Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr.Gert Seeber, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr.Margot und Dr.Günther Tonitz, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 499.999 sA infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26.März 1990, GZ 4 R 36/90-20, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 19.Dezember 1989, GZ 25 Cg 103/89-15, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der Beschluß des Berufungsgerichtes behoben und in der Sache selbst dahin erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 33.696,60 (darin S 5.661,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 27.317,18 (darin S 2.886,30 Umsatzsteuer und S 10.000 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger stieß in den Abendstunden des 12.4.1988 mit dem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Traktor der Marke Massey Ferguson mit dem amtlichen Kennzeichen K***** gegen ein neben der Mauer des Heizraumes auf seiner Liegenschaft in St.Stefan 90 abgestelltes Faß um, sodaß die darin befindlichen 200 l Heizöl ausrannen. Ferner stieß er mit der Vorderachse des Traktors gegen einen am Boden gelagerten Träger, der dadurch gegen ein weiteres mit Heizöl gefülltes abgestelltes Faß anschlug, wodurch dieses leck wurde und das darin enthaltene Heizöl in der Folge ebenfalls ausfloß. Das Heizöl rann zunächst auf die asphaltierte Hoffläche und drang dann in das anschließende Erdreich ein, auf dem es sich großflächig verbreitete, weil die dort während der Nacht eingeschaltete Rasenbesprengungsanlage die Ausbreitung begünstigte. Die Gattin des Klägers bemerkte in den Morgenstunden des 13.4.1988 Heizölgeruch, ohne etwas zu unternehmen. Der Kläger stellte in den folgenden Stunden fest, daß Heizöl ausgeronnen war und sich über das Grundstück verbreitend in das Erdreich eingesichert ist. Auch er unternahm nichts Zweckdienliches.
Über Weisung der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt mußte in der Folge das durch das Heizöl kontaminierte Erdreich abgehoben und ausgeglüht werden.
Halter des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Traktors ist *****. Dieses Fahrzeug wurde aber nicht nur für ihren Maistrocknungsbetrieb, sondern mit ihrer Genehmigung auch vom Kläger für dessen Landwirtschaft verwendet.
Der Kläger wurde wegen dieses Vorfalles von der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt rechtskräftig zu einer Geldstrafe von S 2.000 wegen Verletzung des § 137 Abs 1 iVm § 31 Abs 1 WRG verurteilt.
Der Kläger begehrt von der beklagten Haftpflichtversicherung die Bezahlung von vorläufig S 499.999 sA und brachte vor, daß ihm der Austritt von Öl aus dem um- und dem angestoßenen Faß am Abend des 12.4.1988 nicht aufgefallen sei und daß er das Aussickern des Öles aus dem zweiten Faß überhaupt erst eine Woche nach dem Unfall (später wird behauptet zwei Tage danach) bemerkt habe. Für die von der Behörde angeordnete Beseitigung und Ausglühung von 259 Tonnen kontaminierten Erdreiches und dem Ersatz einer gleichen Erdmenge habe er ingesamt S 596.320,04 ausgelegt, wovon er derzeit nur den Klagsbetrag geltend mache.
Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete unter anderem ein, der Kläger habe entgegen seiner Schadesminderungspflicht auf untaugliche Weise versucht, das aufgestreute Bindemittel mit Wasser wegzuspritzen. Hiedurch habe er die Verunreinigung des Erdreiches mit Öl vergrößert. Er habe sich nach dem Anstoß des Traktors am Ölfaß bzw dem Träger nicht darum gekümmert, ob Öl austrete. Damit habe er grob fahrlässig gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Die Schadensmeldung sei unvollständig erstattet worden. Die dadurch begründeten Obliegenheitsverletzungen zögen die Leistungsfreiheit der beklagten Partei nach sich. Im übrigen treffe den Kläger am Umstoßen und Beschädigen der Heizölfässer das Alleinverschulden. Der Kläger sei auch Mithalter des bei der beklagten Partei versicherten Traktors gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und folgerte rechtlich, daß der Kläger den Unfall, der zum Austritt von Heizöl geführt habe, allein verschuldet habe. Das ausfließende Heizöl habe aber nur das Erdreich des eigenen Grundstückes verunreinigt. Da der Unfallsverursacher mit dem allein Geschädigten zusammenfalle, liege ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG vor, was weder auf einen Fehler in der Beschaffenheit noch auf ein Versagen von Einrichtungen des haftpflichtversicherten Fahrzeuges zurückzuführen sei. Die beklagte Partei sei daher nicht ersatzpflichtig.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil mit dem angefochtenen Beschluß auf. Es sprach einen Rechtskraftvorbehalt aus. Es folgerte rechtlich, daß mit dem durch das schuldhafte Verhalten des Klägers ausgelösten Ölaustritt nicht nur Rechtsgüter des Klägers verletzt worden seien, sondern eine zu erwartende Grundwasserverschmutzung und damit ein Eingriff in die Rechte Dritter drohte. Diese Gefahr habe nur durch die Entfernung des kontaminierten Erdreiches gebannt werden können. Die Aufwendungen des Klägers zur Abwendung dieser Gefahr seien zwar erst über behördlichen Auftrag im Sinne des § 31 WRG 1959 erfolgt, stellten aber einen Rettungsaufwand im Sinne des § 62 VersVG dar, der von der beklagten Haftpflichtversicherung nach § 63 VersVG zu begleichen sei. Da das Erstgericht keine Feststellungen über die Schadenshöhe bzw über den notwendigen Umfang des Rettungsaufwandes getroffen habe, sei das Ersturteil aufzuheben gewesen.
