TE OGH 1990/12/19 9ObA608/90

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Veröffentlicht am 19.12.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und Mag. Michael Zawodsky in der Arbeitsrechtssache der antragstellenden Partei Ö*** G*** FÜR D*** G*** T***, B***, L***, Wien 1., Hohenstaufengasse 10, wider den Antragsgegner B*** DER G*** W***, S***

I***, F*** DER L*** I***, V***

DER S*** Ö***, Wien 4., Wiedner Hauptstraße 63, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Antrag, es werde festgestellt, daß § 12 Abs 1 und 2 des Kollektivvertrages für die S*** Ö*** auch dann Anwendung zu finden hat, wenn von Haus aus vertraglich klargestellt ist, daß sich Arbeitnehmer zur Erbringung unterschiedlich hochentlohnter Arbeiten verpflichtet haben, sowie der vom Antragsgegner gestellte Gegenantrag, es werde festgestellt, daß gemäß § 12 Abs 2 des Kollektivvertrages für die S*** Ö*** im Falle der regelmäßig ausgeübten verschiedenen Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsplatzes kein Anspruch auf den höchsten zugeteilten Kollektivvertragslohn besteht, werden abgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kollektivvertrag vom 18. 12. 1980, abgeschlossen zwischen dem F*** DER L*** I***, V*** DER S***, einerseits und dem Ö*** G***, G*** T***, B***, L***, andererseits, der für das gesamte Bundesgebiet für alle dem V***

DER S*** angehörenden Betriebe bzw selbständige Betriebsabteilungen und für alle Arbeiter und Arbeiterinnen sowie für gewerbliche Lehrlinge gilt, bestimmt in seinem § 12 Abs 1 und 2 folgendes:

"§ 12 Veränderungen des Arbeitsplatzes im Betrieb 1.) Bei vorübergehender Verwendung von Akkord- und Prämienarbeitern (§ 8) im Stundenlohn oder von im Stundenlohn beschäftigten Arbeitern, für die üblicherweise ein geringerer Stundenlohn vorgesehen ist, wird durch sechs Wochen der bisherige Akkord- bzw Prämiendurchschnittsverdienst bzw der bisherige Stundenlohn weiterbezahlt.

2.) Bei vorübergehender Verwendung von Akkord- bzw Prämienarbeitern (§ 8) zu geringer entlohnten Akkord- bzw Prämienarbeiten oder bei deren Beschäftigung im Stundenlohn wird der bisherige Akkord- bzw Prämiendurchschnittsverdienst der letzten dreizehn vollbezahlten Wochen durch sechs Wochen weiterbezahlt." Der Antragsteller begehrt die Feststellung, daß § 12 Abs 1 und 2

des Kollektivvertrages für die S*** Ö*** auch dann Anwendung zu finden hat, wenn von Haus aus vertraglich klargestellt ist, daß sich Arbeitnehmer zur Erbringung unterschiedlich hoch entlohnter Arbeiten verpflichtet haben.

Zur Begründung seines Antrages bringt er vor, daß es aufgrund der arbeitsteiligen Produktionsweise in der Schuhindustrie in den letzten Jahren üblich geworden sei, die Arbeitnehmer mit Einzelvertrag oder auch aufgrund einer Betriebsvereinbarung nicht für eine bestimmte Tätigkeit, sondern als Arbeitnehmer einer Abteilung einzustellen. Dabei verpflichten sich die Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Arbeiten, deren Kollektivvertragslohn auch unterschiedlich bemessen werde.

