TE OGH 1990/12/18 10ObS351/90

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Veröffentlicht am 18.12.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Müller und Dr.Ernst Chlan (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertraud H***, Pensionistin, 6060 Mils, Oberdorf 5, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER B***, 1031 Wien,

Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Leistungen aus der Unfallversicherung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24.Juli 1990, GZ 5 Rs 93/90-21, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 5.April 1990, GZ 47 Cgs 43/88-15, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der Sohn der am 8.3.1920 geborenen Klägerin führt seit 1983 einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, der aus einem Hof- und Wirtschaftsgebäude, einem Obstgarten im Ausmaß von

2.500 m2, einer Hangwiese im Ausmaß von einem Hektar und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken besteht. Er verkauft Obst und Heu, wodurch er im Durchschnitt einen Bruttoerlös von 20.000 S jährlich erzielt. Als Angestellter bei einer Bank verdient er 20.000 S netto im Monat. Der Einheitswert des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes beträgt 14.000 S.

Das Hof- und das Wirtschaftsgebäude bilden eine bauliche Einheit. Zwischen dem Teil, der Wohnzwecken dient, und jenem, der den betrieblichen Zwecken gewidmet ist, befindet sich ein Gang, in dem landwirtschaftliche Geräte aufbewahrt werden und der Traktor abgestellt wird und der außerdem als Durchfahrt zur Tenne dient. Dort wird das Obst und Heu bis zum Verkauf gelagert. Vom Gang gelangt man durch eine Tür in den Hausgang und das Treppenhaus des Hofgebäudes.

Die Klägerin wohnt im selben Gebäude wie ihr Sohn, lebt mit ihm jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt. Am 22.11.1987 reinigte sie den erwähnten Gang. Die Reinigung wurde ihr von ihrem Sohn nicht aufgetragen. Im Laufe der Reinigungsarbeiten wollte sie einen Staubsauger, den sie für ihre Tätigkeit benötigte, aus dem Hofgebäude holen. Als sie durch die Verbindungstür in den Hausgang des Hofgebäudes trat, stürzte sie und fiel gegen das Stiegengeländer in dem Hofgebäude. Hiedurch wurde ihr rechtes Auge verletzt. Die Verletzung führte zu einer Schrumpfung des Augapfels und zur vollständigen Erblindung des Auges, wobei auch das linke Auge gefährdet ist. Außerdem hatte der Sturz einen Muskeleinriß in der linken Schulter, eine Läsion des plexus brachialis (= Armgeflechts) rechts, ein Zervikalsyndrom und einen frontoparietalen Herd beiderseits zur Folge. Aus ärztlicher Sicht beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen der Schädigung des Auges 30 %, wegen der Schädigung der linken Schulter 15 % und wegen der neurologischen Schädigungen 25 % und insgesamt 70 %.

Das Erstgericht stellte zu diesem Sachverhalt noch fest, daß der Gang vor der Reinigung durch die Klägerin wegen der Einbringung der Obsternte und der Aufarbeitung von Holz verunreinigt war, und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin die Kosten der Unfallheilbehandlung und eine Versehrtenrente von 70 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Der Gang, in dem die Klägerin arbeitete, habe den Zwecken der Land- und Forstwirtschaft gedient, weshalb die von der Klägerin dort ausgeübte Beschäftigung die Versicherung begründet habe und daher unter Unfallsversicherungsschutz gestanden sei. Gemäß § 175 Abs 2 Z 5 ASVG habe sich dieser Schutz auch auf die Beförderung des Arbeitsgerätes und einen hiezu erforderlichen Weg bezogen. Die Klägerin habe daher Anspruch auf Versehrtenrente im Ausmaß von 70 % der Vollrente, wobei ihr aber eine Zusatzrente gemäß § 205 Abs 2 Z 4 (richtig: Abs 4) ASVG nicht zugesprochen werden könne, weil sie sie nicht begehrt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge, während es infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Erstgerichtes dahin abänderte, daß es der beklagten Partei auch die Bezahlung der Zusatzrente auftrug. Die beklagte Partei wende sich in der Berufung zwar zu Recht gegen die Feststellung über die Ursache der Verunreinigung des Ganges. Da der Frage, woher der Unrat stamme, für die Entscheidung keine Bedeutung zukomme, sei jedoch eine Beweiswiederholung oder eine Ergänzung oder Abänderung der Feststellungen nicht notwendig. Die Instandhaltung und Reinigung von Betriebsgebäuden gehöre jedenfalls zu den betriebsbezogenen Tätigkeiten, wobei es nicht darauf ankomme, um welche Art von Schmutz es sich handle und woher dieser stamme. Da die Klägerin somit im Betrieb ihres Sohnes Reinigungsarbeiten durchgeführt habe, sei sie bei dieser Tätigkeit gemäß § 3 Abs 1 Z 2 BSVG in der Unfallversicherung pflichtversichert gewesen und daher unter Versicherungsschutz gestanden. Neben der Versehrtenrente sei ihr auch die im § 205 a ASVG vorgesehene Zusatzrente zuzusprechen, weil diese von dem auf Leistungen "im gesetzlichen Ausmaß" gerichteten Klagebegehren umfaßt sei.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn der vollständigen Abweisung oder zumindest im Sinn der Abweisung des auf Gewährung einer Versehrtenrente gerichteten Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster oder zweiter Instanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 3 Abs 1 Z 2 BSVG sind bestimmte Familienangehörige des Betriebsinhabers, darunter die Eltern, in der Unfallversicherung pflichtversichert, wenn sie in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Sinn des Landarbeitsgesetzes tätig sind. Da im Gesetz - anders als im § 2 Abs 1 Z 2 für die Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung - über das Ausmaß der Tätigkeit nichts gesagt ist, muß davon ausgegangen werden, daß es auf ein bestimmtes Ausmaß nicht ankommt. Es genügt daher jede, wenn auch nur kurzfristige Tätigkeit (Teschner, BSVG Anm 3 zu § 3 23.ErgLfg 24/1). Im Sinn der zum insoweit vergleichbaren § 176 Abs 1 Z 6 ASVG ergangenen Rechtsprechung (vgl SZ 42/39; SZ 48/50; SSV-NF 1/17; SSV-NF 3/16) muß allerdings verlangt werden, daß die Arbeitsleistung dem ausdrücklichen oder mußmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und von wirtschaftlicher Bedeutung ist.

