Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Patrick Hans Peter *****, geboren am 23. März 1985, in Obsorge und vertreten durch die Mutter Franziska Maria *****, Damenkleidermacherin, ***** diese vertreten durch Dr. August *****, Rechtsanwalt in ***** infolge Revisionsrekurses der Mutter Franziska ***** gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 10. Oktober 1990, GZ R 816/90-42, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 27. Juli 1990, GZ P 60/86-37, bestätigt und der vom Rechtsvertreter der Mutter eingebrachte Rekurs zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Zurückweisung des vom Rechtsvertreter der Mutter erhobenen Rekurses richtet, zurückgewiesen.
Im übrigen, also hinsichtlich der Sachentscheidung, werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben; die Rechtssache wird zu ergänzenden Erhebungen und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Christian *****, Schlosser, wohnhaft in *****, ist der Vater des außer der Ehe am 23. 3. 1985 geborenen mj. Patrick Hans Peter *****, der bei seiner Mutter Franziska ***** lebt.
Mit Protokollarantrag vom 22. 3. 1988 begehrte der Vater die Einräumung eines Besuchsrechtes an zwei Tagen im Monat jeweils in der Dauer von 9 bis 17 Uhr. Die Mutter sprach sich gegen jedes Besuchsrecht im wesentlichen mit der Begründung aus, der Vater sei gewalttätig, habe sie mißhandelt, fahre alkoholisiert mit dem PKW und habe sich an dem Kind bisher nicht interessiert gezeigt. Das Kind fürchte sich vor ihm.
Das Erstgericht räumte dem Vater ein Besuchsrecht an jedem
1. Sonntag im Monat in der Zeit von 14 bis 16 Uhr ein, wies das darüber hinausgehende Begehren des Vaters ab, ordnete an, daß das Besuchsrecht in der Wohnung der Mutter auszuüben sei, verpflichtete die Mutter, dem Vater das Kind am Beginn des Besuchstermines zur Ausübung des Besuchsrechtes zu übergeben, sah einen ersatzlosen Verzicht auf das Besuchsrecht vor, sollte dieses vom Vater nicht innerhalb einer Stunde ab Besuchsbeginn ausgeübt werden und ordnete den Wirksamkeitsbeginn dieser Regelung erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses an. Es ging dabei von folgendem wesentlichen Sachverhalt aus:
Zwischen den Eltern des mj. Patrick bestand nie eine Lebensgemeinschaft. Ihre Freundschaft dauerte vorerst ca. ein halbes Jahr und endete, als die Mutter im dritten Monat schwanger war. Als das Kind drei Monate alt war, also im Sommer 1985, interessierte sich der Vater für den mj. Patrick, worauf die Mutter das Kind einmal nach ***** brachte. In der Folgezeit nahmen die Eltern wieder freundschaftliche Kontakte auf, die bis Ende 1986 dauerten. Der Vater kam während dieser Zeit einmal wöchentlich zur Mutter; an den Wochenenden brachte diese das Kind nach ***** zum Vater und zu dessen Eltern. Dabei hatte der Vater einen einer normalen Vater-Sohn-Beziehung entsprechenden Kontakt mit dem Kind. Daß er es vernachlässigte, konnte nicht festgestellt werden. Einige Male besuchte er mit dem Kind auch Freunde, die eine gute Vater-Sohn-Beziehung feststellten. Daß der Vater anläßlich seiner Besuchskontakte gegenüber dem Kind und der Mutter gewalttätig gewesen wäre, übermäßig dem Alkohol zugesprochen oder alkoholisiert ein Fahrzeug gelenkt hätte, war nicht feststellbar. Nachdem die Freundschaft der Eltern Ende 1986 endete, versuchte der Vater noch zweimal, auch am Geburtstag des Kindes, mit diesem Kontakt aufzunehmen und kündigte sein Vorhaben auch vorher an. Die Mutter verweigerte jedoch einen solchen Kontakt.