So sei folgender Vertragstext häufig anzutreffen:

"Sie werden als Arbeitnehmer in der Abteilung .... beschäftigt. Es wird vereinbart, daß Sie nach betrieblichem Bedarf zu sämtlichen in der Abteilung möglichen Arbeitsvorgängen, die Sie aufgrund ihrer Anlernung durchführen können, zugeteilt werden können. Ihre Tätigkeit umfaßt daher je nach Bedarf sämtliche dieser Arbeitsvorgänge. Die Zuteilung dieser Arbeitsvorgänge stellt daher weder eine Versetzung noch eine Änderung des Arbeitsplatzes im Betrieb dar." Mit dieser Ausweitung des Arbeitsplatzbegriffes auf alle Arbeitsvorgänge und die Bedienung aller Maschinen innerhalb einer Abteilung solle nach Ansicht der Arbeitgeber auch die Vergütungsbestimmung des § 12 des Kollektivvertrages keine Anwendung mehr finden. Die Antragsteller meinen, eine vertragliche Verpflichtung zur Verrichtung verschiedener Arbeiten in einer Abteilung könne der kollektivvertraglichen Bestimmung einer Entgeltberechnung keinen Abbruch tun. Daraus folge, daß ein Arbeitnehmer - ausgehend von seiner Verpflichtung, verschiedene Tätigkeiten zu erfüllen - Anspruch auf den im Kollektivvertrag bestimmten Lohn habe. Einem Arbeitnehmer, der von einer höher entlohnten Arbeitsverrichtung zu einer geringer entlohnten verwiesen werde, sei daher durch sechs Wochen der Durchschnittsverdienst der höher entlohnten Arbeit weiterzuzahlen. Da die Bemühungen, mit dem Antragsgegner eine einvernehmliche Vertragsklarstellung zu § 12 zu erreichen, erfolglos geblieben seien, bestehe ein erhebliches Interesse an der Klarstellung, daß die Vergütung gemäß § 12 Abs 1 und 2 des Kollektivvertrages auf den genannten Anlaßfall vorübergehender Verwendung zu geringer entlohnten Arbeiten anzuwenden sei.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzuweisen und gleichzeitig festzustellen, daß gemäß § 12 Abs 2 (gemeint wohl auch Abs 1) des Kollektivvertrages im Fall der regelmäßig ausgeübten verschiedenen Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsplatzes kein Anspruch auf den "höchsten zugeteilten Kollektivvertragslohn" bestehe. Hiezu bringt er vor, daß er nicht bestreite, daß einem Arbeitnehmer, der längere Zeit mit einer Tätigkeit befaßt und dann zu einer anderen abgestellt werde, die geringer entlohnt sei, über sechs Wochen der Durchschnittsverdienst weiterhin zu zahlen sei. Diesbezüglich mangle es an einem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers.

