dies auch in jenen Fällen, in denen es der Unterhaltspflichtige, aus welchen Gründen immer, unterläßt, eine Änderung des Unterhaltstitels herbeizuführen (vgl auch die amtswegige Unterhaltsherabsetzung nach § 19 UVG).
Um bei begründeten Bedenken eine Entscheidungsgrundlage zu erhalten, ist das Bewilligungsgericht daher verbunden, auch amtswegige Erhebungen durchzuführen. Es entspricht zwar nicht dem Zweck des Bewilligungsverfahrens zur Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ein umfangreiches, zeitaufwendiges Verfahren abzuführen, ein Mindestmaß an zweckmäßiger Stoffsammlung muß aber als Entscheidungsgrundlage gefordert werden, soll die Entscheidung nicht willkürlich zum Nachteil des Kindes oder der bevorschußenden Republik ausfallen. Der vom Rekursgericht aufgetragene Versuch, über die österreichischen Vertretungsbehörden den Aufenthaltsort sowie die Lebensumstände, insbesondere den Arbeitsverdienst des Vaters, zu ermitteln, erscheint im Hinblick auf die aktenkundigen Reisepaß- und Standesamtsdaten des Unterhaltsschuldners nicht von vornherein aussichtslos. Zu von vornherein aussichtslosen langwierigen Erhebungsversuchen könnte das Erstgericht nicht verhalten werden. Jedenfalls könnte eine Auskunft der Vertretungsbehörden über die durchschnittlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse eines ungelernten arbeitsfähigen Arbeiters im Alter des Unterhaltspflichtigen in dessen Heimatland (wieviel nach Befriedigung der eigenen notwendigen Bedürfnisse zur Leistung eines Unterhaltes in Geld verbleibt) einen Anhaltspunkt für einen im Sinne der Anspannungstheorie angemessenen, in Österreich zu zahlenden Unterhalt bieten.
Schließlich muß auch dem Antragsteller Gelegenheit gegeben werden, sich zu äußern und allenfalls den Nachweis zu erbringen, daß trotz des Bestehens begründeter Bedenken die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht keine wesentliche Änderung erfahren hat. Das Rekursgericht ist daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß das Verfahren noch ergänzungsbedürftig ist. Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
Anmerkung
E22416European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00676.9.1213.000Dokumentnummer
JJT_19901213_OGH0002_0060OB00676_9000000_000