Der Rekurs der beklagten Partei ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 62 VersVG ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, beim Eintritt des Versicherungsfalles nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und hat dabei, soweit ihm dies möglich ist, Weisungen des Versicherers einzuholen und zu befolgen. Hat der Versicherungsnehmer diese Obliegenheiten verletzt, so ist der Versicherer von seiner Leistungsverpflichtung befreit, es sei denn, daß die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer hat der Versicherer nur dann eine Leistung zu erbringen, wenn der Umfang des Schadens auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit nicht geringer geworden wäre. Der Versicherer ist nach § 63 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die im Rahmen des § 62 VersVG gemachten Aufwendungen auch dann zu ersetzen, wenn sie erfolglos geblieben sind. Die Rettungsverpflichtung nach § 62 VersVG beginnt objektiv mit dem Versicherungsfall, in der Haftpflichtversicherung also mit dem Beginn des Ereignisses, das Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer auslösen könnte (vgl Prölss-Martin, VVG24, 407). Die Verpflichtung nach § 62 Abs 1 VersVG gilt zeitlich unbeschränkt, solange der Schaden abgewendet oder gemindet oder der Umfang der Entschädigung gemindert werden kann. Sie umfaßt inhaltlich vom Versicherungsnehmer ein Verhalten gleich jenem, wie wenn er nicht versichert wäre, und zwar mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Er hat in der jeweiligen Situation unverzüglich, auch wenn der Erfolg zweifelhaft ist, einzuschreiten. Der Versicherte hat die Schadensminderung bzw die Rettungspflicht im Interesse des Versicherers bis zur Grenze des Zumutbaren auszuüben (Prölss-Martin aaO 408 f). Verletzt der Versicherungsnehmer oder ein Repräsentant grob fahrlässig die in treffende Obliegenheitsverpflichtung, so wird ihm vom Versicherer nur der Betrag entschädigt, den der Versicherungsnehmer bei korrektem Verhalten verlangen hätte können. Der Versicherer hat den Verstoß gegen die Obliegenheit, der Versicherungsnehmer das Fehlen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit zu beweisen (vgl VersRSch 1990, 226). Mißlingt dem Versicherungsnehmer bzw seinem Repräsentanten dieser Beweis, so muß er beweisen, welcher Teil des Schadens mit Sicherheit auch bei korrektem Verhalten entstanden wäre (Prölss-Martin aaO, 412 f mwN). Die Beweislast für die Voraussetzungen des § 63 VersVG trägt der Versicherungsnehmer, die für Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers im Sinne des Abs 2 leg cit wiederum der Versicherer (Prölss-Martin aaO, 109 und 418).