Im übrigen führt er aus, daß der Lohntarif der österreichischen Schuhindustrie sieben Lohnkategorien (ursprünglich elf) enthalte, weil der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Arbeitsgänge mit Anlernzeiten von zwei bis elf Monaten sehr unterschiedlich sei. Der Hauptunterschied zu anderen Kollektivverträgen sei der, daß in den übrigen Bereichen lediglich zwei bis drei angelernte Arbeitsgruppen angeführt werden. Eine weitere Eigenheit der Schuhindustrie sei die, daß diese Tätigkeiten überwiegend in Akkordarbeit verrichtet würden, sodaß für jenen Arbeitsvorgang ein im Regelfall dem Kollektivvertrag entsprechender Akkordrichtsatz zum Minutenfaktor vorgegeben sei. Die - gemessen an anderen Industriesparten - enorme Vielzahl an Arbeitsverrichtungen (ein Schuh in den Preisklassen österreichischer Hersteller könne bis zu durchschnittlich 150 verschiedene Arbeitsgänge haben) führe dazu, daß ein Arbeitnehmer in einer Abteilung mehrere Tätigkeiten verrichte. Beispielsweise komme es vor, daß in der Abteilung Stepperei ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten beherrsche und je nach Notwendigkeit mit diesen verschiedenen Tätigkeiten betraut werde. Bei Neueinstellung werde ein Arbeitnehmer, sofern er keine Branchenerfahrung mitbringe, zuerst an einfacheren Tätigkeiten angelernt. Erst bei entsprechender Eignung werde er an Tätigkeiten der höheren Lohnkategorien herangeführt. Die unterschiedlichen Lohnkategorien würden von den Tarifpartnern bewußt gewählt, um eine Entlohnung, die dem jeweiligen Schwierigkeitsgrad des Arbeitsvorganges angemessen sei, sicherzustellen. In der Fachsprache würden diese Tätigkeiten als "Mischtätigkeiten" bezeichnet und seien jeweils als eigener Arbeitsplatz zu beurteilen. Ein Dienstnehmer werde daher für verschiedene Tätigkeiten aufgenommen; sein täglicher Arbeitsablauf bestehe auch aus mehreren Tätigkeiten bzw Arbeitsverrichtungen von unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Es sei richtig, daß vereinzelt Unternehmen zur Klarstellung mit derartigen Arbeitnehmern eine Vereinbarung getroffen hätten, wonach sich diese von vornherein für derartige Mischtätigkeiten bereits erklärt hätten; gleichzeitig werde vereinbart, daß aus dieser Mischtätigkeit kein Anspruch auf Versetzung bzw Wechsel des Arbeitsplatzes abzuleiten sei. Der Arbeitsablauf bestehe darin, daß verschiedene Arbeitsverrichtungen regelmäßig vorgenommen würden, sodaß der Arbeitsplatz des betreffenden Arbeitnehmers aus verschiedenen Verrichtungen bzw Maschinen bestehe. Bei den gegenständlichen Mischtätigkeiten handle es sich um einen einheitlichen Arbeitsplatz, sodaß auf solche Tätigkeiten die Vergütungsbestimmung des § 12 des Kollektivvertrages keine Anwendung finde. § 12 stehe unter der Überschrift "Veränderungen des Arbeitsplatzes im Betrieb". Bei Mischtätigkeiten sei es logisch, daß der Arbeitsplatz mehrere Tätigkeiten umfasse. Eine Verschlechterung der Lohnbedingungen könne von vornherein nur eintreten, wenn sich am "Tätigkeitsspiegel" etwas ändere. Unter der Überschrift des § 12 werde deutlich, daß die vorübergehende Verwendung eine Änderung der zugeteilten Akkordarbeiten voraussetze. Für die Anwendung dieses Punktes sei daher zumindest Voraussetzung, daß ein gegebenes Mischverhältnis der zugeteilten Tätigkeiten zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert werde. Für diese Auslegung spreche auch die Fortzahlungsbestimmung, wonach der bisherige Akkord- bzw Prämiendurchschnittsverdienst der letzten dreizehn voll bezahlten Wochen durch sechs Wochen weitergezahlt werde. Als Akkorddurchschnittsverdienst könne nur der Gesamtakkorddurchschnittsverdienst verstanden werden; die Fortzahlung durch sechs Wochen setze eine Änderung der bisherigen Zuteilung für eine bestimmte Zeitspanne voraus.

Anders sei die Situation dann, wenn ein Dienstnehmer über eine längere Zeit mit einer Tätigkeit befaßt und dann zu einer anderen Tätigkeit abgestellt werde, auch wenn er eine Vereinbarung getroffen hat, wonach er sich für verschiedene Tätigkeiten verpflichte. Ein typischer Fall für diesen Vorgang sei der Kollektionswechsel am Beginn einer neuen Saison, also etwa die Umstellung von Winter- auf Sommerware, wenn ein Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Tätigkeiten verwendet werde. Für diesen Fall werde die Anwendbarkeit des § 12 des genannten Kollektivvertrages gar nicht bestritten.

Rechtliche Beurteilung

Weder dem Antrag des Antragstellers noch dem Gegenantrag des Antragsgegners kommt mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 54 Abs 2 ASGG Berechtigung zu.