Die Mutter lebt mit dem Kind ebenso wie ihr Bruder Peter ***** mit seiner Familie bei den Eltern. Der Minderjährige bezeichnet seinen Onkel Peter ***** als "Papa". Der leibliche Vater stellt im Erleben des Kindes lediglich eine Wissensinformation dar. Er weiß also, daß früher ein anderer Mann als sein Onkel sein "Vater" gewesen ist. Es besteht aus psychologischer Sicht die Möglichkeit, daß aus diesem Wissen später ein Konflikt erwachsen könnte, der eine seelische Belastung für das Kind darstellen könnte. Auf Grund der Lebensumstände, nämlich der Berufstätigkeit der Mutter, ist die Großmutter mütterlicherseits die zentrale Bezugsperson des Kindes. Dem Vater, der unter dem positiven beschwichtigenden Einfluß seiner Lebensgefährtin steht, geht es primär darum, das Kind einfach wieder einmal zu sehen, unabhängig davon, ob es erfährt, daß er der Vater ist. Ihm ist (über Vorhalt des Psychologen) klar, daß eine Abholung des Kindes zu einem Besuch eine schwere Überforderung bedeuten würde und daß ein Besuchsrecht in der von ihm beantragten Form nicht realisierbar ist. Seiner Meinung nach könnte der Onkel des Minderjährigen, Peter *****, eine positive vermittelnde Rolle bei der möglicherweise an einem neutralen Ort stattfindenden Ausübung des Besuchsrechtes spielen. Der Vater zeigt echtes emotionales Interesse an dem Kind. Die Mutter hingegen ist der Meinung, der Vater wolle ihr durch die Antragstellung auf Einräumung eines Besuchsrechtes nur Schwierigkeiten bereiten. Sie ist emotional nicht in der Lage, einem Besuchskontakt zuzustimmen und hat nach einer wieder aufgegebenen Lebensgemeinschaft die Trennung vom Vater noch nicht aufgearbeitet.
Aus psychologischer Sicht ist eine Besuchsrechtsregelung in der Form, daß der Vater das Kind zu sich nimmt, nicht zu empfehlen. Das Kind hat zwar dadurch, daß die Mutter ihm manchmal Fotos vom Vater mit dem Hinweis zeigte, dies sei sein Vater, über diesen Wissensinformation. Weil es aber seinen Onkel als Vater ansieht, könnte durch Besuchskontakte mit dem wirklichen Vater außerhalb der gewohnten Umgebung eine seelische Belastung des Kindes erwachsen. Aus psychologischer Sicht wäre es empfehlenswert, dem Vater im Rahmen eines Langzeitprogrammes die Möglichkeit zu geben, sein Kind zu sehen. Das Kind müßte die Möglichkeit haben, sich vom Vater ein reales Bild zu machen. Dazu sollten zunächst im Abstand von 4 Wochen Treffen an einem neutralen Ort so vereinbart werden, daß der Onkel eine Vermittlerrolle übernimmt. Ob und zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form das Kind in Zukunft mit seinem Vater allein mitgehen kann, ist derzeit noch nicht zu sagen. Man müßte allenfalls nach einem halben Jahr die Einstellung des Kindes durch ein Ergänzungsgutachten erheben. Der Onkel des Kindes ist berufsbedingt nicht bereit, an einer Besuchsrechtsausübung mitzuwirken.
Am 7. 8. 1990 gab die Mutter, nachdem sie erklärt hatte, das Vollmachtsverhältnis zu ihrem Rechtsvertreter Dr. August ***** gelöst zu haben, einen Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes zu Protokoll, in welchem sie die Feststellungen und Beweiswürdigung des Erstgerichtes bekämpfte und beantragte, dem Vater jedes Besuchsrecht zu untersagen und dessen Antrag auf Besuchsrechtsregelung abzuweisen. Am 21. 8. 1990 langte beim Erstgericht ein vom Rechtsvertreter der Mutter, dem der Beschluß des Erstgerichtes am 8. 8. 1990 zugestellt worden war, erhobener Rekurs mit ähnlichen Ausführungen und gleichlautendem Rekursantrag ein.
Das Rekursgericht gab dem Protokollarrekurs der Mutter keine Folge. Es billigte die Feststellungen des Erstgerichtes und auch die getroffene Regelung als dem Kindeswohl und dem Recht auf persönlichen Verkehr des nicht erziehenden Elterteiles mit dem Kind gemäß § 148 ABGB entsprechend. Den Rekurs des Rechtsvertreters der Mutter wies es, weil dieser dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels widerspreche, zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 14 Abs 1 AußStrG jeweils unzulässig sei.
Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Antrag des Vaters auf Zuerkennung eines Besuchsrechtes abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist, soweit er sich gegen die Zurückweisung des vom Rechtsvertreter der Mutter erhobenen Rekurses richtet, nicht zulässig.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß auch nach der Rechtslage seit der ZVN 1983 der Grundsatz der Einmaligkeit eines Rechtsmittels, welcher auch im Außerstreitverfahren gilt, nur im Umfang der erweiterten Verbesserungsmöglichkeiten (§ 84 Abs 3 ZPO) eingeschränkt ist. Wenn nicht wegen formaler Mängel eine verfahrensrechtliche Notwendigkeit besteht, darf nur ein Rechtsmittel erhoben werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein formal einwandfreies, zur meritorischen Behandlung geeignetes und daher nicht verbesserungsbedürftiges Rechtsmittel vorliegt. Gerade dies aber trifft hier auf den Protokollarrekurs der Mutter zu. Wie sich aus diesem selbst und aus der Stellungnahme des den Rekurs aufnehmenden Richters ergibt, wurde die Rechtsmittelwerberin auf das nach der Aktenlage bestehende Vollmachtsverhältnis ausdrücklich hingewiesen. Sie hat jedoch erklärt, daß das Vollmachtsverhältnis zu Dr. ***** aufgelöst sei. Die gegenteiligen Ausführungen im Revisionsrekurs entsprechen nicht der Aktenlage.
Soweit sich der Rekurs jedoch gegen die Sachentscheidung richtet, kommt ihm Berechtigung zu.
Wie der Oberste Gerichtshof mehrfach ausgesprochen hat (EFSlg. 56.636 mwN), gehört es zu den Grundsätzen der Besuchsrechtsregelung, daß das Kind dem Besuchsberechtigten grundsätzlich allein und ohne Bindung an eine
bestimmte Örtlichkeit zu überlassen ist und das Besuchsrecht grundsätzlich nicht in Gegenwart des anderen Elternteiles ausgeübt werden soll. Nur wenn besondere Umstände des Einzelfalles, so etwa eine besondere psychische Situation, für die Gegenwart des erziehenden Elternteiles oder eine bestimmte Örtlichkeit sprechen, soll von diesem Grundsatz abgegangen werden. Im vorliegenden Fall hat der psychologische Sachverständige ausdrücklich einen "neutralen Ort" und keineswegs die Anwesenheit der Mutter empfohlen, die nach dem Gutachten das Scheitern ihrer Beziehung zum Vater noch nicht verwunden hat und sich gerade deshalb gegen die Einräumung eines Besuchsrechtes wehrt. Das Erstgericht hat ohne Einholung einer Stellungnahme der Mutter deren Wohnung als Besuchsort bestimmt. Die Mutter spricht sich in ihrem Rechtsmittel vehement gegen eine solche Lösung aus. Dazu kommt noch, daß nach der Aktenlage die Mutter bei den Großeltern des Kindes wohnt, die zu einer Duldung von Besuchsrechten in ihren Räumen ohne ihr Einverständnis jedenfalls nicht gezwungen werden können. Es wird daher zu klären sein, ob eine Ausübung des Besuchsrechtes in der vorgesehenen Form überhaupt möglich ist. Schließlich wird zu berücksichtigen sein, daß das Kind bereits einen Kindergarten besucht und in Kürze das Volksschulalter erreicht, also in einem Alter steht, in welchem üblicherweise die Lösung von Bezugspersonen im Familienverband erfolgt und, soferne nicht eine besondere psychische Disposition dagegen spricht, das Anknüpfen von Kontakten auch mit bisher fremden Personen oder solchen, über welche nur "Wissensinformation" besteht, durchaus der Entwicklung eines Kindes entspricht.
Das Erstgericht wird daher nach Verfahrensergänzung neuerlich über Art und Umfang des Besuchsrechtes des Vaters zu entscheiden haben.
Anmerkung
E25055European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:006OB000506.91.0110.000Dokumentnummer
JJT_19910110_OGH0002_006OB000506_9100000_000