Es darf zwar nicht übersehen werden, daß in der Haftpflicht gemäß § 152 VersVG die Leistungsfreiheit des Versicherers nur bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles eintritt. Diese Bestimmung bezieht sich jedoch nur auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles und beseitigt etwa nicht die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung (SZ 43/54). Sie hat nur die Leistungen des Versicherers nach § 149 VersVG zum Gegenstand. Nach dieser Bestimmung hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einem Dritten zu bewirken hat. Demgegenüber ist die sogenannte Rettungspflicht für sämtliche Versicherungszweige speziell im § 62 VersVG geregelt. Daß bezüglich eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung mildere Voraussetzungen für den Wegfall der Leistungspflicht des Versicherers gelten, ist damit zu begründen, daß die Rettungspflicht bereits Kenntnis des Versicherungsfalles voraussetzt. Hat aber der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Versicherungsfall, so kann von ihm größere Vorsicht erwartet werden als bezüglich der Herbeiführung des Versicherungsfalles. Die Rettungspflicht ist eine Obliegenheit mit gesetzlich geregelter Vergeltungssanktion. Die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Pflicht sind dabei auch im Rahmen der Haftpflichtversicherung im § 62 Abs 2 VersVG übereinstimmend mit § 6 Abs 3 VersVG geregelt (Bruck-Möller-Johansen VVG8 IV, 246). Demnach genügt also für die Leistungsfreiheit des Versicherers bezüglich des Rettungsaufwandes auch im Bereich der Haftpflichtversicherung gemäß § 62 Abs 2 VersVG grobe Fahrlässigkeit, natürlich mit den dort genannten Einschränkungen.
Im vorliegenden Fall hat der Versicherer bewiesen, daß der Kläger grob fahrlässig gegen seine Verpflichtung nach § 62 Abs 1 VersVG verstoßen hat. Das Umstoßen eines 200 l fassenden (vermutlich aus Blech bestehenden) Fasses ist nach der Lebenserfahrung mit einem derart lautem Geräusch verbunden, daß es selbst bei laufendem Traktormotor nicht überhört werden kann, das gleiche trifft auf das Anschlagen eines Eisenträgers an ein weiteres Faß zu. Ebenso kann auch aufgrund der Geräuschverschiedenheit erkannt werden, ob ein volles oder leeres Faß umgestoßen wird. Dem Kläger hätte nach dem auf das Anfahren hin gebotenen Abstellen des Motors auch das Geräusch der austretenden Flüssigkeit auffallen müssen. Er wäre nach der Sachlage verpflichtet gewesen, entweder das Faß sofort wieder aufzustellen oder dessen Öffnung abzudichten oder sofort Hilfe zu holen, zumindest jedoch den Ölaustritt einzugrenzen. Stehen Ölfässer in der Nähe des Unfallortes, so ist es naheliegend, daß sie durch das Anschlagen eines durch den Traktor weggeschleuderten Eisenträger leck geschlagen werden können. Der Kläger wäre daher auch verpflichtet gewesen, sich darüber zu vergewissern, ob der weggestoßene Träger nicht ein weiters der dort herumstehenden vollen Ölfässer beschädigt hat. Unter grober Fahrlässigkeit wird in Lehre und Judikatur ein extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt verstanden (vgl Reischauer in Rummel zu § 1324 ABGB Rz 3 mwN). Dem Kläger muß bei dem ihm nach der Lebenserfahrung offensichtlich auffällig gewordenen Umstoßen eines mit Heizöl gefüllten 200 l-Fasses und dem Wegschleudern eines Trägers auf ein weiteres Faß der gleichen Größe und des gleichen Inhaltes bei objektivem Verhalten bewußt gewesen sein, daß das Heizöl ausfließt und in das benachbarte Erdreich eindringen kann. Das Verhalten des Klägers nach dem Unfall weist bereits Elemente des dolus eventualis auf, es ist daher zumindest als grob fahrlässig zu bewerten. Es ist weiter offenkundig, daß ein Wiederaufstellen des umgefallenen Fasses oder dessen Abdichtung unmittelbar nach dem Anstoß nur zum Ausfluß einer geringen Ölmenge geführt hätte, die gar nicht das Erdreich erreicht hätte und damit auch nicht in die Grundwasser führenden Schichten eindringen hätte können. Zumindest ist der Kläger den Beweis schuldig geblieben, daß ihm trotz sofortiger und nach der Sachlage offensichtlich möglichen Rettungsmaßnahmen kein geringerer Schaden als der eingeklagte entstanden wäre bzw in welchem Ausmaß ein Schaden trotz sofortiger Rettungsmaßnahmen nicht abgewendet werden konnte. Es erweist sich daher schon aus diesem Grund das Ersturteil im Ergebnis als gerechtfertigt, weshalb sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren, im Rekurs aufgeworfenen Fragen erübrigt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E25729European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0070OB00028.9.0110.000Dokumentnummer
JJT_19910110_OGH0002_0070OB00028_9000000_000