Gemäß § 54 Abs 2 ASGG muß der vom Antragsteller zu behauptende Sachverhalt, ähnlich wie eine Klagserzählung einer Feststellungsklage, alle wesentlichen Tatsachen enthalten, auf die sich das festzustellende Recht oder Rechtsverhältnis gründet (rechtserzeugende Tatsachen) sowie jene Tatsachen, aus denen sich das Feststellungsinteresse ergibt. Der Antrag muß überdies eine Rechtsfrage des materiellen Rechtes auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Der bloße Hinweis auf kollektivvertragliche Normen, die Gesetze im materiellen Sinn sind, vermag die Behauptung eines Sachverhaltes nicht zu ersetzen.

Es ist nicht Gegenstand des Verfahrens gemäß § 54 Abs 2 ASGG, zu allgemein aufgeworfenen Rechtsfragen Gutachten zu erstatten und allenfalls mögliche Fallgruppen zu variieren. Die Entscheidung hat sich vielmehr im Rahmen des gestellten Antrages auf jene Beurteilung zu beschränken, die zum behaupteten Sachverhalt im Verhältnis der Schlüssigkeit steht (vgl Kuderna, ASGG § 54 Erl 13; 9 Ob A 502/90 und 9 Ob A 604/90).

Fehlt der Sachverhalt zur Gänze, ist der Antrag dem Antragsteller zur Verbesserung zurückzustellen. Kommt er dem Verbesserungsauftrag nicht oder - wie hier - nicht ausreichend nach, ist der Antrag mangels Schlüssigkeit abzuweisen (vgl Kuderna aaO). Dem Antrag des Antragstellers liegt die Absicht zugrunde, den Obersten Gerichtshof zur Wiedergabe der Auffassung zu veranlassen, ein zwischen dem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer abgeschlossener Einzelarbeitsvertrag nach dem im Antrag wiedergegebenen Muster sei ohne Einfluß auf die Entgeltbestimmung des § 12 Abs 1 und 2 des Kollektivvertrages; der Antragsgegner müsse das bisherige Entgelt trotz einer vorübergehenden Verwendung für Arbeiten, die geringer entlohnt werden, auch dann weiterzahlen, wenn sich der Arbeitnehmer im Einzelarbeitsvertrag zur Erbringung von Arbeiten verpflichtet habe, die in unterschiedlicher Höhe entlohnt werden. Der Antragsteller hat es jedoch trotz Aufforderung unterlassen, alle jene - mindestens drei Arbeitnehmer betreffenden - Sachverhaltselemente anzuführen, die zu diesem Begehren im Verhältnis der Schlüssigkeit stehen und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über das Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Rechtes oder Rechtsverhältnisses (hier eines konkreten Entgeltanspruches) ermöglicht hätte. Die bloß abstrakte Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung (hier einer bloßen Entgeltbestimmung) und einer Einzelarbeitsvertragsbestimmung (hier: über die Art der zu leistenden Arbeiten) kann nicht Gegenstand einer Entscheidung im besonderen Feststellungsverfahren sein. Das gleiche gilt für den Gegenantrag des Antragsgegners. Dieser Antrag ist aber auch deshalb nicht berechtigt, weil es dem Antragsgegner in einem Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG verwehrt ist, dem Antrag des Antragstellers nicht nur durch den Antrag auf Abweisung des Feststellungsantrages, sondern überdies durch einen auf Feststellung des gegenteiligen Rechtes oder Rechtsverhältnisses, insbesondere durch einen auf die Negation des Feststellungsantrages des Antragstellers gerichteten Gegenantrag entgegenzutreten und die Bestimmung des § 54 Abs 4 ASGG, wonach der Oberste Gerichtshof seiner Entscheidung (ausschließlich) den vom Antragsteller behaupteten Sachverhalt zugrunde zu legen hat, dadurch zu umgehen, daß er zur Begründung eines Gegenantrages einen anderen, von jenem des Antragstellers abweichenden Sachverhalt behauptet. Es bleibt aber dem Antragsgegner grundsätzlich unbenommen, einen eigenen, den Bestimmungen des § 54 Abs 2 ASGG entsprechenden Feststellungsantrag zu stellen.

Anmerkung

E22473

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00608.9.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19901219_OGH0002_009OBA00608_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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