Die Klägerin hat die Reinigungsarbeiten auf einem Teil der Liegenschaft ausgeführt, der zum Teil privaten (Zugang zum Wohngebäude) und zum Teil betrieblichen (Zugang zur Tenne, Verwahrung von Geräten, Abstellen des Traktors) Zwecken gewidmet war. Ihre Tätigkeit diente daher ebenso zum Teil privaten und zum Teil betrieblichen Zwecken, wobei insoweit nach den Verhältnissen des Falles davon ausgegangen werden kann, daß sie dem mutmaßlichen Willen ihres Sohnes entsprach. Eine Tätigkeit, die zum Teil im betrieblichen und zum Teil im privaten Interesse entfaltet wird, steht unter Unfallversicherungsschutz, sofern die betrieblichen Interessen gegenüber den privaten nicht erheblich in den Hintergrund treten (SSV-NF 3/150 = EvBl 1990/64). Unter diesem Gesichtspunkt kommt es aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes und in Übereinstimmung mit der Ansicht der beklagten Partei darauf an, welche Reinigungsarbeiten die Klägerin mit dem Staubsauger durchzuführen beabsichtigte. Hätten diese Arbeiten nämlich für den von ihrem Sohn geführten Betrieb nur eine ganz untergeordnete Bedeutung gehabt - was bei Verwendung eines Staubsaugers sogar naheliegt -, so wäre die Klägerin nicht in diesem Betrieb tätig und daher nicht aus diesem Grund in der Unfallversicherung geschützt gewesen. Ihre Tätigkeit hätte dann nur dem Haushalt des Betriebsinhabers oder ihrem Haushalt zugerechnet werden können und ein Arbeitsunfall wäre dann gemäß § 175 Abs 3 Z 1 ASVG nur vorgelegen, wenn der Haushalt dem Betrieb wesentlich gedient hätte, wobei die Klägerin in diesem Zusammenhang den in der angeführten Gesetzesstelle genannten Dienstnehmern gleichzustellen ist. Dient nämlich ein Haushalt wesentlich dem Betrieb, so kann es für den Unfallversicherungsschutz nicht darauf ankommen, ob derjenige, der ihn führt, in einem Dienstverhältnis zum Betriebsinhaber steht. Es ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber nur an den Regelfall gedacht hat, weil die in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb tätigen Familienangehörigen des Betriebsinhabers gewöhnlich mit diesem im gemeinsamen Haushalt leben. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, so muß auch die Arbeit in ihrem eigenen Haushalt geschützt sein, wenn dieser wesentlich dem Betrieb dient und sie zu den im § 3 Abs 1 Z 2 BSVG genannten Personen gehören. Sonst wären sie zwar bei ihrer Tätigkeit im land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb, nicht aber bei ihrer Tätigkeit in ihrem Haushalt den Dienstnehmern gleichgestellt, was sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. § 175 Abs 3 Z 1 ASVG muß daher in dem dargestellten Sinn berichtigend ausgelegt werden.

Das Berufungsgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren zu klären haben, welche Reinigungsarbeiten die Klägerin mit dem Staubsauger durchführen wollte, wobei es auf die Reinigungsarbeiten, die sie vor dem Unfall durchgeführt hatte, nicht ankommt. Erst nach Klärung dieser Frage wird beurteilt werden können, ob die Tätigkeit der Klägerin dem Betrieb ihres Sohnes in einem den Schutz in der Unfallversicherung begründenden Ausmaß gedient hätte. Andernfalls wäre zu klären, in welcher Weise und in welchem Ausmaß der Haushalt der Klägerin und ihres Sohnes dessen Betrieb dienten. Ergibt sich danach, daß die von der Klägerin beabsichtigte Tätigkeit unter Unfallversicherungsschutz gestanden wäre, so träfe dies auch auf den zum Holen des Staubsaugers unternommenen Weg zu. Schon das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf § 175 Abs 2 Z 5 ASVG hingewiesen. Dieser Tatbestand ist auch bei Wegen erfüllt, die mit der Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung oder Erneuerung des in der bezogenen Gesetzesstelle angeführten Arbeitsgerätes im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang stehen (Teschner, ASVG Anm 4a zu § 175 50.ErgLfg 942).

Sollte auf Grund der Verfahrensergänzung ein Arbeitsunfall der Klägerin anzunehmen sein, hätte sie Anspruch auf Versehrtenrente und die Zusatzrente für Schwerversehrte, weil dem entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht ihr Alter nicht entgegenstünde. Der Anspruch auf Versehrtenrente (und damit auch auf die Zusatzrente) ist nämlich nur dann ausgeschlossen, wenn der Versicherte vor dem Arbeitsunfall oder der Berufskrankheit schon vollständig erwerbsunfähig war (Tomandl in Tomandl, System 2.3.3.2.3.2 A 4. ErgLfg 331; 10 Ob S 280/90). Dies ist hier aber nicht hervorgekommen.

Anmerkung

E22490

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00351.9.1218.000

Dokumentnummer

JJT_19901218_OGH0002_010OBS00351_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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